Von der Ruhe

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Du bist so fahrig und wärst gerne
ganz ruhig, guter Freund? Dann lerne:

Den Bereich der Dunkelheiten
immer heiter zu durchschreiten,

Das Erinnern, das Vergessen
stets zufrieden zu durchmessen,

Dich, sowie das Ich des Andern
muntern Sinnes zu durchwandern-:

Und du strahlst ne Ruhe aus,
die zieht dir die Schuhe aus.

~Robert Gernhardt~

Zwei Stunden nach meiner Existenzkrise fand ich mich neben Chris an unserem Gate wieder. In etwa einer halben Stunde würde das Boarding anfangen, dann würde ein etwa zweistündiger Flug folgen.

Gerade saßen wir in einem kleinen Restaurant mit gutem Ausblick auf die ankommenden und abfliegenden Flugzeuge. Chris aß ein Stück Kuchen, ich trank einen Kaffee. Es war zwar eigentlich zu spät, um noch so viel Koffein einzunehmen, aber andererseits tat ich an diesem Tag jede Menge Sachen, die ich später bereuen würde.

„Erklär mir noch einmal, warum du meinen gesamten Zeitplan durcheinander wirfst."

Ich riss meinen Blick von einem gerade anhebenden Flugzeug los und wandte mich Chris zu, der sein Kuchenstück erfolgreich und in Rekordgeschwindigkeit vertilgt hatte.

Ich zog die Stirn kraus und seufzte, während Chris mich herausfordernd anblitzte. In der letzten Stunde hatte er das außerordentlich oft gemacht und langsam aber sicher ging meine Geduld mit ihm zu Ende.

„Du wirst beobachtet, was bedeutet, dass wahrscheinlich irgendjemand ganz genau weiß, was du wann planst. Durch meine Änderungen und die Tatsache, dass ich um einiges kurzfristiger plane als du es getan hast, sind sie uns keinen Schritt mehr voraus."

Die Änderungen an seinem Plan waren es, die ihm am wenigsten gefielen. Zuerst hatte ich gedacht, dass meine Anwesenheit das Problem war, doch ein kurzes Gespräch mit Anne, als ich ihn abgeholt hatte, hatte bewiesen, dass Chris sich freute, nicht allein fliegen zu müssen.

Doch, statt das der Trip vielleicht etwas entspannt verlief, zickte Chris an meinem Plan. Ihm ging es nicht schnell genug, doch sein Entwurf wäre viel zu überstürzt gewesen. Da hätte er auch einfach auf der Straße marschieren können und ein Schild mit den Worten „Hier bin ich – erschießt mich bitte" hochhalten können.

Ich dagegen hatte auch eine Recherche eingeplant.

Zuerst würden wir in Madrid landen und uns ein Hotel suchen, dass in der Nähe des Stadtzentrums lag. Chris hatte direkt zu einem kleineren Flughafen fliegen wollen, der nur wenige Kilometer von seinem eigentlichen Ziel entfernt war, doch ich hatte ihm davon abgeraten. Die Anonymität, die der große Flughafen Madrids bot, war für Recherche essentiell.

Dasselbe galt für die Stadt, in der wir die ersten drei bis vier Tage verbringen würden. Am ersten Tag würden wir einen meiner Bekannten treffen, der uns hoffentlich mehr über die Leute, mit denen Chris' Vater Umgang pflegte, sagen konnte.

Der zweite und dritte Tag würden für die Recherche draufgehen. Außerdem würden wir, nur für den Fall, dass uns doch jemand folgte, jede Menge Touristenzeug machen.

Am vierten Tag würden wir mit einem Leihwagen zu der nächstgroßen Stadt in der Nähe des Zielortes fahren und uns ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung buchen. Auch dort würden wir Touristenzeug machen und uns unauffällig umhören. Sollten wir auffliegen könnten wir einen nahe gelegenen Flughafen für den Rückflug nutzen. Auch, sollte Chris erledigen können, wofür er nach Spanien flog, könnten wir von dort aus nach Hause fliegen.

„Ich glaube, dass das Boarding gleich anfängt."

Chris hatte seinen trotzigen Blick mittlerweile von mir abgewandt und reckte stattdessen den Kopf, um einen Blick auf die anderen Fluggäste zu erhaschen. Und drehte mich um und folgte seinem Blick. Tatsächlich schienen sich die ersten bereits vorzubereiten. Also stand ich auf und brachte meine Tasse sowie Chris Teller weg.

Drei Stunden später saß neben einem müden Chris in einem kleinen Taxi, welches uns zu einem Hotel bringen würde. Bei dem Check-Out hatte es Probleme mit einer Großfamilie vor uns gegeben, weshalb wir beinah 45 Minuten in einer Schlange verbringen mussten. Aber wer bitte schön kam auf die Idee, mit sieben Kindern zu verreisen, von denen kein einziges älter als zehn Jahre sein konnte?

Der einzige Vorteil an diesem Vorfall war wohl, dass Chris genug Zeit gehabt hatte, um über seinen verletzten Stolz hinweg zu kommen. Außerdem hatte ich in der Zeit ein Hotel gefunden und ein Zimmer gebucht. Eigentlich hatte ich zwei buchen wollen, aber die einzigen Zimmer, die dazu infrage gekommen wären, lagen auch gänzlich verschiedenen Etagen.

Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster und beobachtete die Welt außerhalb des Autos. Madrid war voller Menschen, die sich über die Straßen schoben und von Lokal zu Lokal liefen. Es war hell hier, obwohl es bereits später Abend war. Auch der Verkehr war dicht, entsprechend langsam kamen wir voran.

Ein kurzer Seitenblick auf Chris verriet mir, dass auch er von dem Treiben außerhalb gefangen war. Er sah aus dem Fenster auf seiner Seite und reckte immer wieder den Kopf. Dann plötzlich ließ er sich in seinen Sitz zurückfallen und drehte seinen Kopf in meine Richtung, sodass unsere Blicke einander trafen. Dann lächelte er müde.

„Madrid scheint eine interessante Stadt zu sein."

Ich nickte zustimmend. Vielleicht würde ich die Zeit hier ja genießen. Vielleicht würde dieser gesamte Ausflug nicht so schlimm sein, wie ich befürchtete.

Als der Wagen langsamer wurde richtete ich mich etwas auf und sah aus dem Fenster, statt Chris müdes Lächeln weiterhin zu erwidern. Ich kam mir wie ein Idiot vor, weil ich in den letzten Minuten nichts anderes getan hatte.

Langsam hielt das Taxi vor einem eher unscheinbaren Hotel in einer Straße voller unscheinbarer Hotels. Eine viel bessere Tarnung gab es wohl kaum. Erleichtert bezahlte ich den Taxifahrer, nachdem er uns mit den Taschen geholfen hatte, und steuerte das Gebäude an.

Seit unserer Landung war Paranoia mein ständiger Begleiter, doch der Anblick unserer Umgebung half mir dabei, etwas zu entspannen. Noch nie hatte ich die Anonymität der Stadt so geschätzt, wie ich es in diesem Augenblick tat. Auch Chris neben mir schien etwas entspannter zu sein als vor unserem Flug.

Nachdem ich unseren Schlüssel an der Rezeption geholt hatte nahmen wir den Aufzug in den dritten Stock und trugen unsere Taschen in das Zimmer, dessen Unscheinbarkeit mit der des gesamten Gebäudes zu konkurrieren schien. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, wie unscheinbar alles war?

Eigentlich war der Plan gewesen, noch etwas essen zu gehen, doch Chris weigerte sich, sein Bett zu verlassen, nachdem er erst einmal darin lag. Seufzend verließ ich das Zimmer und begab mich auf die Suche nach einem Snackautomaten.

Eine Viertelstunde und eindeutig zu viele falsche Gänge später stand ich wieder in dem Zimmer. Chris lag wieder auf dem Bett, doch jetzt trug er eine Jogginghose und ein Shirt und surfte im Internet. Sein Koffer lag geöffnet zwischen unseren Betten, ein Handtuch neben der Badezimmertür.

Seufzend hob ich es auf und legte es ordentlich in das kleine Bad. Dann warf ich ihm einen der Schokoriegel zu und öffnete meine Tasche, um mir etwas für den Abend herauszuholen. In Rekordzeit duschte ich und aß etwas von den Snacks.

„Wir treffen uns morgen um eins mit Jorge."

Chris sah kaum von seinem Smartphone auf und brummte etwas unverständiges. Genervt schüttelte ich den Kopf, dann machte ich den Fernseher an, um mich etwas von meinen Gedanken abzulenken. Hoffentlich war Chris am nächsten Tag etwas gesprächiger, sonst würde ich mir wirklich Sorgen um ihn machen. Er war nie so still.

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And I'm back with another chapter. Zwar etwas später am Abend als sonst, aber who cares?

Heute waren die LK-Vorstellungen für meine Stufe und ich kann mit Sicherheit behaupten, dass das der anstrengenste Tag seit den Ferien war. Wer hätte gedacht, dass es so schwer sein könnte, fünf Lehrern zuzuhören?

Aber sehen wir das positive: Sport-LK wird wahrscheinlich zustande kommen (Long story short: Wir sind keine 80 Leute in der Stufe, deshalb werden nur zwei LKs aus den Fächern Bio, Chemie, Physik und Sport angeboten, Sport ist bisher das beliebteste), um Mathe muss ich mir keine Sorgen machen. 

Und ich liebe kreatives Schreiben offiziell, obwohl ich noch keine einzige Unterrichtsstunde in dem Fach hatte. Super, nicht wahr?

Over and Out, _Amnesia_Malum_

09/05/19

PerlenlebenWhere stories live. Discover now