Kapitel 7

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„Tz, kleine Wohnung sagt er." nuschelte ich mir in den nicht vorhandenen Bart, nachdem ich durch die Tür geschritten war.

Naels „kleine Wohnung" war ein Penthouse am Volkspark im Szene-Viertel Friedrichshain mit guten 200m² Wohnfläche – wenn nicht sogar mehr. Nach einer kleinen Wohnungsführung durfte ich mir eines der Schlafzimmer aussuchen.

Besonders nett fand ich, dass es auch in dieser Wohnung so ein Replikator-Dings für Klamotten gab, allerdings die Spar-Version. Mich juckte es schon in den Fingern daran herumzuspielen. Gern wollte ich endlich von Nael erfahren, was er so für unseren City-Trip geplant hatte, aber er war am Telefonieren und vertröstete mich. Also schlenderte ich durch die Wohnung und warf einen Blick in den Kühlschrank. Voll mit leckeren frisch eingekauften Sachen, wie mir die Etiketten an der Fleischware verrieten!

Dann inspizierte ich die CD-Sammlung. Ein wilder Mix aus Rock'n Roll, keltischen Harfenklängen, Mittelalter-Mucke, Metal und Klassik. Was sagte das über ihn aus? Er war definitiv ein Fleischfresser und keiner dieser makrobiotisch-veganen-wir-essen-ja-nichts-vom-tier-aber-es-muss-schmecken-wie-fleisch-und–auch-so-aussehen-Fuzzis. Sehr sympathisch. Und auch sein Musik-Geschmack gefiel mir. Sehr sogar. Ich schmiss mich aufs Sofa und starrte in die Luft. Wie lange das Gespräch denn wohl noch dauern würde? Auch wenn ich ihn weder hörte oder sah noch roch, bemerkte ich, dass er in den Raum trat. Noch so ein Ding, bei dem ich mich wunderte, wie das funktionierte.

„Entschuldige bitte, dass ich so lange telefoniert habe. Ich habe noch etwas organisiert, damit uns nicht so langweilig wird."

„Danach wollte ich dich eh fragen. Was tun wir so in den nächsten Tagen?"

Er setzte sich zu mir aufs Sofa. „Also. Heute Abend möchte ich gerne mit dir kochen. Der Concierge-Service hat den Kühlschrank schon aufgefüllt. Morgen Vormittag würde ich gerne mal wieder die Museumsinsel besuchen. Falls dich ein wenig Kultur nicht stört."

Von Stören war gar keine Rede! Kultur hatte durchaus ihren Reiz für mich. Ich gab ihm dies zu verstehen.

„Gut. Dann plane ich einen nachmittäglichen Schlaf für morgen ein. Denn die Nacht wird lang."

Ich sah ihn fragend an.

„Magst du Zeitreisen?" Damit sicherte er sich meine Aufmerksamkeit.

„Aber hallo!" Ich brach in schallendes Gelächter aus, weil ich spontan an meine Lieblingsserie Doctor Who denken musste. Jetzt kannte ich auch einen Doctor, der sich zumindest mit Zeitsprüngen auskannte. Na und dann jetzt dieses Angebot!

Er sah mich fragend an: „Hmm?"

„Doctor...."

„Who?"

Ich nickte und er verstand. Offensichtlich hatte er neben den Mittelaltermärkten, seinem Job als Arzt und seiner Suche nach dem Match auch Zeit gehabt mal fernzusehen.

„Zeitreise - wir werden morgen auf eine gehen. Mehr verrate ich aber noch nicht." Er grinste verschlagen. Böser Nael! Böser, böser, böser Nael! Wenn ich nicht gerade an die böse Frage „Willst-du-mit-mir-gehen?" dachte und ungezwungen mit ihm agieren konnte, ging es mir eigentlich ganz gut. Ich hatte sogar fast das Gefühl, er wäre mein Sandkastenfreund.

Der weitere Abend verlief erstaunlicherweise sehr harmonisch. Fast hätte man denken können, wir wären ein lange verheiratetes Ehepaar. Die Zubereitung des Essens war sogar sehr lustig, wenn man von der Tatsache absah, dass ich mir beim Möhren hobeln mit dem Nicer Dicer gefühlt den halben Finger weghobelte und ich wieder einmal auf Naels Hilfe als Arzt angewiesen war.

„Ins Bad. Sofort!" Er wickelte mir Küchenkrepp um den Finger und drückte fest auf die Wunde. Im Bad angekommen spülten wir den Finger ab und er wollte die Wunde desinfizieren.

„Tu das nicht, bitte. Das tut weh." jammerte ich in einem fort. In einem Moment, in dem ich mich stark aufs Jammern konzentrierte, desinfizierte er dann doch und matsche direkt hinterher noch fiese Salbe drauf. Und es brannte! Heidewitzka! Mir stiegen direkt die Tränen in die Augen.

„Jetzt halt doch mal still." nuschelte er, denn er hatte die Packung einer sterilen Wundauflage zwischen den Zähnen und versuchte sie mit der freien Hand aufzureißen, während er mit der anderen meinen Finger hielt. In der Hoffnung etwas Ruhe in mich zu bringen ließ er mich auf dem Wannenrand Platz nehmen und setzte sich daneben, presste die Wundauflage auf meinen gehobelten Finger und fixierte das Ganze mit einer selbsthaftenden Bandage. Ich schnaufte durch. Er sah mich an und strahlte diese immense Ruhe aus, suchte den Blickkontakt mit mir, hielt ihn und strich mir mit dem Daumen eine sich davon stehlende Träne von der Wange. Für einen kleinen Augenblick stand die Welt still. Und ich erwartete etwas...

(Nael) Verdammt! Vernunft wo bist du? Ich darf es mir mit ihr nicht verderben. Andernfalls scheint sie zu erwarten, dass ich es tue. Nur ein kleiner gehauchter Kuss, auf diese vollen Lippen?! Nein! Das ist nicht Mooner-Style. Man probiert den Hochzeitskuchen ja auch nicht vor der Hochzeit. Schwacher Vergleich, aber irgendwie passt er. Und probiert hatte ich eigentlich schon genug. Alternativen? Ja! Ich nehm sie in den Arm.

Nael umarmte mich warm und herzlich anstatt, wie erwartet, mich zu küssen. Ich stellte etwas an ihm fest: Er nutzte nicht jede Gelegenheit schamlos aus und hatte Selbstbeherrschung. Das imponierte mir.

Die restliche Herstellung unseres Abendbrotes musste er allein bewerkstelligen und er stellte sich sehr geschickt darin an. Kein Wunder bei so viel Lebenserfahrung. Ab und zu konnte ich mir ein paar gehässige Kommentare a la „Schneid dir nicht in den Finger" nicht verkneifen. Er trug es mit Humor. Wir hatten einfach Spaß. Nach unserem üppigen Mahl, das von intelligenter Konversation begleitet wurde, sank ich – vollgefressen wie ich war – wie ein Stein ins Bett.

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