(11) Die Insel vom Anfang

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Moira

Ungläubig starrte ich auf das Stück Land in der Ferne.
Eigentlich unterschied es sich kaum von den anderen Inseln, doch durch verschiedene ‚Kleinigkeiten' war sie unverwechselbar.

Die einsame, höher gelegene Hütte.
Die zwei großen Statuen, die vor der Insel im Meer standen.
Die große, in den Berg gehauene Halle.
Diese Insel war -trotz einiger Veränderungen- ein Ort, den ich bisher meistens gemieden hatte.
Wir flogen direkt auf Berk zu.

Zum Umdrehen war es bereits zu spät, außerdem war Nachtblitz von dem langen Flug auch etwas erschöpft. Einen großen Umweg konnten wir uns nicht leisten.

Ich konnte mittlerweile einzelne Wikinger erkennen. Sie liefen herum, gingen zur Schmiede oder schoben Karren mit Lebensmitteln vor sich her.
Einige flogen auch auf Drachen herum.
Trotz der idyllischen Atmosphäre wurde ich traurig.
Hier hatten die Wenigen, die von meinem Stamm noch gelebt hatten, ihr Leben gelassen. Bis auf meine Mutter und mich.
Zu der Trauer kamen noch zwei weitere Gefühle, Wut und Abneigung.
Wären die Berkianer nicht so aggressiv gewesen, würde meine Familie noch leben.
Wären sie nicht so verbissen darauf gewesen, unschuldige Drachen und alle, die sich für diese einsetzten, zu vernichten.
Jetzt schienen sie es nicht schlimm zu finden, mit Drachen zusammenzuleben.

Ich schaffte es, meine Gefühle zu unterdrücken.
Das war Vergangenheit.
Aber ich betete, dass ich nicht Haudrauf begegnen würde, denn dann könnte ich für nichts garantieren...

<Ich unterbreche dich ja nur ungern beim Nachdenken, aber da kommt eine Patrouille auf uns zu.>
Ich schreckte aus meinen Gedanken. Nachtblitz hatte recht.
Ein Nadder, ein Riesenhafter Albtraum, ein Zipper und ein Funkenhüstle kamen auf uns zu. Auf ihnen jeweils ein Reiter.

Ich habe mit vielem gerechnet, aber ganz sicher nicht mit: „Hey Hicks!" oder mit: „Schön, dass du wieder da bist!".
Die Drachenreiter verwechselten mich doch nicht ernsthaft mit Hicks?!
Obwohl, aus meiner Maske hatte ich eine Art Helm gemacht, so dass man weder mein Gesicht noch meine Haare sah.
Und Nachtblitz könnte auch als Nachtschatten durchgehen.
Ein blonder Wikinger mit nur noch einer Hand und einem Bein musterte mich.
„Ich dachte, du wolltest länger wegbleiben? Außerdem; wo sind die Anderen?"
Bevor ich antworten konnte, deutete der Junge, der auf dem Riesenhaftem Albtraum saß, aufgeregt nach rechts.
„Äh, Grobi, ich glaube, es gibt zwei Hicks' ..."
Angeführt von Hicks und Ohnezahn flogen auch die original Drachenreiter auf uns zu.

Die Patrouille war verwirrt.
Auf der einen Seite war ich, auf der anderen die Drachenreiter.
Der Reiter des Nadders verzog das Gesicht. Vermutlich dachte er gerade nach.
„Aber wie kommt Hicks hierhin, wenn er doch da ist?"
„Dafür gibt es nur eine Erklärung, Kotzbakke. Einer von beiden ist ein Lügner."
<Hat der dich gerade Lügner genannt? Du hast doch niemals vorgegeben, Hicks zu sein! Was denkt der sich eigentlich? Ich könnte->
<... bestimmt ganz viel machen, aber das würde uns auch nicht helfen, Nachtblitz.>
„Aber wie finden wir heraus, wer der Lügner ist?"
„Gute Frage, Pütz."
Hicks und die anderen waren jetzt bei uns.
„Hey, Grobian! Wie ich sehe, habt ihr schob Moira kennengelernt."
Hicks' gute Laune machte mich irgendwie wütend.

„Hicks, vielleicht sollten wir landen, bevor du ihnen die ganze Geschichte erzählst."
Gutgelaunt stimmte Hicks seiner Freundin zu.
Die Berkianer setzten sich in Bewegung.
<In der Nähe gibt es eine kleine Insel. Vielleicht schaffen wir es dorthin, bevor->
„Kommt sie denn gar nicht mit?"
„Wer?"
„Moira."
<Schnell!>
<Dann halt dich gut fest!>
Wie ein Blitz schoss Nachtblitz los.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Ohnezahn wendete und uns hinterher flog.

In Überschallgeschwindigkeit rasten wir über den immer dunkler werdenden Himmel.
Der Nachtschatten war uns dicht auf den Fersen, aber Nachtblitz wurde immer schneller.
Bald waren wir so schnell, dass mir trotz der Maske das Atmen schwerfiel.
Und dann hielt Nachtblitz abrupt an. Hicks und Ohnezahn schossen an uns vorbei.
<Gut gemacht!>
<Immer wieder gerne!>
„Da ist sie!"
Zu früh gefreut... die restlichen Reiter waren ihrem Anführer gefolgt.

„Was denkst du dir eigentlich dabei, ständig abzuhauen?"
Während ich von den Drachenreitern umkreist wurde, flogen wir auf  Berk zu.
Hicks war eindeutig sauer auf mich. Und er war auch geschockt darüber, dass wir ihn ausgetrickst hatten, selbst wenn er sich das nicht sonderlich stark anmerken ließ.

Als wir landeten, kamen gleich zahlreiche Wikinger angerannt. Sie alle sahen mich und Hicks abwechselnd an, als wüssten sie nicht, wer wer war. Doch nach wenigen Sekunden schienen sie die Unterschiede zu bemerken.
Warum dauerte es so lange, ein Mädchen von einem Jungen zu unterscheiden?
Dann starrten sie nur noch mich an.
„Wer ist das?"
„Reitet sie einen Nachtschatten?"
„Was macht sie hier?"
„Ist sie eine Gefangene?"
Genervt atmete ich aus.
Auch Nachtblitz war genervt. Und ziemlich gestresst. Ich konnte ihre Anspannung spüren. Sie war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.
Glücklicherweise konnte Hicks die meisten Schaulustigen wegschicken.
Dann wollten die Zwillinge mich in die große Halle führen, aber ein Fauchen von Nachtblitz und ein finsterer Blick von mir brachten sie davon ab.

„...Sie müssten hier jederzeit eintreffen."
„Danke, Grobian." Die Frau mit den langen braunen Haaren drehte sich zur Tür.
„Ohh... Ihr seid ja schon da. Ich glaube, wir haben viel zu erzählen."

„Mum, dass ist Moira. Auf sie ist ein Kopfgeld ausgesetzt und sie hat uns... geholfen, gegen Drachenjäger zu kämpfen."
„Und sie hat Dagur verprügelt."
„Und Hicks ausgetrickst."
„Genauer gesagt hat sie uns alle ausgetrickst."
„Und sie hat-" „TAFF!"
Hicks, Rotzbakke, Astrid und Fischbein brüllten im Chor.
Hicks Mutter sah etwas verwirrt zu den Zwillingen, während ich einfach nur stumm auf der Bank saß und die Wandteppiche zählte.

„Und wo kommt sie her?"
„Sie, ähh... hat alleine mit ihrem Drachen gelebt."
„Du hast ganz alleine gelebt?"
Ungläubig sah mich Hicks Mutter an.
„Valka, du hast 20 Jahre lang bei Drachen gelebt, warum sollte sie das nicht können?"
Ich horchte auf. 20 Jahre? Wow, das war eine lange Zeit.
„Und was wisst ihr noch über sie?"
„Nicht viel, nur, dass sie eine unschöne Vergangenheit hat."
Fischbein hatte diese Antwort gegeben, also musste Hicks es ihm gesagt haben.
Ich wurde wieder wütend. Konnte dieser Hicks denn absolut gar nichts für sich behalten?

Sie versuchten noch immer, mich zum Reden zu bringen, aber ohne Erfolg.
Ich war einfach zu wütend auf Hicks, die Drachenjäger, mich, mein Leben und so ziemlich alles außer Nachtblitz.
Wenn ich jetzt reden würde, würde ich es im Nachhinein bereuen.
Also schwieg ich.
Auch wenn mein Herz mir sagte, dass ich Freunde gebrauchen konnte.
Aber es sagte mir auch, dass Freunde bei dem, was ich vorhatte, bei dem, was ich tun würde, Verlust bedeuten würden.
Denn ich würde sie in Gefahr bringen.
Oder sie würden mich verraten.
Und ich war schon oft genug verraten worden.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt