(42) Aufgeteilt

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Hicks

„Ach ja, sie ist immer wieder bezaubernd."
Erschrocken fuhr ich zu der alten Frau herum. Sie war aufgewacht und betrachtet schmunzelnd, wie die Tänzerin einem stämmigen Mann den Teller vor die Nase knallte.
„Aber probiert lieber nicht die Verräterzunge. Seit Tagen wurde keine frische Flunder mehr gefangen und die Kohlernte ist auch schon länger her. Dafür schmeckt das Hühnchen ausgezeichnet."
Völlig überrumpelt nickten wir und wenig später wurden auch uns Teller mit dampfendem Essen mehr oder weniger vorsichtig auf den Tisch gestellt.

Die alte Dame hatte nicht zu viel versprochen. Das Essen war fantastisch. Sogar noch besser als das, das Heidrun zubereitete, und ihre Kochkünste waren wirklich schwer zu übertreffen.
„Endlich."
Moira lehnte sich zurück, als die Frau durch die Tür trat und von der Nacht verschluckt wurde.
„Ich fand sie ganz nett.", murmelte Fischbein.
„Du kennst sie auch nicht. Und glaub mir, das ist besser so."
„Vielleicht solltest du uns das ein bisschen näher erläutern."
Herausfordernd lächelte Astrid zu Moira.
„Mich würde das auch interessieren!"
„Du sprichst mir aus der Seele, Schwesterchen."
Obwohl ich mich erst dagegen sträubte, meine Neugier war erwacht.
„Also, ich wüsste das auch gern. Sie wirkte nicht wie eine hinterlistige Drachenjägerin.", tat schließlich auch noch Rotzbakke kund.
Augenverdrehend gab sie nach.
„Sie ist sowas wie der Händler Johann dieser Insel. Es gibt nichts, was ihr entgeht, sobald sie anwesend ist. Wenn man Informationen über jemanden braucht, zu welchem Zweck auch immer, dann bekommt man diese bei ihr."
„Das ist doch super! Vielleicht kann sie uns ja bei dem Rätsel weiterhelfen!"
„Was? Nein! Auf keinen Fall! Da könnten wir auch gleich zu den Drachenjägern spazieren und laut unsere Namen herumbrüllen.
Und seid leiser! Ich habe das Gefühl, sie hat einen Lehrling gefunden."
Vielsagend nickte sie in die Richtung des Flammenmädchens.

Allmählich leerte sich die Gaststätte.
Und je mehr Leute gingen, desto stärker bekam ich das Gefühl, beobachtet zu werden.
Astrid schien die wachsende Anspannung auch spüren zu können.
„Wir sollten jetzt lieber gehen."
Dagegen erhob niemand Einspruch. Die Gesichter meiner Freunde zeigten ebenfalls unverkennbar ihren Argwohn.
„Wollt ihr vorher nicht vielleicht noch bezahlen?"
Da stand sie wieder. Mit verschränkten Armen und einem Lächeln, das einen starken Kontrast zu ihrem feindlichen Blick darstellte.
„Sonst müsste ich leider Methoden anwenden, die ihr nicht mögen würdet."
Wortlos schmiss Astrid einige Taler aus den Tisch.
Dennoch bewegte sich die Tänzerin keinen Millimeter von der Stelle oder machte auch nur Anstalten, das Geld aufzusammeln.

Es war unglaublich, wie bedrohlich sie trotz ihrer kunterbunten Gesichtsbemalung und des Kleides wirkte.
Und irgendwoher kannte ich diese Haltung. So, wie sie den Kopf leicht nach rechts neigte, als würde sie etwas hören. Die Stellung ihrer Füße. Perfekt, um im passenden Moment schnell vorzuspringen oder zurückzuweichen.
Aber vor allem ihr überlegenes Lächeln. Genau das Richtige, um seinen Gegner aus der Fassung zu bringen, selbst, wenn man offensichtlich im Nachteil war. Und dann war da noch die Art, wie sie uns ansah. Als würde sie überlegen, in welcher Reihenfolge sie uns am besten ausschalten könnte.

Nach einigen Minuten des stillen Beobachtens griff Astrid nach dem in ihrem Schuh versteckten Dolch. Ihre Axt hatte sie zurücklassen müssen, da sie sonst zu viel Aufsehen erregt hätte.
„Nanana, keine Kämpfe in der Gaststätte. Ihr wollt doch bestimmt nicht durch unangepasstes Benehmen auffallen."
Als wäre nichts gewesen, griff das Flammenmädchen nach dem Geld und steckte es in einen kleinen Beutel. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand die Treppe nach oben.
Wie dagegen verließen fluchtartig das Gebäude.
Selbst draußen im Sturm fühlte ich mich wohler als Auge in Auge mit der Tänzerin.

„Herzlich Willkommen in der Hölle."
Wütend trat Moira gegen einen Kiesel, der daraufhin laut klappernd den Weg entlanghüpfte.
Still stimmte ich ihr zu. Ich konnte es kaum noch erwarten, diese Insel wieder zu verlassen.
Mal ganz abgesehen von dem skurrilen Vorfall gerade eben, mit dieser Insel stimmte etwas ganz und gar nicht.
Aber zuerst brauchten wir einen Schlafplatz und einen Ort, an dem wir unsere Vorräte auffüllen konnten, sonst würden wir nicht weit kommen. Und der Sturm musste auch erst vorbeiziehen...
Als ich sie fragte, konnte Moira aber nur mit den Schultern zucken.
„Vielleicht sollten wir einfach nach einer Höhle suchen."
Dummerweise konnte sich niemand mehr genau daran erinnern, von wo wir gekommen waren. Dafür gab es einfach zu viele verschlungene Gassen  und Abzweige. Alles sah irgendwie unterschiedlich und doch wieder gleich aus, vor allem mitten in der Nacht.
Und so machten wir uns im strömenden Regen auf den Weg durch die Siedlung, in der Hoffnung, möglichst bald den Wald wiederzufinden.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt