12.

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Gedankenverloren sitze ich mit einem Croissant an der Seine. Es ist ein angenehmer, sonniger Tag und ich bin heilfroh darüber, dass die Schule sich nicht bis in unendliche Längen zieht, sodass es möglich ist noch ein wenig Vitamin D zu tanken. Mittlerweile würde ich tatsächlich behaupten, dass ich mich in Paris zuhause fühle. Ich habe meinen Lieblingscousin viel öfter bei mir, als jemals zuvor und ein paar neue Freunde gefunden.
"[Dein Name], hey!", höre ich jemanden rufen und ich wende meine Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Alya läuft auf mich zu, während sie ihr Handy fest umklammert in der rechten Hand hält und mit der anderen mir zu winkt. Ich winke zurück und grinse, denn sie sieht ziemlich erfreut darüber aus mich zu sehen.
"Was machst du hier, so ganz alleine?", fragt sie nachdem sie angekommen ist und sich direkt neben mir niederlässt.
"Ich genieße bloß ein paar Sonnenstrahlen und gönne mir einen Snack." Demonstrierend halte ich mein halbes Croissant in die Höhe. "Und du?"
"Ich bin mit Marinette verabredet und war gerade auf dem Weg zu ihr nach Hause. Aber jetzt, wo ich dich getroffen habe, kann ich dir auch noch ein paar Minuten Gesellschaft leisten."
Ich lächle sie an. "Natürlich, warum nicht."
"Geht's dir denn heute wieder besser?"
Einen Augenblick verstehe ich nicht, worauf sie hinaus will, doch dann leuchtet es mir wie ein Gedankenblitz wieder ein und ich sehe Adrien und mich im Krankenzimmer sitzen. Nur blöd, dass jetzt wohl einige Leute glauben, ich hätte wirklich was gehabt. Wobei ich mir selbst nichtmal zu hundert Prozent erklären kann, was genau mit mir los war.
Alya legt den Kopf schief und zieht ihre Augenbrauen fragend hoch. Erst da merke ich, dass ich ganz schön lange für meine Antwort brauche. Dementsprechend nicke ich endlich und erwidere: "Ja, heute ist ein neuer Tag und es geht mir durchaus gut."
"Sehr schön!"
Ich lächle sie an und schaue anschließend auf die Seine, in der sich die Sonnenstrahlen wunderschön spiegeln.
"Möchtest du Marinette und mir nicht Gesellschaft leisten?", fragt Alya unerwartet.
Ich lenke meine Sicht wieder in ihre Richtung.
Naja, wirklich toll stelle ich es mir nicht vor, als eine Art 'Plus Eins' mitzukommen. Und irgendwie kann ich mir auch vorstellen, dass Marinette mich nicht unbedingt mag. Als Adrien und ich gestern zurück in den Unterricht gegangen  sind, hat sie mich nicht besonders herzlich angesehen. Viel mehr als hätte ich sie verraten. Dabei würde ich uns nichtmal als 'gute Freunde' bezeichnen.
"Danke für die Einladung", beginne ich zu antworten, "aber ich denke ich werde gleich nach Hause gehen. Das Mittagessen wartet bestimmt schon auf mich."
Alya fängt an zu lachen. "Dabei hast du doch gerade erst gegessen?" Sie deutet auf die leere Papiertüte vom Bäcker, in der sich zuvor noch mein Croissant drin befand.
"Das ist wohl wahr", stelle ich fest und stimme in ihr Lachen mit ein.
"Naja, dann gehe ich mal weiter." Alya umarmt mich zum Abschied, ehe sie sich wieder aufrichtet und langsam weiter spaziert.

Warum mache ich mir überhaupt so einen Kopf darum, was Marinette sich wohl dabei gedacht haben könnte, als sie Adrien und mich zusammen gesehen hat?
Nachdenklich trete ich einen Kieselstein nach dem anderen vor mir weg.
Es ergibt keinen Sinn. Eigentlich kann es mir doch völlig gleich sein. Oder grüble ich deshalb darüber nach, weil Adrien so ein guter Freund von mir ist?
... Nein.
Das ist alles andere als eine plausible Erklärung.
Ich biege gerade in meine Straße ab, als ich plötzlich eine Silhouette hinter mir aus dem Augenwinkel entdecke.
Oh nein, bitte nicht wieder einer dieser schmierigen Kerle!
Ehe ich mich versehe, huscht die Silhouette vor mich und bleibt stehen. Erschrocken fahre ich leicht zusammen, doch dann realisiere ich, dass Chat Noir vor mir steht. Irritiert sehe ich nach links und rechts, dann wieder zu ihm. "Ähm ... Hallo?"
Er lächelt verschmitzt. "Guten Tag, Miss."
Miss?
"Das ist aber eine sehr förmliche Anrede."
Er verbeugt sich vor mir und hält seine Position, als er den Kopf wieder anhebt und breit grinst. "Einer Lady gerecht."
Ich kann nicht anders als darüber zu schmunzeln.
Das ist nicht sein Ernst, oder? Bestimmt will er mich auf den Arm nehmen und amüsiert sich dabei herzlichst. In seinem Gesichtsausdruck ist auf jeden Fall nichts anderes zu erkennen.
"Es scheint dir Spaß zu machen mich 'Lady' zu nennen, hm?", frage ich und verschränke die Arme vor der Brust. "Sollte das nicht eher der Spitzname für deine Co-Superheldin Lady-bug sein?"
Einen Augenblick schaut er mich an, als sei ich nicht ganz dicht. Doch ehe ich ihm erklären will, dass ich bloß einen Scherz gemacht habe, prustet er auch schon los: "Das hast du gerade nicht wirklich gesagt, oder?"
Nun ist es amtlich: Ich verstehe die Welt nicht mehr.
"Das ist genau der richtige Humor", ergänzt er und reicht mir seinen rechten Arm hin.
Was für ein schräger Typ. Erst lacht er mich aus und jetzt will er, dass ich mich bei ihm einhake oder wie?
"Darf ich dich nach Hause begleiten, [dein Name]?", fragt er.
Ich schaue erst in sein Gesicht, dann erneut auf seinen Arm.
"Ich beiße nicht."
Ich grinse und blicke wieder zu ihm auf. "Und darauf habe ich eine Garantie?"
"Für's erste, ja."
Naja, wenn ich recht überlege hätte es mich deutlich schlimmer treffen können, als dass der männliche Teil von Paris' Superhelden Duo mir anbietet, mich nach Hause zu begleiten. "Es ist aber nicht mehr weit, nur so zu deiner Information."
"Das Angebot steht trotzdem noch." Er zwinkert mir zu und deutet mit seinem Blick runter, wo sich immer noch sein Arm bereit zum Einhaken befindet.
Ich gebe nach und lege meinen Arm in seinen.
Das Material seines Kostüms fühlt sich gewöhnungsbedürftig an. Flexibel aber doch sehr eng an seinem Körper anliegend. Seine Körperwärme dringt leicht zu meiner hindurch, als wir langsam beginnen weiterzugehen.
"Du erinnerst dich also noch immer an meinen Namen?", beginne ich ein neues Gespräch.
"Selbstverständlich", lacht er leicht.
"Dabei rettest du doch in der Woche bestimmt um die 50 Frauen, wovon dir vermutlich über die Hälfte auch nochmal ihren Namen verrät?"
Er sieht mich von der Seite. "Eifersüchtig?", fragt er grinsend.
Ähm- Wie BITTE?!
Ich stoße ein ersticktes Lachen aus. "Das soll ja wohl ein schlechter Scherz sein. Das war eine reine Frage aus Neugier."
"Siiicher?"
Er kommt mir mit seinem Gesicht ein Stück näher, sodass sein blondes Haar ein wenig auf und ab wippt. Ich stupse mit meinem rechten Zeigefinger gegen seine Nase und drücke ihn somit wieder etwas von mir weg. "Ganz sicher", erwidere ich und verdrehe die Augen."
Er grinst immer noch vor sich hin. "Deine Schätzung ist auf jeden Fall nicht schlecht. Aber ich verrate dir das Geheimnis: Die Namen der besonders hübschen Frauen und Mädchen merke ich mir sofort und die vergesse ich auch nicht wieder."
Ungewollt spüre ich wie meine Wangen erröten und ich wünschte ich könnte es sofort anhalten, doch das gelingt mir leider nicht.
"Du kannst mich mit deinem Zeigefinger wegdrücken so viel du willst, dein Gesicht gerade spricht Bände", merkt er an.
Ich stoße ihn mit meinem Körper leicht nach links und kichere. "Du hältst dich wohl für ganz toll!"
Gespielt tut er erschrocken: "Bin ich das etwa nicht?"
"Ich dachte dein Angebot würde sich bloß auf das Begleiten beziehen und nicht auf irgendein überhebliches Geschwätz."
"Und trotzdem bist du immer noch hier", sagt er mit erhobenem Kinn und grinst erneut auf mich herab.
Schmunzelnd schüttle ich mit dem Kopf.
Ein Charakter, wie Chat Noir ihn besitzt, ist mir vorher auch noch nie begegnet. Würde man mir von jemandem erzählen, der sich wie er verhält, würde ich vermuten dass derjenige aufdringlich ist. Seltsamerweise empfinde ich Chat Noir aber nicht ganz so. Er hat ein ausgesprochen gesundes Selbstbewusstsein aber dennoch Charme. Und ich bin mir sicher, dass wenn er spürt, dass seine Anwesenheit nicht erwünscht ist, er einen auch in Ruhe lässt. Ich kann Gesellschaft aber gerade ganz gut vertragen, denn während Chat Noir an meiner Seite geht, grüble ich nicht mehr so viel nach wie vor seinem Erscheinen.

Angekommen an meinem Zuhause gibt er meinen Arm wieder frei. Er schaut rauf und ich sehe ihn an.
"Wohnst du eigentlich ganz oben?", fragt er.
Ich nicke. "Meine Mutter wollte unbedingt eine Wohnung mit einem kleinen Ausblick und war bereit dafür eine etwas höhere Summe zu zahlen."
Er sieht mich wieder an und fragt weiter: "Gefällt sie dir denn auch?"
Ich nicke und lächle dabei. "Hin und wieder vermisse ich natürlich noch unser altes Zuhause in [deine Heimatstadt] aber ich kann mich nicht beschweren."
"In [deine Heimatstadt] hat dich bestimmt auch noch nie so ein gut aussehender Typ nach Hause begleitet."
Ich ziehe überrascht die Augen hoch. Mag sein, dass er recht hat ... Zwar verdeckt seine Maske nicht sein ganzes Gesicht aber ich würde dennoch vermuten, dass das, was sich darunter versteckt, nicht von schlechten Eltern ist. Zumindest sind die sichtbaren Gesichtszüge ziemlich attraktiv. Trotzdem will ihm diese Genugtuung nicht geben und zucke mit den Schultern. "Wer weiß", antworte ich bloß und ziehe meinen Hausschlüssel hervor.
Er lacht in sich hinein, während er sich wie zur Begrüßung wieder vor mir verbeugt und meine Hand ergreift. Schließlich drückt er einen leichten Kuss auf meinen Handrücken und sieht mich aus seinen grünen Katzenaugen an. "Ich habe es sehr genossen dich nach Hause zu begleiten, [dein Name]." Er erhebt sich wieder, während ich mir nicht ganz sicher bin, was ich darauf antworten soll. Er hat es schmeichelhaft ausgedrückt, ohne jegliche Spur von Sarkasmus. "Und ich würde mich freuen, wenn ich das noch öfter machen darf", fügt er hinzu und lächelt mich an.
Noch immer sprachlos bin ich bloß dazu in der Lage einverständnisvoll zu nicken.
"Hab noch einen schönen restlichen Tag", verabschiedet er sich und geht ein paar Schritte zurück, bevor er nach seinem Stab greift und ihn ausfahren lässt. Innerhalb von Sekunden ist er in der Luft entschwunden und ich sehe nur noch, wie er auf einem der Dächer abspringt und weiter läuft.

Wer auffällt, ist noch kein Held | Adrien Agreste / Chat Noir X LeserWhere stories live. Discover now