I Peoria, Illinois - The 155th

1 0 0
                                    


Ben war mit einigen Studienkollegen zum Sand Ridge State Park hinausgefahren. Von Peoria aus waren es etwa 35 Meilen bis dorthin. Im Sommer fuhren Ben und seine Freunde oft dort hinaus, zelteten dort oder schmissen die eine oder andere Party. Im Wald des Parks gab es eine Hütte, die die Freunde benutzen durften, um ausgelassen feiern zu können. Es war bereits spät nachts, als die Party sich langsam dem Ende zuneigte. Die meisten von Bens Freunde waren bereits zu Bett gegangen oder nach Hause gefahren. Der Wind trug eine milde Brise mit sich, die die kälter werdende Jahreszeit verkündete und den Menschen den Herbst ankündigte. Rings um sie herum war ein Laub- und Nadelwald heimisch, der die Natur in ihrer schönsten Blüte präsentierte. Dunkelrot, Beige und sogar noch ein wenig Grün zeichnete das Blätterkleid der Äste aus. Zudem sorgte die Schwerkraft für einen sanft auf den Boden fallenden Blätterregen, wie er zu dieser Jahreszeit nicht hätte schöner sein können. Ein Blick zum sternenklaren Himmel verriet Ben, dass ihm ein sonniger Tag bevorstand. Nur noch Ben und Cliff standen auf der Terrasse der alten Holzhütte. Eine Öllampe, die auf einem Holzbalken der Terrasse aufgehängt wurde, diente als kleine, flackernde Lichtquelle. Stillschweigend lehnte sich der etwa 1,80 große und schlaksige Ben mit dem linken Unterarm auf das Geländer. Mit der anderen Hand umfasste er die kleine Flasche Bier, welche auch auf dem Geländer abgelegt war. Das dunkle und kurze Haar, welches mit Gel gefestigt wurde, widerstand der milden Brise und das blaue Augenpaar durchkämmte das über ihnen liegende Sternenzelt. Ben hob die Flasche an, trank einen Schluck aus der Flasche.
>>War doch okay – oder?<<
Hakte Cliff schließlich nach, unterbrach das Schweigen und näherte sich ebenfalls dem Geländer.
Cliff war ein wenig kleiner als Ben – nicht sehr viel. Er trug einen äußerst kurzen Millimeterschnitt und hatte einen blonden Dreitagebart. Die grüngrauen Augen des Freunds ließen sich abwartend auf Ben nieder.
Dieser wandte seinen Kopf schließlich Cliff zu, schenkte ihm ein mattes Lächeln und nickte kaum merklich. Dann sprach er, versuchte jedoch leise zu sprechen, um die Freunde in der Hütte nicht zu wecken.
>>Ja, war echt super hier. Danke Cliff.<<
Cliff war wohl Bens langjährigster und bester Freund. In den schweren Zeiten, als die Weatherby Brüder ihre Eltern verloren hatten, war Cliff einer der wenigen Personen, die sofort zur Stelle waren. Er blieb damals bis in die frühen Morgenstunden bei Ben und Robert. Auch wenn die drei nur wortlos am Tisch saßen und sich ein Bier nach dem anderen hineinkippten, so wusste Ben diese stillschweigende Geste trotz allem zu schätzen. Seither tat die Anwesenheit dieses Freundes gut, beruhigte ein wenig, wenn Ben sich unwohl fühlte und in Gedanken über die Vergangenheit schwelgte.
Ben richtete seinen Blick dann wieder zum Himmel hinauf und fragte Cliff leise etwas.
>>Glaubst du da ist etwas?<<
Stirnrunzelnd prüfte Cliffs Augenpaar den größeren Burschen.
>>Wie meinst du das?<<
Dann ließ Ben seinem Freund ein wenig Zeit. Vielleicht würde Cliff ja selbst darauf kommen, was Ben eigentlich sagen wollte. Doch da Ben selbst große Zweifel hatte, war er sich selbst nicht sicher, ob er es denn aussprechen wollte. Cliff gab aber keine Antwort. Er wollte, dass Ben deutlicher wurde.
