XIV Was ich dir immer schon sagen wollte

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Am nächsten Tag saßen sie die fünf bereits in Roberts Wagen und hatten Vernon hinter sich gelassen. Robert ließ es sich nicht nehmen selbst hinter dem Steuer zu sitzen. Benjamin saß neben ihm, auf dem Beifahrersitz und verlangte von Robert, ihn nach einigen Stunden ablösen zu können. Die Frauen hatten ein paar Stunden vor der Abreise ein wenig Schlaf gefunden. Benjamin versuchte auch ein wenig zu schlafen, doch zu viele Gedanken spukten auch durch seinen Kopf, als dass er einfach hätte Schlafen können. Da Robert nicht wirklich viel Schlaf gefunden hatte, nahm er sich die Karte aus seinem Coupé und tüftelte eine passende Strecke nach Cartersville aus. Er versuchte die sonst so vielbefahrenen Highways von der Strecke zu streichen, wusste, dass sie wohl stellenweise ziemlich überfüllt waren.
Er schlief nicht viel und Ben wusste das. Doch Robert war zu stolz, hätte nie zugegeben müde zu sein. Ben entschied sich auf Roberts Zustand Acht geben zu wollen. Wenn er schon nicht schlafen konnte, dann wollte er wenigstens als Unterstützung für seinen Bruder dienlich sein können. Da es noch früh am Morgen war, dauerte es nicht äußerst lange bis die beiden Law Schwestern wieder einschliefen. Die Fahrt verlief die ersten Meilen ziemlich ruhig. Leise ließ Robert das Radio laufen, um den Verkehrsfunk abhören zu können. Sie erwähnten erneut die Beben vom Vortag und das sich die Situation wohl beruhig hatte.
>>Das ist gut.<<
Erwähnte Benjamin mit ruhiger Stimme. Er achtete ebenfalls darauf, die Frauen auf dem Rücksitz nicht aufzuwecken.
>>Für den Moment ja. Mal sehen wie lange es anhält.<<
Robert war sich absolut sicher, dass weitere Katastrophen nicht lange auf sich warten lassen würde. Zumindest würde es so passieren, wenn Asmodai die Wahrheit gesprochen hatte und das Gesamtbild, das sie sich verschafft hatten denn stimmig war. Dann stellte Robert das Radio ab.
>>Schlaf ein wenig und nutz die Ruhe. Wer weiß wie lange wir sie noch haben.<<
Bat er seinen jüngeren Bruder, während sein Blick auf der von den Scheinwerfern beleuchteten Straße lag. Ben versuchte erst gar nicht gegen Robert anzukämpfen, legte sich etwas zur Seite und versuchte ein wenig zu Schlafen. Kooperation und gegenseitige Ergänzung waren nun das A und O. Robert würde zwar nicht am Steuer einschlafen, aber würde seine Müdigkeit unterdrücken, bis Ben ihn ablösen würde.
Die Fahrt verlief zu Roberts Zufriedenheit äußerst ruhig. Immer wieder versicherte er sich um das Wohlergehen von Rebecca und den anderen, indem er einen kurzen Blick in den Rückspiegel warf. Ein kurzer und flüchtiger Blick, ungefähr jede viertel Stunde. Als er an Chicago vorbeifuhr und die lokalen Nachrichten hörte, musste er feststellen, dass sich die vor der Abfahrt angestellten Vermutungen bestätigten.
Der Nachrichtensprecher verkündete die Tagesneuigkeiten, welche die örtliche Umgebung betrafen.
>>Aufgrund der sich kürzlich ereigneten Erdbeben in großräumigen Gebieten der Staaten, werden viele Flüge in die benachbarten Staaten verschoben oder gar komplett gecancelt. Flughäfen in Pittsburgh, Indianapolis, Peoria, ­Washington und sogar Los Angeles haben große Schäden davongetragen. Auch einzelne Maschinen wurden beschädigt...<<
Er wusste warum er Chicago umfahren hatte und auch die ländlichen Straßen dem Highway vorgezogen hatte. Selbst auf den ländlichen Straßen bemerkte man regen Betrieb – und das war eine außergewöhnliche Situation. Neben der Verkehrslage gab es noch eine weitere Fragwürdigkeit.

Um etwa 10 Uhr morgens schaffte es die Sonne kaum durch das Wolkendickicht. Ohne Uhr hätte man kaum erahnen können, dass der Tag bereits angebrochen war.
Die herrschende Dämmerung verstärkte das in Robert hausende Müdigkeitsgefühl. Er wollte Vorsorge treffen, gab Ben einen kurzen Stups mit der Rechten.
>>Ben.<<
Kurz darauf schrak Benjamin auf, sah sich zunächst irritiert um. Es brauchte eine Zeit, bis er verstand, dass er sich in Roberts Wagen befand.
Dann prüfte Roberts prüfender Blick ob die Frauen immer noch schliefen. Tatsächlich hatte Jessica bereits die Augen geöffnet, verweilte jedoch Stillschweigend hinter Benjamin, auf dem Rücksitz. Für sie schien diese ganze Situation immer noch weltfremd zu sein – doch für wen war sie das nicht?
>>Bei dir alles in Ordnung Jess? Brauchst du etwas?<<
Hakte Robert dann nach.
Zögernd erhob die junge Frau das Wort.
>>Könnten wir irgendwo an einer Tankstelle kurz halt machen?<<
Robert lenkte den Blick wieder auf die Fahrbahn.
>>Klar, ich muss auch mal austreten.<<
Benjamin saß inzwischen mehr und weniger wach neben Robert.
>>Wir werden anhalten und austreten.<<
Stirnrunzelnd sah Ben zu Robert hinüber.
>>Wir können nicht einfach anhalten. Die Straßen werden nicht leerer.<<
Der jüngere Weatherby sah sich für einen Moment um.
>>Wie viel Uhr ist es? Wo sind wir?<<
Robert brachte Licht ins Dunkel.
>>Es ist nun 10:15 am Morgen und das Wetter ist bescheiden. Bescheiden mit Wolken und noch mehr Wolken.<<
Jessica und Ben sahen verwundert aus dem Wagen.
>>Wir werden einen Zwischenstopp in Fair Oaks machen­.<<
Ben zeigte sich auf weiterhin verwundert.
>>Mein Smartphone zeigt mir an das wir schon in Indiana sind, wie schnell bist du gefahren?<<
Robert erwiderte schroffe Worte.
>>Du hast geschlafen wie ein Baby – also beschwer dich nicht.<<
Benjamin seufzte genervt.
>>Rebecca war während der ganzen Fahrt über nicht angeschnallt. Dein Wagen ist nicht mal für so viele Personen zugelassen.<<
Genervt verdrehte Robert die Augen. Doch Ben ließ sich davon nicht beirren und kritisierte den Bruder scharf.
>>Du trägst die Verantwortung für die Menschen in diesem Wagen.<<
Robert wusste, dass Ben Recht behielt. Er schwieg, sagte nichts darauf. Nicht ganz in Fair Oaks angekommen, hielten sie schließlich an einer Tankstelle. Robert und Benjamin verließen den Wagen. Die Ellenbogen auf dem Dach des Wagens abstützend, schaute Robert über den Wagen und ließ geplante Worte aus sich heraus.
>>Gut, du wirst jetzt weiterfahren. Mir ist nicht wohl dabei hier anzuhalten. Weiß der Teufel ob Asmodai uns auf den Versen ist.<<
Nach den Worten spähte sein Blick die Umgebung ab.
Ben nickte nur kurz, ahnte, dass Robert müde sein musste.
>>Ich geh eben schnell austreten, du weckst Gesine und Becca und gibst Bescheid, dass wir kurz angehalten haben. 10 Minuten<<
Benjamin nickte etwas, dann klopfte Robert zwei Mal auf das Dach des Wagens. Erschrocken öffnete Gesine die Augen und Benjamin wurde somit die Aufgabe genommen, sie wecken zu müssen. Benjamin rückte den Sitz nach vorne, um Jessica aus dem Wagen zu lassen.
Dann betrat der älteste Weatherby die Tankstelle. Der Laden war äußerst überschaubar. Gegenüber vom Eingang waren zwei überschaubare Regale aufgebaut. Dort fand man billiges Bier, überteuerte Ersatzteile für Autos und einige fettige und ungesunde Snacks für unterwegs. Am Ende der Regale befand sich eine alte, hölzerne Teke. Sie wurde aus billigem Speerholz errichtet, welches seine besten Tage bereits hinter sich hatte und kaum noch zweckdienlich war. Ein alter, kleiner Röhrenfernseher stand auf dem Tresen. Der Tankstellenwart war ein dürrer, alter Greis, der von der letzten Rasur einige Wunde Stellen im Gesicht mit sich herumtrug. Graues, dünnes Haar, welches nach hinten gekämmt war, schmückte den Kopf. Robert näherte sich dem Tresen.
>>Guten Morgen.<<
Begrüßte Robert den Alten kurz. Der Alte nickte kurz, den Blick immer noch auf dem Bildschirm fixiert, haute er plötzlich ein paar Mal auf den Fernseher ein.
>>Wir würden gerne die Toilette benutzen.<<
Der alte Mann schien Robert zunächst nicht wirklich zu registrieren, war mehr damit beschäftigt, den Fernseher zu richten. Er bog die auf dem Fernseher befestigte Antenne etwas herum. Robert hatte schon lange nicht mehr ein so altes Gerät gesehen. Es funktionierte lediglich in schwarz weiß. Robert räusperte sich etwas.
>>Entschuldigen Sie.<<
Doch der Tankstellenwart ließ sich nicht beirren.
>>Hast du getankt oder was gekauft Junge?<<
Wieder haute der Alte auf den Fernseher ein.
>>Weder noch.<<
Antwortete Robert kurz und bündig.
>>Dann kannst du das Klo auch nicht benutzen.<<
Robert verdrehte die Augen, griff dann in die Hosentasche, zog eine 10 Dollarnote hervor und legte sie auf den Tresen.
>>Ich nehm mir vier von den Riegeln für 2.25, okay?<<
Schmatzend sah der Verkäufer dann zum Geld auf dem Tresen, das sein Interesse geweckt hatte.
>>Ich kann nicht rausgeben – hab kein Wechselgeld.<<
Robert setzte ein gespieltes Lächeln auf.
>>Dann ist der Rest eben für Sie mein Freund.<<
Der Alte nickte zufrieden, griff unter den Tresen und reichte Robert den Schlüssel.
>>Danke.<<
Robert drehte sich genervt um und verließ das Gebäude wieder. Jessica wartete vor der Tankstelle.
>>Ich hab den Schlüssel. Du gehst zuerst, dann werd ich gehen.<<
Dann übergab Robert den Schlüssel und die beiden machten sich auf den Weg, das Gebäude zu umgehen.
>>Dir geht's gut?<<
Hakte Robert mit Vorsicht nach.
>>Soweit ja.<<
Weatherby wusste, dass die junge Frau der ganzen Ereignisse wegen irritiert war.
>>Jess warte kurz.<<
Sie stoppte abrupt neben Robert, sah ihn nicht an, schwieg.
>>Ist wirklich alles in Ordnung?<<
Wollte Robert von ihr wissen und sah bedrückt zu ihr.
>>Stellst du mir diese Frage gerade eben wirklich?<<
Verdutzt sah Robert die junge Frau vor sich an.
>>Ich wurde einfach so vom Flughafen entführt, habe keine Erinnerung daran und bin in meilenweiter Entfernung wieder zu mir gekommen. Warum hat er das mit mir gemacht? Warum hat er gerade mich ins Visier genommen und hatte Erfolg damit? Du willst wissen ob alles in Ordnung ist Robert? Nichts ist in Ordnung. Ich weiß nicht warum ausgerechnet er mir das angetan hat.<<
Stutzig, nicht verstehend sah Robert sie erwartungsvoll an.
>>Was meinst du?<<
Jetzt drehte sie den Kopf ein wenig und das nussbraune Augenpaar fixierte Robert mit ernster Miene.
>>Mein Kidnapper, der aussah wie Pater O'Brian. Denkst du ich habe sein Gesicht nicht gesehen? Ich hab mir das nicht eingebildet.<<
Robert schüttelte den Kopf.
>>Er war es nicht.<<
Sie ließ Robert keine Zeit für weitere Erklärungsversuche.
>>Das steht hier nicht zur Debatte. Er wollte etwas von dir Robert. Deswegen war ich in Vernon.<<
Weatherby zögerte kurz. Sie wandte sich vollkommen in die Richtung von Robert um. Auf solche Fragen war Robert nicht vorbereitet und doch hatte sie Recht.
>>Dir ist es vielleicht nicht aufgefallen, doch seitdem du in Rebeccas Leben getreten bist, hat sie sich um 180 Grad gewendet.<<
Gegen Ende dieser Anschuldigung wurde Jessica lauter. Robert kannte das Mädchen so gar nicht.
>>Du hast sie an deine Hand genommen, hast gedacht du könntest sie aus dem ach so schrecklichen Leben retten, das sie mit ihrer Familie führte. Du hast diesen verdammten O'Brian in ihr Leben gebracht und er hat ihr diesen Blödsinn eingeredet!<<
Wie erstarrt stand Robert vor der jungen Frau, die kleiner als er war. Ein ferner Beobachter hätte behaupten können, es handle sich bei Roberts Gestalt um eine steinerne Statue.
>>Du hast meine Familie auseinandergerissen! Weißt du wie viele Tage meine Eltern sich gestritten haben? Weißt du wie lange Mum geweint hat? Wie viele Anschuldigungen mein Dad über sich ergehen lassen musste, bis er dann abgehauen ist? Er hat uns verlassen, weil er nicht mehr mit dieser Kritik leben konnte. Er konnte uns mit dieser Schuld nicht mehr in die Augen sehen.<<
Robert fing zögernd an zu sprechen, schien jedoch nicht auf Anhieb die richtigen Worte zu finden.
>>Jess, ich.. Es tut..<<
Doch sie unterbrach ihn.
>>Nenn mich nicht so und spar dir deine Entschuldigungen. Ohne dich wäre uns so vieles erspart geblieben. Rebecca und ich wären nicht hier. Wir würden in Peoria bei unseren Eltern sein. Vielleicht hätte sie sogar jemanden kennengelernt, der mit meiner Familie ausgekommen wäre.<<
Dann ging sie an ihm vorbei, schloss die durch ein altes Schild gekennzeichnete Tür der Toilette auf und knallte sie hinter sich zu. Robert brauchte einen kurzen Moment um die gesagten Worte verinnerlichen zu können. Dann berührte eine kalte Feder – nein, eine Flocke seine Nase. Er lenkte die Augen nach oben, ohne den Kopf zu bewegen und musste feststellen, dass Schnee vom bedeckten Himmel fiel. Äußerst ungewöhnlich und doch waren Jessicas Worte fortwährend präsent in Roberts Kopf und lasteten dort wie ein schweres Gewicht. Sie hatte Recht – er hatte Rebecca und O'Brian damals zusammengeführt, hoffte ihr helfen zu können. Doch er wusste nicht, dass sich Jessicas eigene Situation dadurch verschlimmerte.
>>Des einen Freud, ist des anderen Leid.<<
Sprach er leise vor sich her. Doch selbst daran zweifelte er. Wie glücklich konnte Rebecca in der vergangenen Zeit wirklich gewesen sein? Sie weinte oft – zuletzt wegen Clara, die im Feuer des Sand Ridge State Parks umkam. Er wusste nicht wie Rebecca über all das dachte was Jessica eben preisgegeben hatte. Und doch brachte er in Erfahrung, dass Jessica einen Groll gegen ihn hegte. Robert war es nicht gewöhnt derartig kritisiert zu werden, stand einfach da und ließ die sich vermehrenden Schneeflocken auf seiner Haut zum Schmelzen landen. Nach wenigen darauffolgenden Momenten öffnete sich die Tür wieder. Jessica kam heraus, würdigte ihm keinen Blick und warf ihm beim Vorbeigehen die Schlüssel vor die Füße. Das war ihre Art mit Leuten umzugehen, die sie nicht mochte. Für sie war es jedoch eindeutig klar. Robert trug die gesamte Schuld daran, dass sie nicht mit ihren Freunden nach San Diego konnte. Es wollte Robert nicht in den Kopf gehen. So lange Zeit kannte er Jessica und hätte nie erahnt, wie sie wirklich über ihn dachte. Die Worte beschäftigten ihn. Unweigerlich musste er an die vergangene Zeit zurückdenken. An damals, als er auf David wartete, um ihm vom Leben der Laws erzählen zu können.
Es war nun gute vier Jahre her, als Robert damals in einer kleinen, unbestimmten Kneipe in Peoria saß. Sie war in der Nähe der Kirche, in welcher David O'Brian als Priester tätig war. Robert saß auf einem hölzernen Hocker am Tresen. Gedämpftes Licht erfüllte die Umgebung und zu dieser Zeit war die Kneipe gut besucht. Es war bereits Abend und die Menschen versammelten sich nach der Arbeit in solchen Lokalen, ließen den Tag ausklingen, lachten, hörten Musik und tranken vor allem das ein oder andere Bier. Auch Robert war hier, hatte sich ein Bier bestellt und wartete. Die Kneipe war unangenehm warm, da es mitten in der Sommerzeit war. Robert hatte sich nach der Arbeit noch schnell umgezogen, da er es sonst nicht ausgehalten hätte. Außerdem fühlte sich der Feierabend nicht wirklich wie einer an, wenn er noch die Kleidung aus der Arbeit trug. Manchen seiner Kollegen machte das nichts aus. Sie zogen sich die Latzhose aus und dann begann auch schon die Freizeit. Solche Gestalten hatten unfern von Robert Platz genommen – er roch es. Angewidert nahm er das Bier zur Hand.
>Widerlich.<
Dachte er sich nur, weil er weder einen Streit noch eine Schlägerei provozieren wollte. Es war bereits 19:30 Uhr. Immer wieder schaute Robert zur Uhr, die über den Regalen mit Alkohol, an der Wand hing. Dann ein kurzer Blick zum Eingangsbereich, bevor er einen kleinen Schluck von seinem Bier nahm. Er hatte sich mit David verabredet – um sieben Uhr. O'Brian sagte Robert, dass er sich verspäten könne, doch nur fünf oder höchstens zehn Minuten. Entnervt seufzte Robert.
>>Ich hab ihm doch gesagt, dass es wichtig ist.<<
Beschwerte sich Robert leise bei sich selbst und seufzte genervt. Der Barkeeper, ein dürrer, etwa 1,80 großer, schlaksiger und auch junger Kerl, kam zu Robert hinüber. Man erkannte, dass es sich um einen Studenten handeln musste, der sich nebenher etwas verdiente. Für Robert war dieses Kerlchen der visuelle Beweis für das Klischee, welches einen Studenten beschrieb. Er trug immer zu dieselbe Frisur. Immer wieder der gleiche Millimeterschnitt, seit dem Robert ihn kannte. Außerdem stutzte er den Bart in regelmäßigen Abständen – alle zwei Wochen. Er trug modernere, leichtere Kleidung als der Rest der Kneipenbesucher – sonderte sich dadurch von der Allgemeinheit ab.
>>Noch eines Robert?<<
Bat er ihm an als er die leere Flasche sah. Robert nahm die Flasche zur Hand, wog sie kurz, indem er sie kurz schwenkte. Er legte sie wieder ab.
>>Gib mir ruhig noch eine Cliff. Scheint so als müsste ich hier noch eine Weile warten.<<
Robert kannte Cliff schon von klein auf. Benjamins bester Freund ließ nicht lange auf sich warten, schnappte sich ein kühles Bier aus dem Kühlschrank, entkorkte es für Robert und stellte es vor ihm auf dem Tresen ab.
>>Auf wen wartest du hier eigentlich?<<
Cliff bemerkte Roberts äußerst ungeduldigen Blick.
>>David.<<
Der Freund hinterm Tresen sah ihn fragend an, konnte mit dem Vornamen nichts anfangen.
>>David?<<
Erneut kamen einige Worte genervt über Roberts Lippen. >>David O'Brian. Oder auch Pater O'Brian. Wir waren hier verabredet. Er scheint jedoch nicht aufzutauchen.<<
Cliffs Verwunderung wollte nicht abnehmen.
>>Du triffst dich mit unserem Pater? Wie kommt's?<<
Während Roberts Ellenbogen auf dem Tresen abgelegt waren und er mit einer Hand das Bier umschlossen hatte, legte er den Kopf etwas in den Nacken, und sah abschätzend zu Cliff hinauf.
>>Müssen wir darüber sprechen?<<
Abwehrend hob Cliff beide Hände nach oben.
>>Ich wollt mich nur ein wenig mit dir unterhalten. Du musst mir gar nichts sagen Robert.<<
Robert nickte abschließend und trank einen Schluck vom kühlen Bier. Dann eine weitere Anmerkung von Cliff.
>>Aber man sieht dir einfach an, dass dir etwas auf den Keks geht.<<
Für die Dauer eines Wimpernschlages zog Robert beide Augenbrauen zusammen. Es war ihm wirklich nicht bewusst, dass er so durchschaubar war. Der Junge war nicht äußerst gut darin seine Emotionen zu verstecken – das war er noch nie gewesen. Ärgerte ihn etwas, ging er mit einem grimmigen Gesicht durch die Gegend. Freute er sich, hatte er ein gleichermaßen glückliches Lächeln aufgelegt. Resignierend seufzte Robert.
>>Es geht um Becca. Ich möchte das David mit ihr spricht.<< Cliff schenkte Roberts Worten auch weiterhin Gehör. Es war nicht so, dass Robert mit jedem sein Leben teilte. Cliff war ihm im Laufe der Jahre ebenso ein guter Freund geworden. Der junge war etwa in Roberts Alter, entschloss sich erst spät dafür zu studieren. Robert und Cliff waren etwa auf der gleichen Wellenlänge. Trotzdem machte Robert nicht oft von solchen Freundschaftsdiensten Gebrauch.
>>Es geht ihr im Moment nicht äußerst gut. Ihr Vater ist nicht das was man sich im eigentlichen Sinne unter einem Vater vorstellt. Er tut der Familie mehr Schlechtes als Gutes.<<
Die etwaige Beschreibung verwunderte Cliff.
>>Schlägt er sie?<<
Überlegend sah Robert zu Cliff hinauf.
>>Nein - er ist ein Arschloch.<<
Das wollte Cliff nicht überzeugen.
>>Ich kenne viele Arschlöcher Robert. Trotzdem verständige ich deswegen nicht gleich die Kirche.<<
Weatherby trank wieder einen Schluck vom Bier.
>>Er ist hysterisch, terrorisiert seine Frau, Becca und Jess.<<
Verstehend, auch wenn zögernd, nickte Cliff.
>>Hast du mit ihr darüber gesprochen?<<
Robert winkte ab, während er sprach.
>>Hunderte Male. Denkst du sie hört auf mich? Immer wieder sagt sie mir, dass er ihr Vater sei und sie damit umgehen könnte. Die Wahrheit sieht anders aus – es macht sie kaputt und das sehe ich jeden Tag aufs Neue.<<
Cliff verstand das Robert besorgt war. Er kannte die Geschichte nicht aus erster Hand und wollte daher auch nicht darüber urteilen.
>>Lass Beccas eigene Meinung nicht ganz außer Acht Robert.<<
>>Denkst du ich würde sonst David hier her rufen?<<
Dann erklang die alte und bekannte Stimme neben Robert.
>>Hallo Robert.<<
Als er neben sich sah, erkannte er O'Brian. Robert bemerkte sein Kommen nicht, da er in das kurze Gespräch mit Cliff vertieft war.
>>David endlich.<<
Sowohl Robert als auch Cliff waren erstaunt, als sie den Priester in Alltagskleidung erkannten. Neben Robert ließ er sich nieder, schob sich seine heruntergerutschte Brille auf den Nasenrücken nach oben und sah die beiden Jungen fragend an. Keiner der beiden war es gewöhnt, David in solcher Kleidung zu sehen.
>>Warum seht ihr mich so an?<<
Cliff versuchte erklären warum er O'Brian so zweifelnd ansah.
>>Die Kleidung, sie wirkt...<<
Er wollte nicht unhöflich wirken, fand jedoch keine passende Worte. Robert half nach und setzte nüchtern ein Wort nach.
>>Unpassend.<<
Dafür erntete Robert einen stutzigen Blick von David.
>>Ich bin auch nur ein Mensch. Nur weil ich Priester bin, soll es mir verboten sein eine Jeans tragen zu dürfen?<<
Robert hob den Zeigefinger an und sah Cliff direkt an.
>>Ein Bier für David.<<
Der Priester schien nicht damit einverstanden zu sein.
>>Nein, danke Robert.<<
Zweifelnd, mit einem sicheren Lächeln sah Robert zu O'Brian hinüber.
>>Ich weiß, dass du mit meinem alten Herrn ab und an einen hebst. Hab dich nicht so David.<<
David seufzte.
>>Nun gut Robert.<<
Cliff verabschiedete sich dann, wollte Robert alleine lassen. Er hatte ihm ja in etwa gesagt um was es bei dem Gespräch denn ginge. Der Freund wollte sich hier nicht einmischen. Für sich wusste Cliff, dass ihn diese Situation rein gar nichts anging. Er tat seine Meinung darüber kund und wollte nicht mehr beimischen als nötig. Nachdem Cliff auch David ein Bier gebracht hatte, wandte er sich den anderen Gästen am Tresen zu. David begann daraufhin zu sprechen.
>>Also Robert?<<
Weatherby zögerte zunächst ein wenig, wusste gar nicht wo er denn anfangen sollte. Im Grunde genommen wollte er nur Hilfe für Becca.
>>Es geht um Rebecca Law.<<
David schien zunächst verwundert, wusste keine Verbindung zwischen Robert und Becca herzustellen.
>>Ich kenne sie. Sie und ihre Familie sind ein Teil unserer Kirchengemeinde.<<
Bestätigte er dann nur mit äußerster Ruhe. Robert nickte knapp.
>>Und genau darum geht es David – ihre Familie.<<
O'Brian sah den jungen Mann dann mit fragender Mimik an, wusste nicht worauf er hinaus wollte.
>>David, Becca leidet wegen ihres Vater.<<
Es wollte dem Priester nicht in den Kopf, was Robert zum Ausdruck bringen mochte.
>>Was willst du mir sagen Robert? Was tut ihr Vater denn?<<
Robert atmete schwerfällig aus.
>>Er trinkt, ist hysterisch und droht ihnen Tag ein, Tag aus.<<
Nachdenklich sah Robert auf die Regale vor sich, welche mit Spirituosen verschiedener Art gefüllt waren. Weatherbys dringliche und bittende Worte ertönten, obwohl des abgebrochenen Blickkontakts.
>>Bitte hilf ihr David – auf mich möchte sie nicht hören.<<
Ungläubig drehte O'Brian den Kopf zu Robert. Er war darüber erstaunt, dass der Junge damit zu ihm gekommen war. Es war ein Beweis seines Vertrauens ihm gegenüber und gleichzeitig das unverkennbare Zeichen seiner Verzweiflung.
>>Wie stellst du dir das vor Junge?<<
Dann traf Roberts grünes Augenpaar wieder auf das von David.
>>Ich weiß es nicht. Doch das muss aufhören. Am Anfang wirkte sie nur unsicher – ich dachte es wäre wegen mir. Dann wurde es schlimmer und sie weinte. Es brauchte eine halbe Ewigkeit bis ich herausfand woran es denn wirklich lag.<<
Verstehend nickte der Pater. Trotzdem waren da noch offene, ungeklärte Fragen, auf die er eine Antwort wünschte.
>>Woher kennst du das Mädchen?<<
Robert zögerte einen Moment lang – während er dem gründlichen, musternden Blick von David unterlag. Am Ende stand er jedoch für Rede und Antwort bereit. Robert posaunte seine Beziehung mit Rebecca nicht großartig heraus und doch teilte er David die Wahrheit mit.
>>Becca und ich – wir sind schon seit einiger Zeit zusammen. Ich mag sie wirklich gerne und will einfach nicht das sie noch weiter unter diesem Arsch leidet.<<
O'Brian hörte die unter Ruhe ausgedrückte Wut aus Roberts Stimmlage deutlich heraus und trank daraufhin einen kleinen Schluck vom Bier, bevor er zu Robert sprach.
>>Ich verstehe Robert.<<
Geduldig wartete Roberts Blick auf dem älteren Mann.
>>Wirst du ihr helfen?<<
Er nickte knapp, wirkte dabei äußerst ernst.
>>Ich werde mit ihr reden und wenn es wirklich so ist, werde ich ihr Optionen vorschlagen.<<
Robert nickte zaghaft. Doch der Priester war noch nicht fertig, fügte noch einige Worte an.
>>Es werden immer nur Optionen bleiben Robert. Ich werde sie nicht dazu überreden, irgendetwas zu tun, was sie nicht möchte.<<
Robert gab sich mit Davids Aussage zufrieden. Er wusste, dass Rebecca äußerst viel von O'Brian hielt. Auch war der junge Weatherby sich sicher, dass Davids subjektive Erkenntnis am Ende dieselbe sein würde.
>>Danke.<<
David hatte gar keine Zweifel. Er half gerne – oder versuchte es zumindest immer. Doch er war alles andere als subjektiv. Er schätzte solche Lagen wie ein außenstehender ein und handelte auch entsprechend.
In seiner beruflichen Laufbahn durfte er schon oft Menschen als beratender Beistand dienlich sein und das sowohl bei seelischem als auch körperlichen Leiden von Menschen. David wollte sich dann an ein anderes Thema herantasten.
>>Ist dein Vater wieder zuhause?<<
Robert nickte dann kurz einige Male.
>>Gestern mitten in der Nacht ist er angekommen.<<
David seufzte daraufhin und erntete von Robert einen fragenden Blick.
>>Ist irgendetwas David?<<
Der Priester winkte nur ab und spielte seine Reaktion mit einem Seufzen herunter. Die Realität war eine andere. David wusste zu diesem Zeitpunkt bereits darüber Bescheid, was Roberts Vater während der vermeintlichen Abstecher machte. Er verließ die Stadt und sagte seiner Familie, dass er auf Automessen oder ähnlichen Veranstaltungen gewesen sei. Er hatte einen ganzen Katalog solcher Veranstaltungen in seinem Notizbuch angelegt. Die Wahrheit war jedoch eine Andere. Jeffrey verließ die Stadt nachdem er Hinweise von Samael bekommen hatte, suchte nach Abaddons Schlüssel.
Robert fügte noch etwas an.
>>Hat am Rücken eine Verletzung mitgebracht. Mum ist ausgeflippt.<<
David krauste die Stirn in Falten.
>>Wie ist das passiert?<<
Robert gab die Situation so wieder, wie sie ihm von seinen Vater geschildert wurde.
>>Werkzeug, das von einem Podest heruntergefallen ist und ihn erwischt hat. Sieht hart aus.<<
David schluckte, versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
>Es war keine Motorhaube – dein dummer Vater hat sich wieder in Lebensfahr begeben.<
Kam der Gedanke blitzschnell in seinen Kopf geschossen.
>>Aber es geht ihm gut. Er hat es selbst heruntergespielt. Sei nur ein Kratzer.<<
Nichts ahnend trank Robert danach wieder vom Bier. Aus seinem Mund klang es wirklich so, als wären solche Situationen des Öfteren passiert. Dem war auch so und das wusste David. Jeffrey kam von solchen Reisen stets mit Schnittwunden oder Narben zurück. Schon damals war O'Brian klar, dass dieses Spiel nicht mehr lange gut gehen konnte. Doch das nur als kleine Abschweifung vom eigentlichen Geschehen. Denn es waren Roberts Gedanken an dieses Gespräch. Er wollte es Revue passieren lassen, um sich vor Augen halten zu können, ob er denn wirklich Schuld an Jessicas Leiden war. Er kam zu dem nüchternen Ergebnis, dass er sich wirklich in das Leben von Rebecca eingemischt hatte und damit wohl auch das Leben von Jessica und ihrer Familie beeinflusst hatte. Sein einziger Gedanke war das Wohlergehen und die Sicherheit von Rebecca und nicht etwa der Gedanke daran, eine Familie auseinanderreißen zu wollen. Robert blinzelte ein paar Mal, ließ die Gedanken wieder von sich los und kehrte dann zur Tankstelle zurück.
Der Alte war immer noch damit beschäftigt sein altes Fernsehgerät irgendwie zum Laufen zu bringen.
>>Hier ist der Schlüssel.<<
Robert legte den Schlüssel auf dem Tresen ab.
>>Ja ist gut.<<
Meinte der Alte, ohne Robert dabei auch nur anzusehen. Er war immer noch mehr mit dem Fernseher beschäftigt, als sich um Robert zu kümmern. Weatherby wandte sich dann einfach um und machte sich daran, das Gebäude zu verlassen. Aus dem Fernseher kam lautes Rauschen, dann erschien ein Bild und auch Ton.
>>Flucht aus..<<
Man sah einen Reporter, doch grüne Schlieren waren überall auf dem Bildschirm verteilt. Als der Alte wieder auf den Fernseher klopfte, wechselte das Programm.
>>..Peoria ist unmöglich..<<
Kamen Bruchstückhaft die Worte aus dem Fernseher.
Ohne dass der Alte irgendwie Hand an den Fernseher anlegte, wurde wieder das Programm gewechselt.
>>Das Chaos...<<
Erneut wechselte das Programm und der Alte trat einige Schritte zurück.
>>Macht sich das scheiß Ding jetzt auch noch selbstständig?<<
Dann eine weibliche Stimme aus einer Talkshow, die aus dem Fernseher kam.
>>Wird euch auch weiterhin.<<
Das Programm wechselte wieder und Robert fügte die Bruchstückhaften Phrasen zusammen.
>>..verfolgen. Eine Flucht ist unmöglich.<<
Erneut ein Programmwechsel.
>>Robert.<<
Wie angefroren verharrte Weatherby an Ort und Stelle, rührte sich nicht, als er seinen Namen aus dem Fernseher hörte.
Die Programme wechselten immer wieder, so dass die einzelnen Bruchstücke einen Sinn ergaben – zumindest für Robert. Der Alte hinter dem Tresen schimpfte nur wild herum und konnte nicht etwa wie Robert etwas mit diesen Worten anfangen, die objektiv gesehen eine wilde Aneinanderreihung von Stimmen aus verschiedenen Programmen waren.
>>Der erste... Schlüssel muss verwenden werden... wofür er gedacht war... Kehr um und akzeptiere das... was bevorsteht... sonst wird... Unheil... über die Welt ziehen...<<
Es lief Robert eiskalt den Rücken runter, als er diese Nachricht vernahm. Das konnte kein Zufall sein. Diese verschiedenen Stimmen, die in ihrer Gesamtheit eine klare Botschaft bedeuteten, die zudem zweifelsohne an Robert persönlich adressiert waren, kamen als Warnung.
Die Befürchtung, dass sich Asmodai oder sogar die Person, die die Fäden von Asmodai lenkte, sich hier befinden konnte, wurde größer. Er beeilte sich, um aus dem Laden zu kommen. Dann ein lauter Knall. Das Glas des Fernsehbildschirms zersplitterte. Schnell drehte sich Robert um, um sich erkundigen zu können, was passiert war. Als er den alten Greis laut Schimpfen hörte, wusste er, dass es ihm gut ging und er keine Zeit mehr verlieren durfte.
>>Verdammt Eddy – super Teil du verdammter Schweinehund! Was hast du mir da angedreht!<<
Roberts Puls war dann wieder völlig durcheinander. Angst und Adrenalin durchströmten ihn, ließen die Müdigkeit von ihm weichen. Aufmerksam sah er sich um, während er zum Wagen ging. Ein Blick nach rechts, nach links und wieder nach rechts. Er war sich sicher, dass Asmodai oder jemand anders hier irgendwo sein musste. Schnell öffnete Robert die Fahrertür. Benjamin saß bereits am Steuer und war bereit für die Abfahrt.
>>Raus da.<<
Forderte Robert deutlich, mit strengem Tonfall. Irritiert sah sein Bruder zu ihm hinauf.
>>Ich dachte wir hätten abgemacht, dass ich fahre?<<
Robert sah über das Auto hinweg, blickte sich dann schnell um.
>>Raus da!<<
Robert wurde ungehalten und laut, fürchtete sich vor dem was ihnen hätte passieren können, wenn sie nicht schnell flüchteten.
>>Ist schon gut.<<
Benjamin stieg aus dem Wagen aus und sah Robert nicht verstehend an. Robert reagierte jedoch gar nicht auf Ben, stieg in den Wagen ein und zündete den Motor. Schnell rannte Benjamin um das Auto. Irgendwas war nicht in Ordnung, Ben erkannte es. Er stieg schleunigst ein. Robert legte den Rückwärtsgang ein, fuhr rückwärts auf die Hauptstraße und beschleunigte dann geschwind.
>>Was ist los Robert?<<
Wollte Becca wissen. Robert sah in den Rückspiegel, um sicher zu stellen, dass sie nicht verfolgt wurden, justierte ihn mit der rechten Hand, nachdem Ben ihn bereits für sich selbst eingestellt hatte.
>>Robert fuhr ziemlich schnell – obwohl der kürzlich ausgesprochenen Kritik von Benjamins Seite.<<
>>Schalt mal einen Gang runter.<<
Verlangte Benjamin dann in genervten Tonfall.
>>Was ist hier los Robert?<<
Gesine wollte jetzt gleich eine Antwort erhalten – das konnte man ihrem verärgerten Tonfall entnehmen.
>>Ein Engelchen hat mir etwas zugeflüstert.<<
Erklärte er dann kurz und bündig. Die Anwesenden im Wagen schwiegen – nur Jessica nicht. Sie nahm an, dass Robert sie mit dem „Engelchen" gemeint hatte und das eben stattgefundene Gespräch meinte.
>>Es war die Wahrheit. Und deine Reaktion bringt uns alle in Gefahr.<<
Brachte Jessica keck und stur aus sich hervor. Der Blick des älteren Weatherby lag auf der Straße und prompt antwortete er ihr.
>>Ich muss dich enttäuschen – auch wenn du mein Engelchen bist.<<
Begann Robert mit der zynischen Erklärung, betonte das letzte Wort stark. Mit Druck setzte er dann einige Worte nach.
>>Dieses Mal dreht sich die Welt nicht nur völlig um dich. Lass uns das hinten anstellen.<<
Entsetzt verstummte Jessica – vor allem aber weil es wirklich nicht um die Konfrontation zwischen ihr und Robert ging.
Zweifelnd sah Becca zu ihrer Schwester. Sie kannte ihre Schwester, konnte sich ungefähr vorstellen was passiert war. Jessica sprach dieses Thema vor Rebecca das ein oder andere Mal bereits an. Sie klagte vor ihrer Schwester, dass Robert für die aktuelle, familiäre Situation verantwortlich sei. Doch Becca wusste, dass Robert etwas Anderes zum Ausdruck bringen wollte.
>>Was hat er dir gesagt?<<
Robert sprach zunächst nicht. Auch Benjamin wollte eine Antwort, konnte es einfach nicht haben, wenn Robert anfing etwas zu erzählen und dann die Geschichte einfach nicht fortsetzte.
>>Was hat er gesagt Robert?<<
Schließlich gab der junge Mann eine allumfassende Antwort, den Blick immer noch auf die Straße
>>Das wir auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen uns beeilen.<<
Jessica verstand die Welt nicht mehr, wusste nicht was diese zusammenhanglosen Worte zu bedeuten hatte. Im Gegensatz zu den Anderen, stand sie immer noch völlig im Dunkeln. Es hörte sich für sie ganz danach an, dass Robert den Tankstellenwart, nach dem Weg gefragt hatte.
>Was ist schon so Besonderes daran?<
Durchdrang es ihren Kopf, bevor sie gründlicher nachhakte.
>>Er fragt nach dem Weg und ihr seid so aufgeregt deswegen? Wisst ihr überhaupt wohin ihr fahren wollt?<<
Robert beachtete Jessica nicht weiter, sah zielgerichtet auf die Straße.
>>Zum Glück hab ich Allwetterreifen.<<
Benjamin sah aus der Frontscheibe dem Himmel entgegen, welcher noch dunkler geworden war. Der weiße immer mehr werdende Schnee bildete nun schon einen ­dünnen und weißen Flaum auf dem Asphalt und der darum liegenden Umgebung.
>>Du lenkst ab.<<
Merkte Jessica dann an. Robert entgegnete ihr ohne Pause einige Worte.
>>Ach ja? Dann ist es also gewöhnlich, dass um diese Jahreszeit Schnee fällt?<<
Gesine steuerte ihre Meinung ebenfalls bei und klang dabei als würde sie über eine Alltäglichkeit reden.
>>Es ist möglich, aber nicht ungewöhnlich. 81 war der in Indianapolis am kältesten notierte Oktober, mit 19°<<
Indianapolis, weil es nicht mehr ziemlich weit bis dorthin war. Hier sei angemerkt, dass sie bei der Temperatur die Umrechnungseinheit Fahrenheit verwendete, wie es denn in den Staaten gebräuchlich war. In Kanada und Europa hätte man bei ihrer Aussage einen etwaigen Wert von -7 ° Celsius gehabt. Ihre Aussage war richtig. Doch in Wirklichkeit schneite es im Oktober 1981 keinen einzigen Tag in Indianapolis und Umgebung. Sie wollte Robert lediglich keine Ausflucht mehr ermöglichen. Er sollte verraten was ihm in der Tankstelle mitgeteilt wurde. Ben warf seinem Bruder auch weiterhin immer wieder einen fragenden Blick zu. Dieser bemerkte die eindringlichen Blicke. Dann kam auch Jessica wieder zu Wort, die sich bereits akklimatisiert hatte.
>>Sag ihnen doch endlich was dir in der Tankstelle gesagt wurde. Das kann doch nicht so schwer sein – meine Güte.<<
In einer nur äußerst kurzen Zeitspanne kam es Robert so vor als wäre jedes Wort von Jessica sorgfältig ausgewählt worden, um seine Geduld auf die Probe stellen zu wollen.
Er verstand, dass sie sauer war und das Beieinandersein im Wagen ausnutzte. Gesine schwieg, wollte sich in diese Angelegenheit nicht einmischen. Sie wusste zwar, dass zwischen den beiden etwas vorgefallen war, wusste jedoch, dass es hier um eine äußerst persönliche Angelegenheit ging, in welcher sie selbst nicht herumstochern wollte. Auch Benjamin verhielt sich auf die gleiche Art und Weise und zeigte große Zurückhaltung. Lediglich Rebecca mischte sich ein, die dem Ganzen ein für alle Male Einhalt gebieten wollte.
>>Es reicht nun Jessica. Wenn du irgendwelche Probleme hast, dann sag es einfach und hör auf Robert dauernd von der Seite anzumachen.<<
Robert mischte mit bei, wollte keinen Konflikt.
>>Ist gut Becca. Ist gut, sie hat recht.<<
Der junge Mann selbst befand sich in einem Dilemma. Die junge Frau nervte ihn mit ihren Einsprüngen in das Gespräch. Auf der anderen Seite verstand er sie jedoch, wusste was sie über ihn denken musste und die ganze Zeit über im Geheimen gedacht hatte. Er selbst war nicht anders. Wenn Robert irgendein Umstand nicht passte, ließ er das auch raushängen und zeigte es der Welt um sich herum. Jessica schien da nicht anders zu sein.
>>Ich weiß nicht genau ob es ein er oder eine sie war.<<
Begann Robert mit seiner Erklärung. Die Aufmerksamkeit aller wurde auf Robert gezogen.
>>Er, sie oder sagen wir einfach es.<<
Bestimmte er mit den nächsten Worten.
>>Es sagte mir, dass ich umkehren sollte, sprach mich mit meinem Namen an und sagte mir, dass der Schlüssel für seine vorherbestimmte Aufgabe verwendet werden müssen. Ich soll akzeptieren was gerade passieren würde.<<
Er pausierte dann, sah auf die Straße vor sich und schleckte sich mit der Zunge kurz über die trockenen Unterlippen.
>>Sonst würde großes Unheil über die Welt einfallen.<<
Gesine hakte nochmal nach.
>>Das wurde dir mitgeteilt?<<
>>Das und nicht mehr.<<
Erwiderte Robert. Benjamin stützte sich mit dem Ellenbogen an der Türverkleidung ab und tippte mit dem Zeigefinger immer wieder an seine Schläfe. Der Rest der Hand stützte den Kopf. Er wirkte ziemlich angespannt.
>>Was soll das hier alles? Er ist verrückt oder? Lasst mich hier raus. Ich fahr nicht mit einem Verrückten mit. Ich sollte gar nicht hier sein.<<
Verlangte Jessica dann mit aufgeregter Stimme.
>>Jessica!<<
Kam es lauthals und völlig unerwartet aus der sonst so friedlichen Rebecca heraus. Dem Schrei war Verzweiflung und Zorn zu entnehmen. Dann war es plötzlich ruhig. Keiner sagte mehr etwas. Ruhe kehrte ein und bat den sich im Wagen befindlichen Personen Zeit für sich selbst. Sich selbst und ihre Gedanken, welche wild in den Köpfen kreisten – ohne Ziel. Robert war immer noch hellwach. Den Schlaf musste er verschieben. Er wusste, dass er dieses Spiel nicht ewig weiter machen konnte. Den anderen ging es genauso. Keiner konnte ein Auge zu machen. Jessica wusste immer noch nicht wie sie diese Situation beurteilen sollte, erkannte jedoch das die Menschen bei ihr ziemlich angespannt waren. Doch sie war sich bereits darüber im Klaren, dass man ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Im Coupé selbst war die Stimmung äußerst angespannt und keiner sagte mehr etwas. Sie beließen es vorerst dabei. Die Botschaft durch den Dolch und Roberts Blut war eindeutig und führte nach Cartersville. Selbst wenn sie nicht wussten, was ihnen dieses Ziel am Ende denn versprach. Nach Peoria zurück zu kehren, war für Robert keine Option. Denn was er einmal angefangen hatte, brachte er immer auch zu einem Ende. Eingeplant hatte Robert etwa dreieinhalb Stunden bis zur nächsten Rast in Kentucky Louisville. Doch der kalte, sich anhäufende Schnee erschwerte die Reise. Zudem flüchteten die Menschen aus den Staaten Indiana und Illinois in Richtung Süden. Warum? Man hörte von dort aus weitaus weniger Meldungen über Katastrophen und das Leben dort schien sich noch viel vom Alltag behalten zu haben. Eben darum brauchten sie noch etwa fünf Stunden bis nach Louisville. Ungewöhnlicher Weise hatte es der Schnee sogar bis hier her geschafft. Bis nach Cartersville war es noch eine ganze Weile und zukünftige Zwischenstopps wollte Robert unbedingt zu vermeiden wissen. Die weitere Fahrt verlief ziemlich ruhig und ohne weitere Komplikationen oder Streitigkeiten. Sie hörten leise Radio und sagten kaum etwas. Jeder von ihnen war in Gedanken versunken und müde. Der Coupé von Robert war jedoch zu klein, als das man dort richtig hätte rasten können. Rebecca vertraute voll und ganz auf Robert. Ganz gleich was bisher auch passiert war, Robert fand immer einen Weg, wusste sich immer zu helfen und das selbst in den aussichtslosesten Situationen. Das war Rebeccas Bild von Robert – so wie sie ihn Leben und Lieben gelernt hatte. Die Wahrheit war jedoch eine Andere, die der älteste Weatherby Sohn nicht einfach so offenbaren wollte. Robert selbst hatte ähnlich wie Gesine, große Zweifel. Die Ungewissheit über das, was sie erwartete, machte ihn zu schaffen. Doch der Gedanke an die Sicherheit seines Bruder und seiner Freundin, trieben ihn weiter an. Er wollte nicht, dass noch mehr dieser schrecklichen Sachen passierten. Er wollte die fortwährende Sicherheit seiner Familie. Dies war der Antrieb für seine Bereitschaft, diesen äußerst gefährlichen Weg verfolgen zu können. Benjamin hingegen sah dem Ganzen enthusiastischer als zuvor entgegen. Sie hatten bereits so viele Hindernisse überwunden und Fragen aufgedeckt, die die letzten Jahre über verborgen geblieben waren. Robert stellte sich bereits Flauros, konnte ihn in die Flucht schlagen. Er stellte sich Asmodai und sie fanden heraus, dass er der Übeltäter aller Unfälle und Tode war. Allein die Gewissheit über all dies zu haben, ließ ihn sich ein wenig besser fühlen. Zudem vertraute er völlig auf das Handeln seines Bruders. Jessica war die Einzige, die verängstigt war und stets daran dachte, sich einfach von der Gruppe zu entfernen, wenn sich denn die Möglichkeit ergeben hätte. Sie fürchtete sich vor Roberts Worten und hatte sich an dem Gedanken festgeklammert, dass er verrückt sein musste. Noch mehr Angst machte ihr die Tatsache, dass die anderen seinen Verrücktheiten Gehör schenkten und seinen Worten Folge leisteten. Sie fühlte sich fehl am Platz, gefangen und verfluchte Robert innerlich dafür, dass er Rebecca in diese Angelegenheit hineingezogen hatte. Sie war eine intelligente Frau, mit einer Zukunft und alles war Robert und seine Familie je getan hatten, zerstörte die Zukunft von Rebecca einfach so – das dachte sie in Wirklichkeit über den Mann.
Jeder Einzelne von ihnen war still und heimlich mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Die Wetterbedingungen blieben zwar schlecht, doch der Wagen Roberts widersetzte sich dem dünnen Matsch aus Schnee und Regen. Kurz vor Louisville, an einem abgelegenen Fleckchen, hielten sie schließlich. Robert war geschaffen, spürte sein eigenes Herz laut pochen und brauchte ein wenig Ruhe. Den Anderen ging es ähnlich. An einem äußerst einfachen Motel, mit grüner Leuchtreklame, hielten sie.


Over The Sunset - RevelationWhere stories live. Discover now