22. Januar 2017 (2)

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Natasha öffnete die Tür. 

"Hereinspaziert.", meinte sie und machte eine einladende Geste. Diesmal ließ Rain jedoch ihr den Vortritt und folgte ihr dann in den Raum, in dem Natasha seit viereinhalb Jahren wohnte. 

Der Raum war rund, wie auch der Schlafsaal von Rain und den Mädels. Aber er war rot gestrichen, zumindest bis auf eine Höhe von etwa zwei Metern. Darüber folgte weiße Farbe und eine wunderschöne Stuckdecke. Um die Wand herum reihten sich vier Betten mit jeweils einem Nachttisch und einem Kleiderschrank, am gegenüberliegenden Ende des Raumes führte eine Tür vermutlich ins Bad. Im Kamin knisterte ein Feuer und durch die hohen Fenster strömte helles Licht in den Raum. 

"Es ist hübsch.", meinte Rain und es war ihre ehrliche Meinung. "Welches ist deins?", ergänzte sie dann und sah sich zwischen den Betten um. Es war recht ordentlich, nicht so, wie in ihrem Saal, wo überall Klamotten, Taschen, Bücher und Pergament herumflogen. Man konnte fast meinen, es würden nicht vier fünfzehnjährige Mädchen hier wohnen. 

"Dieses.", Natasha deutete auf eines der Betten. Es war ungemacht, zusammengeknüllt am Fußende lag ein rosa Schlafanzug und auf dem Nachtschrank stapelten sich mehrere Bücher. "Wollen wir uns hinsetzen?" Sie beeilte sich, den Schlafanzug unter der Decke zu verstecken und diese zumindest ein bisschen ordentlich auszubreiten.

Es war merkwürdig. Sie hatten im letzten halben Jahr viel Zeit miteinander verbracht, aber immer auf neutralem Boden. Draußen, in der Bibliothek, in der Großen Halle. Jetzt, im Schlafsaal war es etwas ganz anderes und es kehrte die Unsicherheit zurück, die man normalerweise nur am Beginn einer Freundschaft kannte. 

Rain nickte und ließ sich auf dem Bett nieder, Natasha tat es ihr gleich. Einen Moment schwiegen sie und Rain versuchte nicht daran zu denken, dass sie hier allein in einem verlassenen Schlafsaal auf Natashas Bett saßen. 

"Also, du hast in Amerika gelebt?", griff Natasha schließlich das Gespräch von vorher wieder auf. Rain nickte. 

"Bis ich fünf war. Ich erinnere mich nicht an viel, ich weiß, dass meine Mum da einen Freund hatte, von dem sie sich dann irgendwann getrennt hat. Ich vermute mal, dass wir deshalb zurück nach England gekommen sind.", erzählte sie. 

"Hast du deinen Dad je kennen gelernt?", wollte Natasha wissen. Ihr plötzliches Interesse an Rains Person überraschte diese, aber es freute sie auch. Trotzdem musste sie bei dieser Frage lachen. 

"Ja, wir sind nach London gezogen und er wohnte im selben Haus wie wir. Zumindest eine Zeit lang. Da wusste ich aber noch nicht, dass es mein Dad ist. Dann war er zwei Jahre verschwunden und tauchte dann wieder auf, als ich acht war.", berichtete Rain weiter. "Ich habe keinen blassen Schimmer, was da vorgefallen ist. Ich habe mich nie getraut, zu fragen, aber ich habe den Verdacht, dass mein Dad damals ziemlichen Mist gebaut hat."

"Naja, zwei Jahre verschwinden klingt auf jeden Fall nicht nach einem Unschuldsengel.", kommentierte Natasha. Rain entspannte sich langsam, als das Gespräch so dahin floss. 

"Da hat dann auf jeden Fall der wirklich romantische Teil angefangen. Als sie sich ineinander verliebt haben.", erzählte sie mit einem Grinsen, wie immer, wenn sie diese Geschichte zum Besten gab. "Vicky und ich haben das damals ganz genau analysiert. Wie gesagt, wir waren acht und das war wirklich spannend. Den interessanten Teil haben wir allerdings verpasst, aber irgendwann haben sie mir dann gesagt, dass sie sich verliebt haben. Dann ist Dad schließlich zu uns gezogen und sie haben sich verlobt. Als ich zehn war kam mein Bruder Leo zur Welt und sie haben geheiratet im Sommer bevor ich nach Hogwarts kam."

"Klingt wie ein kitschiger Liebesroman.", meinte Natasha gespielt unbeeindruckt, konnte ihr Lächeln aber nicht ganz verstecken. 

"War es irgendwie auch." Rain musste lachen. "Ich glaube aber immer noch, dass mir ein entscheidender Teil der Geschichte bisher wohlweislich verschwiegen wurde. Zumindest behaupten immer alle, dass die beiden in der Schule nichts miteinander zu tun hatten. Aber naja, ich bin ja hier, als lebender Gegenbeweis."

Rain II - Life goes onWo Geschichten leben. Entdecke jetzt