Kapitel 11

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"Was ist los?", fragt mich Nick, als er mir auf der Treppe entgegen kommt. "Ich soll Mum ja nicht nerven.", antworte ich leicht wütend. Nick schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an. Es scheint so, als würde er überlegen, was er sagen soll. "Hast du heute schon etwas gegessen?", fragt er mich schliesslich. Ich zucke mit den Schultern. "Wieso interessiert dich das?" "Mirja, ich mache mir sorgen um dich. In letzter Zeit hast du nie fertig gegessen. Auch wenn ich dich noch nicht lange kenne, so bist du doch meine Schwester und ich als grosser Bruder bin dazu verpflichtet zu schauen, dass es dir gut geht." Er nimmt mich sanft in den Arm. 

Doch ich drücke ihn weg. Der Grund, warum ich jedes Mal früher vom Essen weggegangen bin ist Mum und das weiss er ganz genau. Doch er hat nichts dagegen unternommen, dass sie aufhört solche Dinge über mich zu sagen.

In meinem Zimmer schliesse ich die Tür ab und stelle mich vor den Spiegel. Hübsch bin ich nicht unbedingt. Definitiv nicht. Das hat mich bis jetzt aber nie richtig gestört. Meine braune, schulterlangen Haare hängen nicht gerade aber auch nicht gelockt nach unten. Meine grün-braunen Augen sind einfach matt. Als ich noch zu Hause wohnte sagten mir viele, wie schön meine Augen strahlten. Doch hier sehe ich nichts mehr vom strahlen. Die leichten Sommersprossen über meiner Nase sind das einzige, was ich richtig an mir mag. Mein Blick geht weiter zu meinem Bauch. Ich hebe leicht das T-Shirt. Eigentlich hat Mum recht, merke ich erschrocken. Ich bin wirklich fett! Ich kneife in meinen Oberschenkel, auch hier ist Speck dran. Ich muss dringend abnehmen. Es klopft an der Tür. Schnell wende ich den Blick vom Spiegel und öffne die Tür. Nick steht dort. "Mirja ich gehe wieder arbeiten. Mum schläft. Wenn etwas ist, ruf bitte an. Hab dich lieb." und schon ist er weg. Da ich nicht nach draussen darf und somit nicht joggen gehen kann, beschliesse ich mir eine Work-out App runterzuladen.

Nach einer Stunde bin ich fix und fertig. Ich nehme eine ausgiebige Dusche und setze mich dann im Wohnzimmer aufs Sofa, um Englisch zu lernen. "Hallooo", tönt es fröhlich vom Eingang. "Hallo", gebe ich leise zurück. "Wo ist meine liebste Mirja?", meine Güte, wer ist hier denn so übermotiviert? Michael kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. "Na, was hast du denn den ganzen Tag gemacht?", fragt er. "Englisch gelernt", antworte ich. Naja, nicht der ganze Tag. "Und du?", frage ich mehr aus Höflichkeit, als aus Interesse. "Schule", antwortet Mason für ihn. "Und warum bist du so gut gelaunt?", frage ich. "Heute Abend kommen Kollegen", antwortet er und grinst schon wieder. "Aha", entgegne ich. Heute bin ich nicht so motiviert. Keine Ahnung was los ist. Wahrscheinlich nehmen mich Mums Aussagen mit. "Hilfst du mir vorbereiten Mirja?" ich nicke und folge Michael in die Küche.

Nach einer Stunde vorbereiten kommen auch meine anderen Brüder nach Hause. "Was macht ihr da schönes?", fragt Noah interessiert. "Wir kochen für unseren Besuch. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Wegen der neuen Situation und..." mitten im Satz bricht Michael ab. Wegen mir konnten sie also ihre Freunde nicht sehen. Irgendwie bin ich ein bisschen an allem Schuld. Ich muss schauen, dass ich ihnen nicht noch mehr Mühe mache.

Es klingelt. Die Kollegen von meinen Brüder, die ich schon kenne treten ein. Es kommen immer mehr fremde Leute und ich fühle mich überhaupt nicht mehr wohl. Meine Brüder stehen zwar immer in meiner Nähe, jedoch bin ich hier sehr fehl am Platz. Unauffällig schaffe ich es in mein Zimmer zu kommen. Dort werfe ich mich aufs Bett und lese ein bisschen, bis mich plötzlich ein Klopfen aufschrecken lässt. "Ja", rufe ich und erwarte einer meiner Brüder an der Tür. Doch stattdessen steht irgend ein fremdes Mädchen, wahrscheinlich ein paar Jahre älter als ich in der Tür. Sie hat lange blonde Haare und ist ziemlich geschminkt. Sie hat ziemliche Ähnlichkeiten mit Aidens Freundin, die auf einem Foto gesehen habe. "Hey", sage ich unsicher. "Du bist also dieses Miststück, das so viel Zeit beansprucht, dass nicht mal mehr mein Freund Zeit mit mir verbringen kann?!", sagt sie wütend. Ich lasse mein Blick auf meine Übersetzung auf meinem Handy schweifen. Als ich es gelesen habe, schaue ich sie erschrocken an. Ich habe doch gar nichts getan! Und schon wieder bin ich Schuld daran. "Sorry?", frage ich eher. Doch darauf geht sie gar nicht ein. Sie kommt auf mich zu und reisst mir grob das Handy aus der Hand. "Das ist unhöflich, weisst du... Wenn man mit jemandem spricht, so schaut man dem gegenüber in die Augen. Wobei nein, du hast es nicht verdient jemandem in die Augen zu schauen! Du Nichtsnutz." Sie bohrt ihre langen Fingernägel in mein Oberarm. Ich muss einen Schrei unterdrücken, als sie noch mehr zupackt. Ich habe gar nicht gewusst, dass das noch möglich ist. Sie mustert mich lange, bis sie sagt: "Du bist so hässlich, weisst du das? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sehr sich deine Brüder schämen müssen wegen dir. Die Armen, die tun mir leid." Warum hat sie nur mein Handy genommen. Ich verstehe nicht ganz was sie da spricht. "Sag doch auch mal was oder hat es dir die Sprache bei meinem hübschen Anblick verschlagen?" Ich soll was denn sagen? "Was willst du denn von mir hören?", frage ich sie auf Deutsch. Nun sieht sie mich ganz verwirrt an. Bei ihrem Anblick muss ich mir ein Lachen verkneifen und hoffe, dass sie nichts bemerkt. Doch falsch gehofft.  "Ich sorge dafür, dass dir das Lachen vergehen wird." Sie schupst mich grob nach hinten, so dass ich umkippe und mit dem Kopf auf die Bettkante falle. Ich stöhne schmerzvoll auf. Das wird eine Beule geben. Sie kommt auf mich zu und tritt mir einmal fest in den Bauch. Einen Moment lange dachte ich keine Luft mehr zu bekommen. Doch das ist der Tusse gleich. Sie stolziert mit erhobenen Haupt, ohne mich nochmals einen Blick zu würdigen aus meinem Zimmer.

Ich stehe langsam auf. Doch mir wird sofort schwarz vor Augen. Ich bleibe stehen, bis das Schwindelgefühl weg ist. Ich setze mich auf mein Bett und greife nach dem Handy, welches die Blondine vorher achtlos auf mein Kissen geworfen hat. Ich gehe auf mein Übersetzerapp, das unsere ganze Konversation gespeichert hat und lese es mir durch. Ich bin geschockt. Bin ich wirklich so hässlich, dass sich meine Brüder ab mir schämen müssen?


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