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Mittlerweile war Abend. Ich lag neben Josh, der sich zuerst geweigert hatte, sich vor mir seinen Pullover umzuziehen.
Nun wusste ich auch warum:
Er war dünn wie eine verdammte Kirchenmaus.

"Du musst wieder etwas essen. Komm schon! Ich mein du hast heute nicht mal die Pizza angerührt die uns deine Mutter gebracht hat!
Das bist doch nicht wirklich du!"
Josh starrte mich mit glasigen Augen an. "Doch. Tyler genau der bin ich. Ich bin hier. Real. Leider."
Ich ignorierte seine dumme Aussage. "Warum isst du nichts mehr?", fragte ich anschließend so feinfühlig wie ich nur konnte. Mein Gegenüber zuckte mit den Schultern. "Hab kein Appetit."
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Was Josh mir da erzählte, stimmte tatsächlich. Und außerdem war er es leid in den Spiegel zu sehen und jedes Mal viel zu viel überflüssige Masse ansehen zu müssen.
Er war immer schon sehr kritisch gewesen, wenn es um sein Gewicht ging.
Und jetzt, da er ja in einen Anzug für seine geplante Beerdigung hineinpassen musste, hatte er sich auch endlich dazu aufgerafft und aufgehört unnötig das Essen im Haus zu verschwenden. Jedoch die Ergebnisse beeindruckten ihn nicht wirklich.
Keine Veränderung, als er in die Folterkammer namens "Spiegel" sah.
Er fühlte sich, wie immer, unverändert und ganz normal.
"Normal", wenn man das verstehen sollte.

Doch das tat niemand. Niemand konnte in Josh hineinsehen. Niemand wusste was er dachte. Wer er war. Was er als nächstes, und vielleicht schon bald als letztes vorhaben würde.

Josh fühlte sich elend. So wie er es immer tat. Er war so angewidert von dieser Welt und von sich selbst, das es ihn langsam um den Verstand brachte. Er war so müde, was man ihm auch ansah. Seine tiefsitzenden Augenringe, seine hervorstehenden Rippen, die Josh nie bemerkt hätte, wenn ich es ihm nicht gezeigt hätte.
Josh war einfach so müde. Er wollte schlafen. Am besten nie wieder aufwachen.

Jedoch war es nicht nur der Schlafmangel, der ihn so auslaugte. Nein. Es war einfach das ganze Leben.
Josh war müde vom Leben, was ihm nun wirklich kein Schwein mehr abstreiten konnte.
Seine Familie hatte das auch schon bemerkt. Manchmal hatten ihn seine Geschwister darauf angesprochen, aber mehr war nicht passiert.
Die unzähligen frischen und alten Narben hatte er bis jetzt auch verstecken können, wenn auch nur mit großer Mühe. Er wollte keine weiteren großen Schwierigkeiten.

Ja, Josh wusste, er war ein riesen Egoist, das wusste er genau. Ein richtiges Arschloch, wenn man es so nennen konnte. Josh juckte es nicht im geringsten, ob sich seine Angehörigen um ihn sorgten, was ihm selbst auch das sowieso schon so zerbombte Herz brach. Denn wenn er einmal nicht mehr da war, wäre es ja nicht sein Problem.
Genauso dachte Josh.
Egoistisch und fies, das war ihm mehr als bewusst.

Ein weiter Punkt um aus dieser verfluchten Welt zu treten, tröstete er schweigsam.
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Josh schien nachzudenken. Er sah keineswegs Glücklich aus, aber das tat er eigentlich den ganzen Tag schon nicht.
Früher, als Josh sich manchmal so benommen hatte, dachte ich jedes Mal er hätte nur einen schlechten Tag. Doch heute wusste ich es besser. Josh war krank, körperlich so wie geistig. Ich gestand es mir nun endlich ein.

Josh hatte Depressionen.
Und er brauchte verdammt nochmal Hilfe.

Es war wirklich schwer das auszuprechen, wenn auch nur in Gedanken. Aber ich wollte es immer noch nicht wahrhaben.

"Kannst du nicht schlafen?"
Erschrocken fuhr ich aus meinen dunkeln Gedanken hinaus. "Josh, es ist gerade mal sechs Uhr."
"Richtig... Richtig", murmelte er unbeteiligt.
Ich begann zu überlegen, wie ich es anstellen sollte.
Ihn wieder zum Lächeln zu bringen. Als meine Augen ein paar Zentimeter zu Josh rüberwanderten, musste ich enttäuscht feststellen, dass dieser ausdruckslos auf dem Rücken liegend auf die Zimmerdecke starrte.
Vielleicht wäre das gerade doch nicht der richtige Zeitpunkt, entschied ich.
Zwar nicht um zu lachen, dafür aber genau dafür um mit ihm endlich alles zu bereden.
Leise holte ich Luft.
"Seit wann hast du es?"
"Hab ich was?" Josh klang planlos.
"Deine... Deine..." Ich konnte es nicht aussprechen. Es war hart zu wissen, das es einen Menschen gab den ich über alles stellte, den ich über alles liebte, welcher dann solch eine furchtbare Krankheit durchleben zu schien.
"Deine Depressionen", seufzte ich schließlich in mich hinein.
Ganz langsam drehte sich Josh auf die Seite. Er blickte mich mit großen, starren Augen an, was mir nach ein paar Sekunden schon Angst einflößte.
"Ich weiß nicht", sagte er dann wie in Trance. "Ich denke", setzte er fort,"ich habe dieses Problem, wenn man es so nett nennen darf, seitdem ich elf zwölf bin oder so. Vielleicht auch ein, zwei Jahre später. Keine Ahnung. Ist doch gar nicht so interessant. Warte. Wieso fragst du?"
Eine kurze Pause folgte.
"Wieso weißt du überhaupt was von meinen Depressionen? Weißt du auch von... ach nein. Nein. Da gibt es nichts weiteres, nein."
Ich war verwirrt. "Was meinst du Josh? Was gibt es da noch?"
Er schwieg, schüttelte seinen blauen Kopf. Ich legte ihm meine Hand auf seinen Arm, wohlwissend, was sich direkt unter dem Pullover befand.
"Ich vertraue dir voll und ganz. Wenn du sagst, da ist nichts weiteres, dann glaube ich dir. Jedoch solltest du mir auch vertrauen. Also... wenn es da doch noch etwas gibt, was du mir vielleicht zuerst nicht erzählen wolltest, leg einfach los. Es ist noch nicht spät, und ich liebe deine Stimme, Josh. Ich liebe es wenn du sprichst, wenn du mir etwas erzählst. Aber was ich nicht liebe ist, wenn du Sachen in dich hineinfrisst, die ausschließlich geteilt werden müssen. Weißt du, manche Sachen kann man nicht allein überwältigen. Das tu ich auch nicht, glaub mir das bitte."
Josh atmete tief durch. "Ok", gab er schließlich von sich.
"Ich habe nicht nur das", begann er mit schmerzverzerrter Stimme, "ich habe da noch was weiteres das du wissen solltest." Aufmunternd nickte ich ihm zu.  "Ich habe soziale Ängste. Jap, ich kann nicht rausgehen und nicht mal mit wildfremden Menschen, die ich nie wieder sehen werde reden. Ich kann sie nicht nach dem Weg fragen-"
"Warte, stopp mal", rief ich aufgebracht. Ich erinnerte mich daran zurück, wie Josh mich an meinem ersten Schultag hier in Columbus selbst angesprochen hatte. Als ich ihn danach fragte, wusste Josh anscheinend sofort was er antworten sollte:" Du warst damals die einzige Ausnahme. Ich bin zu dir hingegangen, weil ich dich verdammt, ja ich mein echt verdammt attraktiv und süß fand."
Ich spürte wie mein Gesicht heiß wurde, wusste nicht was ich tun sollte. "Trotzdem hab ich weiche Knie gehabt und ich hätte sofort wieder wegrennen wollen, aber ich hab mich einfach mal zusammengerissen. Einmal hab ich etwas schaffen wollen. Und das habe ich." Grinsend streckte Josh die Hand aus und fuhr damit liebevoll durch meine Haare. Schon wieder  schaffte es dieser Idiot mich in Verlegenheit zu bringen! "Ich weiß nicht, mein Gehirn hat einfach in der Sekunde verstanden das ich dir vertrauen kann. Schneller als ich es je erkannt hätte", schmunzelte er mit dem Blick an die Zimmerwand, auf die der Schatten der blätterlosen Bäume draußen geworfen wurden. 

"Ich habe noch nie von sozialer Angst gehört", gab ich verlegen zu, "aber ich kann mir ziemlich gut vorstellen wie es sich anfühlt."
"Ich kann nicht mal vor wildfremden Leuten, die ich nie wieder sehen werde essen wenn ich alleine unterwegs bin, Tyler. Das ist einfach so in mir drinn und das ist ziemlich scheiße, weißt du?"
Mitfühlend nickte ich. Ich hätte nie gewusst, das in Josh so viel steckte was  ich nicht wusste. Ich hatte ihm immer alles erzählt. Er wusste jedes einzelne Detail von mir und meinem Leben, soweit er es nicht vergessen hatte. 

"So, wir beenden diesen Mist hier jetzt aber", rief Josh und setzte sich schnell auf. Lächelnd verdrehte ich die Augen. Josh konnte es nie verbergen wenn er verlegen war. Da war er sogar schlimmer als ich.
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Hallo. :3 will wer zu mir kommen und mich unterhalten lol
Und WHOAH WIR HABEN 40 TEILE.

Friend, please (joshler) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt