Kapitel 6

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Ohne mit der Wimper zu zucken quetschte sich Daniel neben mich auf die Couch und sah die Anderen mit Argusaugen an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er, seitdem ich ihm das mit meinem großen Bruder erzählt hatte, noch viel mehr in seiner Beschützerrolle aufzugehen schien.

Manchmal auch etwas zu sehr.

Einmal hatte ich einen wirklich netten Kerl kennengelernt. Wir hatten eine wirklich tolle Zeit zusammen, aber Daniel hatte ihn komplett vergrault, nachdem er gedacht hatte ihn im Korridor der Uni mit einem anderen Mädchen gesehen zu haben. Es stellte sich heraus, dass es sein Zwillingsbruder war. Trotzdem konnte mir der Typ nicht mehr in die Augen sehen.

"Jacob hat sich mit irgendeinem Mädel verpisst und ich glaube bei Liz geht es auch nicht mehr lange." Er nickte in die Richtung meiner besten Freundin, die an der Bar stand und aufs Heftigste mit einem Typen flirtete. "Ich bin ehrlich gesagt auch echt fertig. Sollen wir dann auch nach Hause?", fragte Daniel. Mir entging nicht der Blick, den er den beiden Brüdern und deren Verwandtschaft zuwarf. Auch ich sah zu ihnen und meine Augen blieben an Milo hängen. Ein sanftes Lächeln umspielte seine vollen Lippen und seine grünen Augen funkelten im bunten Licht des Clubs. "Wenn du noch hier bleiben möchtest, kann ich dich nachher gerne nach Hause fahren, Lilly."

Wieder rief diese leise Stimme in mir nach meiner Vernunft. Eigentlich würde ich noch unheimlich gerne etwas mit Milo reden. So wie auch im Diner. Es war zugegebenermaßen wirklich schön sich mit ihm zu unterhalten. Und auch wenn ich noch immer ein gesundes Misstrauen gegenüber den beiden Brüdern hegte, fühlte ich mich bei weitem nicht mehr so unwohl in deren Nähe. Trotzdem wollte mich mein gesunder Menschenverstand nicht hier lassen. "Danke, Milo. Aber ich glaube ich sollte jetzt auch gehen." Ich lächelte leicht und erhob mich.

Ich kannte Daniel gut genug. Er würde mich im Leben nicht alleine hier lassen. Schon gar nicht mit Leuten die er selbst nicht kannte.

Binnen Sekunden stand auch Milo auf und sah mich an. Wenn ich mich nicht vollkommen irrte, schien ein Funken Wehmut in seinem Blick zu liegen, ehe er mich in eine kurze Umarmung zog. "Wenn ich dir bei den Unterlagen irgendwie helfen kann, sag Bescheid, ja?" Ich nickte leicht und verabschiedete mich von ihm und seinen Begleitern.

Es dauerte nicht lange bis ich mich mit meinem Mitbewohner durch die feiernde Menge gekämpft hatte und dem Ausgang näher kam. Gierig atmete ich die frische Luft ein und merkte erst jetzt, wie stickig es in dem Club überhaupt gewesen war. Hastig schlüpfte ich in meine Jacke, die ich beim Rausgehen noch schnell von der Garderobe geholt hatte. Der kalte Wind zerzauste meine Haare und ließ mich frösteln. Verdammt, wie ich den Sommer doch vermisste.

Immerhin hatte Daniel es recht schnell geschafft ein Taxi zu sich zu winken, in dessen beheizten Innenraum ich zügig kletterte. Und kaum hatte das Auto sich in Bewegung gesetzt spürte ich den stechenden Blick meines Mitbewohners auf mir liegen. Im Schein der vorbeiziehenden Straßenlaternen und den vereinzelten Ampeln konnte ich ganz genau den neugierigen Ausdruck in deinen Augen sehen.

"Also, dann erzähl mal was du mit denen zu tun hast?" Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch. "Mit 'Denen'? Einen netteren Ausdruck hättest du nicht finden können, was?" "Im Gegensatz zu dir lese ich hin und wieder die Zeitung, meine Liebe. Das sind die Söhne von Rafael und Roxana Salvatore, die ganz zufälligerweise eines der größten Unternehmen New Yorks führen und denen nebenbei die halbe Stadt zu gehören scheint. Also, ich höre. Was hast du mit denen zu tun?"

Seufzend lehnte ich meinen Kopf etwas zurück und sah kurz aus dem Fenster. Die vorbeiziehenden Lichter schienen zu einer einzigen Linie zu verschmelzen. Nur noch vereinzelt sah man einige Menschen umherlaufen. Abseits von den Touristen Hotspots, den Bars und den Clubs kam es selbst in einer Stadt wie New York vor, dass nicht mehr all zu viel auf den Straßen los war.

"Sie waren Freunde von Logan. Ich hab sie vor ein paar Tagen an seinem Grab getroffen." "Das wusste ich gar nicht." "Was? Dass ich sie getroffen habe, oder dass sie mit meinem Bruder befreundet waren?" "Beides." Ich nickte leicht. Tatsächlich war Liz die Einzige, der ich zumindest von der Begegnung mit den beiden Brüdern erzählt hatte. "Ich wusste bis vor kurzem auch nicht, dass sie sich kannten. Mein Bruder hatte damals in der Firma der Salvatores sein Praktikum für die Uni gemacht. Mit mir hat er da aber nie großartig gesprochen. Jedenfalls hat er da Milo kennengelernt und hat sich erst mit ihm und später auch mit Fabio angefreundet." "Du wusstest nicht, dass er für die gearbeitet hatte?", fragte Daniel erstaunt, woraufhin ich lediglich den Kopf schüttelte. "Er hatte nur gemeint, dass er einen Platz bei einer guten Firma bekommen hat. Ich hatte zu dem Zeitpunkt sowieso nicht all zu viel Ahnung von den ganzen Firmen und so weiter. Selbst wenn er mir einen Namen gesagt hätte, hätte ich nichts damit anfangen können."

Mein Verständnis was Menschen und ihre Tätigkeiten anging hatte sich erst mit meinem Studium etwas verbessert. Zwar war ich schon immer verdammt neugierig, allerdings nur in Bezug auf Dinge, die ich selbst herausfinden konnte. Etwas was schon aufgedeckt wurde oder schon von jemand anderem in ein einem Bericht festgehalten wurde interessierte mich für gewöhnlich nicht all zu sehr. Etwas das Daniel seit Beginn unserer WG-Zeit nicht an mir verstehen konnte. Beinahe schon regelmäßig hielt er mir vor, dass ich meine Nase als angehende Journalistin viel zu selten in die Zeitung steckte.

"Und du kanntest die Beiden auch nicht?" "Nein. Ich hab sie nur damals an Logans Beerdigung gesehen. Aber auch nur von Weitem." Gerade als er ansetzten wollte um noch etwas zu sagen, hielt der Taxifahrer vor unserem Zuhause an und verlangte in gebrochenem Englisch nach dem Geld, das Daniel ihm kurzerhand entgegenstreckte.

"Hör mal, Süße..." Im dunkeln versuchte mein Mitbewohner das Schlüsselloch zu finden und ich konnte mir beinahe bildlich vorstellen, wie er gerade mit konzentrierter Miene und herausgestreckter Zunge kurz vor der Verzweiflung stand. "...Versprich mir, dass du bei denen aufpasst, ja?" Mit einem Quietschen sprang die Türe auf und Daniel tastete augenblicklich die Wand nach dem Lichtschalter ab. Nur Sekunden später wurde der Hausflur hell erleuchtet, was mich kurz meine Augen zusammen kneifen lies. "Wieso?" Seufzend drehte er sich auf einer der Stufen um und sah auf mich herab.

"Über diese Familie kursieren unzählige Gerüchte. Nicht nur positive. Schon seit Generationen sollen die teilweise echt Dreck am Stecken haben. Illegale Geschäfte, Geldwäsche, Betrugsvorwürfe. Das volle Programm. Sogar Geschäfte mit der Mafia werden denen nachgesagt. Pass einfach auf, dass du in keine Scheiße mitreingezogen wirst."

Mafia.

Das Wort hallte in meinem Kopf.

Vielleicht hatte ich mit meinem kleinen Spaß Milo gegenüber doch nicht so unrecht.




Hello 👋

Ich hoffe ihr hattet ein paar schöne Feiertage und wünsche euch ein frohes neues Jahr 🎉

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Was denkt ihr wie es weiter gehen wird?

Und welche Personen mögt ihr bislang am meisten und wieso? 🤔

Love you ♥️

Milo Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt