Kapitel 30 - Ein Sattel für Blitz

22 2 0
                                    


„Was soll das heißen, du bist noch nie geflogen? Wieso ha ..." Eine Hand, die sich augenblicklich fest auf Daraels Mund presste, schnitt ihm das Wort ab.
Ike, der von seinem Platz auf der Bank ihm gegenüber aufgesprungen war, funkelte Darael warnend an. „Sscht", machte er und ließ dann seinen Blick hektisch durch den Schankraum schweifen.
Für gewöhnlich war das Gasthaus im Hafen ein sehr belebter Ort. Abends fanden sich hier stets Hafenarbeiter, Seemänner und Händler zu einem Umtrunk oder einer unterhaltsamen Geschichte ein. Dann besetzten sie sämtliche Plätze an den Tischen und die Hocker vor der langen Theke. Doch jetzt in den frühen Morgenstunden war der große Raum so gut wie leer gefegt. Lediglich zwei Burschen, die in der hintersten Ecke vermutlich ihren Rausch vom letzten Abend ausschliefen, einige ältere Männer, die ihr Frühstück einnahmen sowie der Wirt hinter seinem Tresen hatten sich gegenwärtig eingefunden. Allerdings schenkte keiner von ihnen den beiden Jungs ihre Aufmerksamkeit.
Beruhigt atmete Ike aus, zog seine Hand zurück und setzte sich wieder. Dennoch zischte er: „Nicht so laut! Oder willst du uns unbedingt in Yantas Küche bringen?"
Darael hob beschwichtigend die Hände. „Is' ja gut, entspann dich. Das ist mir nur so rausgerutscht." Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen verschränkte er die Arme, legte sie auf der Holzplatte ab und beugte sich zu Ike vor. „Jetzt aber mal ganz ehrlich", raunte Darael. „Was bringt es dir, einen Drachen zu haben, wenn du nicht auf ihm fliegst? Ich meine, Blitz würde dich doch mit Sicherheit auf ihm reiten lassen, oder?"
Ike antwortete nicht sofort, sondern stocherte missmutig in seinem Spiegelei herum, welches sich kaum schneiden ließ. Frustriert stieß er schließlich die Luft aus und legte das Messer ab.
„Das ist leichter gesagt, als getan", murmelte er, verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust und lehnte sich auf der Bank zurück. Dabei wich er Daraels Blick aus und starrte stattdessen finster den Teller mit seinem widerspenstigen Frühstück darauf an.
„Die Schuppen eines Skrills sind härter als Stein", erklärte Ike. „Und scharfkantig noch dazu. Ich würde mir die Haut von den Beinen reiben, wenn ich ohne Sattel auf ihm reite. Auch bin ich mir ziemlich sicher, dass es hier nirgendwo einen Sitz in Drachengröße gibt. Weißt du noch, wie schwierig es für Eorlmund war, einen Sattel nur für ein Pferd aufzutreiben?"
Darael nickte und ließ sich dann mit dem Rücken gegen die Lehne fallen, den Kopf in den Nacken gelegt. Ike kannte diese Position zur Genüge. Sie bedeutete, dass sein Freund angestrengt nachdachte.
Eine Weile herrschte Stille.
Urplötzlich fragte Darael: „Ist das alles?"
Ike blinzelte verwundert. „Äh ... ja. Und das ist ein ziemliches Problem. Wir reden hier schließlich nicht nur von den Schuppen. Blitz ist ein Skrill, schon vergessen? Er hat die Fähigkeit, Blitze einzufangen und beherrscht sie. Ich röste mir meinen Hintern, wenn ich auf ihm sitze und er mit einem Mal beschließt, einen Blitzstrahl abzufeuern."
Wieder legte Darael den Kopf in den Nacken. „Tja", murmelte er und tippte sich grüblerisch mit dem Zeigefinger auf sein Kinn. Doch schließlich hellte sich seine Miene auf. „Eigentlich sollte das kein allzu großes Problem sein. Wir müssen einfach nur verschiedene Materialien ausprobieren, um herauszufinden, welche sich eignen. Um den Sattel kann ich mich dann kümmern. Kein Ding."
Mit einem zufriedenen Grinsen wandte Darael sich wieder seinem Frühstück zu. Offenbar war für ihn mit diesen Worten das Thema vom Tisch.
Ike hingegen war sich nicht sicher, ob er seinen Freund gerade richtig verstanden hatte. „Du ... du kannst Sättel fertigen?", fragte er ungläubig.
„Na ja", druckste Darael herum und schob sich die mit Ei und gebratenen Pilzen beladene Gabel in den Mund, ehe er kauend antwortete: „Nicht so wirklich. Aber ich kann mit Leder und Stoffen umgehen." Während er den Bissen hinunterschluckte, fiel ein Schatten über sein Gesicht. „Vater ... hat es mir beigebracht. Er dachte, es könnte mir irgendwann einmal von Nutzen sein, so etwas zu wissen."
Erneut legte sich Stille über die beiden Jungs. Ike fühlte sich ein wenig unwohl und begann, an seiner Unterlippe zu nagen. Doch dann wischte Darael alle dunklen Gedanken beiseite und sprang auf. „Komm, lass uns gehen! Die Gerberei müsste schon geöffnet haben."
Ike nickte, schob seinen Teller von sich und erhob sich ebenfalls.
„Halt, warte!", entfuhr es Darael und deutete auf Ikes kaum angerührtes Frühstück. „Willst du das nicht aufessen?"
Ike blickte auf den Teller hinab und verzog das Gesicht. „Mit diesem Spiegelei könnte man die Löcher in einem Segel stopfen, aber ganz gewiss kann man es nicht essen." Angewidert streckte er die Zunge heraus.
„Hey!", kam es protestierend vom Wirt. Anscheinend hatte er den letzten Teil ihres Gesprächs mitbekommen und beugte sich nun über seinen Tresen und hob drohend die Faust.
„'Tschuldigung!", riefen Ike und Darael gleichzeitig und sahen zu, dass sie den Schankraum schleunigst verließen. Geräuschvoll schlug die Tür hinter den beiden ins Schloss, als sie auf die Straße stolperten.
Verärgert schaute der Wirt ihnen nach, schüttelte den Kopf und brummelte: „Nervtötende Bälger."

Grundsätzlich war die Gerberei von Weißfels ein Ort, den alle Bewohner der Stadt zu meiden versuchten, sofern sie nicht dazu gezwungen wurden, ihn aufsuchen zu müssen. Wie zum Beispiel die Männer, die dort arbeiteten. Der Gestank von gegerbten Fellen und verarbeitetem Leder war dermaßen stark und intensiv, dass selbst die hartgesottensten Krieger nach nur wenigen Minuten die Flucht ergriffen.
Schon als Ike und Darael dem Gebäude, welches extra abseits der Stadt errichtet worden war, näher kamen, schlug ihnen der beißende Aasgeruch entgegen. Automatisch hoben sie ihre Arme, pressten die Nasen in den Tunikastoff und unterdrückten den Reiz, ihren Mageninhalt hoch zu würgen.
„Wenn es doch nur irgendetwas gegen diesen üblen Gestank gäbe", jammerte Ike und kämpfte mit der Übelkeit. In seinen roten Augen sammelten sich Tränen und sein Gesicht nahm langsam eine leicht grünliche Färbung an.
Darael erging es nicht besser. „Ja, so eine Art Lufterfrischer wäre echt toll", gab er zurück.
Vor der Werkstatt befand sich ein kleiner Verkaufsbereich. Kaum hatten die beiden Jungs diesen betreten, schlug ihnen erneut eine Welle des widerlichen Gestanks entgegen. Hustend und würgend blieben sie stehen, doch dann rissen sie sich zusammen, schluckten die Galle hinunter und gingen raschen Schrittes auf den Ladentisch zu.
Dahinter stand ein hagerer Mann mittleren Alters mit einem pockennarbigen Gesicht und lichten, schwarzen Haaren. Während er in der Hand ein Buch hielt, in dem er gelangweilt las, stützte er einen behaarten Ellbogen auf der Theke ab. Weder Ike noch Darael würdigte er eines Blickes.
Darael räusperte sich verlegen. „Wir", brachte er hervor, „wollen Leder kaufen."
„Hmm ... Warum sonst wärt ihr wohl hier", brummte der Mann und machte sich nicht einmal die Mühe aufzublicken, als er monoton weitersprach: „Welche Sorte soll's denn sein? Schwein, Yak, Hirsch, Drache? Könnt ihr das überhaupt bezahlen?"
Ike und Darael sahen sich an. In stummer Übereinkunft entschieden sie, dass Drachenleder auf keinen Fall in Frage kam. Allein die Vorstellung, Blitz einen Sattel und ein Geschirr aus der Haut seiner Artgenossen überzuziehen, war barbarisch.
„Ich habe etwas Gold", sagte Ike und griff an seinen Gürtel, an dem der kleine Geldbeutel hing. „Aber bestimmt reicht das nicht für Drachenleder. Aber wir hätten gern von jeder weiteren Sorte ein paar Streifen."
Er löste den Beutel und ließ die Münzen in seinem Inneren klimpern. Dabei versuchte er, interessiert und gleichzeitig so unschuldig wie möglich auszusehen.
Endlich drehte sich der hagere Mann zu ihnen um. Gierig beäugte er den kleinen ledernen Sack in Ikes Hand. „Wart' mal ne Sekunde", meinte er, legte das Buch beiseite und stapfte nach hinten in die angrenzende Werkstatt.
Natürlich ließ er die Jungs länger als eine Sekunde warten, doch noch bevor Ike und Darael durch den bestialischen Gestank in Ohnmacht fallen konnten, kehrte der Mann mit einem Beutel in der Hand wieder zurück.
„Hier", sagte er und legte das Bündel auf dem Tresen ab. „Ham' wa' noch aus'm Lager zusammengekratzt. Is' zu klein, um es zu verarbeiten un' wir hätten es sonst nur weggeschmissen. Dafür sollte dein bisschen Gold reichen."
Ohne groß darüber nachzudenken öffnete Ike seinen Geldbeutel und begann, die Münzen herauszuschütteln. Sogleich schoss ihm eine nach oben weisende Handfläche entgegen, um das Gold in Empfang zu nehmen, und Ike war durchaus gewillt, den Mann zu bezahlen, doch sein Freund packte ihn plötzlich am Handgelenk.
„Moment mal!" Darael sah den Mann auf der gegenüberliegenden Seite des Tresens empört an. „Heißt das, sie verkaufen uns hier ihre Abfälle?"
„Äh ... jau. Hab' ich das nich' gerade gesagt?"
„Wir sollen also unser hart erarbeitetes Gold hergeben, damit sie ihren Müll loswerden?" Daraels grüne Augen funkelten. „Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie hier eine Dienstleistung von uns erhalten? Sollten Sie nicht eher uns dafür bezahlen, weil wir Ihnen die Arbeit abnehmen?"
Der Mann blinzelte. „Äh ... Dienst-was?"
Auch Ike sah seinen Freund verwirrt an, war aber so schlau, den Mund zu halten.
Darael fuhr im geschäftsmäßigen Tonfall fort: „Und überhaupt ... wo bleibt die Garantie, dass die von Ihnen verkaufte Ware auch die für uns nötige Qualität besitzt? Sie könnten uns hier auch den größten Ramsch verkaufen und wir stehen dann nachher als die Blöden da. Könnten Sie das mit Ihrer Ehre als anständiger Handwerker und Verkäufer vereinbaren?"
Nun war der Mann vollends verunsichert. „Tja", stammelte er. „Also, wenn du das so sagst ..."
Darael verkniff sich ein Grinsen. „Also hören Sie zu. Ich mache Ihnen ein Angebot. Sie bezahlen uns jeweils zwei Goldstücke pro Person und wir nehmen Ihnen dafür die Probleme, die dieser Abfall mit sich bringt, ab. Dann ersparen Sie sich die Abfallsteuer von sieben Goldstücken und gleichzeitig die Kosten für die weitere Unterhaltung des Mülls. Summa Summarum würde sich das auf 14 Goldstücke belaufen." Selbstsicher streckte er dem Mann die Hand entgegen. „Wie schaut's aus? Schlagen Sie ein?"

Ike war sich noch immer nicht ganz sicher, ob er das, was soeben in der Gerberei geschehen war, vielleicht nur geträumt hatte. Doch das Gewicht der beiden Goldmünzen in seiner Hand überzeugte ihn vom Gegenteil.
Neben ihm lief Darael, der ihn verschmitzt von der Seite ansah. Sie hatten die Stadt vor wenigen Minuten hinter sich gelassen und spazierten jetzt Richtung Leuchtturm.
„Wenn deine Augen weiter auf dem Gold kleben, dann landest du gleich auf deiner Nase", mahnte Darael.
Ike riss den Blick von den Münzen los und steckte sie hastig zu den anderen in seinen Geldbeutel. Währenddessen begann Darael zufrieden ein Lied zu pfeifen und ließ das Bündel mit den Lederstreifen durch die Luft kreisen.
Am Leuchtturm empfing Blitz die beiden Jungs voller Freude und rannte Ike dabei beinahe um. Darael, der dem bis jetzt friedliebenden Treiben des Skrills weiterhin wenig Vertrauen schenkte, hielt sich im Hintergrund.
Nachdem Ike und der Drache ihre Liebkosungen nach einer gefühlten halben Ewigkeit schließlich hinter sich gebracht hatten, ließ er den Sack fallen und verteilte die verschiedenen Lederstreifen auf dem steinigen Boden. Argwöhnisch näherte sich der Skrill und beschnüffelte jedes einzelne der Stücke.
Ike lachte. „Sie werden dich nicht anspringen, Blitz", sagte er und kraulte dem Drachen beruhigend die Schuppen am Hals. Dann half er Darael, die Streifen zu sortieren.
„Also", begann Darael und deutete auf die Lederhäufchen. „Wir haben hier Wildschwein, Yak, Hirsch, Reh, Rind, Wolf, Ziege und Schaf. Irgendeine dieser Sorten wird sich schon als die richtige für den Sattel entpuppen." Er wies mit einem Kopfnicken auf den Drachen, der ihr Treiben misstrauisch aber dennoch neugierig beobachtete. „Warum legst du deinem Freund nicht mal ein Stück Schafsleder um den Hals und wir schauen zu, was passiert?"
Darael reichte Ike einen Streifen Tierhaut, welches sich glatt und butterweich anfühlte. Vorsichtig legte dieser das Leder zwischen den Rückenstacheln genau in Blitz' Nackenkuhle. Der Skrill schnaubte, doch er vertraute darauf, dass sein Mensch niemals etwas tun würde, was ihm schadete.
Angespannt ließ Ike den Atem entweichen. „Okay, Kleiner. Schieß einen Blitzstrahl ab! Und zwar ..." – suchend sah er sich um und zeigte dann auf eine Stelle einige Meter entfernt von ihnen – „... auf den Felsen dort hinten!"
Augenblicklich gehorchte der Drache, drehte sich zu seinem Ziel um, öffnete das Maul und entlud einen blauen, gleißenden Lichtstrahl. Dabei knisterten und tanzten kleine Funken über seinen gesamten Körper. Fast schien es, als zog er die Energie für den Schuss aus jeder einzelnen Schuppe und Faser seines Leibes. Um nicht geblendet zu werden, drehten Ike und Darael sich bei dem plötzlichen, grellen Licht reflexartig weg.
Der Felsen überstand die Feuerattacke fast unbeschadet. Lediglich seine Oberfläche wies nun einen schwarzen und verkohlten Fleck auf. Jedoch richtete sich der Blick der beiden Jungs mehr auf den Skrill, der die zwei ebenfalls erwartungsvoll ansah.
„Und?", fragte Darael. „Hat der Streifen überlebt?"
Ike kniff die Augen zusammen. Das Stück Leder auf Blitz' Nacken war verschwunden und kurz darauf schwebte der verbrannte und klägliche Rest genau vor seinem Gesicht zu Boden. Er streckte die Hand aus, um ihn aufzufangen, aber kaum berührte der versengte Streifen seine Finger, zerfiel er zu Asche.
Jegliche Farbe wich aus Ikes Gesicht und er schluckte hart, als er sich vorstellte, was mit ihm geschah, wenn der Sattel aus Schafsleder bestünde.
„Nee", kam es von Darael, dessen Stimme sich ganz kratzig anhörte, „war ein Fehlschlag. Schade, aber das ist nicht schlimm. Immerhin haben wir noch ein paar Versuche. Machen wir mit Yak-Leder weiter."
Voller Zuversicht probierten sie eine Ledersorte nach der anderen aus, jedoch bestand keine den „Blitz-Test", wie Darael ihr Vorhaben mittlerweile ironisch nannte.
Nachdem auch das Wolfsleder in Flammen aufgegangen war und die beiden einem panischen Skrill hinterherjagen mussten, um ihn von dem brennenden Streifen zu befreien, ließen sie sich völlig erschöpft und entmutigt auf einem größeren Stein nieder.
„Tja, das war dann wohl nix", seufzte Darael. „Wir haben alles versucht und sind genauso schlau wie vorher." Er zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, vielleicht ist dein Drache wirklich nicht dafür gemacht, dass man auf ihm reitet."
Indessen starrte Ike unverwandt den Felsen an, der als Zielscheibe für Blitz' Angriffe hergehalten hatte.
„Wir bräuchten ein Material, das hohen Temperaturen standhalten kann", murmelte er gedankenversunken.
„Was?", fragte Darael irritiert.
„Schau dir den Stein an. Die erste Attacke hat ihn lediglich verkohlt, so als hätte ein Drache mit Feuer auf ihn gespuckt. Das wiederum würde bedeuten, dass Blitze sehr heiß sind, richtig?"
„Worauf willst du hinaus?"
„Wir sind das Ganze völlig falsch angegangen, Darael. Komm mit, ich habe eine Idee." Aufgeregt sprang Ike von seinem Platz. Er griff nach Daraels Handgelenk, zerrte ihn hoch und gleich darauf hinter sich her. Über seine Schulter rief er: „Du wartest hier, Blitz! Wir sind bald zurück!"
Während Darael halbherzig protestierte, sah der Skrill ihnen mit schräg gelegtem Kopf nach.

„Ihr möchtet was?"
Ein wenig verwundert über die Frage von Ike ließ Eorlmund seinen Schmiedehammer sinken und schob das glühende Stück Metall zurück in den Brennofen. Erst dann wandte er sich den beiden Jungs zu, die im Türrahmen zu seiner Werkstatt standen.
„Wir möchten wissen, aus welchem Stoff deine Handschuhe und deine Schürze sind", wiederholte Ike seine Frage und deutete auf Eorlmunds Kleidung. „Du arbeitest doch mit glühendem Metall und das ist doch sehr heiß. Wie schützt du dich davor?"
Der Schmied schaute an sich herab, dann zog er einen seiner Lederhandschuhe aus und warf ihn Ike zu.
„Das sind Lederhandschuhe, die ich mir von der Gerberei anfertigen lasse", erklärte er. „Früher verwendeten sie Drachenleder, doch inzwischen ist der Preis dafür zu hoch. Die hier sind aus Yak-Leder."
Stirnrunzelnd betastete Ike den Handschuh.
„Das haben wir schon versucht", raunte Darael in sein Ohr.
Ike verzog nachdenklich das Gesicht. „Ist das alles?", hakte er nach.
Verneinend schüttelte Eorlmund den Kopf. „Normales Yak-Leder würde verbrennen. Die Temperaturen sind einfach zu hoch. Deswegen wird der Stoff für die Handschuhe mit speziellem Drachenharz veredelt. Dadurch werden sie hitzebeständig."
Die zwei Jungs warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Vielen Dank", sagte Ike und reichte Eorlmund den Handschuh zurück. „Mehr wollten wir nicht wissen."
Eorlmund winkte schmunzelnd ab. „Kein Problem." Als Ike und Darael sich umdrehten und auf die Straße hinausliefen, rief er ihnen nach: „Ihr könnt jederzeit wiederkommen, wenn ihr noch Fragen habt!"
Aber die beiden hörten ihn schon gar nicht mehr und verschwanden im Getümmel.
Amüsiert den Kopf schüttelnd, wandte der Schmied sich abermals seiner Arbeit zu und murmelte: „Kinder. Immer so energiegeladen."

Wie schon bei ihrem ersten Besuch in der Gerberei war es für Darael ein Leichtes gewesen, den hageren Mann am Verkaufstresen so lange mit gewichtig klingenden Worten zu verwirren, bis dieser ihnen mehrere Schichten mit Drachenharz veredeltes Yak-Leder kostenlos überließ. Er hatte es sogar geschafft, dem Verkäufer zusätzlich spezielles Garn sowie eine kleine Karre aus den Rippen zu leiern, mit der sie die Lederstücke nun zum Leuchtturm transportierten.
Ike lief neben seinem Freund her und musterte dessen vergnügt wirkendes Gesicht. Er fragte sich, von wem Darael dieses Verhandlungsgeschick wohl gelernt hatte und kam zu dem Schluss, dass er ihn sich als Geschäftsmann wirklich gut vorstellen konnte. Auch erschien es ihm einfach als die bessere Zukunftsperspektive für seinen Freund.
Darael bekam Ikes eingehenden Blick durchaus mit, ging aber nicht weiter darauf ein. Doch er ahnte den Grund und sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
Nachdem sie am Leuchtturm angekommen waren, zog Darael sich sogleich in das Innere des halb verfallenen Gebäudes zurück, um – wie er meinte – in Ruhe arbeiten zu können.
Da Ike nicht wusste, wie er seinem Freund dabei hätte helfen können und befürchtete, ihm sowieso nur im Weg zu sein, ging er kurzerhand zu Blitz hinüber. Der Skrill stand an einem Bachlauf und stillte seinen Durst. Ike setzte sich zu ihm. Durch das viele Hin und Her Gerenne fühlte er sich erschöpft. Außerdem brannten seine Füße ganz fürchterlich. Oder sollten seine Stiefel tatsächlich schon wieder zu klein geworden sein?
Schnell streifte er das Schuhwerk ab und streckte die Beine ins kühle Wasser. Blitz ließ sich derweil hinter ihm nieder. Seufzend lehnte Ike sich an die warme Flanke des Drachen und beäugte kritisch die Schuhsohlen, die eigentlich noch recht passend aussahen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und legte die Stiefel beiseite.
„Was für ein Tag", murmelte er. Ein Gähnen unterdrückend schloss er müde die Augen.
Es dauerte auch nicht lange, bis Ike eingeschlafen war.
Leise brummend hob der Skrill seinen Flügel und deckte damit seinen Menschen vorsichtig zu.


Drachenzähmen leicht gemacht - Die Schwarzflügel-ChronikenWhere stories live. Discover now