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Ich musste nach etwa zwei Minuten schon zugeben, dass ich noch nie einen so schlechten Vortrag gehört hatte.

Ihre ganze Präsentation ist gefüllt gewesen mit Herumstammelein, vielen Pausen und dem Rascheln, dass sie durch ihre vielen Karteikarten verursachte.

Ich meine, sie hatte wohl anscheinend jeden kleinen Satz aufgeschrieben, warum fiel es ihr dann immer noch so schwer einen Satz zu sprechen, ohne sich gefühlt zehnmal zu versprechen und auch noch halbwegs Blickkontakt zu halten?

Hatte sie echt so wenig Selbstbewusstsein gegenüber uns allen?

Bitterböse starrte ich zu Mr Lavrence, der nur mit seinem Bleistift in seinen Händen herumspielte und ihr mit ausdrucksloser Miene weiter zu hörte.

Er wusste doch ganz genau, dass nicht jeder Mensch für Vorträge gemacht ist, warum wählte er aber gerade diese aus? Es gibt doch bestimmt noch andere Möglichkeiten, die man Schülern anbieten konnte, um ihre Noten aufzubessern.

Immer dieser fremdschämenden Vorträge.

Ich atmete leise tief durch und schaute wieder zu Cassandra nach vorne, die mich gerade betrachtete.

Uhhh, ganz falsche Entscheidung.

"Da ihr nun etwas von den Werk- uhm, ich meine Leben von Shakespeare wisst, werde ich nun etwas näher auf die Werke umgehen - äh, ich meine eingehen."

Amüsiert grinste ich sie an, lehnte mich weiter auf meinem Stuhl zurück und verschränkte demonstrativ langsam meine Arme vor der Brust.

Ihre Augen wanderten ruckartig über die ganzen anderen Gesichter des Kurses und ihr eigenes Gesicht wurde dabei immer bleicher.

Wahrscheinlich lächelte gerade jeder in sich herein.

Ich linste herüber zu meinem Banknachbarn.

Außer Ian, der sah wirklich noch interessiert und sehr neutral aus.

"Shakespeare war in erster Linie Dramatiker, verfasste daneben aber auch zwei Versepen sowie 154 Sonette . Der erste Versuch einer Gesamtausgabe seiner Theaterwerke erschien postum in Mr. William Shakespeare's Comedies, Histories and Tragedies, der sogenannten Folio - Ausgabe. Diese enthält 36 Dramen, darunter 18 zuvor unpublizierte, ein Vorwort der Herausgeber sowie Lob- und Widmungsgedichte", erzählte sie die Informationen zum ersten Mal ohne zu stottern.

Sie ratterte ihren Vortrag weiter herunter und in mir machte sich immer mehr die Ungeduld breit. Denn ich wollte, dass sie mich wieder ansah.

Nur hielt sie gerade davon nicht fiel, hatte ich das Gefühl.

Instinktiv vertraute ich darauf, dass es nochmal passieren würde, um mich mehr in Geduld zu üben.

"Und das wohl bekannteste seiner Werke ist die Tragödie von Romeo und Julia, das 1595 entstanden war."

Ihre Stimme klang leicht kratzig in meinen Ohren und ließ mich darauf schließen, dass sie noch immer nervös war, auch wenn sie es nicht mehr so offentsichtlich wie vorher für uns nach außen verkörperte.

Jetzt, genau jetzt landeten ihre dunkelbaluen Augen auf mich.

Und verdammt, irgendwie war dieser Blickkontakt so intensiv, dass es mir beinahe schon das Atmen erschwerrte. Ob ich wollte oder nicht, aber sie konnte mir gerade bestimmt ansehen wie sehr scharf ich auf sie war.

Fuck.

Um wenigstens etwas Selbstkontrolle und Arroganz für sie herüberzukommen, biss ich mir auf meine Unterlippe und war ungalublich gespannt auf ihre Reaktion.

Dark LoveWhere stories live. Discover now