16 - Feind meines Feindes

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„Weitergehen."

Owen warf Elijah einen kritischen, fast ein bisschen besorgten Seitenblick zu, als sein bester Freund und Anführer die schmale, dunkelblonde Frau vor sich ein bisschen zu grob mit der Mündung seines Revolvers nach vorne drückte. Beinahe wäre sie auf dem glitschigen Boden ausgerutscht, ihre hohen Schuhe waren wohl nicht für das Waten durch unterirdische Kanalisationen geschaffen worden. Sie blieb stumm, ja zuckte nicht einmal zusammen, senkte lediglich den Kopf und richtete den Blick ihrer verbundenen Augen auf den Boden, so als hätte sie sich mit ihrem Schicksal bereits abgefunden, als sähe sie nicht den Sinn dahinter, sich noch weiter dagegen zu wehren.

Auch die anderen drei Frauen schwiegen, gaben keinen noch so kleinen Laut von sich, flehten Owen und Elijah nicht an, sie einfach freizulassen. Obwohl es dem Arzt merkwürdig erschien, dass sie nicht einmal nach Hilfe gerufen hatten, als er und Elijah mit erhobenen Waffen ans Tageslicht geklettert waren, war er doch in gewissem Maße dankbar dafür. Die Schuldgefühle, die ihn aufgrund dieser skrupellosen Tat wohl noch viele Monate plagen würden, waren bereits unerträglich und er glaubte nicht, dass er es lange ausgehalten hätte, den Bösen zu mimen, wenn sie sich aktiv gewehrt hätten. Auf der anderen Seite ließ die Stille ihn allerdings auch misstrauisch werden und er fragte sich, ob es Negan gelungen war, selbst diesen vollkommen spontanen Schritt von der Seite der Auferstandenen irgendwie vorauszusehen.

Es hatte nicht einmal fünf Minuten gedauert, die vier Ehefrauen des Anführers der Erlöser zu überwältigen und sie in den Kanalschacht hinab zu schleppen. Sie hatten so wenig Widerstand geleistet, dass es Owen beinahe so vorkam, als käme ihnen die Ankunft der Auferstandenen in irgendeiner verdrehten Form gelegen, so als wären sie freiwillig mit ihnen gekommen. Natürlich waren diese Gedanken nur ein Mittel um sein krakeelendes Gewissen zu beruhigen.

„Wir müssen das tun.", hatte Elijah nur knapp gesagt, während er der schwarzhaarigen Frau als erster die Augen verbunden hatte. „Euer Göttergatte hat meine... unsere Schwester." Danach hatte er kein Wort mehr gesprochen. Owen hatte Elijah einen langen Blick zugeworfen, wusste aber im selben Moment, dass sein bester Freund die fremden Frauen nicht angelogen hatte. Ellie war ihm tatsächlich stets wie die Schwester vorgekommen, die er nie gehabt hatte. Ein Gefühl, dass allerdings auch nach vielen langen Jahren der Freundschaft nicht auf Elijah zutreffen wollte.

„Hey, Owen!"

Der junge Armeearzt war so stark zusammengezuckt, dass er beinahe das Fläschchen in seinen Händen fallen gelassen hätte. Hektisch wirbelte er zu seinem Patienten herum. Nichts hätte ihn auf den Blick vorbereiten können, der ihn in diesem Moment traf. Owen hatte Hass erwartet. Eine Mischung aus Missgunst, Verachtung und herablassender Überlegenheit. Doch stattdessen sprach aus Elijahs hellbraunen Augen nichts als ehrliche Neugier, was seinen Gegenüber beinahe noch mehr beunruhigte.

Der Ausdruck in Elijahs Gesicht verschwand so schnell wie er gekommen war und an seine Stelle trat eine schmerzverzerrte Grimasse.

„Das mit den Schmerzmitteln war ein verfickter Scherz, Owen."

Der Angesprochene drehte seinem Patienten wieder den Rücken zu. Er redete sich selbst ein, dass er es nur tat, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen, doch es kam ihm auch gelegen, dass Hunt so seinen enttäuschten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Es war ihm nicht entgangen, dass er ihn bei seinem Vornamen genannt hatte, entschied sich aber dafür, nicht weiter darauf einzugehen. Stattdessen gab er Hunt eine Handvoll Schmerztabletten, ohne ihn dabei anzusehen.

„Owen Owens...", las Elijah an Owens Uniform und rümpfte die Nase. „Deine Eltern hatten dich wohl nicht besonders gern, oder?"

Owen gefror und noch im selben Augenblick bereute Elijah seine unbedachten Worte. Der junge Arzt schluckte und versuchte das unangenehme Ziehen in seiner Magengrube zu ignorieren. Er schimpfte sich selbst dafür, dass er Elijah nicht einfach einem anderen Arzt übergeben hatte. Doch das war genau das, was er jetzt tun würde.

SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead FanfictionWhere stories live. Discover now