84| Unexpected

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Kapitel 84
Unexpected
[Melody Rose Morgan]
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Die Luft ist so stickig, dass ich befürchte nicht mehr atmen zu können. Am liebsten würde ich wieder umdrehen.

"Ben, ich weiß nicht ob ich das kann", sage ich und packe ihn am Ellenbogen. Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.

"Was kannst du nicht?"

"Das alles. Der Club. Hier ist es so voll... Dann das mit dem Typen, den ich abschleppen soll. Ich bin nicht die Person dafür", erkläre ich und schüttele meinen Kopf.

"Red dir den Scheiß nicht ein. Melody, es ist ganz einfach. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das schaffst"

"Genauso einfach, wie es gesagt ist, dass ich es kann", murmele ich.

"Hä...Das macht keinen Sinn", gibt er von sich, sagt dann aber nichts mehr. Stattdessen zerrt er mich an die Bar.

"Ich habe nicht vor etwas zu trinken", murmele ich.

"Wenn du es nach meiner Methode machst, dann musst du etwas machen"

Ich schüttele vehement meinen Kopf.

"Nein. Wenn ich mich betrinke, dann endet es so wie beim letzten Mal. Durch diesen Scheiß bin ich doch erst in diese Lage gekommen"

Ben lehnt sich über die Theke zu dem Barkeeper hinüber.

"Zwei Shots bitte"

Ich verdrehte meinen Augen.

"Du sollst nicht so viel trinken, dass du einen Filmriss bekommst. Wenn du etwas angeschwippst bist, reicht das auch"

Meine Hand greift zu dem Shotglas. Was ich nicht alles tue, um über ihn hinwegzukommen. Denn so sehr ich es auch versuche, nichts will funktionieren. Egal was ich mache, ich muss an ihn denken. Die Erinnerungen an ihn und mich plagen mich wie sonst nichts.

"Tanzen", murmele ich dann.

"Du lernst schnell", höre ich Ben sagen, der seinen Shot noch zu Ende trinkt, mir dann aber hinterher eilt.

Die Musik ist echt scheiße. Trotzdem versuche ich mich auf sie einzulassen. Eins mit ihr zu werden. Ich bewege mich rhythmisch, während mein Blick zu Ben schweift.

"Wow, du kannst dich ja bewegen", grinst er. Es ist eines der Grinsen, die man eigentlich nicht unbedingt sehen will, weil sie gleichbedeutend mit dreckigen Hintergedanken sind.

Ich gebe ein Geräusch von mir, das wie eine sehr seltsame Mischung aus Verzweiflung und Verachtung klingt.

Das allerdings stiehlt ihm nicht das Grinsen. Nach ein paar Minuten tanzt er irgendeine Tusse im schwarzen Mini an. Diesmal bin ich diejenige, die grinst.
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Als sich Hände um meine Hüften schlingen, drehe ich mich um. Eine Sekunde bleibt mein Herz fast stehen. Es zerreißt gleich. Doch dann realisiere, dass ich mir nur eingebildet habe Shawn zu sehen. Der Junge vor mir hat Ähnlichkeit mit ihm.

Am liebsten würde ich kehrt machen. Einfach wegrennen. Melody, konzentrier dich.
Du schaffst das. Nur weil er aussieht wie eine gewisse Person, musst du dich nicht gleich vom Staub machen.

"Alles okay?", raunt der Fremde mir zu. Ich nicke.

"Du hast mich nur gerade an jemanden erinnert...", murmele ich, während ich meine Arme um seinen Hals lege.

Ein Lachen entflieht seiner Kehle:"Ich hoffe nicht, dass das etwas Schlechtes bedeutet"

Wenn er nur wüsste...

Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Kein weiteres Wort kommt über meine Lippen.

"Komm mit", sage ich und ziehe ihn hinter mir her.

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich in letzter Zeit ziemlich launisch geworden bin. Nicht mehr so willensstark. Das alles nur wegen Shawn. In dem einen Moment denke ich, ich weiß genau was ich will und was nicht.

Was die Grenzen sprengt und was nicht. Doch in der nächsten Sekunde mache ich genau das Gegenteil. Genauso wie jetzt.

Das falsch ist, was ich tue ist mir bewusst. Doch es braucht nur drei Sekunden, um diesen Gedanken wieder zu verwerfen.

Drei Sekunden, in denen ich auf ein Plakat mit Werbung für Shawns neue Single geblickt habe. Mir wird schlecht.

"Wo geht es denn hin?", fragt der Fremde, dessen Namen ich nicht einmal kenne. Ich drehe mich um und verschränke die Finger meiner beiden Hände mit seinen.

"Zu mir", hauche ich verführerisch.

"Du bist ja drauf. Wie heißt du überhaupt?", fragt er dann.

Ich lache kurz auf und sehe ihn an.

"Eigentlich bin ich gar nicht so. Mein Name ist Melody. Wie heißt du denn?"

Die braunen Augen des Jungen funkeln ein wenig, "Melody, das ist ein schöner Name. Genauso wie du. Ach ja und ich bin Chris"

"Du hast mich schon rumbekommen, du musst nicht herumschleimen"

"Wahrscheinlich ist das die direkteste Antwort auf ein Kompliment, die ich je bekommen habe. Du sagst, was du denkst. Finde ich gut"

Mein Mund formt ein kleines Lächeln.
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"Als du gesagt hast, dass du direkt um die Ecke wohnst, hätte ich nicht gedacht, dass du wirklich so nah an dem Club wohnst", gibt Chris von sich, als wir das Treppenhaus betreten.

Ich nicke.

"Manchmal fühle ich mich hier schon wie bei The Big Bang Theory, wo der Aufzug kaputt ist. Jeden Tag muss ich diese scheiß Treppen hochlaufen"

Chris murmelt etwas, das ich nicht verstehe. Ich verstehe es nicht, weil wir oben angekommen sind.

Nicht die Tatsache, dass wir oben sind, lenkt mich so sehr ab, dass ich ihm nicht mehr zuhören kann, sondern Shawn. Shawn, der vor meiner Tür steht.

Meine Hände geben nach. Die Schlüssel, die ich in der Hand hielt, liegen auf dem Boden. Vor Schreck sind sie mir aus der Hand gefallen.

Er steht mit dem Rücken zu mir, doch ich sehe, dass es er ist. Seine Haare, seine Jacke. Die Art wie er vor meiner Tür steht, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

"Shawn", flüstere ich.

"Wer ist das?", schaltet sich Chris ein.

"Es tut mir leid", sage ich zu ihm. Er scheint mich zu verstehen. Kurz huscht ein Funke der Irritation über sein Gesicht, aber dann dreht er sich um und geht. Vielleicht, weil ich so flehend aussehe. Vielleicht, weil er erkennt, dass Shawn wegen mir da ist.

Er dreht sich um.

"Wer war das, Melody?"

"Was machst du hier? Du hast kein Recht dazu. Du hast verdammt noch einmal kein Recht dazu zu kommen und zu gehen, wann du willst", zische ich. Meine Hände ballen sich zu Fäusten.

unexpected [s.m] Where stories live. Discover now