Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 10

1.5K 81 7
                                    

Der Weg dorthin war für beide nicht weit und führt geradlinig an einer Straße entlang, aber wenigstens sind die Gehwege hübsch bepflanzt. Überall sprießt es lila und rosa hervor. Ein paar Autos fahren an ihnen vorbei, aber nichts Erwähnenswertes geschieht. Sie scherzten zusammen und erreichten bald das Gebäude. Von außen sieht es wie eine große, hübsche Universität aus. Aber jeder kennt die Hölle, die sich hier abspielt. Sie betreten das beischfarbene Gebäude und setzen sich an ihren gewohnten Platz, als sie im "Klassenraum" wie gewohnt ankommen. Melissa begrüßt sie freundlich, von Cloe fehlt noch jede Spur, wahrscheinlich hat sie mal wieder verschlafen.
Sophia betrachtet kurz Fina, die ihre Kleidung abgesehen von einem gleich aussehenden, aber leicht helleren Oberteil nicht getauscht hatte. Ihre Schuhe lagen unter dem Tisch und sie ließ ihre Füße baumeln, während sie wieder zeichnete. Die Sonne strahlt ihr ins Gesicht. Ihre kreidebleiche Haut strahlt dadurch heller als der Mond. Wie dumm, denn Sophia weiß eigentlich, dass der Mond selbst nicht scheint.
Aber sagte sie nicht gestern noch, die Sonne störe sie? Warum lässt sie dann die Sonne hereinstrahlen und fährt nicht die Rollladen herunter? Fina scheint ihren Blick zu spüren und schaut sie fragend an, wie gestern schon mit einem Hauch von langerweile.
Etwas angsteinflößend ist diese Frau ihr schon. Sie ist kreidebleich, ihre Augen durchbohren alles und jeden, damit sie nicht gestört wird und weder ein gebrochener Finger, noch sämtlichen Hass, den ihr einige entgegenbringen, interessiert sie nicht. An ihr ist etwa. Irgendetwas faszinierendes, etwas magisches.
Sophia schüttelt die Gedanken ab. Ihr fällt plötzlich ein, dass sie die Sache mit Dave regeln muss. Unmöglich, dass sie den gestrigen Abend so in ihrem Lebenslauf lässt.
Dies schuldet sie ihm, das ist das Mindeste, was sie tun kann.
Sie geht hinaus, eine Etage tiefer und steuert das rechte hintere Zimmer an, welches fast unter ihrem Klassenzimmer liegt. Dave trat heraus mit einer anderen Frau mit blonden Zöpfen. Ihr wird schlecht. Das war kein freundschaftliches, ineinander geschlagenes Händchenhalten, der tiefe und sinnliche Kuss sicher auch nicht. Wieso? Was soll das bedeuten? War Sophia nur eine Ablenkung nebenbei oder eine seiner vielen Möglichkeiten, die er hätte erobern können? Warum springt er jetzt mit einer anderen herum? Sie dachte, sie könnte den missratenen Abend irgendwie wieder gut machen, aber es gibt nichts mehr schön zu reden, wenn sie dieses Theater hier sieht
Wütend stapft sie auf ihn zu, ihr Gesicht dabei zu einer Grimasse puren Hasses verunstaltet. „Na Dave, wie läuft's so mit deiner Freundin?"
Etwas erschrocken löst er den Kuss seiner vermeintlich neuen Geliebten und richtet seinen Blick auf Sophia, welcher sich sogleich verfinstert. „Was willst du?", fragt er knapp und ohne einen Hauch von Gefühlen. Als würde er sie nur aus einer Kneipenschlägerei kennen, bei der es um eine Frau oder ein Bier geht.
„Eigentlich wollte ich nochmal wegen gestern mit dir..." Er schnitt ihr das Wort ab. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass der Beliebteste Mann der Schule wie es immer heißt, sich jemanden uninteressantes wie dich auswählt. Schade, ich wollte dich an diesem Abend noch in der Kiste haben. Naja, sei's drum. Komm Babe." Seine neue Freundin folgte ihm blind und sie lassen Sophia stehen. Also hat er wirklich nur darauf abgezielt. Sophia beobachtet das neue Paar und entschließt sich dann zu einem wagemutigen Schritt. Sie beschließt, diesen egoistischen und gierigen Bastard eine reinzuhauen. Scheiß auf die Konsequenzen. Dieses Mal würde sie nicht zu ihrer Schwester rennen, um sich wieder auszuheulen, wie grausam die Welt doch eigentlich ist.
Mit ein paar schnellen Schritten hastet sie den beiden nach. Ihre rechte Hand ist zu einer Faust geballt. Sie nutzt den Schwung ihrer schnellen Schritte. „Hey, schau mal hinter dich." Keine Ahnung welcher Schaulustige dies in die Menge gerufen hat, aber es erzielt seine Wirkung. Irritiert dreht Dave sich um. Eine geballte Faust rast auf ihn zu und trifft ihn direkt auf das Gesicht. Von diesem kraftvollen Stoß kippt er um und landet mit seiner "Freundin" auf dem Boden.
Stolz auf ihren Schlag, beobachtet sie, wie er sich Blut, welches minimal aus der Nase fließt, wegwischt mit dem Ärmel. Er rappelt sich schnell wieder auf. „Na warte." Er setzt zu seinem Schlag an, den Sophia versucht abzublocken, aber seine Kraft ist größer als ihre.
Er wird sie grün und blau schlagen, dass weiß Sophia. Sie hat nicht den Hauch einer Chance. Hätte sie sich doch nur zurückgehalten.
Tränen schießen über Sophias Gesicht. Nicht, weil sie gleich zusammengeschlagen wird, sondern weil er sie hintergangen und benutzt hat. Verflucht, womit hatte sie das nur verdient?
„Das reicht jetzt." Die schaulistige Stimme meldet sich wieder. Dave folgt dem Befehl mit ängstlichem Gesicht. Als hätte er den Teufel persönlich getroffen. Er steht wie angewurzelt da und starrt an die Seite.
Sophia blickt nun auch in die selbe Richtung wie Dave, aus der die unbekannte Stimme kam. Sie muss furchtbar Aussehen mit den ganzen Tränen im Gesicht. Ihr Mund klappt vor Staunen leicht auf, als sie sieht, wer dort das Geschehen beobachtete.
Sie hat ihre Arme vor dem Oberkörper verschränkt und ihr Kopf blickt mit geschlossenen Augen auf den Boden.
„Geh." Ein einzelnes Wort entfacht in Sophia das Gefühl, sofort wegrennen zu müssen vor dieser Person und ihr am besten nie wieder zu begegnen. Dave folgt angsterfüllt dem Befehl. „Was für eine psychopathische Mistkuh," flüstert er. Fina sieht auf und funkelt ihn zornig an, was Dave dazu verleitet, die Beine in die Hand zu nehmen und sich aus dem Staub zu machen, dicht gefolgt von seiner neuen blonden Errungenschaft.
„Pass das nächste Mal besser auf. Du willst doch nicht, dass dein hübsches Gesicht so verunstaltet wird oder?"
Sophia erfreute sich erst des Anblickes eines wegrennenden, eingeschüchterten Mannes, nur um sich dann wieder der Stimme mit der geheimnisvollen, fesselnden Kraft zuzuwenden. Es ist tatsächlich Fina. Sie steht immer noch an der Wand und schaut wieder mit geschlossenen Augen und nach unten geneigtem Kopf Richtung Boden. Die gerade eben gerettete Person kommt sich vor wie in einem schlechten Traum, wo Einhörner durch die Stadt fliegen und dabei Gnome bekämpfen, die rosafarbene Anzüge tragen.
„Ehm, Danke." Wieder straft sich Sophia im Kopf. Mehr als ein einfaches Danke bringst sie nicht heraus? Und dazu noch in einer niedrigen Lautstärke, dass kein Hund oder gar eine Fledermaus verstehen würde. Doch der Tag hält eine weitere Überraschung für sie bereit. Fina schaut sie direkt an. Und sie lächelt. Aus einem Grund, den Sophia nicht begreift, läuft sie rot an. Aber wenn nicht aus Scham vor ihrer Retterin, wovor dann?
Es ist ihr unangenehm, diese unheimliche Retterin so anzusehen. Ihre Arme sind nicht mehr verschränkt, dadurch wirkt sie viel entspannter. Auch ein Lächeln in ihrem Gesicht sorgt für eine ungewohnte Stimmung. Aber warum ist es ihr so unangenehm, wenn sie doch jeden Tag Leute in ähnlicher Situation sieht, die sie überhaupt nicht kennt?
„Mach dir mal nicht so viele Gedanken."
Sophia läuft noch weiter rot an. Sie wünscht sich gerade woanders zu sein. Sie meidet den Blick von Fina so gut es geht, aber sie fühlt den Blick, der auf ihr ruht. Tausend Nadelstiche brechen über sie herein, allerdings kribbeln diese Nadeln angenehm. Was soll das alles bedeuten?
Sie erschrickt kurz. Eine Hand berührt ihre Schulter. Das war gar nicht der Auslöser, sondern eher die Kälte, die von dieser Hand ausgeht. Ungewöhnlich kühl für einen Menschen. Sie muss sicher eine extrem schlechte Durchblutung haben. Ist Fina deshalb so gereizt oder möchte nie angesprochen werden? Einfach, weil vielleicht etwas unausweichliches passiert? So muss es sein, anders kann sich Sophia dieses Phänomen der kühlen Hand nicht erklären.
Was dieses kribbeln auf ihrer Haut bedeutet hinterfragt sie eigenartigerweise nicht.
„Du kannst deine Danksagung ruhig nochmal etwas lauter sagen wenn du möchtest. Ich verstehe dich auch sicher besser, wenn du mich ansehen würdest, findest du nicht auch?"
Sophias Herz fängt an zu pochen. Reiß dich zusammen! Es ist doch nur ein einfaches Danke!
Sophia blickt Fina an, direkt in ihre Augen. Und ist direkt darin gefangen. Sie funkeln wunderschön, wie zwei Smaragde. Sie kann sich einfach nicht davon losreißen. Es scheint aber andersherum genauso zu sein, denn diese grünen Augen blicken in ihre haselnussbraunen.
„Willst du mich etwa die ganze Zeit so anstarren?" Wenn Sophia nicht gerade so verwirrt wäre, hätte sie Fina die kokett gestellte Frage sogar voll abgekauft, aber sie hört in solchen Situationen immer auf dem falschen Ohr, redet sie sich ein. „Danke", flüstert sie leise. Sie sieht das Augenpaar langsam auf sich zukommen. Die grünen Augen verengen sich, schließen sich sogar. Warum, kann sie nicht feststellen, da dieses Augenpaar selbst geschlossen sie immer noch fesselt. Sie spürt den warmen und angenehmen Atem von Fina auf ihrem Gesicht.
„Hier steckst du also. Alles in Ordnung Schwesterchen oder hast du wieder Dummheiten angestellt?"
Sophia schreckt auf. Mit Anna hatte sie jetzt gar nicht gerechnet. Nicht einmal mit irgendeiner anderen Menschenseele. „Ich kann das erklären Anna. Wir, also ich..." Doch Anna lacht nur ein paar Sekunden fröhlich auf. „Was? Das du Löcher in die Luft gestarrt hast? Oder hast du hinter dem Heizkörper Sprengstoff oder Drogen versteckt du Oberganovin?" Sie lacht herzlich weiter, was Sophias Herz immer erwärmt, auch in diesem Moment. Findet Anna den die Anwesenheit von Fina nicht überraschend oder vielleicht sogar merkwürdig. Sie schaut in Finas Richtung und reibt sich ihre Augen. „Was zum Teufel...?" Zum Glück hat Anna ihren Monolog nicht gehört, sonst hätte sie sich noch erklären müssen.
Wo zum Teufel ist den Fina auf einmal hin? Hat sie dieses ganze Szenario nur geträumt? Bekommt sie jetzt schon Halluzinationen? Dreht sie vollkommen durch? Die Erinnerung kommt ihr so reell vor, als wäre dies alles wirklich passiert. Aber selbst, wenn dem so wäre, wo ist dann Fina abgeblieben? So schnell ist sogar die NASA nicht mit ihren Raketen.
Also wenn Sophia nicht völlig durchgedreht ist: Wo ist dann Fina abgeblieben? Alle Fenster sind geschlossen und den Gang kann sie unmöglich in vier Sekunden entlangrennen, dazu noch geräuschlos. Oder? Nein. Sowas ist einfach schlicht unmöglich. Sie muss sich Fina eingebildet haben. Aber warum riecht sie dann noch immer Finas Atem in ihrer Nase? Verflucht, was ist bloß los mit ihr? „Hey! Du bist ja ganz in Gedanken versunken. Alles in Ordnung?"
Sophia nickt schnell auf Annas Frage, um unangenehme Nachfragen zu vermeiden. Wenn sie ihrer Schwester jetzt noch erklären müsste, was sie gerade gesehen hat... Sie denkt gar nicht darüber nach. Ihre eigenen Gedanken zu ordnen hat mehr Vorrang, bevor Anna auch nur ein Wort davon erfahren sollte. „Na los, dann ab mit dir, bevor du noch weiter durch die Botanik rennst." Liebevoll nimmt Anna ihre Hände und zerrt sie mit.

Der süße Kuss des Blutes |GirlxGirl [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt