Leere Hoffnungen?

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Er ist schwach geworden.
Vor seiner Schwester.
Patrick vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und kann nicht verhindern, dass sein Blick auf das Foto gleitet, welches noch immer auf dem Nachttisch steht. Für die nächsten Tage muss es wohl einen anderen Platz einnehmen. Er erträgt es einfach nicht.
Dieses glückliche Gesicht. Alles scheint perfekt und das war es damals auch.
Entschlossen nimmt Patrick das Bild und legt es in die Schublade, die er kurz darauf schließt.
Es fühlt sich falsch an. Falsch, diese gemeinsamen Erinnerungen einfach so in eine Schublade zu stecken und nicht zuzulassen. Er versteht es einfach nicht.
Mit jedem anderen Tod in seiner Familie war er bis jetzt zurechtgekommen, doch der Tod von Joelle ist eine Nummer zu groß für ihn. Irgendwas in seiner Trauerverarbeitung kann nicht richtig laufen, aber er übersieht dies gekonnt.

Er funktioniert. Beruflich läuft es besser denn je und solange niemand versucht hinter seine Fassade zu blicken, wird auch alles so weiter laufen.

Er zuckt heftig zusammen, als es ganz leise an der Tür klopft. Erwartungsvoll blickt er zu dieser und erkennt schon bald seine Schwester, die vorsichtig den Raum betritt.

„Ich wusste doch, dass du noch nicht schläfst.",bestätigt sie sich selbst und schließt die Tür ebenso leise, wie sie diese geöffnet hatte.
Patrick blickt auf sein Handy. Es ist bereits 02:46 Uhr.
„Ich möchte kurz mit dir reden.",erwähnt sie ihr Anliegen und fängt den Blick ihres Bruders wieder auf. Er ist flehend. Patrick will nicht reden. Jetzt schon mal gar nicht.
„Ich frage dich nicht nach deiner Erlaubnis, Paddy."
„I know.",gibt er von sich und richtet seinen Blick auf den Boden, während Patricia sich neben ihn an die Bettkante setzt.
„Hör zu. Ich weiß, dass du nicht reden möchtest. Jimmy und Maite kommen nachher und du weißt genau, dass zumindest Jimmy nicht so leicht locker lässt. Man merkt es dir an. Ich weiß zwar nicht genau woran es liegt, aber da geht was in deinem Kopf vor. Vielleicht wäre es an der Zeit wenigstens mit mir zu reden, sodass ich die anderen aufklären kann.",redet sie ihm ins Gewissen. Kaum merkbar schüttelt er den Kopf, was seine Schwester seufzen lässt.

„Wir können dir helfen."
„Wie denn?",harkt er nach und blickt zu seiner Schwester, die bei dem leeren Ausdruck in seinen Augen schlucken muss.
„Ich weiß es nicht.",gibt sie leise zu und steht auf, um zum Fenster zu gehen.
Einen Moment ist es still. Patrick möchte nicht ein weiteres Mal vor seiner Schwester schwach werden, weiß aber auch, dass er ihr eine Antwort schuldig ist.
„Bitte lass mich das Ganze nicht noch einmal durchmachen. Einmal reicht.",fleht sie ihn an, während sie sich an die Fensterbank lehnt und zu ihrem Bruder blickt, der wieder den Kopf schüttelt.
Noch einmal würde Patricia eine down Phase wie damals wohl nicht ertragen.
„Paddy, es ist ein halbes Jahr her. Trauer ist normal. Bitte zieh dich selbst nicht runter und rede darüber."
„Du hast ja keine Ahnung.",flüstert er schon fast und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen. Seine Gedanken scheinen viel zu laut und er merkt nur unterbewusst, wie Patricia sich neben ihn setzt.
„Rede mit mir. Du weißt, dass es hilft."

Hilfe. Ist es das, was er im Moment braucht? Ist es bloß ein leeres Versprechen? Leere Hoffnungen, oder wirklich der Weg?

Er kann nicht. Es würde alles aufwühlen und es bloß schlimmer machen. Er alleine muss damit fertig werden.
„Es ist alles so laut!",gibt er gequält von sich, während er seine Beine auf die Bettkante stellt, seine Ellenbogen auf seinen Knien abstützt und sich, schon fast krampfhaft, mit seinen Händen in seine Haare krallt.
Besorgt blickt Patricia zu ihm und legt ihren Arm um ihren kleinen Bruder, woraufhin dieser zusammenzuckt.
„Was ist laut?",harkt sie weiter nach, erhält auf ihre Frage aber keine Antwort.
Patrick geht allerlei Gedankensträngen nach, die alle bei einem Ergebnis enden. Er war schuld. Schuld daran, was mit Joelle passiert war. Schuld daran, dass sie nun nicht mehr hier ist und ihn alleine ließ.

„Fuck it!",stößt er aus und springt im nächsten Moment von dem Bett auf, um in das angrenzende Bad zu flüchten und sich dort einzuschließen.

„Paddy, mach keine scheiße verdammt!",sagt Patricia laut, während sie an die Tür hämmert.

Zu ihm dringt nichts durch. Er lässt sich an der kalten Wand hinuntergleiten und blickt an die weiße Decke.
Was macht er hier? Warum ist er überhaupt hier her gefahren? Es war doch klar, dass er über die Nacht Probleme bekommen wird!
„Ich bin so dumm.",hält er sich selbst vor und bekommt erst jetzt mit, wie Patricia immer noch gegen die Tür hämmert.
„Patrick, ich ruf die Polizei! Mach es dir selbst nicht so schwer.",fleht sie schluchzend und auch er merkt, wie seine Augen etwas feucht werden. Er kennt diese Situation. Bereits damals hatten sie diese durch, mit dem Unterschied, dass er sich damals das Leben nehmen wollte und seine Schwester tatsächlich die Polizei gerufen hatte. Er weiß, dass sie es tun würde.
„Ich tue mir nichts, Tricia.",sagt er.
Mit Mühe hört seine Schwester ihn.
„Mach die Tür auf.",bittet sie ihn ruhig, doch Patrick schüttelt den Kopf. Auch, wenn sie es nicht sieht.
„Lass mich bitte kurz."
Tatsächlich geht sie von der Tür weg und setzt sich wieder an die Bettkante.
Jedoch lässt sie die Tür nicht aus den Augen.

Patrick versucht derweil seine Gedanken wieder in die allerletzte Ecke seines Kopfes zu verbannen.
Genau deshalb möchte er nicht darüber reden. Die Gedanken kommen mit einer gewaltigen Macht und er kann dies nicht verhindern.
Ein weiteres Mal vergräbt er seinen Kopf in seinen Händen. Patricia durchsieht ihn. Er kann ihr nichts vormachen. Nach diesem Zusammenbruch erst recht nicht.
Patrick hat sich nach 10 Minuten wieder im Griff und steht etwas wackelig auf, um die Tür wieder aufzuschließen und in das Gästezimmer zu gehen.

Sofort steht Patricia auf und geht auf ihren Bruder zu, der etwas unbeholfen ihre Umarmung erwidert.
„Ich würde jetzt gerne schlafen gehen.",sagt er leise, worauf Patricia sich zögernd von ihm löst, ihre Hände aber auf seinen Schultern ruhen lässt.
Sie möchte etwas sagen, jedoch kommt auch aus ihr kein Wort raus, weshalb sie ihn bloß eindringlich anschaut und aus dem Zimmer verschwindet. Sie hat Angst um ihn. Er kann sich alles mögliche antun und trotzdem vertraut sie ihm und lässt ihn alleine.

Gegen den VerstandWhere stories live. Discover now