Willkommen in der Renaissance

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Erschrocken riss ich die Augen auf und krallte meine Hände in das dünne Bettlaken.

Alles war so real.

Ich konnte die Geräusche richtig hören, die Gerüche wie mit meiner eignen Nase riechen und das Laken an meinen Hände wie im echten Leben spüren.

Mein Blick war auf eine beigefarbene Steindecke gerichtet, die von feinen Rissen durchzogen war. Um mich herum sah der Raum genau so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte – ebenfalls gerade, steinerne Wände.

In der rechten Ecke war eine einfache Herdstelle, in der Linken ein Esstisch, an dem wohl auch der ganze Papierkram erledigt wurde und weiter vorne war ein Schrank und das Bett.

Vorsichtig richtete ich mich auf und blickte mich mit weit aufgerissenen Augen um. Das hier war keiner meiner tollen Träume, in denen ich nur in kurzen Frames sah und alles danach einfach mit dem Öffnen der Augen endete – oder vom Wecker abrupt beendet wurde. Nein, ich war hellwach.

Mein Atem ging rasend schnell, als ich mich langsam aufsetzte und vor der glatten Struktur des Parkettbodens zurückschreckte. Es war einfach nur komplett irre, wie das so realistisch sein konnte! Alles fühlte sich so an, als ob ich jetzt gerade dort sitzen würde. Jeder Atemzug ging durch meine eigene Lunge, jeder Augenblick kam in meinem eigenen Gehirn an und jede Bewegung ließ meinen Körper erschaudern.

Und in diesem Moment fühlte ich mich Desmond so nah wie noch nie. Ich konnte plötzlich die Panik verstehen, die er beim ersten Mal im Animus gehabt hatte. Außerdem hatten sie ihn ja auch einfach so da hinein gesteckt und direkt zu der wichtigsten Erinnerung geschickt.

Dieser Dr. Viddic musste wahnsinnig gewesen sein, ihn in so eine Situation zu bringen! Wie konnte er das nur tun? Wenn ich MIT Vorbereitung so unter Stress stand, wollte ich gar nicht wissen, wie es Desmond ergangen war. Naja, eigentlich schon, aber ihr wisst ja, was ich meine …

Langsam erhob ich mich von meinem Nachtlager und wagte ein paar Schritte. Giulias Körper reagierte auf die vertraute Weise, doch ich konnte die Müdigkeit in ihrem Körper spüren.

In ihrem Körper.

Ich war wie ein Schmarotzer, ein Parasit, ein Dämon – doch mit den Absichten eines Engels. Ich wollte helfen. Das war der Grund von alle dem hier und das hielt ich mir nun mehrfach vor Augen. Dass ich nichts Böses wollte, sie nicht missbrauchte oder die Macht dieser Stätte für mich beanspruchen wollte. Ob Abstergo dasselbe tat wie wir? Irgendeinen armen Tropf auf den Animus geschnallt hatte und jetzt danach suchte? Und wenn, würde ich diesem jemand begegnen können? Im Animus, so zu sagen?

Die Vorstellung allein war gruselig … noch eine Marionette ohne eigenen Willen zu treffen. Schnell verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf und lief auf einen kleinen Tisch zu, über dem eine polierte Metallplatte hing – ein Spiegel.

Der Blick dort hinein war ein Schock. Als würde ich durch mich selbst hindurch sehen. Ich sah wie gewohnt mich selbst, auch wenn ich nicht ich war. Das war eine andere Frau, die nun an meiner Stelle meine Bewegungen nachahmte. Doch die Frau, Giulia, war unbestritten schön und ich stellte gleich fest, dass sie um einiges besser aussah, als ich. Ihre Haut war leicht gebräunt und hatte einen angenehmen Teint – war nicht so bleich wie die Meine. Dazu waren ihre Haare von einem dunklen, nussigen Braun, dass ihre Hautfarbe noch mehr zur Geltung brachte. Die vollen Lippen und schmalen Augenbrauen in ihrem Gesicht waren zu einem Ausdruck des Erstaunens verzogen und veränderten sich leicht, als ich mich nach vorne beugte, um genauer hin zu sehen. Ein kurzes Lächeln huschte über meine Lippen, als ich erkannte, dass wir dieselbe Augenfarbe hatten. Wahrscheinlich war es eher Zufall, als wirkliche Vererbung, doch es machte mich etwas sicherer.

Renaissance und zurückWhere stories live. Discover now