Kapitel 1

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Bad Hair Day? Keineswegs.

Verschlafen? Auf keinen Fall.

Schlechte Laune? No Way.

Ich erwachte vor dem Weckerklingeln und sprang gut gelaunt aus meinem kuscheligen Bett um mich im Bad frisch zu machen. Als ich nach der heißen Dusche in den Spiegel blickte, sah ich einen roten Streifen, der von der Schulter bis kurz über der Brust ging, auf meiner Haut und wunderte mich. Naja, wahrscheinlich hatte ich mal wieder wild geträumt und mich mit meinen Fingernägeln selbst gekratzt. Kam öfter vor. Schließlich erlebte ich in meinen Träumen die wildesten Abenteuer, lieferte mir spannende Verfolgungsjagden, reiste auf fremde Planeten, begegnete dem ein oder anderen Außerirdischen oder verlor mich in den Tiefen eines menschlichen Gehirns. Ich stieg in Jeans und ein provokantes T-Shirt mit dem Aufdruck „Ask for more" mitten auf der Brust. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass die Wetterfrösche Recht hatten und es ein warmer, sonniger Tag werden würde.

Das Frühstück ließ ich wie immer ausfallen, schnappte mir meine am Vortag gepackte Tasche – ja, ich war geringfügig perfektionistisch veranlagt – um in meine kleine grüne Knutschkugel zu steigen und zur Arbeit zu fahren.

Eine Heavy-Metal-lastige Dreiviertelstunde später, Rob Vitacca sei Dank, stellte ich mein kleines Vehikel auf dem Parkplatz ab und trabte die letzten 100 Meter zu Fuß durch eine kleine Parkanlage zu meiner Arbeitsstelle: Eine in einem Schloss gelegene, öffentliche Bibliothek. Es war der Freitag nach Himmelfahrt. Die Bibliothek hatte eigentlich geschlossen, aber uneigentlich vertrödelten wir rausgeschmissene Bücher auf einem Flohmarkt. Meine Kollegin Giulietta traf kurz nach mir ein und sodann wurde schnell der Flohmarkt aufgebaut. Nach dem Aufbau rüschten wir uns mittelalterlich auf. Während meine Kollegin ein gelb-grünes Höllenfensterkleid trug, hatte ich mich für eine weiße Chemise, ein rotes Korsett und einen schwarzen Rock entschieden – zugegeben eher spätmittelalterlich. Allerdings muss ich anmerken, dass so ein Korsett Rückenschmerzen erheblich vorbeugt, zumal, wenn man wie ich, mit einem Atombusen gesegnet ist. Der Markt begann, die Trödelei auch. Wir gafften und wurden begafft, beantworteten verschiedene Fragen und wippten im Takt zur Musik, die von der Hauptbühne im Hof zu uns rüber schallte. Ach ja, ab und zu verkauften wir natürlich auch mal ein paar Bücher.

Am späten Nachmittag zog eine Raufboldtruppe über den Hof, die zur Belustigung der Besucher kleine Showkämpfe aufführte. Selbige prügelte sich direkt an unserem Stand und so manches Bücherregal drohte auf dem geringfügig unebenen Untergrund zu kippen, sollte jemand dagegen stoßen. Also war ich bemüht, die Regale ein bisschen zu stützen, und achtete nicht genau darauf, was die Raufbolde gerade anstellten. Das war ein Fehler.

Ich stand zwischen zwei Regalen, welche ich je mit einer Hand festhielt, als eine scharfe Klinge durch mein Blickfeld zog und dann doch nicht nur durch mein Blickfeld. Als ich mit meinem Blick ihrer Spur folgte wurde ich paralysiert. Die Klinge hatte nicht nur die Luft mit einem pfeifenden Geräusch zerschnitten, sondern auch meine Chemise und meine Haut. Aus einem zum Teil tiefen Schnitt von meiner rechten Schulter bis zum Tal zwischen meinen Brüsten lief Blut und zwar nicht wenig. Gefühlt vergingen Stunden und ich stand nur da und blickte auf das Blut, das meine Chemise langsam durchtränkte und auf das Korsett und den Boden tropfte. Irgendwie hatte ich ein Déjà-vu. War da heute Morgen nicht ein roter Kratzer an genau derselben Stelle? Innerlich lachte ich irrwitzigerweise kurz auf. Der Kratzer war wohl schon die Markierung für das, was jetzt gefolgt war. Ich verwarf den Gedanken und bemühte mich, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren und nicht auf das, was gerade höllisch wehtat und mir beinahe die Sinne raubte. Dennoch zog Nebel vor meinen Augen auf.

Wie aus weiter Ferne hörte ich Geschrei und Wortfetzen: „Warum hast du nicht das Übungsschwert genommen, du Idiot!" „Was soll der Scheiß – hättet ihr nicht besser aufpassen können?!" Eine Frau riss an mir – aber irgendwie war ich ganz weit weg. Die Masse stand da und glotzte – wie üblich. „Kannst Du ein paar Meter laufen?" Ich fühlte, wie ich nickte. Gestützt von der Frau und einer weiteren Person schleppte man mich zum Barbier. Irgendjemand drückte ein Stück Stoff auf meine Wunde und irgendwie schaffte ich es die kurze Strecke von 60 Metern und die kleine Treppe zu bewältigen. Im Zelt war es dunkel und roch nach verschiedenen Kräutern. Ich war immer noch nicht ganz bei mir und fühlte mich sogar so, als würde ich gleich ganz abtreten.

Twelve MoonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt