Bücher

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Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.
Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond, 
Denn das Licht, danach du frugst,
In dir selber wohnt.
Weisheit, die du lang gesucht
In den Bücherein,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt-
Denn nun ist sie dein.

~Hermann Hesse~

Mein Blick glitt über die Buchrücken. „B" wie Bahamas, Bahrain, Bangladesch, Belgien, Benin...
Mein Finger, den ich langsam über die Buchrücken zog, hielt inne. „B" wie Brasilien. Vorsichtig zog ich das erste Buch heraus. Dann zwei weitere. Man konnte ja nie wissen. Mit den dicken Wälzern bepackt suchte ich mir meinen Weg zu den Tischen, die im vorderen Teil der großen Bibliothek aufgestellt worden waren. Ein wenig abseits von den Studenten, die in Lerngruppen, leise flüsternd, zusammensaßen stellte ich die Bücher ab. Dann setzte ich mich und zog meinen Laptop, meinen größten Schatz, aus seiner Tasche. 

Während der Laptop hochfuhr schob ich meinen Kaffee hin und her und vertiefte mich in das erste Buch, einen Reiseführer aus den 80ern. Die Seiten waren bereits vergilbt, der Einband an manchen Stellen besorgniserregend dünn.  Zwischendurch öffnete ich Word und rief eine Datei auf.

Für meinen neuesten Roman hatte ich mir ein erstes, romantisches Date ausgedacht. Dann würden meine Hauptcharaktere, eine junge Polizistin und ein Stuntman, einen gemeinsamen Urlaub in Brasilien machen. Und wie in jedem anderen meiner Romane der Wildlife-Reihe würden die beiden dort Abenteuer erleben.

Im ersten Band hatten die Charaktere im australischen Busch um ihr Überleben gekämpft, im zweiten eine hitzige Verfolgungsjagd in Las Vegas, Piraten auf einer Kreuzfahrt, die Mafia in Italien und jetzt, im fünften Teil, eine schiefgegangene Rundfahrt im brasilianischen Dschungel.
All meine Bücher spielten in den 80ern, einfach weil viele meiner Leser genau das an der Reihe liebten. Ich hatte einige Fans getroffen, die an ihre eigene Jugend erinnert wurden, einigen gefiel, wie ich die Zeit darstellte und ein paar wünschten sich einfach bloß diese wilde Zeit zurück.

Ich selbst war ganz klar ein Kind der 90er, doch manchmal sehnte auch ich mich nach der Zeit, von der es so viel zu berichten gab. Vielleicht war es auch das, was die Leute fühlten. Meine Sehnsucht nach etwas vergangenem, nach Abenteuern. Früher hatte ich Entdecker werden wollen, doch mit der Zeit hatte der Traum an Intensität verloren und ich hatte der bitteren Realität ins Auge geblickt: Reisen würden kein Essen auf den Tisch bringen.

Mit dem schreiben hatte ich neben meinem Studium angefangen. Den ersten Teil hatte ich am Tag meines Abschlusses veröffentlicht. Ich hatte ein ganzes Jahr in einem Konzern geschuftet, bevor ich gekündigt hatte. Meine Eltern hatten zwei Monate nicht mir geredet und, wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass sie mir immer noch nicht vergeben hatten. Dabei war das nun drei Jahre her und mein Einkommen war keinesfalls bescheiden. Dazu kamen noch die Prämien, die bei einigen Buchpreisen für mich herausgesprungen waren. Ich konnte mich nicht beschweren.

Seufzend vertiefte ich mich wieder in den Reiseführer und überflog die Seiten. Zwischendurch schrieb ich mir einige Schlüsselwörter heraus, die ich später noch Googlen müsste. Dann schlug ich das nächste Buch auf und las mich etwas in die Geschichte Brasiliens ein. Mein Kaffee lehrte sich in beachtlicher Geschwindigkeit. Meine Finger flogen über die Tastatur. Ich blendete meine Umgebung aus, verfiel in den Rausch, den ich immer empfand, wenn ich schrieb. Ich war süchtig danach mich in einer anderen Welt zu verlieren.

Und so bemerkte ich den jungen Mann auch nicht, der von einem Bein auf das andere trat und sich in der großen Halle umsah. Ich bemerkte nicht, wie er plötzlich in meine Richtung schaute, sich selbst zunickte und dann mit festen Schritten auf mich zulief. Ich bemerkte ihn auch nicht, als er direkt neben mir stehen blieb.

Erst ein leises Räuspern ließ mich erschrocken aufblicken. Ich zuckte zusammen, meine Finger trafen etwas zu fest auf die Tastatur und ich schlug meinen, zum Glück leeren, Kaffeebecher um.
Er grinste bloß, ließ sich, beinah wortwörtlich, auf den Stuhl neben mich plumpsen und stellte den silbernen Behälter wieder auf. Ein wenig von der Situation überfordert blinzelte ich ihn an, er fuhr sich nur, mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, durch die Haare.

„Hey."
Ich blinzelte noch ein paar mal, dann krächzte ich: „Hallo."
Sofort räusperte ich mich ein paar mal.
„Ich bin Chris."
„Elias."

Meine Antwort kam eher langsam, fast schon vorsichtig. Ich wusste schließlich nicht, wer er war oder warum er sich so plötzlich zu mir gesetzt hatte. 

„Ich will nicht lange stören, aber ich habe da so eine Wette mit meinen Freunden am laufen."
Auf meiner Stirn bildeten sich Falten.
„Und diese Wette besagt, dass du dich zu einem Fremden in einer Bibliothek setzen musst, weil?"
Sein Grinsen wurde breiter.
„Eigentlich wollen sie, dass ich mit irgendjemandem hier ein Gespräch über ein Buch anfange. Und, ehrlich gesagt, bist du die einzige Person hier, die allein ist und nett aussieht."

Ich verzog das Gesicht.
„Es freut mich ja, dass ich nett aussehe, aber ich muss weiterarbeiten."
Er nickte schnell.
„Okay, ja klar. Du musst mir nur schnell deine Meinung zu einem Buch sagen."
Um uns herum wurde es still.
„Was für ein Buch?"
Er verdreht bloß die Augen.
„Sorry, ich hätte dir sofort eins vorschlagen sollen."

Suchend blickte er sich um. Dabei gewann ich den Eindruck, dass er nicht nach einem Buch suchte, sondern eher nach seinen Freunden. Wahrscheinlich wollte er möglichst schnell verschwinden, wenn wir dieses wirklich seltsame Gespräch beendet hatten. Damit hatte ich überhaupt kein Problem. Ehrlich gesagt war mir die Lust vergangen, in der Öffentlichkeit zu arbeiten. Zu viele Menschen, nicht genug Ruhe. Wäre meine Bestellung nur schon angekommen, dann hätte ich hier gar nicht auftauchen müssen. Aber ich stand unter Zeitdruck, ich musste das Buch in einem Monat abgeben und hatte gerade einmal 3 Kapitel verfasst.

„Kennst du das Buch zu „Assassins Creed"?", riss Chris mich schließlich aus meinen Gedanken.
Ich schüttelte den Kopf und er seufzte enttäuscht.
„Schade, ich kenne kaum ein Dutzend Bücher, die nicht in der Schule bearbeitet wurden."
Er pausierte kurz, dann lächelte er.

„Sie haben nicht gesagt, dass Schullektüren nicht zählen. Kennst du „Damals war es Friedrich?"
Ich nickte. Chris strahlte begeistert, dann fragte er weiter: „Und, wie fandest du es?"
„Es hat die Zeit des zweiten Weltkrieges und die Judenverfolgung sehr emotional und interessant dargestellt."
Chris Lächeln fiel in sich zusammen.

„Du magst das Buch? Meine Religionslehrerin hat mir mit dem Buch gezeigt, wie schrecklich Bücher sind. Warum schreibt man ohne Happy End? Und du findest das auch noch gut."

Sein verstörter Blick ließ mich unwillkürlich Lächeln. Natürlich reagierte er sofort darauf, dass verschmitzte Lächeln kehrte zurück. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass er damit besser aussah als mit dem ernsten Blick.
„Du solltest öfter Lächeln", murmelte er dann plötzlich.
Überrascht blickte ich ihn an und spürte, wie meine Ohren verräterisch warm wurden.

Ein paar Augenblicke lang sahen wir einander bloß an. Würde ich zu den Menschen gehören, die schnell rot wurden, dann wäre ich vermutlich mittlerweile rot wie eine überreife Tomate, schoss mir zusammenhanglos durch den Kopf.

Der seltsame Moment wurde von den Geräusch eines quietschenden Stuhls zerstört. Mit einem Ruck schoss mein Kopf herum und ich warf den beiden Typen, die uns gegenüber saßen und wie Idioten grinsten einen verstörten Blick zu.

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So, der erste Teil. Gut oder schlecht?

Over and Out, _Amnesia_Malum_

01/01/19

PerlenlebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt