Kapitel 17

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Die Ereignisse überschlugen sich.

„Kann mir mal jemand helfen? Bitte? Dringend!" Alle drehten sich zu mir um. Mein Körper „assimilierte" gerade meine Kleidung, verband sich mit ihr und verformte sie in eine Art fleischliche Rüstung. Die Farbe meiner Kleidung veränderte sich. Ich trug nun einen korsettartigen Panzer in Weiß und Gold.

Ich bekam schreckliche Rückenschmerzen. Stöhnend fiel ich zu Boden. Unter der Haut meines Rückens wuchsen riesige Beulen. Der Schmerz brachte mich fast um. Mit einem hässlichen Geräusch ploppten zwei gigantische Flügel aus weißer Haut und weißen Federn aus meinem Rücken.

„Wahrhaftig eine Draconian." stellte Regina ehrfürchtig fest und trat einen halben Meter zurück. Ich war leicht gereizt, da ich keinen Plan hatte, was mit mir geschah, und man mir diverse Dinge an diesem Tag einfach ruiniert hatte. Und, ja, ich hatte mittlerweile auch Schmerzen: „Was labert ihr da?" Ich richtete mich wieder vom Boden auf und riss aus Versehen mit meinen Flügeln ein paar Dinge zu Boden. Erst jetzt bemerkte ich die Flügel richtig.

Regina trat an mich heran und legte mir ihre Hände an die Wangen. Sofort trat eine beruhigende Wirkung ein.

„Du, meine liebe Ribanna, hast den Keim eines Draconian in dir. Wahrscheinlich gibt es ihn in deiner Familie schon seit Jahrhunderten. Draconians sind eine hybride Lebensform, ein Mix zwischen Drachen und Menschen. Sie galten eigentlich als ausgelöscht. Man hat versucht sie auszurotten, weil sie eine überlegene Rasse sind. Von ihren Fähigkeiten kann so manch einer nur träumen. Sofern sich ein Keimträger an einen Planeten und seine Bewohner bindet, wie du mit Nael und Twelve Moons, wird er zu dessen Beschützer. Ist der Planet in wirklich ernsthafter Gefahr, erwacht der Keim zum Leben. Aufgrund des Angriffs hat der Keim die Kontrolle übernommen und deine Transformation, deine Geburt, eingeleitet. Deine Aufgabe ist es, den Planeten zu beschützen." klärte Regina mich auf.

„Dann wissen wir jetzt auch, dass die Tir'ach eine wirklich ernst zu nehmende Bedrohung für uns sind." bemerkte der König.

Das einzige, was in diesem Moment für mich wichtig war, war Nael, der Planet und seine Bewohner. Allerdings auch die Frage:

„Sehe ich jetzt immer so aus?"

Die scheinbar allwissende Regina gab mir die Antwort:

„Nein, sofern die Gefahr abgewendet ist, wirst du wieder wie vorher. So sagen es zumindest die Aufzeichnungen aus alter Zeit." Sie blickte in die Runde:" Wir drei haben noch nie einen echten Draconian kennengelernt. Sie sind für uns immer nur Mythen gewesen."

Meine Schmerzen ebbten ab. Mein Körper fühlte sich nicht mehr so an, als würde mir gleich noch irgendwo was rauswachsen. Aus dem Augenwinkel erhaschte ich in einer Glasscheibe ein unscharfes Spiegelbild meiner selbst. Ich blieb daran hängen und begutachtete mich:

• Ich stand auf zwei Beinen und war genauso groß wie vorher.

• Ich hatte zwei Arme und Beine. Extrem muskulös, wie alles an mir.

• Mein Gesicht war noch meins.

• Ich hatte eine undurchdringliche, aber flexible Panzer-Haut in den Farben: gold und weiß. Da, wo vorher keine Kleidung war, war meine Haut hautfarben.

• Meine Haare waren schlohweiß geworden und erheblich gewachsen. Sie schienen ein Eigenleben zu führen und waberten herum, obwohl es keinen Luftzug gab.

• Ich hatte zwei Flügel. Die ausgebreiteten Schwingen waren jeweils mehr als doppelt so groß wie ich. Eine weiße Lederhaut, ähnlich wie bei Fledermäusen, überzog das Knochengerüst. An den Enden der Schwingen befanden sich weiße, seidig glänzende Federn wie die eines Schwans.

• Meine Tätowierung war gut zu sehen und auch die Narbe im Dekolleté. Verdammt aber auch.

Ganz ehrlich, hübsch war ich nicht im Entferntesten. Aber angst-einflößend. Self Check abgeschlossen.

„Was sind das für Fähigkeiten, die die Draconians haben?" wollte ich wissen, als ich mich von meinem Spiegelbild abgewandt hatte.

Diesmal antwortete der König: „Ich bin mir nicht ganz sicher. Lasst uns das Gespräch in die königliche Bibliothek verlegen. Dort finden wir alles, was wir brauchen." So geschah es. Auf dem Weg dorthin, testete ich meine Flügel aus. Ich breitete sie aus und klappte sie wieder zusammen. Mehrmals. Es bedurfte nur zwei Flügelschläge und ich erhob mich vom Boden. Es war so leicht, so federleicht. Es war, als hätte ich noch nie etwas anderes gemacht.

Diese „Bibliothek" hatte allerdings nichts mit der gemein, in der ich gearbeitet hatte. Es war eine große, nüchterne Halle aus grauem Stein. In der Mitte stand ein Podest mit einer Kugel. Der König legte seine Hand darauf und eine künstliche Stimme sprach: „Autorisierung erfolgt. Freigabe sämtlicher Informationen."

Ein Hologramm erschien, ein gebückt gehender, alter Mann. „Mylord, mit was kann ich dienen?"

„Wir brauchen alle Informationen über die Draconians, besonders über deren Fähigkeiten." bestimmte der König.

„Sichtbar für alle im Raum?" vergewisserte sich der Bibliothekar.

„Ja." stimmte der König zu.

„Nun, viel gibt es da nicht."

Auf einer der Wände ploppte das digitalisierte Bild einer uralten Handschrift auf. Der Bibliothekar hatte einen Abschnitt markiert und übersetzte ihn für uns. Das war das, was Regina schon wusste. Es gab aber einen sehr markanten Satz.

Diesen Satz las ich mir selber laut vor: „Ihre Fähigkeiten übertreffen alles je dagewesene. Sie können alles tun, was nötig ist um ihre Aufgabe – den Schutz eines Planeten - zu erfüllen." Ende. Puh, das war nicht sehr aussagekräftig. Allerdings konnte man natürlich auch viel hineininterpretieren.

In meinem Kopf gärte etwas. Ich kann nicht sagen, dass es klare Gedanken waren, die da herumwaberten. Das Ergebnis jedenfalls war ein spontaner Sturzflug Richtung Decke. Ich dachte gar nicht daran, dass ich mit ihr tödlich kollidieren könnte. Das einzige, was ich dachte war: Ich kann alles tun, was nötig ist um alle zu retten. Ich bin eine Draconian!

Dieser Gedanke kreiste wie ein Mantra durch mein Hirn. Ich kollidierte nicht, ich glitt einfach durch die Decke hindurch. Zurück ließ ich nur ein paar Mooner mit staunend geöffneten Mündern und eine einzelne Feder.

Twelve MoonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt