7. Februar 2017

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"Also wollen sie die Sommerferien nutzen, um hier Tests durchzuführen?", fragte Natasha. Rain nickte. Es war Dienstag, zwei Tage nachdem sie sich in der Bibliothek über das Thema unterhalten hatten. 

"Genau.", antwortete sie. Sie waren zu zweit auf dem Weg zum Safe Space und Natasha hatte die Gelegenheit genutzt, sich von Rain noch einmal den Inhalt dieses Artikels erklären zu lassen. "Wenn eh alle Schüler zu Hause sind, wollen sie die zwei Monate nutzen, um hier Experimente zu machen und mal zu probieren, wie das mit diesem Magienetz funktionieren soll."

"Das klingt für mich alles noch ziemlich abstrus.", erklärte Natasha kopfschüttelnd. Rain zuckte mit den Schultern. 

"Es ist ja auch alles noch Spekulation.", beruhigte sie ihre Freundin. "Während wir in der Schule sind, wird da ohnehin nichts draus. Vielleicht wenn Leo zur Schule geht. Oder Sonja."

Natasha musste lächeln, als sie an ihre Nichte dachte, was der Grund war, warum Rain sie erwähnt hatte. 

"Sag mal, wie realistisch sind denn mittlerweile eigentlich unsere Pläne für die Osterferien?", fragte Natasha schließlich. Rain überlegte. 

"Also von meiner Seite steht dem Ganzen nichts im Weg.", erklärte sie schließlich. "Ich habe meinen Eltern jetzt noch nicht geschrieben, aber ich glaube kaum, dass sie was dagegen haben, wenn du mitkommst. Ich meine, bisher hat Vicky immer die Hälfte der Ferien bei uns verbracht, ich bezweifle, dass es ein Problem ist, wenn du es jetzt bist."

"Das ist aber schön, dass ich Vicky ersetzen darf.", meinte Natasha mit einem Zwinkern in den Augen. Rain protestierte:

"So meinte ich das nicht!" Aber Natasha lachte nur und hakte sich bei Rain unter, bevor sie raunte:

"Wer weiß, vielleicht ersetze ich ja nach und nach alle deine Freunde, dann habe ich dich am Ende ganz für mich allein.", schlug sie vor. Rain schlug sich dramatisch die Hand vor den Mund. 

"Ich wusste gar nicht, dass du so besitzergreifend bist!"

"Siehst du mal." Natasha grinste noch immer. "Jetzt lernst du meine dunklen Seiten kennen. Irgendwann schnapp ich dich mir einfach und lass dich nie wieder raus." Sie schlag ihre Arme um Rain, der das sehr sehr sehr viel weniger ausmachte, als sie zeigte.

"Du kannst mich jederzeit für dich allein haben.", erwiderte sie gelassen. "Du brauchst nur zu fragen. Wie es höfliche Menschen tun."

"Ach ja?", fragte Natasha, die immer noch mehr oder weniger an Rains Seite hing, weil sie sich weigerte, sie loszulassen. Plötzlich richtete sie sich auf. "Dann lass uns jetzt was zusammen machen."

Rain sah sie etwas überrascht an. 

"Aber wir machen doch gerade etwas zusammen.", wandte sie ein, etwas verwundert. "Wir gehen zusammen zum Safe Space."

 Natasha druckste etwas herum. Rain verstand immer noch nicht, worauf sie hinaus wollte. 

"Vielleicht...", begann Natasha, brach dann aber wieder ab. "Ach egal. Lass uns losgehen."

Sie wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, aber Rain hielt sie fest. 

"Wenn du nicht zum Safe Space möchtest, dann müssen wir da ja nicht hingehen.", meinte sie, wenn auch ein bisschen enttäuscht, weil sie sich darauf gefreut hatte, Zeit mit Natasha zu verbringen und neue Leute kennen zu lernen. Aber wenn Natasha nur dort hinging, weil Rain es wollte und nicht aus eigenem Willen, dann kam Rain sich selbstsüchtig vor, sie dort mit hin zu schleifen. 

"Nein, nein!", sagte Natasha schnell. "Ich mag es da. Es ist nur..." Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. "Wir sind in den letzten zwei Wochen ziemlich oft dagewesen und auch sonst haben wir viel gelernt, mit anderen Leuten gemacht." Sie bemerkte Rains immer noch überraschten und verwirrten Blick und beeilte sich, zu ergänzen: "Und das ist ja auch super." Sie seufzte leise. "Aber wir haben schon so lange nichts mehr nur zu zweit gemacht."

Rain blinzelte. Das war ihr gar nicht so aufgefallen. Sie brauchte zwar gelegentlich ihre Allerin-Zeit, aber sonst mochte sie es, Leute um sich herum zu haben, fand es großartig, dass ihre Freunde so harmonierten, wie sie es am Sonntag getan hatten. Sie genoss ihre Abende im Safe Space. Sie hatte nicht das Gefühl, zu wenig Zeit mit Natasha verbracht zu haben. Im Gegenteil, sie hatten sich wirklich viel gesehen. Aber Natasha hatte recht, jetzt wo sie es sagte, waren sie seit dem Nachmittag in Natashas Schlafsaal vor fast zwei Wochen nicht mehr allein gewesen. 

Sie selbst störte das nicht, Natasha offenbar schon. Rain seufzte. Das hier war wohl der Punkt, an dem deutlich wurde, dass sie doch unterschiedliche Charaktere hatten. Das hier war der Punkt, an dem das wichtig wurde, was immer alle sagten: dass man miteinander reden musste. Aber genau das hatte Natasha ja getan, sie hatte gesagt, was sie wollte und nun war es also an Rain, darauf zu reagieren.

"Ok.", sagte sie also entschlossen. "Dann gehen wir heute nicht zu den anderen. Dann lass uns was zu zweit machen." Sie sah Natashas erleichtertes Gesicht und wusste, dass das die richtige Entscheidung gewesen war. "Irgendwelche Vorschläge?"

"Ist es noch zu kalt für einen Spaziergang?", fragte Natasha. Sie passierten ein großes Fenster und Rain sah kritisch nach draußen. Es war knapp über Null Grad, Nieselregen und stockdunkel. Nicht gerade die idealen Voraussetzungen für einen Spaziergang. 

"Was hältst du von einem Spaziergang durchs Schloss?", schlug sie also vor. Natasha sah sie verwundert an. "Naja, es ist riesig und draußen ist es wirklich kalt. Lass uns drinnen einen Spaziergang machen." 

Rain setzte sich wieder in Bewegung und Natasha folgte ihr.

"Das ist aber nicht so romantisch, wie draußen!", protestierte sie. Rain blieb wieder stehen und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. 

"Oh, du meinst, wir sollten etwas Romantisches zusammen machen!", stellte sie fest, ein Schmunzeln umspielte ihre Lippen. Ha, Jackpot! Natasha lief ein bisschen rot an und begann wieder, los zu laufen. Jetzt war es Rain, die ihrer Freundin eilig folgte. 

"Gut, holen wir unsere Wintermäntel und gehen wir raus.", sagte sie. Natasha wirkte überrascht. 

"Aber es ist kalt und dunkel und es regnet!", wandte sie ein. Rain nickte. Aber jetzt hatte sie sich das in den Kopf gesetzt, jetzt würden sie das auch machen. Natasha wollte einen romantischen Spaziergang und sie würde zumindest einen halbwegs romantischen Ersatz bekommen. 

"Ich habe eine Idee.", beruhigte sie ihre Freundin. "Vertrau mir, ok?"

Natasha wirkte nicht überzeugt. 

"Glaub nur nicht, dass wir noch in der Phase unserer Freundschaft sind, wo man sich nicht beschwert.", erklärte sie. Rain grinste nur. 

"Vertrau mir." 

Sie verabredeten sich in einer Viertelstunde in der Eingangshalle und trennten sich dann, um ihre Mäntel zu holen. Rain dachte darüber nach, dass Natasha irgendwie schlecht gelaunt wirkte. Aber sie würde den Teufel tun und das ansprechen. Sie kannte Natasha mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass die solche Dinge mit sich selbst ausmachte. Alles was Rain jetzt tun konnte, war, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, sodass nicht am Ende noch ein Streit entstand. Und sie konnte versuchen, Natashas Laune zu verbessern, oder sie abzulenken. 

Und genau das hatte sie vor.


Ein klitzekleiner Bruch in der Harmonie, aber auch das muss sein. Nächstes Kapitel dann der "halbwegs romantische Ersatz" - was hat Rain sich da bloß einfallen lassen? Und wie romantisch wird es wirklich für die beiden?

Rain II - Life goes onWhere stories live. Discover now