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Scarlett

Drei Monate sind vergangen, seit die Trennung meiner Eltern ans Licht kam. Drei Monate die nicht schlimmer hätten sein können.

Ich habe drei Monate Tag und Nacht kein Auge zugemacht und mich gefragt, wie es weitergehen sollte.
Und drei Monate und einen Umzug später weiß ich es immer noch nicht.

Schon wieder betrachte ich meine Augenringe. Für meinen ersten Schultag muss ich mich noch mächtig ins Zeug legen, um nicht wie eine Leiche herumlaufen zu müssen.

Auch letzte Nacht lag ich schlaflos im Bett und dachte an meinen Vater.

Unsere Mutter hatte nur drei Tage später mit uns die Koffer gepackt und war gegangen. Grund für die Trennung wussten nur die beiden. Und so langsam will selbst ich es nicht mehr wissen.

Die Angst vor noch mehr Enttäuschungen ist einfach zu groß.

Wütend starre ich der Leiche in die Augen.

Ich sehe furchtbar aus und auch wenn meine Eltern Schuld daran sein sollten, gebe ich sie allein mir, der leblosen Leiche im Spiegel vor mir.

"Du bist mal wieder gut gelaunt..."
Ava sieht mich im Spiegel an.
Ich sehe sie an.

An ihren geschwollenen Augen und dem müden Gesicht sehe ich ihr an, dass auch sie nicht geschlafen hat.

Seit der Trennung hält sie sich für den Grund dafür. Warum auch immer will sie mir nicht sagen.

"Du aber auch..."
Und schon wieder fängt unser kleiner Wettkampf an.
Täglich ziehen wir uns damit auf, wem es schlimmer geht. Und auch wenn damit nicht zu spaßen ist, hilft es doch und bringt Ablenkung.

"Wie ich sehe, willst du so echt zur Schule gehen."

Ihr Aufzug macht mir Sorgen.
Für heute hat sie eine gelbe, tief liegende Hose und einen schwarzen Pullover, der ihr meiner Meinung nach viel zu lang ist, an.

"Du siehst aus wie Biene Maja höchstpersönlich..."

"Wie ich aussehe, ist mir egal. Mehr verdiene ich nicht."

Und das ist es schon wieder.
Ava nutzt jede erdenkliche Sekunde, um sich schlecht zu reden.
Etwas, was mich extrem wütend macht und zugleich meinen "Große Schwester"-Instinkt weckt.

"Man Ava! Du bist nicht Schuld... Und jetzt komm zu mir, damit ich deine Augenringe bearbeiten kann."

[~]

Eine halbe Stunde und gefühlt eine ganze Flasche Concealer später bin ich fertig und betrachte stolz mein Werk.

Avas Augenringe sind verschwunden. Sie selbst nippt gerade an dem Latte Macchiato, den unsere Mom uns heute gemacht hat.

Auch wenn es für uns einfach eine lausige Entschuldigung war, nahmen wir den Kaffee dankbar entgegen.
Seit der Trennung liest uns Mom jeden Wunsch von den Lippen ab, aber selbst sie sollte wissen, dass wir uns einfach nur unser früheres Leben zurückwünschen.

"Ava, du siehst toll aus." Ich verwerfe meine düsteren Gedanken und setze ein breites Lächeln auf.

Ava aber stellt nur ihren Kaffee beiseite, zieht Schuhe und Jacke an und lässt sich von mir umarmen.
Der düstere Blick in ihren Augen ist nicht verschwunden.

"Ich will nicht zur Schule. Ich habe nicht nur Dad verloren, sondern auch meine Freunde. Alles ist wegen mir kaputt und selbst du, musstest alles aufgeben."

Ein lautes Seufzen entwischt meinen Lippen.
"Avaaaa, ich liebe dich über alles. Ohne meine Biene Maja kann ich nicht leben und selbst wenn du der Grund bist, so haben sich doch Mom und Dad getrennt und sind selbst Schuld."

An ihrer hochgezogenen Augenbrauen sehe ich, dass sie mir nicht glaubt. Und trotzdem erscheint ein zaghaftes Lächeln in ihrem Gesicht, was mich deswegen so glücklich macht, weil ich der Grund dafür bin.

"Und jetzt komm. Der Schulbus wartet nicht und außerdem ist es nicht nur unser erster Schultag an einer neuen Schule. Sondern der erste überhaupt an einer Privatschule. Du solltest dich darüber freuen!"

Es stimmt. Unsere neue Highschool ist alles andere als normal. Mein Jahr als Senior werde ich also in einer teuren Privatschule verbringen, die sogar halb Internat ist. Zumindest habe ich gehört, dass ein großer Teil des Schulgebäudes, dass für mich eher einem Schloss ähnelt -kann aber sein, weil es einfach viel zu groß ist- , mit Schlafräumen mit Einzel-, Doppel- und Dreierzimmern ausgestattet ist.

"Ich freue mich gar nicht. Wenn Mom denkt, ich verzeihe ihr dadurch, hat sie sich hiermit geschnitten!"

"Man Avaaa..." Erneut ziehe ich ihrem Namen in die Länge, was ich nur mache, wenn sie etwas sagt, was sie lieber nicht sagen sollte. "Sie ist unsere Mutter."

"Wegen ihr gebe ich mir die Schuld."
Damit öffnet sie die Haustür unseres typisch amerikanischen Hauses und geht.

Verwirrt sehe ich ihr nach und frage mich - wie so oft in letzter Zeit-, was sie damit meint.

Sie verbirgt etwas vor mir.
Das Mädchen, das sonst keine Geheimnisse vor mir hat.
Und ich frage mich warum.

Brandon&Scarlett - All I want Where stories live. Discover now