Kapitel 4

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"Ihr beide standet euch wirklich nahe, oder?"

Nickend lehnte ich mich in dem grauen Sessel zurück und blickte zu Milo, der es sich gegenüber von mir bequem gemacht hatte. Das Jackett, dass er vorhin noch angehabt hatte, hatte er schon längst über die Rückenlehne geworfen, die obersten Knöpfe seines Hemdes waren auf, die Ärmel hatte er hochgerollt.

"Irgendwie war es zwischen uns schon immer anders als mit Mary. Wir beiden konnten ihre verbissene Art noch nie so wirklich leiden." Und jetzt musste ich alleine mit ihr klar kommen. Auch wenn ich sie nicht all zu oft sah, geschweige denn Kontakt mit ihr hatte.

Milo und ich saßen seit Stunden in seinem Büro. Über New York war schon längst die Nacht hereingebrochen und die Lichter der Stadt begannen nach und nach zu leuchten. Fabio hatte sich bereits vor einer ganzen Weile von uns verabschiedet weil er noch zu einer Party wollte, oder so ähnlich.

Bislang hatte ich keinen Gedanken mehr daran verschwendet was es mit der Arbeit meines Bruders auf sich hatte. Viel zu sehr war ich in das Gespräch mit dem jungen Mann vertieft, das von einem Thema ins nächste wechselte und nicht eine Sekunde gezwungen oder aufgesetzt wirkte. So konnte ich mich für gewöhnlich nur mit Leuten unterhalten, die ich schon seit Jahren kannte.

"Sag mal, deine Haare sind gefärbt, oder? An der Beerdigung waren sie noch heller." Überrascht sah ich ihn an. "Sowas merkst du dir? Und vor allem wie kommst du auf sowas?",lachte ich. Milo stieg ebenfalls leicht in mein Lachen mit ein. "Du hast mich damals eben echt interessiert." Ein Grinsen huschte über meine Lippen. "Ach, nur damals?" "Nein. Dich näher kennenzulernen ist tatsächlich noch viel interessanter." Leicht lächelte ich und ging wieder auf das eigentliche Thema ein. "Meine Eltern waren echt nicht begeistert als ich vom Friseur kam." "Irgendwie glaube ich dir das aufs Wort. Aber ich finds gut. Das steht dir." Verschmitzt grinste er mich an, ehe er sich von seinem Bürostuhl erhob und einmal den Schreibtisch umrundete.

Vor mir blieb er stehen und hielt mir auffordernd eine Hand entgegen, die ich verwirrt musterte. "Ich weiß ja nicht wie es bei dir aussieht, aber ich hab verdammt Hunger. Bist du dabei?" Schmunzelnd ergriff ich seine Hand und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. Wenn es um Essen ging war ich immer dabei. Im rausgehen schnappte ich mir noch meine Tasche und zog meine Jacke über. Milo wartete bereits im Aufzug und hinderte die Türen daran zuzugehen.

Es dauerte nicht lange bis wir in der Tiefgarage angekommen waren und ich dem jungen Mann geradewegs zu einem schwarzen Camaro folgte, dessen Beifahrertüre er mir lächelnd aufhielt. Nur wenig später ließ er sich hinters Steuer fallen und startete den Motor, der in der mittlerweile so gut wie leeren Tiefgarage noch lauter zu wirken schien.

"Auf was hast du Lust?" "Mir ist alles recht. Hauptsache Essen.", lachte ich und ließ mich noch etwas mehr in den unglaublich bequemen Sitz gleiten. "Na wenn das so ist." Er klang amüsiert.

Noch vor ein paar Tagen hätte ich einen Teufel getan mit ihm alleine zu sein oder gar zusammen mit ihm in seinem Auto zu sitzen. Selbst als ich heute Nachmittag das Gebäude betreten hatte, hätte ich das nie gedacht. An den beiden Brüder kam mir etwas seltsam vor, keine Ahnung was. Aber nachdem ich Stunden damit verbracht hatte mit Milo zu reden, ich die verrücktesten Geschichten aus seiner Kindheit gehört hatte und er mir erzählt hatte was er mit meinem Bruder schon alles angestellt hatte, hatte sich mein Bild über ihn irgendwie geändert. Es war nicht so, dass ich ihm blind vertraute, das würde ich vermutlich auch nie. Immerhin schaffte ich das bei vielen Leuten nicht einmal nach Jahren.

Geschickt umfuhr Milo den abendlichen, zähfließenden Verkehr New Yorks indem er hier und da durch kleinere Straßen fuhr und die Hauptverkehrsstraßen mied. Das war einer der Gründe, weshalb ich kein Auto besaß. In einer Stadt wie dieser kam man mit der U-Bahn einfach schneller voran. Der andere Grund war die Tatsache, dass ich mir ohne meinen Nebenjob und ohne meine drei Mitbewohner nicht mal eine Wohnung hier leisten konnte. Ein Auto war da definitiv nicht mehr drin.

Es dauerte nicht all zu lange bis Milo sich in eine freie Parklücke quetschte. Im Schein der Laterne unter der wir standen, bemerkte ich wie er mich grinsend musterte. "Ich hoffe Burger, Pommes und Milchshakes sind okay." Er deutete in eine Richtung in der einige Meter entfernt die bunten Leuchtschilder eines Diners die Straße in die unterschiedlichsten Farben tauchten. Leicht lächelnd schnallte ich mich ab. "Das hört sich toll an."

Gemeinsam liefen wir durch die Kälte. Ich zog meinen Mantel noch enger an mich und versteckte mein Gesicht hinter meinem dicken Schal um mich etwas vor dem ekelhaft kalten Schneeregen zu schützen. Wie ich dieses Wetter doch hasste.

Im Diner empfang uns neben einer angenehmen Wärme der typische Geruch nach Pommes und Burger. Vereinzelt saßen noch einige Menschen auf den roten Bänken, tranken oder aßen etwas, unterhielten sich, einer laß die New York Times während sein Gegenüber angestrengt auf sein Tablet sah.

Milo steuerte auf einen Tisch am Fenster zu und ließ sich grinsend auf die Bank fallen. Wenn ich ihn so betrachtete, passte er hier nicht so ganz rein. Sein Hemd und die sicherlich sündhaft teure Anzughose passten nicht so ganz in die ungezwungene Atmosphäre des Diners.

Wie schon heute Nachmittag wurde mir auch jetzt wieder bewusst, was für ein unglaublich gutaussehender junger Mann mir eigentlich gegenüber saß. Das weiße Hemd spannte sich über seine breite Brust und die hochgeschlagenen Ärmel verschafften freien Blick auf die muskulösen Arme, auf dem sich leicht die Adern abzeichneten. Die dunkeln Haare waren nach dem langen Tag leicht verstrubbelt und bildeten einen unglaublichen Kontrast zu den hellgrünen Augen.

Ich studierte die kleine Karte, spürte aber immer wieder die stechenden Blicke des Italieners auf mir. "Der Cheeseburger hier ist der Wahnsinn." Ich löste meine Augen von dem Papier in meiner Hand und sah zu meinem Gegenüber der mich lächelnd beobachtete. "Na dann vertraue ich dir mal."

Es dauerte nicht lange, da kam eine ältere Dame mit einem warmen Lächeln auf den Lippen an unseren Tisch und nahm unsere Bestellung auf. Milo schien tatsächlich öfters hier zu sein, da sie ihn nur wissend anlächelte als er 'das Übliche' bestellte.

"Weißt du was es sein könnte, an dem mein Bruder gearbeitet hatte?" "Soll ich ganz ehrlich sein? Ich habe keinen blassen Schimmer. Und das gefällt mir gar nicht. Auf den Unterlagen steht lediglich der Name eines... äh, Geschäftspartners drauf. Aber ich werde aus Logans ganzen wirren Notizen nicht im geringsten Schlau."

Eines Geschäftspartners, so so. Milos kurzes Stocken ließ mich zweifeln, dass er mir die Wahrheit sagte. Nach wie vor war da diese leise Stimme in mir, die sagte, dass mit den Brüdern etwas nicht so ganz stimmte. Aber wenn dem wirklich so war, würde er doch sicherlich nicht zulassen, dass ich irgendetwas herausfinden würde, oder? Außer die Unterlagen könnten so wichtig sein, dass es ihm tatsächlich total egal war ob ich hinter irgendwelche dreckigen Geheimnisse kam oder nicht.

Mir kam wieder in den Sinn, dass ich diesen Kerl kaum kannte und doch mit ihm mitgegangen war. Klar hatte ich viel mit ihm geredet, aber was wusste ich schon. Mein Gegenüber könnte sonst wer sein.

"Über was denkst du nach?" Interessiert blickte Milo mich an. "Nur darüber das ich dich eigentlich kaum kenne und trotzdem mit dir hier bin. Wer weiß, vielleicht dealst du ja mit Drogen, bist ein irrer Mörder oder steckst bis zum Hals in irgendwelchen Mafia Geschäften."

Ein belustigtes Schmunzeln huschte über seine Lippen.

"Ja, wer weiß das schon."



Heyho 👋

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Milo Where stories live. Discover now