Kapitel 5

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Ich hatte es mir am Rande des verbotenen Waldes gemütlich gemacht. Ein Baum diente mir als Rückenlehne, während auf meinen Beinen mein Walkman lag. Irgendwie musste ich dem Ding doch wieder leben einhauchen können. Schon alleine damit ich nicht mehr Parkinsons Gerede hören musste. Heute Abend würde sie wahrscheinlich auf Seidenschnabel herumhacken. Der arme Hippogreif hatte wirklich nichts falsch gemacht. Nur Malfoy war zu blöd gewesen. Er hätte ihn niemals so beleidigen dürfen.
Ich sah zu dem silbergrauen Tier herüber, welches bei seinen Artgenossen stand. Stolz und wunderschön mit hocherhobenen Kopf. Offensichtlich hatte das Tier kein schlechtes Gewissen auf Grund Malfoys Verletzung. Richtig so. Brauchte er auch nicht zu haben. Allerdings würde Draco wohl dafür sorgen, dass es Seidenschnabel noch bereuen würde.
„Da bist du ja, Rona! Ich suche dich schon die ganze Zeit." Ich sah in die Richtung, aus der Adina kam. Meine Klassenkameradin kam auf mich zugelaufen. Jamie wurde von ihr hinterhergeschliffen. Daphne Greengras lief den beiden nach.
„Jetzt hast du mich gefunden." Und meine Ruhe war fort. Dabei hatten wir uns so gut verstanden.
„Wann hast du dich aus dem Gemeinschaftsraum geschlichen?" Adina war bei mir angekommen. Sie sah auf mich herab.
„Willst du dich nicht setzen?" Jamie hatte sich schon längst von der Wassernymphe befreit und es sich neben mir gemütlich gemacht.
„Weißt du eigentlich, wie dreckig die Kleidung wird, wenn man auf dem Boden sitzt?" Ich zog eine Augenbraue hoch. Natürlich wusste ich es. Ich hatte oft genug Ärger bekommen, weil ich mal wieder schmutzig in ein Kinderheim oder zu einer Pflegefamilie gekommen war.
„Die Erde kann man wieder raus waschen. Kein Ding. Und lasst mich raten. Ihr musstet noch nie waschen. Ihr lasst auch noch waschen. Also stellt euch nicht so an. Reicht schon, dass Malfoy wegen eines Kratzers heult. Jetzt fangt nicht auch noch wegen ein bisschen Erde an."
„Kratzer? Du nennst Dracos Wunde einen Kratzer? Das Biest hätte ihn fast umgebracht!" Ich verdrehte die Augen.
„Es hätte Stunden gebraucht, bis er an dieser Wunde verblutet wäre. Es war ein Kratzer. Mit Sicherheit tief und schmerzhaft, aber man kann ihn mit ein paar Stichen nähen. Dann ein Verband drum und fertig." Ich wurde verständnislos angesehen. Offensichtlich schienen sie mit meinem Vorschlag nicht gerade einverstanden zu sein.
„Draco ist kein Hemd, was man nähen kann." Daphne sah mich abfällig an.
„Tut mir leid, ich habe vergessen. Magische Welt. Ihr wedelt kurz mit einem Stock in der Hand und spart euch das Desinfizieren und Nähen. Ihr verpasst etwas." Jamie neben mir gluckste leise. Er hatte sich mittlerweile meinen nutzlosen Walkman geschnappt und schien nicht an dem Gespräch zwischen den Mädchen und mir teilnehmen zu wollen.
„Willst du etwas beitragen – wie auch immer du heißt?" Greengras sah verächtlich zu dem anderen Waisenkind, welches mittlerweile die Batterieklappe geöffnet hatte.
„Kakerlake", wurde neben mir geflüstert und die Frage blieb unbeantwortet.
Adina hatte mittlerweile beschlossen, sie könnte es wagen, ihren Rock dreckig zu machen. Sie saß nun auf meiner anderen Seite. Neugierde war ihn ihren Augen abzulesen.
„Was ist mit Kakerlaken?" Daphne fing an, laut zu quietschen. Sie trat dabei blitzschnell von einem Fuß auf den anderen.
„Sie krabbelt gerade an deinem Bein hoch." Noch lauteres Quietschen. Jamie zwinkerte mir breit grinsend zu. Adina ignorierte ihre Freundin. Anscheinend war ihr klar, dass nicht wirklich eine Kakerlake an dem anderen Mädchen hoch krabbelte.
„Ist Kakerlake ein Codewort?"
„Es geht jedenfalls nicht um das Krabbeltierchen." Die Wassernymphe musterte mich noch einmal kurz, bevor sie leise seufzte.
„Du sagst mir nicht, was es bedeutet. Das ist eine Sache zwischen dir und – Parsons, richtig?" Ich fragte mich, worauf sich das richtig nun bezog. Darauf, dass es eine Sache zwischen mir und Jay Jay war, die wir ihr nicht erzählen würden, jedenfalls jetzt noch nicht oder darauf, dass er Parsons mit Nachnahme hieß. Doch eigentlich war es egal, denn beide Fragen mussten gleich beantwortet werden.
„Richtig." Die Blondine seufzte leise.
„Du hast etwas im Zimmer vergessen." Mir wurde Ares in den Schoß gelegt. Der Blick, der anderen Nymphe glitt kurz zu der Slytherin, die noch immer nach einer nicht existierenden Kakerlake trat, dann wieder zu uns.
„Er vermisst dich anscheinend. Jedenfalls ist er voll ausgetickt. Du solltest vielleicht mit ihm reden. Warum trägst die ihn überhaupt nicht? Du kannst als Nymphe doch nicht einfach das Medaillon abnehmen!" Der jungen Malfoy wollte ich am Allerwenigsten von meinen Problemen mit Ares und das Auslassen von wichtigen Informationen erzählen. Also musste ich sie wohl ablenken.
„Weiß deine Freundin nichts von deinen Kräften oder warum achtest du darauf, dass sie noch immer so tut, als würde eine Kakerlake sie ermorden wollen?" Die Wassernymphe sprang sofort auf meinen Ablenkungsversuch an. Ihr Blick glitt wieder zu dem schreienden Mädchen.
„Sie weiß über mich Bescheid. Meine Adoptiveltern haben nicht versucht meine Fähigkeiten in irgendeiner Art zu verheimlichen. Es ist wahrscheinlich eigentlich allen Leuten in Hogwarts bekannt. Nur glauben die meisten nicht an Nymphen, also interessiert es niemanden. Deine Fähigkeiten allerdings, sind bisher nur wenigen Leuten bekannt, mir, deiner Zwillingsschwester, deiner Cousine, deinem Onkel, Parsons und vermutlich Dumbledore. Du musst entscheiden, ob du es offiziell machen willst oder nicht. Woher weiß Parsons überhaupt Bescheid?" Ich sah zu dem Jungen neben mir. Die bessere Frage war, woher wusste Adina, dass Jamie Bescheid wusste.
„Adina kam mit deinem Medaillon in die Bibliothek gestürmt. Da habe ich gesagt, dass du Ares absichtlich im Zimmer gelassen hast." Jamie wandte sich an die Wassernymphe.
„Und ich habe von Ares erfahren, als ich neun war. Damals hatten Ro und ich uns gerade kennengelernt. Ich hatte sie als Hexe erkannt und habe sie darauf angesprochen. Daraufhin meinte sie, dass sie nicht nur eine Hexe ist, sondern auch Ares Nymphe. Ich dachte, sie würde sich über mich lustig machen. Als dann der Hogwartsbrief ausblieb, bin ich davon ausgegangen, ich hätte mich geirrt. Zweifel daran bekam ich wieder, als ich dann erfahren habe, du sollst angeblich auch eine Nymphe sein, Malfoy. Dann ist Ro im Hogwartsexpress aufgetaucht, da hat sich das mit der Hexe als wahr rausgestellt, also bin ich davon ausgegangen, dass die zweite Sache ebenfalls wahr ist. Und ich hatte recht." Er grinste mich schief an.
„Du bist ein Genie. Das wolltest du doch hören, oder?" Zufriedenes Nicken war die Antwort. Greengras hatte mittlerweile aufgehört zu schreien. Stattdessen sah sie entsetzt auf Adina herab.
„Dein Rock ist jetzt mit Sicherheit matschig und nass." „Ich kann mich vor dem Essen noch umziehen. Die Hauselfen werden den Rock waschen. Ist doch alles kein Problem." Das Entsetzen in Daphnes Gesicht wurde noch ein wenig ausgeprägter.
„Guckst du dir jetzt die schlechten Manieren der – der Gossenkinder ab?" „Nur ich bin ein Gossenkind. Jamie hat es nur bis zum Waisenkind gebracht." Mir wurde mein Walkman wieder in den Schoß gelegt. Jamie stand auf.
„Ich gehe jetzt wieder in die Bibliothek. Wir sehen uns nach dem Abendessen." Ich seufzte leise, während ich meinen Walkman in meiner Hand herumdrehte. Ich sollte wirklich aufhören, in James Gegenwart so zu tun, als gäbe es irgendetwas Positives daran ein Waisenkind zu sein. Wir wussten beide genau, dass es in einer Familie, die einen wirkliche liebte, wesentlich schöner war, als in einem Waisenhaus oder einer Pflegefamilie, wo alle nur funktionieren sollten. Mir persönlich gefiel sogar die Straße besser, beziehungsweise die Gosse, wie sie hier liebevoll genannt wurde.

Hexagramm - SchlangenbrutWhere stories live. Discover now