1 - Unruhen im Paradies

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Ellie blickte auf die Waffe in ihren Händen hinab. Die Morgensonne spiegelte sich munter in dem frisch polierten Eisen. Der scharfe Geruch des Putzmittels stieg Ellie in die Nase und wie ein Steinschlag, der von einem winzigen Kiesel ausgelöst wird, keimten Erinnerungen in ihr auf, erschlugen, oder begruben sie beinahe unter sich. Erinnerungen an ein Leben, das nicht mehr zu existieren schien. An ein Leben aus einer anderen Zeit, einem anderen Universum.

Ellie hob langsam den Blick und schüttelte den Kopf, als versuchte sie, die unangenehmen Gedanken zu verscheuchen. Leise seufzend legte sie den Revolver neben sich auf die Steinstufen und fuhr sich durch das lange, weißblonde Haar, das im Licht der Sonne beinahe silbrig weiß erschien. Ein einzelner Sonnenstrahl kitzelte ihre Nase und sie musste einige Male blinzeln, bevor sie alles richtig erkennen konnte. Durch ihre hellen Wimpern wirkte die Welt um sie herum verschwommen, beinahe als wäre sie von einem matt-weißen Schimmer überzogen.

Tief die frische Morgenluft einatmend, erhob sich Ellie von dem Platz auf der Stiege und schlenderte mit langsamen, kurzen Schritten auf den Zaun zu, der die Anstalt wie ein Fliegennetz umspannte. Eine Krähe saß dort, die langen Krallen in den eisernen Maschen verhakt, etwa zweieinhalb Meter über dem Boden, blinzelte schläfrig auf Ellie herab und gab einen halbherzigen Schrei von sich. Der Zaun war alt und verrostet und an dutzenden Stellen hingen Hautreste und andere Körperteile an dem dunkelgrünen Maschendraht, wie die geschmackloseste Dekoration, die sich ein Mensch nur vorstellen kann. Zitternd dachte Ellie an die Tage zurück, in denen der dünne Zaun noch den einzigen Schutz gegen die Verfaulten dargestellt hatte, die knurrend und stöhnend das Lager der Auferstandenen umringt hatten.

Die Krähe ließ Ellie noch einige, wenige Schritte näherkommen, bevor sie mit einem empörten Kreischen abhob und in Richtung des nahegelegenen Waldes davonflog. Das Mädchen schaute dem Vogel ein paar Sekunden hinterher, dann schob sie die Finger durch die Maschen und presste ihr Gesicht gegen das kühle Metall.

Sie beobachtete die Wellen, die sich auf der Oberfläche des umgeleiteten Flusses kräuselten, der ungefähr fünf Meter entfernt von den hohen Zäunen entfernt an den Feldern vorbeirauschte, die die Bewohner der Anstalt dort, zwischen Zaun und Fluss angelegt hatten.

Eine Luftblase zerplatzte an der Wasseroberfläche des schwarzen Gewässers. Der künstliche Wassergraben beschützte die Auferstandenen zwar, bildete jedoch gleichzeitig eine friedlich vor sich hin plätschernde Gefahr, die die anliegenden Felder und die wenigen, notdürftig gezimmerten Ställe, die nicht im Innenhof der Anstalt, sondern näher an den Zäunen standen, überschwemmen könnte. Das Wasser stand hoch nach dem Regen der letzten Wochen. So hoch, dass die Feldarbeiter um ihre Ernte bangten. Die Ernte, die doch so vielversprechend aussah und die Ernte, die sie durch den, noch Monate entfernten Winter bringen sollte.

Ellie beobachtete mit leicht verengten Augen einen Verfaulten, der gerade taumelnd zwischen dem Geäst des Waldes auftauchte. Reisig klebte ihm wie Kletten am Rücken und bei genauerem Hinsehen konnte Ellie erkennen, dass sich einer der Zweige in seinem Auge verankert hatte, welches nun bei jedem Schritt ein Stück weiter aus der Augenhöhle gezogen wurde.

Übelkeit stieg in Ellie hoch, aber sie konnte den Blick nicht abwenden.

Der Verfaulte legte stumm den Kopf in den Nacken. Er witterte. Von einem schier unstillbaren Blutdurst geleitet, wankte er zielsicher auf das Ufer des Wassergrabens zu.

Einer der Arbeiter hatte ihn wohl auch gesehen, denn dieser hatte sich kurzerhand einen Rechen gepackt und klopfte mit diesem wild auf den Zaun. Der Verfaulte hob den Kopf und wollte sich dem verräterischen Geräusch nähern, da knickte sein linker Fuß nach unten weg. Das Wesen stolperte schwerfällig vornüber, ruderte träge mit den Armen und landete dann mit einem lauten Klatsch im Wasser. Die Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen und verschlangen den Verfaulten mit einem letzten, erstickten Gurgeln. Noch ein letztes Mal durchbrach seine modernde Hand die Wasseroberfläche, bevor er von der Strömung fortgerissen wurde. Das Monster würde bald etwas weiter flussabwärts von einem der eifrigen Sicherheitstrupps entdeckt, und mit einer der großen Lanzen, die eigens für diesen Zweck gezimmert worden waren, erledigt werden.

SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead FanfictionWhere stories live. Discover now