1. Oktober 2016

4.8K 324 49
                                    

London, East End, ein unscheinbares Reihenhaus

Es klickte in der Tür, als von außen der Schlüssel hineingesteckt und gedreht wurde. Die dunkelblaue Holztür schwang nach innen auf und überflutete die hellen Dielen und blassgrünen Wände des Flurs mit Tageslicht. An den Wänden hingen Fotos von unterschiedlichen Mitgliedern einer offenbar sehr glücklichen Familie. In der Küche rückten zwei Zeiger einer sehr merkwürdigen Tür von "unterwegs" auf "zu Hause", ein dritter zeigte unverändert auf "Arbeit" und ein vierter hatte sich seit einem Monat nicht von seinem Platz auf "Hogwarts" fortbewegt.
Ein kleiner Junge stürmte in die Küche und stellte zwei Tüten Milch auf die Arbeitsfläche, über deren Kante er gerade schauen konnte. Er hatte gigantisch viele hellbraune Haare, die sich in alle Richtungen kräuselten und riesige, strumgraue Augen.

"Leo, bitte komm wieder her und zieh dir die Schuhe aus!", rief sein Vater aus dem Flur und sofort stapfte der kleine Mann zurück, die Einkaufstaschen gar nicht groß beachtend, die in der Luft schwebten, gerade so, als würde er dergleichen jeden Tag sehen. Was er, zu seiner Verteidigung, auch tat.

Hibbelig saß er auf der Treppe, während sein Vater ihn von Schuhen und Jacke befreite. Kaum dass er die Straßenklamotten los war, jagte der Fünfjährige ins Wohnzimmer, stieg auf seinen Spielzeugbesen - den er, warum auch immer, nicht mit in den Kindergarten nehmen durfte; Eltern waren unfair - und begann, damit in der Wohnung herumzufliegen.

Sein Vater, seines Zeichens Draco Malfoy-Granger, 36, Auror und Familienvater, fing unterdes an, die schwebenden Einkäufe mit dem Zauberstab in die Küche zu scheuchen und dort gleichmäßig (und hoffentlich richtig) auf Kühlschrank, Küchenschrank und Abstellkammer zu verteilen. Es dauerte keine fünf Minuten, bis ein Kind auf einem Besen in die Küche geschossen kam und nur dank eines geistesgegenwärtig gezückten Zauberstabs nicht in eine Vase flog.

"Ich hab Hunger!", verkündete Leo. Draco lächelte und deutete auf ein paar Kinderhausschuhe in Giraffen-Muster. Dankenswerterweise zog sein Sohn sie kommentar- und dramalos an und fragte dann: "Kann ich Eis?"

"Wenn du Hunger hast, dann ist noch Auflauf von gestern da.", meinte Draco und entschied sich, die Nudeln in den Küchenschrank zu räumen.

"Ich habe keinen Hunger auf Gemüse.", erklärte Leo. "Ich habe Hunger auf Eis."

"Wenn du Hunger hast, dann mache ich dir den Auflauf warm.", wiederholte Draco. "Aber es gibt jetzt kein Eis."

"Warum nicht?"

"Weil du gerade im Kindergarten ein riesiges Stück von Tommys Geburtstagstorte gegessen hast."

Jetzt war das Drama doch da. Geduldig wartete Draco ab, bis sein Sohn ein paar Tränen verdrückt und sich wieder eingekriegt hatte.

"Wann kommt Mummy nach Hause?", wollte Leo jetzt wissen.

"Bald." Draco stellte den letzten Artikel, ein Glas Marmelade, von der er sich die letzten paar Minuten gefragt hatte, ob sie in die Kammer oder in den Küchenschrank gehörte, schließlich in den Kühlschrank. "In einer Stunde."

Leo schien das zu akzeptieren, fürs erste - Draco wusste, dass sich das vermutlich ändern würde, wenn er in fünf Minuten feststellte, dass eine Stunde länger war als...nun ja, als fünf Minuten. Jetzt aber stieg er wieder auf seinen Besen und begann abermals, durchs Haus zu fliegen. Draco setzte sich an den Küchentisch und las sich einige Akten durch, die er noch bearbeiten musste.

Er schaffte fast eine halbe Seite, bevor Leo seine Langeweile erklärte und mit ihm Memory spielen wollte. Sie spielten vier Runden, die Draco alle verlor, drei davon absichtlich. Schließlich kippte Leo seine Legosteine im Wohnzimmer aus und baute Häuser. Draco schaffte tatsächlich ein bisschen Arbeit, immer wieder unterbrochen, um die Gebilde seines Sohnes zu bestaunen.

Rain II - Life goes onWhere stories live. Discover now