Der Animus

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„Julia? Julia! Aufstehen!“, rief eine Frauenstimme laut und jemand hämmerte gegen meine Tür. Im ersten Moment war ich verwirrt, doch dann erkannte ich Alice Stimme und erinnerte mich, wo ich war.

„Ja?“, antwortete ich und setze mich auf.

„In einer Viertelstunde gibt es Frühstück in dem Raum neben dem, in dem der Animus steht – mach dich fertig!“, brüllte sie durch die Tür und ich hörte, wie sich ihre Schritte entfernten.

Ich seufzte und rieb mir die Augen mit der Hand. Mein Körper war noch schön warm vom Schlafen und der Raum um mich herum wirkte so kalt dagegen. Durch die vielen Fenster vor meinem Bett schien die Sonne herein, die gerade mit ihren blassroten Strahlen über den Horizont spähte. Müde schlug ich meine Decke zur Seite und stellte meine Füße auf den Boden. Da war ich also. Bei den Assassinen. Hätte ich mir nie träumen lassen …

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Als ich dann schließlich die Tür zum Esszimmer öffnete, musste ich erst einmal lachen. Wie alle dort am Tisch saßen, war einfach nur ein Bild für die Götter!

Alice trug einen roten Morgenmantel, der ihr aber viel zu groß war und an ihrem schmalen Körper eher wie ein Zelt wirkte. Ihre struppigen braunen Haare waren unordentlich zu einem Dutt zusammengebunden und sie hielt in den Händen eine dampfende Teetasse, während sie mit dem Tunnelblick vor sich hinstarrte.

Ezio steckte in karierten Boxershorts und einem grauen T-Shirt – offensichtlich ein Schlafanzug. Seine schulterlangen Haare waren offen, standen in alle Richtungen von seinem Kopf ab und sein Bart war etwas zu lang, fast schon ungepflegt. Unter größter Anstrengung mühte er sich mit einem Croissant ab, das viel zu flach zum Aufschneiden war.

Und dann kam das krasse Gegenteil: Leonardo hatte eine Anzughose, ein weißes Hemd an, das nicht ganz zugeknöpft war, und eine rote Krawatte hing lose wie eine tote Schlange um seinen Hals. Seine Haare waren ordentlich gekämmt und zu einem Zopf gebunden, heute mal ohne Hut. Aus den Schlingen an seiner Hose ragte ein offener Gürtel und an seinem Stuhl hing ein Sakko. In seinen Händen hielt er eine gigantische Zeitung, deren Ecken sich vom Dampf seines Kaffees nach unten bogen. Ich passte in meinen sauberen, normalen Klamotten hier so gar nicht rein.

„Oh, schaut mal!“, meinte Leonardo, „Eine Wissenschaftsausstellung … mitunter auch mit den Werken von Leonardo Da Vinci! Vielleicht können war am Sams-“ Er brach ab, als er mich bemerkte.

„Guten Morgen, Julia!“, rief Ezio, stieß Alice seinen Ellenbogen in die Rippen und versenkte dann ein zerfetztes Croissant in seinem Mund. Alice zuckte zusammen und murmelte etwas Unverständliches, ehe ihr Blick ins Jetzt zurückkehrte.

„Morgen … setz dich doch …“, nuschelte sie und hob mit einer zittrigen Bewegung die bauchige Tasse an ihre Lippen. Ich ließ mich langsam neben Leo auf einen Stuhl sinken und griff zögernd nach einem Brötchen.

„Na, gut geschlafen?“, kam es hinter der Zeitung hervor und eine Seite wurde umständlich und lautstark umgeblättert.

„Jaja, nur etwas ungewohnt …“, meinte ich und fing an, in der Teebox zu wühlen – gab es denn hier keine normalen Geschmacksrichtungen?

Pflaume-Papaya – im Ernst?! Leonardo senkte kurz die Zeitung und maß mich mit einem prüfenden Blick. Was war los? Wieso hatte er überhaupt einen Anzug an? Er hatte seinen Bart in die typische Musketier-Form gebracht und ich musste schmunzeln. Das stand ihm überraschend gut! Und allgemein sah er heute verdammt g- …

„Und, bist du bereit für den Animus?“, unterbrach Alice jäh meine Gedanken.

„Naja, was heißt bereit? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich machen muss und wonach ich suchen soll …?“, antwortete ich zögerlich und sah sie entschuldigend an.

Renaissance und zurückWhere stories live. Discover now