>>Na der Himmel. Glaubst du, dass es da oben so etwas wie einen Gott gibt?<<
Cliffs Gesichtsausdruck entspannte sich wieder. Er wusste, dass Ben im Moment wohl an seinen Vater und seine Mutter denken musste, war selbst jedoch mindestens genau so skeptisch wie Ben selbst.
>>Die Menschen glauben daran. Warum sollte es also keinen Himmel geben? Wir Menschen sind unerfahren und die Wissenschaft steckt in Kinderschuhen. Es wäre durchaus möglich, dass es etwas gibt, das wir einfach noch nicht verstehen. Wer weiß – vielleicht werden wir es nie verstehen. Vielleicht sind wir einfach nicht dafür gemacht, so weit zu denken.<<
Er versuchte die Frage so plausibel wie möglich zu beantworten, wollte Ben kein eindeutiges Ja oder Nein als Antwort geben.
>>Vielleicht ist da wirklich was.<<
Flüsterte Ben leise dem Himmel entgegen. Man konnte jedoch seinem Tonfall entnehmen, dass es ihm an Überzeugung für diese Sache fehlte. Auch jetzt war Cliff gerne für den Freund da, wenn es denn den Bedarf gab, über die Eltern zu sprechen. Er wollte sich auch nach Benjamins älterem Bruder erkundigen.
>>Wie geht es eigentlich Robert? Was macht er noch so?<<
Dann kippte Ben erneut einen Schluck Bier in den Mund, blickte für einen Augenblick zum Himmel hinauf, als würde er noch auf etwas warten und sah dann wieder zu Cliff hinüber.
>>Du kennst Robert doch. Er hat sich wieder mal das Auto geschnappt und ist allein nach Chicago aufgebrochen.<<
Cliff schüttelte verständnislos den Kopf.
>>Warum Chicago?<<
Doch Ben wusste auch nur mit den Schultern zu zucken.
>>Er braucht das einfach. Ein wenig Abstand von Zuhause, um einmal etwas anderes zu sehen. Der Alltag ist ihm zu trist. Er meint das Hineinleben in den Tag würde ihn verschlingen und zu einem alten Mann werden lassen, wenn er nichts dagegen tun würde.<<
Sowohl Ben als auch Cliff wussten die Wahrheit über Roberts Ausflüge.
>>Ist es wirklich so gut vor der Vergangenheit wegzulaufen Ben?<<
Obwohl Cliff wusste, dass er damit wieder das unbeliebte Thema hervorrufen würde, dass den Weatherbys eigentlich schon genug Schmerzen bereitet hatte, sprach er einfach frei heraus. Cliff kannte auch Robert und das ebenso lange wie er Benjamin kannte. Der ältere der Weatherby Brüder hatte immer schon Probleme damit gehabt, seine Gefühle zu zeigen. Das wusste Cliff ebenso wie Benjamin.
>>Mir ist klar wie schwierig es für euch sein muss, selbst nach drei Jahren. Doch das Leben muss weitergehen Ben. Du und dein Bruder müssen wieder zum Alltag finden. Es gibt Dinge die unser Leben schwer treffen und trotzdem müssen wir weiter machen. Leider besteht das Leben nicht nur aus positiven Erfahrungen. Diese äußerst bescheidenen Tage werden immer und immer wieder kommen und das ohne Ankündigung. Du musst mit Robert reden.<<
Zweifelnd und enttäuscht zugleich lastetet Bens Blick auf Cliff, während er den Kopf etwas schüttelte.
>>Ich bin hier Cliff, treff mich ziemlich oft mit euch, lerne für meine Prüfungen und trinke gerade eben ein Bier mit dir. Was ist daran bitte nicht normal? Ich schau voraus und nicht mehr zurück. Für mich geht es weiter. Wie soll ich mich da noch um Robert kümmern? Er entfernt sich immer weiter.<<
Doch der Freund lächelte sanft.
>>Könnte ich deine Gedanken hören, hätte ich eine Bestätigung Ben. Es ist einfach nicht normal. Du verbringst nahezu deine gesamte Freizeit mit uns und bist kaum noch in der Werkstatt. Du und dein Bruder, ihr seid euch gar nicht so unähnlich. Jeder von euch versucht es auf dieselbe Art hinter sich zu lassen. Doch ich hab das schon vor einiger Zeit bemerkt und es ist einfach nicht gut für dich. Du musst damit ins Reine kommen – gemeinsam mit deinem Bruder.<<
Verärgert wandte Ben wieder seinen Blick von Cliff ab. Sein Freund musste Recht haben. Benjamin wusste das. Doch genau das wollte er sich selbst nicht eingestehen und war somit im Endeffekt nur auf sich selbst wütend. Cliff hatte Recht und Benjamin konnte reichlich wenig gegen seine Gefühle tun.
Robert und Ben konnten die Vergangenheit nicht einfach als abgeschlossen ansehen, denn das war sie für die beiden auch nicht. Da war dieser ungelöste Part des Unfalls. Ben zeigte das zwar nicht so offenherzig wie Robert, empfand jedoch den gleichen Schmerz wie er. Robert war in vielerlei Hinsichten etwas rabiater und auch aggressiver als Ben. Am besagten Abend des Geschehnisses, als Cliff mit den beiden Brüdern noch bei Tisch saß, erhob sich Robert nach einiger Zeit, als hätte er zuvor lange über etwas nachgedacht. Obwohl der zwei Flaschen Bier, die er bereits intus hatte, griff er sich die Schlüssel des Coupés und sah Ben für einen Moment erwartungsvoll an.
>>Was hast du vor?<<
>>Ich werde diesen Bastard finden.<<
Überlegend, gerade zu hilflos starrte Ben seinen Bruder an, konnte darauf keine Antwort geben. Er hätte am liebsten das Gleiche behauptet. Doch hatte es überhaupt einen Sinn nach dieser Person zu suchen? Die Straßen in Illinois führten in alle Wege der Staaten. Bereits vor dem Beginn von Roberts Unterfangen, war es zum Scheitern verurteilt.
>>Robert. Das bringt doch alles nichts.<<
Versuchte ihm Cliff beruhigend gegenüber zu treten.
>>Du hast leicht Reden Cliff. Es sind ja nicht deine Eltern die vorhin tot aufgefunden wurden!<<
Fuhr Robert Cliff mit lauter Stimme entgegen. Ben versuchte ihn zu beruhigen.
>>Er meint es nur gut!<<
Doch Robert schüttelte nur den Kopf etwas, lächelte gequält und sprach dann ruhig weiter.
>>Das ist einfach nicht deine Angelegenheit Cliff – es tut mir leid. Halt dich da raus. Wenn ich den Mörder meiner Eltern finden möchte, werde ich das auch tun.<<
Sein Blick landete dann nochmal erwartungsvoll auf Ben.
>>Kommst du nun mit oder nicht?<<
Bens Schweigen sagte mehr als tausend Worte, besänftigte Roberts Gemütslage nicht.
Verächtlich schnaubte Robert und wandte sich schließlich dem Ausgang des Hauses zu. Man konnte ihn nicht aufhalten und das wusste ein jeder in diesem Raum.
Als Robert die Türklinke umfasste, drehte er sich noch mal um.
>>Bist du dir dessen bewusst, dass Dad nach ihm gesucht hätte, wenn es einem von uns passiert wäre?<<
Doch wie erwartet erntete Robert nur einen stummen und unschlüssigen Blick.
Er verließ die Wohnung und fuhr die ganze Nacht die 155te rauf und runter. Robert suchte nach Zeugen, befragte die Leute in der Umgebung und hielt an Tankstellen, Rastplätzen und Motels nach Autos mit Beschädigungen Ausschau. Er fand jedoch nichts. So war er eben. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, wollte er wenn nötig mit dem Kopf durch die Wand, um seine Ziele erreichen zu können.
Um wieder zurück zu Ben und Cliff zu kommen. Ben wusste, dass er seinem Freund eine Erklärung für das angesprochene Verhalten schuldig war.
>>Es ist einfach schwierig, so zu tun als wäre es nie passiert Cliff. Da draußen gibt es jemanden der zwei Menschen auf dem Gewissen hat und sich die Schuld dafür nicht eingesteht. Zwei Leben. Es könnte wieder passieren. Stell dir vor es würde wieder passieren.<<
Bens Stimme wurde zittrig als er diese Worte aussprach. Allein der Gedanke, dass sich etwas Derartiges wiederholen hätte können, bereitete ihm großes Unwohlsein.
>>Das Wort Gerechtigkeit kommt nicht von irgendwo her Ben. Für das was wir tun, werden wir am Ende immer gerecht entlohnt oder aber auch bestraft. Am Ende werden uns unsere Handlungen alle einholen Ben.<<
Doch Ben glaubte den Worten des Freundes nicht, blickte sich hilfesuchend um, schluchzte etwas, bevor er dann eine abwehrende Haltung gegenüber Cliff einnahm.
>>Gerechtigkeit?<<
Hakte er zweifelnd und äußerst leise nach. Er zeigte die Trauer, die durch den großen Verlust begründet wurde. Tränen flossen.
>>Ist es gerecht, dass mir meine Eltern genommen wurden? Allein das beweist eigentlich, dass es sowas wie Gerechtigkeit nicht gibt.<<
Es ist nicht unüblich, dass Menschen durch solche Schicksalsschläge manchmal ihren Glauben in Frage stellen. Genau das passierte gerade eben mit Ben. Er wusste nicht mehr woran er glauben sollte und ob er überhaupt noch an etwas glauben konnte. Doch das war im Nachhinein auch nicht wirklich wichtig. Ben erkannte, dass einzig und allein sein Bruder wirklich das nachempfinden konnte, was in ihm vorging. Cliff meinte es zwar gut, konnte jedoch nicht den tiefsitzenden Schmerz und den mindestens genauso kräftigen Hass nachempfinden.
Am Ende wusste Benjamin eines genau: Es musste einfach so weitergehen wie zuvor. Keiner sollte ihm Fragen stellen oder darüber sprechen. Genau dafür entschloss er sich am Abend des Geschehens.
>>Ich denke wir sollten jetzt auch ins Bett gehen Cliff.<<
Schlug Ben entschlossen vor und nahm nochmal einen kräftigen Schluck vom Bier. Die leere Flasche legte er daraufhin auf der Holzlehne ab.
>>Wenn du das sagst.<<
Cliff war verärgert. Nicht weil er Ben nicht helfen konnte, sondern vielmehr weil Ben sich nicht helfen lassen wollte.
Beide gingen in die gemütliche Hütte zurück. Ein paar Leute schliefen in Schlafsäcken auf Couch und Holzboden. Der Kamin gab im Grunde genommen genügend Wärme ab, so dass man den Schlafsack nicht wirklich schließen musste und trotzdem eine angenehme Nacht haben konnte. Ben schlief in einem der Nebenzimmer. Seine Gedanken rotierten noch eine ganze Weile um den Unfall seiner Eltern herum, bevor er einschlafen konnte. In dieser Nacht schlief er ziemlich unruhig, träumte und sprach dabei.
Er befand sich auf dem Rücksitz eines Wagens. Fahrer- und Beifahrersitz waren besetzt. Zunächst konnte er nicht erkennen, wer da vorne den Wagen steuerte und wer die andere Person auf dem Beifahrersitz war. Ebenso schlecht konnte er die Umgebung um sich herum erkennen. Alles um ihn herum wirkte verschwommen. Zudem vernahm er dumpfe Stimmen, die irgendwo in den Tiefen seiner Erinnerungen vergraben waren. Der trübe Blick durch die Fensterscheibe wurde durch einen Wisch mit der Handfläche klarer. Der Wagen war unterwegs und Ben erkannte starken Schneefall. Die Stimmen wurden deutlich und Ben verstand.
>>Fahr nicht so schnell Jeff.<<
Es handelte sich bei der Stimme um Elizabeth Weatherby - Bens Mum. In diesem unscheinbaren Traum spürte Ben wie sein Herz schneller schlug und er für einen Moment unfähig war, irgendetwas zu sagen.
>>Ich fahre nun schon seit über 20 Jahren Auto und du hinterfragst wirklich meine Fahrkünste? Ich weiß was ich tue Liz.<<
Antwortete Mr. Weatherby seiner Frau nur gut gemeint.
>>Mum...<<
Entkam es Ben nur leise und vorsichtig. Es musste ein Traum sein, das wurde ihm gerade in diesem Moment bewusst.
Als sie sich dann umdrehte, lächelte der junge Mann. Doch Liz griff lediglich nach ihrer Tasche, zückte das Handy heraus und sprach dann wieder zu Jeffrey.
>>Meinst du in Peoria ist auch so ein Sturm? Vielleicht sollte ich Benjamin anrufen und fragen ob alles in Ordnung ist.<<
Doch ihr Gatte winkte lediglich ab.
>>Ben ist erwachsen, der kann selbst auf sich aufpassen. Du kannst ihn nicht immer so bemuttern. Schau dir Robert an. Er hat bereits eine eigene Wohnung und könnte die Werkstatt bereits jetzt alleine führen. Doch Ben muss so einen Schwachsinn studieren.<<
Benjamin war schockiert als er seinen Vater so reden hörte. Auch wenn er sich darüber bewusst war, dass es sich um einen Traum handeln musste.
Dann wählte Mrs. Weatherby Benjamins Nummer.
Benjamin erkannte wie ein Auto sich mit rasanter Geschwindigkeit immer schneller näherte und unruhig auf der Straße unterwegs war. Ben kannte den Ausgang der Geschichte und wollte es zu verhindern wissen. Dies war der Augenblick, in dem seine Eltern sterben würden und er musste es zeitnah miterleben.
Vielleicht hätte er etwas tun können? Er sagte sich selbst, dass er die Vergangenheit ändern konnte.
>>Pass auf Dad!<<
Schrie er laut. Jeffrey vernahm Benjamins Stimme nicht und reagierte wie in der Realität auch zu spät.
Unerwartet verriss Jeffrey dann das Lenkrad, als das Auto ihnen entgegen kam und drohte mit den Weatherbys zu kollidieren. Das Auto rutschte auf dem verschneiten Asphalt und Liz ließ einen Schrei von sich los. Das Auto auf der anderen Spur fing sich wieder und fuhr weiter. Jeffs Auto kam jedoch von der Straße ab und prallte frontal in einen Baum hinein. Ben ließ einen lauten unerhörten Schrei von sich. Sofort reagierten die Airbags, schossen aus dem Innenleben des Autos und sollten somit schlimmere Verletzungen verhindern.
Zu Bens Erstaunen taten die Airbags das auch. Liz hob langsam wieder ihren Kopf an, hatte lediglich eine Platzwunde und hielt sich die Stirn etwas benommen.
Auch Jeffrey schien keinerlei Verletzungen davongetragen zu haben. Er hob den Kopf wieder an und erkundigte sich zunächst nach dem Zustand seiner Frau. Er überprüfte nicht ob ihm selbst etwas passiert war. Liz und seine Söhne waren für ihn immer an erster Stelle. Sein eigenes Befinden war für ihn persönlich immer nur zweitrangig gewesen.
Ben befand sich dann plötzlich außerhalb des Autos, neben der Fahrerseite und konnte seine Eltern von dort aus deutlich sehen.
Aus dem Motorraum drang dicker, schwarzer Rauch heraus.
>>Mum, Dad! Ihr müsst da raus!<<
Schrie Ben denn beiden zu. Egal wie sehr er sich auch bemühte, sie hörten ihn einfach nicht.
>>Geht es dir gut?<<
Hakte Jeff benommen nach. Liz nickte nur etwas.
>>Wir müssen hier raus Liz.<<
Daraufhin löste Jeff seinen Gurt. Dann stellte Liz etwas Schreckliches fest. Ihr Sicherheitsgurt klemmte, ließ sich nicht entriegeln. Somit war sie im Auto gefangen. Schnell öffnete Jeff die Fahrertür und stieg aus dem Auto. Er war etwas wackelig auf den Beinen und war wohl aufgrund des fatalen Zusammenstoßes etwas benommen. Er hielt sich am Rand des Autodaches fest, bückte sich in das Auto hinein und versuchte seine Frau zu beruhigen.
>>Ich hol dich da gleich raus Liz, nur einen Moment.<<
Eiligen Schrittes ging er zum linken Hinterrad, griff zwischen Kotflügel und Reifen und rüttelte fest an etwas.
Ben folgte seinem Vater und war erstaunt, was er dort erkannte. Sein Vater hatte einen alten Dolch an der Innenseite des Kotflügels befestigt. Ein vergoldeter Griff, der einer Schlange ähnelte und die Klinge selbst war mit Schriftzeichen verziert, die Ben unbekannt waren.
>>Wird das Teil doch nochmal für etwas anderes nützlich.<<
Was Ben als dann sah, verschlug ihm den Atem.
Hinter seinem Vater wuchs etwas aus dem Schnee heraus. Als würde man über Monate hinweg, den Prozess des Wachsens einer Pflanze beobachten. Doch das hier war ein wenig anders. Eine schwarze, flüssige Masse, die sich zuerst im Schnee ausbreitete und dann binnen weniger Sekunden wie ein Rankengewächs nach oben wuchs. Die schwarze Masse nahm dann plötzlich Form und Farbe an.
Als Jeffrey sich umdrehte, musste er das gleiche, schreckliche Bild mit ansehen, wie sein eigener Sohn.
Ein haargenaues Ebenbild von Jeff hatte sich vor dem Mann manifestiert. Der gleiche Dreitagebart, die dunkelgrünen Augen und das kurzgeschorene, schwarze Haar, das teilweise schon ergraut war.
Jeffrey ging ein wenig zurück, so dass er am Rand des Kofferraums lehnte.
>>Was willst du?<<
Es versetzte Ben einen Stich als er in den Augen des Vaters die Angst gedeihen sah.
>>Hallo Jeff. So sehen wir uns also wieder.<<
>>Samael...<<
Gab Jeff dann entsetzt von sich, als hätte er das Ebenbild als andere Person wiedererkannt.
>>Heute ist Versöhnungstag mein Freund. Wie wäre es wenn wir dem nachkommen würden und uns beide die Hand reichen?<<
Drang es mit zynischem Nachgeschmack aus der Kehle des Ebenbilds, das von Jeffrey Samael genannt wurde.
>>Ich weiß, dass du ihn hast Jeffrey, also lassen wir doch einfach die Spielchen.<<
Kam die Drohgebärde mit ruhigen Worten aus ihm heraus.
>>Jeffrey!<<
Schrie Liz dann. Der Qualm des Motorraums drang in das Innere des Autos und Jeff wollte auch schon losrennen, um seine Frau aus diesem Gefängnis zu befreien. Doch das Ebenbild - Samael hatte andere Pläne, packte Jeff an der Schulter und drückte die Hand fest zu. Unter Schmerzen kniff Jeff die Augen zusammen, ging etwas in die Knie und stöhnte der Schmerzen wegen auf.
Liz schrie unerhört weiter und wurde hysterisch.
>>Jeffrey!<<
Ben musste das ganze Schreckensszenario tatenlos mitansehen.
Unerwartet stach Jeff mit dem Dolch in Richtung Ebenbild und versuchte ihm den Dolch direkt in die Brust zu rammen. Samael fing Jeffs Hand jedoch mit Leichtigkeit ab und übte auch hier einen übernatürlichen Druck aus.
>>So voller Tatendrang. Fast schon bewundernswert mein Lieber. Nun sag mir wo du den Schlüssel versteckt hast.<<
>>Ich habe ihn noch nicht gefunden!<<
Gab Jeff unter Schmerzen von sich. Aus der Hand, die Jeffs Schulter im Griff hatte, wuchsen plötzlich unnatürlich scharfe Nägel, die sich durch das Fleisch bohrten. Blut tröpfelte auf den mit Schnee bedeckten Boden und verfärbte das Weiß.
Ben konnte die Schmerzen seines Vaters nahezu am eigenen Leib spüren, stand jedoch nur wie verwurzelt an Ort und Stelle, während ihm einige Tränen die Wangen hinunterflossen. Egal wie sehr es auch versuchte, er konnte sich nicht bewegen, konnte seinen Vater nicht retten.
>>Ich habe lediglich einen Tag hier und es soll ein schöner Tag werden Jeffrey. Es kann immer noch gut enden, also sag mir was du weißt.<<
Doch Jeff blieb hartnäckig, ließ den Dolch aus der Hand fallen, fing ihn mit der anderen wieder auf und versuchte trotz der großen Schmerzen einen erneuten Angriffsversuch.
Das Ebenbild ließ die Schulter los und versuchte den Angriff abzufangen, konnte ihn jedoch nur umleiten. Statt der Brust, streifte Jeffrey den Hals des Samaels. Es war nur eine kleine und kaum merkbare Schnittwunde. Trotzdem bemerkte Benjamin etwas Eigenartiges. Auch wenn die Wunde noch so klein war, konnte er sie deutlich sehen. Nicht etwa Blut trat aus dem Fleisch heraus – nein, es war ein kleines, aber grelles Lichtlein, das wie eine dickflüssige Masse aus ihm hervortrat. Auch wenn Benjamin sich darüber bewusst war, dass dies hier ein Traum sein musste, so verstand er nicht was ihm sein Kopf da für einen Streich spielte. Alles fühlte sich so real an. Die Kälte des Windes. Der Schnee, welcher langsam auf dem Gesicht schmolz und es somit langsam abkühlte. Er roch sogar den Qualm des Autos.
Im Nachhinein gelang es Samael doch noch Jeffreys Hand abzufangen, um weitere Angriffe des Mannes verhindern zu können. Die Gestalt Samael umfasste das Gelenk erneut und drückte fest zu. Ein hörbares Knacken war zu vernehmen, als Samael Jeffs Handgelenk brach.
>>Es reicht Jeffrey!<<
Jeffrey ließ den Dolch fallen, schrie laut auf und sah in Richtung Liz. Die Schreie von Benjamins Mutter waren verstummt. Jeffrey konnte jedoch nicht wirklich etwas erkennen, da das Auto mit dickem Rauch gefüllt war.
Samael war wütend, sein Gesichtsausdruck verriet es.
>>Sie lebt noch, keine Angst.<<
Gab Samael völlig gleichgültig von sich, während er Jeffrey einige Meter hinter sich her zog und sich somit vom Auto entfernte. Schließlich schubste er Jeff zu Boden.
Jeffrey musste äußerst starke und unnachgiebige Schmerzen haben, hatte den Kampf wohl auch schon aufgegeben, da sowohl Schulter als auch Handgelenk gebrochen waren.
>>Wer gegen mich spielt, der verliert. Diese Lehre erteile ich dir heute.<<
Als Resultat seiner glorreichen Siegesrede schnipste er mit den Fingern. Im Folgemoment ging das Auto während einer Explosion in Flammen auf. Sogar Ben konnte die heißen Hitzewellen spüren, die ihn zu Boden geschlagen hatte. Nach der Explosion wurde es ihm gestattet, auf die Knie zu fallen.
>>Du elender Bastard!<<
Brüllte Jeffrey Samael entgegen. Ben schrie laut nach seiner Mutter. Jeffreys Duplikat lachte jedoch nur amüsiert. Dann fuhr er zu Jeff hinunter, ließ sich auf einem stützenden Knie nieder und flüsterte Jeffrey etwas zu.
>>So einfach erlischt ihr Leben.<<
Dann folgte ein diabolisches Grinsen. Jeffrey sprang ihm dann entgegen, rang Samael zu Boden und schlug mit der gesunden Hand immer wieder auf das Gesicht von Samael ein. Es waren zahlreiche, kraftvolle Schläge, einer nach dem Anderen. Jeffrey atmete schwer, es kostete Kraft – viel mehr als er noch über hatte.
Er ließ das Gesicht von Samael blutüberströmt neben sich, erhob sich zaghaft und eilte zum brennenden Auto.
>>Liz!<<
Schrie er so laut er nur konnte aus und wollte nicht wahr haben, was hier gerade eben passiert war.
>>Jeffrey.<<
Ertönte Samaels Stimme erneut. Er hatte sich wieder aufgerichtet und das Gesicht schien unverletzt, nahezu makellos.
Erneut legte Samael Hand an Jeffrey an. Dieses Mal packte er ihn am Hals, drückte diesen fest zu.
>>Sagst du mir nun wo der Schlüssel ist oder möchtest du, dass ich dieses Spiel mit deinen Söhnen fortsetze?<<
Doch Jeffrey blieb trotz allem hart. Er liebte seine Söhne über alles. Vielleicht dachte er daran, dass Samael bluffen würde oder aber daran, dass Samael nach diesem Tag wieder zurück in die Unterwelt gehen musste und Robert und Benjamin somit in Sicherheit gewesen waren.
Was er auch immer dachte, er wollte nicht nachgeben und gab das seinem Gegenüber auch zu verstehen.
>>Leck mich.<<
Drang es fast stimmlos aus Jeffrey heraus, der gleichzeitig nach Luft rang.
Samael seufzte enttäuscht.
>>Dann werden wir dieses Spiel ohne dich weiterspielen müssen.<<
Benjamin wusste was seinem Vater nun bevorstehen würde, wollte einschreiten, war jedoch wie versteinert und konnte sich nicht bewegen, so sehr er es auch versuchte.
Weiterhin rang Jeffrey nach Luft, bis Samael einmal kräftig zudrückte und somit Jeffs letzten Lebenshauch aussaugte.
>>Nein!<<
Drang es lang ausgedehnt und brüllend aus Ben heraus, doch sein Flehen fand keinen Anklang bei Samael.
Anschließend brachte Samael den leblosen Körper von Jeffrey auf den Fahrersitz zurück und haute die Autotür zu.
>>Gute Heimfahrt Euch beiden und richtet ihm schöne Grüße aus.<<
Verabschiedete sich Samael dann auf respektlose Art.
Unerwartet wandte er sich dann Benjamin zu.
>>Nun zu dir.<<
Dann kam er langsam auf Ben zu. Konnte es wirklich möglich sein, dass er Ben in diesem Traum sehen konnte? Benjamin stand im knöchelhohen Schnee auf seinen Knien, blickte zu Samael auf.
>>Ben ist dein Name? Benjamin Weatherby?<<
Der Junge fiel rückwärts um, stieß sich mit den Händen am Boden ab und krabbelte zunächst, bis er genügend Schwung hatte, um aufstehen zu können. Dann, als der Junge wieder auf den Beinen war, wandte er sich um und schnaubte Samael nur verächtlich entgegen.
>>Ich werde dich töten!<<
Diese Worte stimmten Samael zufrieden, er lachte vergnügt auf.
>>Auf jeden Fall ein Weatherby.<<
Sein Gesicht nahm wieder ernste Züge an.
>>Ich möchte den Schlüssel haben, ansonsten wird sich dieser Akt hier immer und immer wieder wiederholen und anders als dein Vater, wirst du am Leben bleiben, bis niemand mehr über ist, der dir lieb ist. Und glaub mir, ich weiß über all diejenigen Personen Bescheid, die dich lieben und dich in naher Zukunft lieben werden. Forderst du mich heraus, blüht dir das gleiche Schicksal.<<
Ben atmete hektisch, wusste nicht was er Samael hätte entgegensetzen können.
>>Wir sehen uns bald wieder und dann hoffentlich mit dem Schlüssel.<<
Dann schnipste Samael erneut mit den Fingern.
>>Und nun ein kleiner Vorgeschmack – lauf!<<
Ben öffnete die Augen. Das Geschehen entpuppte sich tatsächlich als Traum, welcher durch Samaels Handbewegung beendet wurde. Er hatte während des Schlafes geweint und noch schlimmer als das, hatten sich Flammen an den hölzernen Wänden der Hütte, nach oben ausgebreitet. Das Haus stand in Flammen.

Over The Sunset - RevelationWhere stories live. Discover now