IX Herzensdilemma

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Er wusste wo sich das Krankenhaus befand, kannte den kürzesten Weg dorthin und missachtete sämtliche Verkehrsregeln, um David so schnell wie nur möglich, Hilfe geben zu können. Glücklicher Weise kreuzten sie nicht die Wege örtlicher Polizeistreifen, sondern kamen nach kurzer Zeit bereits im Krankenhaus an und gaben den Freund in der Unfallstation ab. Die Knochenbrüche und das aus Nase, Mund und Ohren kommende Blut reichten aus, um eine ganze Ansammlung von Ärzten mit Arbeit zu versorgen. Ein Ärzteteam versammelte sich um die Liege, auf der O'Brian lag.
>>Was ist passiert Mr. Weatherby?<<
Hakte einer der Ärzte eilig nach, blieb dabei jedoch gelassen. >Solche Ärzte verdienen Bewunderung. Sie lassen sich nicht von Gefühlen, Angst oder anderen Emotionen verunsichern, wirken in solchen Situationen nicht wie Menschen.< dachte sich Robert.
>>Ich...<<
Robert wusste nicht was er sagen sollte. Es war klar, dass er die Geschichte von Asmodai nicht erzählen konnte. Doch im Moment konnte er an nichts anderes als den Gefallenen denken. Er sah die dämonische Fratze vor seinem geistigen Auge und schwieg. Doch Rebecca kam ihm zuvor.
>>Ein Auto hat ihn hart getroffen, bitte helfen sie ihm.<<
Eine Lüge, die jedoch ziemlich zutreffend war, bei dem was O'Brian passiert war. Der Zusammenstoß mit Asmodai glich dem Zusammenprall mit einem PKW, der ziemlich schnell unterwegs gewesen sein musste. Der Doktor nickte nur, kehrte dann zurück zum Patienten und den Kollegen.
>>Rebecca...<<
>>Er wird wieder Robert. Es wird ihm gut gehen. Wir haben es rechtzeitig geschafft.<<
Ihre Stimmlage zeigte, dass sie selbst ihre Zweifel an der eigenen Geschichte hatte.
>>Er hat mich vor dem Fall bewahrt.<<
Damit sprach der junge Mann nicht etwa das Ereignis in der Kirche an. O'Brian kümmerte sich nach dem Tod der Weatherbys um die verbliebenen Weatherby Geschwister, redete ihnen gut zu und gab Robert somit allmählich wieder Lebensmut. Sehr viel Zeit hatte David in Roberts psychische Verletzungen investiert. Für David war es das, was er immer tat. Egal wie schlecht es um ihn selbst stand. Ob er krank oder müde war spielte für ihn nie wirklich eine Rolle Doch der Junge dankte es dem Freund nie wirklich. Gewissensbisse suchten den jungen Mann urplötzlich heim.
>>Er fing mich auf.<<
Mit diesen Worten drückte der junge Weatherby all seine Dankbarkeit aus, die David galt.
>>Verdacht auf Verletzungen der inneren Organe. Wohlmöglich ein Lungen-, Milz- und, oder ein Leberriss. Wir müssen das sofort abchecken. Redford, ich brauche sofort ein CT. Lambert, bereiten Sie den OP vor.<<
Dann kamen warnende Worte der Schwester.
>>Der Puls nimmt stark ab.<<
Auch wenn es hektisch zuging, so bewahrten diese Ärzte und die Schwestern doch äußerste Ruhe. Der Drang nach der Erhaltung des Lebens – zu kämpfen, selbst wenn die Lage aussichtslos erscheinen mag und der Tod einem bereits auf die Schulter klopft, ist bewundernswert.
>>Ventrikuläre Fibrillation.<<
Verlautbarte dann eine der Schwestern.
>>Okay, Defibrillator bereit machen.<<
Diese unheilvollen Worte entzogen Robert den Atem. Es vergingen nur wenige Sekunden bis die Ärzte die Wiederbelebungsmaßnahmen starteten. Doch für Robert verging dieser kurze Augenblick nur äußerst zähfließend. Ja, dieser kurze Moment kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Eine natürliche Maßnahme des Körpers. Ein Mensch, der sich Einstein nannte, hatte mit seiner Relativitätstheorie gar nicht so Unrecht. Denn sie trifft ebenfalls auf das Empfinden des Menschen zu. Zeit kann für das einzelne Individuum als subjektiv stattfindender Faktor wahrgenommen werden und fern von allen physikalischen Einflüssen stattfinden. Der stumme und fassungslose Blick von Rebecca lag auf David, welcher durch die harten Verletzungen gezeichnet war. Robert stellte sich ihr entgegen und nahm sie ohne Vorwarnung in seine Arme. Er wusste, dass sie diesen Anblick nicht mehr lange hätte durchhalten können. Daraufhin ließ sie ihren Kopf bereitwillig auf seiner Schulter nieder. Er hörte das Schluchzen und Weinen, wollte etwas dagegen tun. Doch Rebecca erinnerte sich an die Momente, in denen David auch ihr zur Seite stand. Egal ob es Probleme in der Familie gab oder sie andere Lasten hatte. Sie durfte all das immer schon David anvertrauen und der Priester schien ein unbegrenztes Maß an Leid anderer aufnehmen zu können. Vielleicht sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass Beccas Vater dem Alkohol und der Spielsucht verfallen war. Dementsprechend behandelte er seine Familie, wenn der Alkoholspiegel hoch genug war. Rebecca, ihre jüngere Schwester und ihre Mutter mussten oft darunter leiden. O'Brian half Rebecca damals beim Suchen einer geeigneten Wohnung und verschaffte ihr das kleine Heim. Doch das nur am Rande, um verstehen zu können, warum die junge Frau so empfand.
>>So etwas wird nicht wieder passieren, ich versprech es dir. Nie wieder.<<
Roberts Worte erklangen nur äußerst leise, zurückhaltend und doch gefestigt. Sie schmiegte sich an Roberts Brust, weinte und zitterte unaufhörlich, während er seine Handfläche behutsam auf ihrem Kopf hielt. Roberts Brust schmerzte stark – doch er konnte damit leben und empfand Rebeccas Tränen als viel schmerzhafter, als die eigenen Schmerzen, welche durch Asmodai verursacht wurden.
Dann hörte man die Ärzte wieder etwas sagen.
>>Regelmäßiger, aber schwacher Herzschlag.<<
Rebecca hob den Kopf etwas an und Weatherby lockerte seine tröstende Umarmung. Beide wandten sich David zu.
>>Weiter geht's, wir dürfen keine Zeit verlieren.<<
Wies der Oberarzt seinen Gefolgsleuten an, woraufhin sie David in einen anderen Raum brachten. Das Resultat waren innere Verletzungen der Organe, die lebensgefährlich waren und binnen weniger Stunden seinen Tod bedeutet hätten. Gerade deswegen begannen die Ärzte mit einer Operation. Robert und Rebecca wurden zum Warten aufgefordert. Sie blieben im Krankenhaus, wurden von der Polizei zu diesem Fall befragt. Sie lockten die Ordnungshüter auf eine falsche Fährte, beschrieben einen Wagen mit ungenauen Details und verschwiegen den Namen Asmodai gänzlich. Es waren bereits einige Stunden vergangen und Rebecca saß auf einer der Bänke, im Aufenthaltsbereich des zweiten Stocks. Nach der Operation würde der Arzt hier seinen Rundgang machen, und würde alles Weitere an Rebecca und Robert weitergeben. Pater O'Brian hatte weder Frau noch Kinder und das junge Paar war wohl die engste Beziehung, die der alleinstehende Priester im Moment hatte. Becca umfasste mit den beiden Händen eine lauwarme Tasse Kaffee und ihr Blick versank in der Tiefe der schwarzen Brühe. Robert stand an einem Snackautomaten, einige Meter entfernt und ging dann langsam auf Rebecca zu. Wortlos hielt er ihr einen Schokoriegel hin.
>>Ist wohl nicht gerade das was du dir unter einer nahrhaften Nahrung vorstellst, aber besser als gar nichts.<<
Aufmerksam hob sie den Kopf an, musterte erst den Snack und fuhr dann mit dem Blick zu Robert hinauf.
Mit einem gequälten Lächeln bedankte sie sich anschließend bei ihm. Sie war froh, dass Robert bei ihr war.
>>Danke dir.<<
Trotz all dem erkannte Robert die durch die Tränen glasig gewordenen Augen.
>>Geht es dir auch gut? Brauchst du noch irgendetwas Anderes?<<
Sie schüttelte dankend den Kopf.
>>Nein.<<
Robert seufzte schließlich etwas, war über die Situation unzufrieden und sorgte sich um David.
>>Wenn du irgendetwas brauchst – egal was – lass es mich wissen.<<
Stumm nickte sie etwas.
Robert seufzte hilflos, der aktuellen Situation wegen.
>>Gesine sollte Bescheid wissen, was hier passiert ist.<<
Dann zückte Robert sein Handy, präsentierte es Rebecca und sprach weiter.
>>Sie ist meine einzige Blutsverwandte weit und breit und ich hab nicht mal ihre Nummer.<<
Trostlos prustete Robert einen Schwall Luft durch die Nasenlöcher. Becca erhob das Wort.
>>Ruf auf meinem Handy an, ich hab es bei ihr gelassen – für alle Fälle.<<
Engstirnig musterte Robert die Freundin, nickte dann aber zaghaft, war auch nicht weiter erstaunt darüber, da er wusste, dass Rebecca ihren eigenen Kopf hatte und ihren Willen auch immer durchsetzen würde, wenn ihr denn danach war.
>>Wir können jetzt eh nichts tun. Ich werde kurz auf den Balkon gehen und Gesine anrufen.<<
Sein Blick lag fragend auf ihr, bis sie schließlich etwas nickte.
>>Ich bin gleich wieder da.<<
>>Ist okay.<<
Dann wandte sich Robert um und ging den langen Durchgang entlang, bis er auf dem Balkon des zweiten Stocks ankam. Er ging zum aus Beton gegossenen Geländer des Balkons und wählte Beccas Nummer, hoffte sie schnell erreichen zu können. Es dauerte nur wenige Sekunden bis Gesine das Gespräch annahm.
>>Ja?<<
Erklang die vertraute Stimme aus Roberts Handy.
>>Hier ist Robert Gesine.<<
Sie machte sich keinen Hehl um förmliche Begrüßungsfloskeln, wollte direkt zum Punkt kommen.
>>Habt Ihr David getroffen? Was habt ihr herausgefunden?<<
Robert stieß einen Seufzer aus und schwieg zunächst.
>>Bist du noch dran?<<
Hakte sie dann nach.
>>Ja. Wie geht es Ben?<<
Antwortete er nur kurz und wollte sich schnell nach dem Befinden seines Bruders erkundigen. Prompt antwortete Gesine ihm.
>>Er ist eben aufgewacht und isst gerade eine Kleinigkeit.<<
Robert fiel ein Stein vom Herzen, als er die Worte seiner Tante vernahm. Die wohl erste gute Nachricht am heutigen Tag, die er vernehmen durfte. Doch er musste Gesine von dem Ereignis in der Kirche erzählen.
>>Was hat O'Brian gesagt?<<
Robert zögerte. Konnte diese Frage nicht sofort beantworten. Sein Zögern rührte nicht etwa von Gesines Verhalten her. Nein, sie erinnerte ihn sogar an seinen eigenen Vater. Direkt, ohne überflüssige Worte oder Verschönerungen eines Gesprächs. Robert sah ein, dass er die momentane Situation mit keinerlei Worten hätte beschönigen konnte.
>>Was ist passiert Robert?<<
Forderte Gesine Robert erneut zum reden auf. Sie erkannte, dass irgendetwas nicht in Ordnung gewesen sein musste. Robert wusste gar nicht wo er anfangen sollte. Wie sollte er ihr die ganze Situation erklären. Schließlich fasste er den Entschluss, sich kurz zu halten.
>>Asmodai, das ist passiert.<<
Gesine schwieg für einen Augenblick, ehe sie eine weitere, nüchterne Frage stellte.
>>Ist Rebecca in Sicherheit?<<
Robert war über die Ruhe seiner Tante erstaunt. Sie wurde nicht laut oder hektisch, sprach jedoch mit gezielten Worten. Nicht mal der kleinste Funken eines Zweifels war ihrer Stimme zu entnehmen und trotzdem schien sie genau zu wissen, von was Robert gerade sprach.
>>Ihr ist nichts passiert. Sie ist ganz in der Nähe.<<
Gesine ließ nicht lange auf sich warten, ließ Robert keinerlei Möglichkeit weiter zu sprechen.
>>Wo befindet ihr euch gerade?<<
Roberts Stimme wurde leiser. Nicht nur weil er nicht gehört werden wollte, sondern weil die zu überbringende Nachricht wie eine Last auf seinen Schultern lag.
>>Wir sind im St. Francis... Asmodai hat David erwischt.<<
>>Ihr müsst sofort zurückkommen. In Peoria ist es nicht mehr sicher.<<
Robert strich sich mit der freien Hand über das Gesicht, kämmte dann damit durch sein kurzes Haar und drehte sich einmal um. Diese Gestik führte er immer dann aus, wenn er unsicher war. Sein Herz pochte wilder. Er war alles andere als erfreut über diesen herzlosen Befehl seiner Tante, wusste jedoch nicht in wie weit er gehorchen musste, um Beccas Sicherheit gewährleisten zu können. Wäre er alleine gewesen, hätte er Gesines Befehl schlichtweg ignoriert und hätte einfach auf David gewartet.
>>Und was dann? Soll ich David einfach so hier lassen und ihm sich selbst überlassen? Ich trage Mitschuld daran, dass er nun hier liegt.<<
Selbst jetzt blieb Gesine ruhig, nahezu gelassen, verlautbarte ihre Nachricht jedoch mit gefestigter und bestimmter Stimme.
>>Hör zu Robert. David ist dort wo er nun ist in guten Händen. Ihr könnt dort nichts mehr für ihn tun. Ihr müsst zurückkommen, bevor Asmodai zurückkehrt. Es bringt nun nichts, sich selbst Schuldvorwürfe zu machen.<<
Wie angewurzelt stand Robert an Ort und Stelle, während sein ernster Blick auf Rebecca hinter der Glasscheibe des Balkons fiel.
>>Was? Er hat sich aufgelöst, ich habe den Dolch verwendet.<<
Plötzlich nahm die Geschwindigkeit von Gesines Sprachflusses zu.
>>Asmodai ist kein Engel Robert. Die Waffe die du bei dir trägst, diente deinem Vater um sich gegen Engel zu verteidigen. Asmodai ist ein kontrollierter Dämon. Er kann nicht getötet werden – nicht von dir. Um eure Sicherheit gewährleisten zu können, bitte ich dich zurück nach Vernon zu kommen. Was ich über diesen Dämon hier vor mir in meinen Büchern habe, hat nichts Gutes zu bedeuten.<<
Gesine war also im Keller, blätterte während des Gespräches in ihren Büchern herum. So viel zum Grund ihrer plötzlichen Eile.
>>Nein. Ich habe mich einmal gegen ihn verteidigen können. Ich werde David hier nicht allein lassen.<<
Setzte Robert ihr entschlossen entgegen. Er sah Rebecca von seinem aktuellen Standort, wie betrübt und niedergeschlagen sie war. Er wollte sie nicht weiter durch diese brutale Geschichte zerren. Sie wollten David nur einige Fragen stellen und stießen auf enorme Gegenwehr. Das wollte er ihr nicht mehr zumuten.
>>Ich kann Becca nicht mitnehmen Gesine. Sie leidet so sehr. Sie wird zerbrechen. Ich kann es einfach nicht.<<
Doch Gesine versuchte den Jungen wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen.
>>Hör mir gut zu und was ich jetzt sage meine ich absolut ernst: Das hier ist kein Spiel aus dem man einfach so nach Belieben aussteigen kann. Sie ist bereits ein Teil dieser unliebsamen Geschichte und ist genauso in Gefahr wie du. Du kannst sie nicht einfach so ausschließen, denn das wird Asmodai egal sein. Sie wird das erste Druckmittel sein, das er benutzen wird, wenn du nun unüberlegt handelst. Er wird wie Flauros auch, Rebecca als Mittel zum Zweck verwenden. Nimm das Mädchen und verschwinde aus Peoria und zwar jetzt sofort.<<
Robert atmete tief Luft ein. Gesines sorgte für aufgebrachte Stimmung in Robert. Er glaubte Gesine, dass er und Becca wirklich in Gefahr sein mussten. Robert vermutete bereits, dass seine Tante am Ende wohl Recht behalten würde. Es ging nicht mehr einzig und allein um Robert und Ben. Auch wenn Robert nicht wirklich begriff, was in dem Kirchengebäude passiert war. so wusste er doch, dass Rebecca nun auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ziel sein konnte.
>>Gut Gesine. Wir machen uns gleich auf den Weg.<<
Dann legte Robert das Handy bei Seite und betrachtete Rebecca für eine ganze Weile.
>>Wie gerne hätte ich dir das alles erspart.<<
Sprach er leise für sich selbst den für Rebecca ungehörten Wunsch aus und betrat wieder das Krankenhaus.
Langsam näherte er sich der jungen Frau. Sie hob langsam ihren Blick an, hielt immer noch den Becher mit Kaffee in der Hand.
>>Alles in Ordnung mit Ben?<<
Robert nickte etwas und ließ sich dann neben Rebecca auf der Bank nieder. Er stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und verschränkte die Finger ineinander.
>>Wir müssen gehen.<<
Brachte er ihr mit sanfter Tonlage bei. Rebecca sah Robert dann nur fragend an.
>>Aber was ist mit Pater O'Brian?<<
Der junge Weatherby schüttelte nur sanft den Kopf.
>>Wir können hier nichts für ihn tun. Er ist in guten Händen Becca.<<
Sie konnte und wollte diese Nachricht nicht begreifen und noch weniger wollte sie einfach gehen.
>>Aber wir sind schuld, dass Asmodai ihn überhaupt angegriffen hat. Wären wir nicht gewesen, dann wäre David jetzt noch in Ordnung!<<
Rebeccas Stimme zitterte. Sie zog die gesamte Schuld für Davids Zustand auf sich und Robert. Weatherby wusste wie viel Wahrheit in dieser Aussage lag. Doch wenn Gesine Recht behalten würde, war Asmodais Angriff nicht der Letzte gewesen.
>>Es wird ihm nicht helfen, wenn wir nur in Selbstmitleid versinken Rebecca. Wir müssen gehen und zwar jetzt sofort.<<
Enttäuscht von Roberts Worten, die eigentlich von Gesine kamen, schüttelte Becca etwas den Kopf. Sie konnte nicht glauben wie er zu all dem stand. Sie empfand seine Worte als herzlos und kalt, war es nicht gewohnt, dass Robert eine nahestehende Person einfach hinter sich lassen würde.
>>Ich werde bleiben, bis ich weiß wie es David geht. Du wirst mich nicht zwingen können.<<
Robert machte einen tiefen Atemzug.
>>Du wirst nun mit mir kommen.<<
Doch Rebecca stand auch weiterhin zu ihrer Meinung, ließ nicht nach, sorgte sich zu sehr um O'Brian.
>>Nichts werde ich. Geh ohne mich.<<
Robert fürchtete sich in diesem Moment tatsächlich um das Leben seiner Freundin. Unerwartet nahm Robert sie am Handgelenk der Linken.
>>Wenn ich gehe und dir würde irgendetwas passieren, könnte ich mir das nie verzeihen.<<
Seine Worte zogen an ihr vorüber.
>>Doch das mit Pater O'Brian kannst du einfach so verantworten? Ziehst du mich ihm vor? So kategorisierst du Menschen? Ist es wirklich so einfach Robert? Nur weil ich und du zusammen sind, bin ich mehr wert als jemand anders?<<
Robert wurde ungehalten, lauter und erhoffte sich somit sie umstimmen zu können – das Temperament eines Weatherbys, das er vor Rebecca bisher verborgen gehalten hatte.
>>Es ist mir egal was du über mich denkst. Eines weiß ich jedoch ganz sicher - Asmodai ist nicht tot und er wird auch nicht davor halt machen, zurück zu kehren, um das vollenden zu können, was ihm in der Kirche nicht gelang. Also wirst du nun einmal nicht nur an deine Gefühle denken und wirst mit mir zurück nach Vernon fahren, wo du sicher sein wirst!<<
Tränen des Entsetzen, der jetzigen Situation wegen, sammelten sich in Rebeccas Augen an. Es versetzte Robert einen Stich mitten in die Brust, sie so sehen zu müssen. Doch er war sich absolut sicher das Richtige gesagt zu haben. Er kannte diese junge Frau gut und wusste, dass sie nicht einfach so einlenken würde, wenn sie sich erst einmal für etwas entschlossen hatte. Aber Roberts Worte stimmten die junge Frau nicht etwa um, sie verletzten Rebecca und verfestigten ihre Meinung nur weiter. Sie war ein zartes, zerbrechliches Gemüt, geprägt von Streitereien und physischer Gewalt aus der Vergangenheit. Eben aus diesen vergangenen Begebenheiten resultierte ihr eiserner Wille. Auch wenn sie sich nicht wirklich darüber bewusst war, dass diese Begebenheiten Mitschuld an ihrem zarten Gemüt hatten. Ja, selbst wenn Robert es nur gut gemeint hatte, so nutzte er in diesem Augenblick – auch wenn ungewollt - die Verletzlichkeit der jungen Frau aus, um sie am Ende umstimmen zu können. Sie riss sich von ihm los, wandte sich um und rannte den Gang entlang.
>>Rebecca, warte!<<
Rief er ihr hinterher. Doch dann bog sie auch schon um die Ecke um.
>>Verdammt.<<
Kam der Fluch dann leise für sich selbst bestimmt aus ihm heraus. Er verstand sie nicht, wollte sie doch nur beschützen, wollte sie so weit wie möglich aus dieser Geschichte heraushalten und sie wollte ihn einfach nicht verstehen. Robert war festgefahren, sah sein eigenes Handeln als absolut richtig an. Gesines Ratschlag musste befolgt werden – daran bestand gar kein Zweifel. Sie kannte diese Dinger nach Jeffrey wohl am besten.
>>Ist es wirklich Recht diesem Mädchen einen Fluch nachzusagen?<<
Erklang dann eine alte jedoch aufrichtige Stimme hinter Robert. Während des Trubels, der durch Gesines Botschaft errichtet wurde, hatte Robert gar nicht darauf geachtet, ob denn noch jemand hier gewesen war. Robert drehte sich um, um erkennen zu können wer die Person war, die zu ihm sprach. Ein alter, dunkelhäutiger Mann, mit weißen Bartstoppeln, die das Gesicht schmückten. Weißer, kurzgeschnittener und gekräuselter Haaransatz sowie buschige, ebenfalls weiße Augenbrauen schmückten das dunkle Gesicht. Nach seinem Erscheinungsbild her musste er bereits gute 70 Jahre gelebt haben, war jedoch in äußerst guter Verfassung. Er trug eine schwarzes Jackett, ein weinrotes Hemd darunter, sowie eine passende, elegant wirkende schwarze Hose.
>>Was kümmert es Sie?<<
Ging Robert den alten Herrn barsch an.
>>Nun ja, ich denke es geziemt sich nicht, so mit einer Dame umzugehen. Sie sah äußerst verletzt aus.<<
Robert musterte den Alten ausgiebig, versuchte ihn einer Gruppe von Menschen zuordnen zu können.
>>Falls sie versuchen mir hier psychologischen Ratschläge geben zu wollen, sind sie bei mir falsch. Dafür habe ich leider keine Zeit.<<
Für Robert war klar, dass dieser Mann kein Patient sein konnte – zumindest wenn man versuchte den Alten seiner Kleidung nach, einer Personengruppe zuzuordnen. Er wirkte gepflegt, die Kleidung nicht billig und ließ präzise gewählte Worte aus sich heraus.
>>Keine Sorge, ich bin kein Arzt oder etwas Ähnliches. Ich habe das Gespräch nur zufällig mitbekommen und dachte mir, dass du jemanden zu Reden bräuchtest.<<
Robert schluckte etwas und hoffte, dass der Mann nichts von dem Gespräch um Asmodai aufgegriffen hatte.
>>Kümmern Sie sich bitte um Ihre eigenen Angelegenheiten. Ich brauche niemanden der mir hier beisteht. Wir sind wegen einem Freund hier und momentan steht es wirklich schlecht um ihn. Es tut mir leid, dass ich Sie so schwach von der Seite angesprochen habe.<<
Der junge Weatherby versuchte wieder einen höflichen Tonfall aufzulegen. Zu Jeffreys Lebzeiten hätte dieser nie zugelassen, dass Robert auch nur im Entferntesten einen unangemessenen Tonfall gegenüber einer älteren Person angenommen hätte. War dies doch der Fall, setzte es oftmals eine gewaltige Ohrfeige. Es war Jeffrey Weatherbys Art und Weise seinen Söhnen ein gewisses Maß an Anstand und Respekt zu lehren. Diese Ereignisse wurden Robert sofort in Erinnerung gerufen und es war so als hätte Jeffrey ihn für dieses Vergehen bestraft, so fühlte es sich zumindest an.
>>Niemand von uns ist gerne hier an diesem Ort. Es sind immer die Menschen, um die wir uns Sorgen machen, die uns hier her lotsen. Zweifel ist ein ständiger Begleiter dieses Ortes und sorgt für ein Ungleichgewicht in uns allen – auch in mir. Ich bin wegen meinem Sohn hier. Es ist fraglich ob er es schafft.<<
Entgegnete der Alte Robert ruhig, mit Besorgnis in der Stimme. Robert seufzte etwas, fühlte sich schuldig, den Mann einfach so angefahren zu haben.
>>Das tut mir leid.<<
Doch der Alte schüttelte nur den Kopf.
>>Das braucht es nicht, du kannst ja nichts dafür. Ein Freund von ihm wurde überwältigt und mein Sohn ging dazwischen – das ist seine Art. Niemand hätte ihn daran hindern können. Ich bin lediglich dankbar, dass die Ärzte hier versuchen ihm eine zweite Chance zu geben.<<
Robert nickte verstehend.
>>Nicht immer verstehen wir was unsere Gegenüber empfinden oder nach was sie sich sehnen. Das passiert nicht etwa weil wir sie nicht verstehen. Wir sind zu sehr darin bemüht uns um das Wohlergehen dieser Personen zu sorgen, gehen dabei unseren eigenen Weg und missachten die Stimmen die zu uns sprechen.<<
Weatherby hatte dem alten Mann nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Er verinnerlichte die Worte, erkannte ihre Bedeutung und respektierte, dass der Alte diese wichtige Erfahrung mit ihm teilen wollte. Roberts Gegenüber wirkte zweifelsohne besorgt, sah für einen Moment an Robert vorbei. Trotzdem konnte er dem Alten gar nichts erzählen. Dann näherte sich der Alte Robert, legte ihm die Rechte auf die Schulter.
>>Spreche nicht, sondern lausche mit dem Herz, dann wird sich dir der richtige Weg zeigen Junge.<<
Er schenkte Robert ein sanftes Lächeln ehe er gemütlich an ihm vorbei spazierte, die Linke in die Hosentasche schob und die andere Hand während des Gangs hin- und herschaukelte. Der Junge starrte nur auf den nun leeren Fleck, an dem der Mann zuvor noch stand. Insgeheim wusste er, dass die Schuld, die Rebecca auf den Schultern lastete, nicht ihr eigener Verdienst war. Egal wie sehr sie auch daran glaubte. Doch eben das tat Becca. Sie glaubte daran und darum war es für sie auch eine Wahrheit, die für sie zur Wirklichkeit geworden war. Er musste sie finden, ihr sagen was er dachte, um zumindest einen kleinen Teil ihrer Schuld abtragen zu können. Die Leuchtröhren an der Decke flackerten kurz auf, holten Robert zurück aus den Tiefen seiner Gedanken und als er sich umwandte, war der alte Mann bereits verschwunden. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen wie lange dieser Moment des Überlegens angedauert hatte, doch er musste zu Rebecca. Also rannte er den Gang entlang, rief nach der jungen Frau.
>>Rebecca!<<
Als er um die Ecke bog, lief er den leeren Gang weiter entlang. Doch dort war niemand. Weder Rebecca noch der alte Mann. Er drehte sich langsam im Kreis, sah sich genau um, fixierte jede Tür. Dann lief er weiter zu einem zentral gelegenen Punkt des Hospitals. Hier herrschte erneut reges Treiben. Einige Bänke im Informationsbereich des Krankenhauses waren besetzt und einige Ärzte, sowie Pflegepersonal waren hier vor Ort. Als Robert sich umdrehte, um sich nochmal zu versichern, dass er niemand im Gang hinter sich übersehen hatte, blinzelte er einige Male und krauste anschließend die Stirn in Falten. Er war deutlich irritiert.
>>Was zum Teufel...<<
Der Gang aus dem er eben kam - Robert erkannte ihn nicht wieder. Denn auch dort herrschte nun reges Treiben. Einige Ärzte unterhielten sich, einige Schwestern tratschten auf dem Flur und der Pegel der Lautstärke nahm auch wieder abrupt zu. Robert war sich absolut sicher, dass vor einigen Momenten genau hier eine totenstille herrschte und kein Mensch vor Ort war. Wie konnten so viele Menschen auf einmal hier auftauchen? Er konnte es sich einfach nicht erklären, doch das war jetzt auch egal, er musste Rebecca finden. Die Streiche seiner Gedanken konnte er nicht lösen.
Im Anschluss nutzte er den Aufzug, um nach unten zu kommen. Er fürchtete, dass Rebecca vielleicht aus dem Krankenhaus gegangen war. Unten angekommen, erkannte er sofort den Ausgangsbereich. Dort, so schien es ihm, sah er auch den Hinterkopf des dunkelhäutigen Alten. Er musste es sein, das Jackett verriet ihn. Mit großer Eile erreichte Robert die gläsernen Eingangstüren zum Krankenhaus, öffnete eine von ihnen und verließ das Krankenhaus. Er sah den langen Treppenweg hinunter, welcher nach etwa 20 Metern zu einer Straße führte. Vom Alten war nichts zu sehen. Robert konnte es sich selbst nicht erklären. Hatte er beim Aufprall in der Kirche vielleicht sogar eine schwere Gehirnerschütterung erlitten? Doch dieser Gedanke verflog ziemlich schnell wieder, als er am Ende der Treppenstufen jemanden sitzen sah. Robert erkannte die schwarze, dünnhäutige, lederne Jacke und das blonde Haar wieder. Hastig stieg er den Weg hinab und verweilte stillschweigend einige Stufen über der jungen Frau.
>>Wenn du da sitzen bleibst, erkältest du dich noch.<<
Sie gab keine Antwort, machte auch keinerlei Anstalten, Robert einen Blick zu schenken. Er konnte es ihr nicht übel nehmen. Denn er war sich darüber bewusst, dass er ziemlich eilig, hastig und schroff reagiert hatte, nachdem Gesine ihn aufgefordert hatte, sich sofort auf den Weg zu machen. Ihm war klar, dass es wohl zu mehr Verständnis geführt hätte, wenn er ihr die Sache ruhig erklärt hätte. Sie nahm die Botschaft anders auf, als er sie ursprünglich hätte übertragen wollen. Kurzer Hand entschloss er sich dazu neben ihr Platz zu nehmen. Sie hatte die Handflächen vor dem Gesicht aufeinander gelegt, rieb sie langsam in kreisenden Bewegungen aneinander. Das Grünblau ihrer Augen verfolgte diese harmonische Bewegung. Erst saß er eine Weile neben ihr, sagte nichts. Er beugte sich etwas nach vorn, stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und ließ die Arme zwischen den Beinen nach unten fallen. Überlegungen starteten. Welche Worte würden denn die richtigen sein? Ob es denn überhaupt richtige Worte gab? Dann schmiss er diese Gedankengänge über Bord und entschied sich einfach frei heraus zu reden und das ohne groß überlegen zu müssen.
>>Ich wollte dir nicht weh tun.<<
Gab er leise von sich, während er vor sich auf einen unbestimmten Punkt schaute. Auch jetzt sagte sie nichts. Nur wenige Sekunden später setzte sie ihren rechten Arm in Bewegung und lenkte ihn über Roberts Knie, wo sie langsam und äußerst feinfühlig seine Hand umschloss.
>>Du hast mir nicht weh getan.<<
Beschwichtigte Rebecca dann die ganze Situation. Doch der junge Weatherby wollte das nicht ohne weiteres glauben. Er wusste selbst gut genug über sein störrisches Verhalten Bescheid. Eine Entschuldigung war nicht nur angebracht, sie war notwendig.
>>Nein Rebecca. Du hattest keine bösen Absichten mit dem was du gesagt hast und ich hab versucht dir mit meinen sturen Schädel meinen Standpunkt klar zu machen. Ich möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert. Es ist anders als damals – es tut mir leid.<<
Schuld auf sich zu nehmen, war nicht unbedingt eine von Roberts Stärken. Solche Situationen gab es nur äußerst selten und wenn Robert aufrichtig Verantwortung übernahm, wurde seine Stimme sehr leise .Er erinnerte sich zurück an den Moment, als er den Disput mit Rebecca hatte.
Sie waren gemeinsam in Rebeccas Wohnung, standen im Küchenabteil. Rebecca stand vor Robert, welcher sich gegen die Arbeitsplatte der Küche lehnte und ablehnend die Arme vor der Brust verschränkte. Becca trug einen Brief in der Linken.
>>Du hast also die Stelle bekommen?<<
Sie freute sich sehr darüber, hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet.
>>Wann wolltest du mir das sagen?<<
Die Freude über die positive Nachricht war immer noch allgegenwärtig in ihr.
>>Ich hab den Brief erst vorhin aufgemacht und dachte es wäre die endgültige Absage.<<
Prüfend fiel der Blick von Weatherby auf den Brief. Becca erkannte, dass er nicht sonderlich glücklich darüber war.
>>Also wirst du nach New York gehen?<<
Sie nickte dann etwas, lächelte erfreut.
>>Ja, ist das nicht genial? Ich bekomm doch noch die Möglichkeit mich zu beweisen Robert.<<
Er rollte äußerst genervt mit den Augen und verlautbarte dann in sarkastischem Tonfall die nächsten Worte.
>>Echt super.<<
Irritiert deutete sie langsam ein Kopfschütteln an und sah ihren Freund dann mit zur Seite gelegten Kopf zweifelnd an. Die Lautstärke ihrer Stimme nahm etwas ab.
>>Du freust dich nicht für mich?<<
Selbst nach dieser Frage schien Robert nicht besonders erfreut über diese Nachricht. Er beantwortete ihre Frage nicht, sondern stellte eine Gegenfrage.
>>Ich dachte du hättest bereits eine Stelle bekommen?<<
>>Ja, doch da wollte ich nie hin. In Peoria werde ich nicht annähernd so viel lernen wie in New York Robert. Dort gibt es die richtig großen Fälle. Die Stelle hier ist viel weniger an der Praxis als ich es mir gewünscht hatte.<<
Robert schien ihr Denken nicht nachvollziehen zu können.
>>Aber ist das denn nicht der eigentliche Weg? Man lernt zunächst aus welche Bestandteile ein Wagen besteht, bevor man im Anschluss an ihm rumschraubt?<<
Abschätzend musterte Rebecca Robert. Immer noch versuchte sie ihm die Sache so nüchtern wie nur möglich zu erklären.
>>Dort wo ich hinmöchte, wird das Wissen als allumfassende Einheit genutzt und in Peoria sind es kleine Häppchen, die einzeln angewandt werden. Es fehlt hier einfach an Tiefe zur Materie. Verstehst du nicht was das für meine Zukunft bedeuten könnte?<<
Robert prustete zweifelnd Luft aus sich heraus und schien über den zukünftigen Ausgang alles andere als begeistert.
>>Für mich bedeutet das nur, dass du früher oder später gehen wirst.<<
Diese schwarzgemalte Aussicht, die Robert Becca präsentierte, brachte als Reaktion ein aufmunterndes und freundliches Lächeln.
>>Rein gar nichts wird sich ändern. Ich werde nur eine Weile weg sein und danach...<<
Sie näherte sich ihm, legte ihre samtweichen, aber auch äußerst kühlen Händen auf seinen Armen ab. Robert zeigte daraufhin keinerlei Regungen. Als sie seine fortwährende Reaktion registrierte, sprach sie erneut.
>>Es wird nicht lange dauern.<< >>Wann?<<
Hakte er schließlich nach. Sie sah ihn stutzig an und schüttelte leicht, fragend den Kopf. Robert wurde deutlicher.
>>Wann gehst du?<<
Sie sah ihn überlegend an, haderte einen Augenblick, da sie aus nächster Nähe mitbekommen hatte, wie unzufrieden Robert über ihr Glück war.
>>Nächste Woche geht es los. Ich weiß es ist kurzfristig.<<
Gekünstelt lächelte, wich dann ihrem Blick aus.
>>Kurzfristig? Tz.<<
Irritiert und zweifelnd sah sie ihn dann an, ließ ihn dann los und zog sich einige Schritte zurück.
>>Ich kann dich nicht verstehen. Warum bist du so aufgebracht deswegen? Warum gönnst du es mir nicht?<<
Schließlich drehte Robert den Kopf wieder und das dunkelgrün seiner Augen sowie das grünblau ihres Augenpaars trafen aufeinander. Sein Blick mit tiefernster Mimik – ihrer mit Unverständnis.
>>Ich hatte tatsächlich vor einen kleinen Ausflug mit dir zu machen. Hab uns beiden eine kleine Lodge im Norden von in Wisconsin besorgt. Ich wollte ein paar Tage mit dir in der Natur verbringen – fern von all dem hier.<<
Es war wirklich keine Ausrede, er hatte die Vorbereitungen für diesen kleinen Ausflug bereits getroffen, hatte mit der Eigentümerin der Lodge telefoniert. Die Freude in Beccas Gesicht zog sich zurück, als sie das hörte. Sie hakte zögernd nach, um sich vergewissern zu können.
>>Du hast einen Urlaub geplant?<<
Roberts Enttäuschung war sichtbar, trotzdem blieb er ruhig. Mit ebenso enttäuschter Ruhe sprach er dann zu seiner Freundin.
>>Weißt du was Rebecca? Vergiss es einfach und zieh dein Ding durch. Ich werd ein paar Kumpels anrufen und trotzdem hinfahren. Wenn ich zurückkomme, wirst du schon lange in New York sein.<<
Rebecca konnte Roberts Handeln nicht nachvollziehen. Für sie war es die Chance, sich selbst einen beruflichen Eckpfeiler aufbauen zu können. Sie wollte diesen Platz, hatte dafür gekämpft und Robert wusste das auch. Sie verließ damals für einen Tag Peoria, um sich bei der besagten Kanzlei vorstellen zu können. Als sie über Monate hinweg keine Rückmeldung von der Kanzlei bekommen hatte, hatte sie die Angelegenheit für sich bereits abgeschrieben und einer kleinen, lokalen Kanzlei zugesagt.
>>Mach's gut Becca und viel Glück.<<
Mit diesen schlichten Worten wandte sich Robert von ihr ab, präsentierte ihr die kalte Schulter und drehte sich nicht nochmal um. Er verließ Beccas Wohnung, in der die beiden die meiste Zeit zusammen wohnten und fuhr einfach die Straße entlang. Tatsächlich fuhr er für einige Stunden in Richtung Wisconsin und war in seinem Ärger fest entschlossen, Peoria hinter sich zu lassen. Es brauchte mindestens eine Stunde bis Roberts Gemüt sich wieder abgekühlt hatte. Wie sein Vater es Becca ungefähr zur gleichen Zeit damals prophezeit hatte, begann Robert zu überlegen.
>Verdammt – Sie versucht doch nur das Beste aus ihrem Leben zu machen.<
Er befand sich mitten auf der Landstraße. Es war bereits kurz nach 2 Uhr früh, als er mit dem Wagen an den Straßenrand fuhr, nahe einer Wiese. Zu dieser Zeit war die ländliche Straße nicht wirklich viel befahren. Robert stieg aus dem Wagen aus, brauchte ein wenig Abkühlung und musste sein Gemüt ein wenig herunterfahren. Er kannte sich selbst am besten und wusste, dass ein bisschen Ruhe dabei helfen würde. Er umkreiste den Wagen, lehnte sich gegen die Beifahrertür und warf seinen Blick auf einen in weiter Ferne liegenden Punkt der Wiesenlandschaft. Der Himmel war in dieser Nacht sternenklar und die hier eingekehrte Ruhe war nahezu ansteckend für das Gemüt des aufgebrachten Jungen.
Mit einem tiefen Atemzug, nahm er die milde Brise tief in sich ein. Er wollte sich nicht so von Becca verabschieden und wie ein Kind davonlaufen. Ihm gefiel Rebeccas Weg nicht, und doch musste er es akzeptieren – um ihr kein Hindernis zu sein. Schließlich griff er in die Lederjacke und kramte sein altes Handy heraus.
>>Kein Anruf.<<
Stellte er ernüchternd fest.
>>Warum auch.<<
Ein kurzes Ausprusten von Luft erzeugte ein stimmloses und nur kurz andauerndes, äußerst verzweifeltes Lachen, das ihm selbst galt.
>>Einsicht kommt wenn man sich selbst gegenübersteht.<<
Es war auch viel einfacher für ihn, dies zuzugeben, jetzt wo er sich mitten im Nirgendwo von Illinois alleine fühlte. Kurzer Hand wusste er was zu tun war. Je mehr er sich von Peoria entfernt hatte desto schlechter fühlte er sich.
>>Weglaufen macht es auch nicht besser Robert.<<
Sagte er sich dann selbst leise mit einem anschließendem Seufzen. Die Nachricht von Rebecca überrumpelte den jungen Robert eigentlich so sehr, dass er nicht angemessen darauf reagierte und nicht wirklich überlegte, als er mit ihr sprach. Geballte und äußerst rasant aufgetürmte Emotionen waren der Grund hierfür. Dann hielt er sich vor Augen, dass er einige Zeit ohne Rebecca auskommen musste. Den geplanten Ausflug hätte er wohl auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Er musste zurück, musste die Situation klar stellen und Becca sagen, dass er einfach von der ganzen Situation überrumpelt wurde. In diesem Moment tat es dem jungen Mann auch schon wieder leid. Als Robert diese bereits weit entfernte Erinnerung hinter sich ließ, musste er daran denken, dass Gesine wohlmöglich Recht hatte. Hinter jeder Ecke konnte Gefahr lauern. Flauros und Asmodai wirkten wir völlig normale Menschen. Selbst jetzt hätte sich einer oder mehrere dieser Gestalten unter ihnen befinden können und kein Mensch hätte etwas davon mitbekommen. Und trotz aller Zweifel, kamen die Worte völlig unerwartet aus ihm heraus.
>>Wenn du möchtest, werden wir hierbleiben. Wir werden hier bleiben, bis wir erfahren wie es David geht.<<
Becca drehte ihren Kopf schließlich zu ihm. Ein unsicherer Gesichtsausdruck traf ihn. Erneut ergriff er das Wort.
>>Nun komm schon, lass uns wieder reingehen, sonst fängst du dir wirklich noch etwas ein.<<
Sie drückte seine Hand ein wenig fester und aus der Unsicherheit in ihrem Gesicht wurde Dankbarkeit, geziert von einem schmalen, kaum bemerkbaren Lächeln. Robert erhob sich, hielt auch weiterhin Rebeccas Hand bei sich und half ihr beim Aufstehen, bevor er ihre Hand langsam los ließ.
Er wandte sich schließlich um und stieg die Stufen wieder hinauf zum Eingang des Krankenhauses – langsam und gemächlich. Becca wusste für sich selbst, dass es von Roberts Seite aus keinerlei Worte mehr brauchte. Er hatte seinen eigenen Schatten überwunden, um diese Entscheidung fällen zu müssen. Über die Tatsache, dass sie sich auf weiterhin in Gefahr befanden, waren sie sich beide bewusst. Weatherby bereute die Entscheidung nicht, wusste jedoch was auf ihn und Rebecca alles hätte zukommen können. Er musste auf alles vorbereitet sein, durfte nichts dem Zufall überlassen. Schließlich wurden sie erst vor wenigen Augenblicken in einer Kirche angegriffen.
>Ein Haus der Engel – nein, unseres vermeintlichen Gottes, in welchem wir von einem Dämon angegriffen werden.<
Sagte er sich selbst in Gedanken, wollte es nicht laut aussprechen, um Rebecca nicht zu verunsichern.
>>Wir werden vorsichtig sein, egal was passiert.<<
Brach Rebecca schließlich das Schweigen und sah den Mann neben sich erwartungsvoll an, als hätte sie seine Gedanken gehört. Doch was konnte er schon darauf sagen. Er wusste für sich selbst, dass das nicht ausreichen würde, jedoch das Einzige war, was sie nun tun konnten. Also traten die beiden wieder in das Krankenhaus ein. Vor der Tür zum Eingang angekommen, sah sich Robert nochmal um.
>>Was hast du?<<
Hakte Rebecca prompt mit vorsichtiger Tonlage nach.
>>Ist ein älterer Mann mit einem Anzug an dir vorbeigegangen als du da draußen warst?<<
Sie schüttelte langsam den Kopf.
>>Nein, da war niemand der an mir vorbeigekommen ist. Eine Person die du kanntest?<<
Noch während sein Blick suchend umher streifte, öffnete er die Tür für Rebecca und antwortete ich.
>>Ist nicht so wichtig.<<
Dann sah er sie auffordernd an, begleitet von einem sanftmütigen Lächeln. Sie passierte die Schwelle zum Krankenhaus und Robert folgte ihr. Er fragte sich wo der Alte wohl hingegangen war. Es wurde später und das Krankenhaus wurde allmählich leerer. Patienten und Angehörige die im Saal saßen, gingen mit jeder vergangenen Stunde. Auch das Personal wurde zur Abendstunde rarer. Becca saß auf einer der Bänke, wechselte immer wieder die Position, war schon äußerst lange ungeduldig.
>>Entschuldigen Sie bitte.<<
Robert stand am Tresen und sprach mit einer Schwester.
>>Gibt es irgendetwas Neues?<<
Er erkundigte sich nach David und das einige Male pro Stunde.
>>Sie sollten sich wirklich ein wenig ausruhen. Ich habe ihnen doch gesagt, dass mich der Doktor informieren wird sobald es Neuigkeiten gibt. Ich werde Ihnen Bescheid geben.<<
Robert nickte und wandte sich Rebecca zu. Die letzten drei Stunden erschienen den beiden endlos lange. Zum Glück passierte nicht sonderlich viel. Roberts Handy klingelte immer wieder Mal. Es war Gesine. Sie wollte sich erkundigen wie weit die beiden schon gekommen waren. Gesine wäre außer sich gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass Robert ihre Aufforderung am Ende doch missachtet hatte. Er antwortete schlichtweg nicht auf die Anrufe, erhoffte sich einfach nur Neuigkeiten über Davids Befinden. Schließlich ließ sich Robert neben Rebecca nieder.
>>Bist du nicht müde?<<
Sie schüttelte den Kopf, begleitet von einem matten Lächeln.
>>Nicht mehr als sonst auch.<<
Das Lächeln in ihrem Gesicht wurde für den Bruchteil einer Sekunde unweigerlich breiter, nahm dann jedoch wieder ab.
Die Zeit verstrich auch weiterhin, ohne Antwort darauf, wie es denn um David stünde. Im Laufe der Zeit machte sich die Müdigkeit bei Rebecca bemerkbar. Sie nickte an Roberts Schulter angelehnt ein. Auch Robert war schon viel zu lange wach. Die Sonne war bereits untergegangen und die beiden wurden von der einladenden Stille der ruhelosen Wartezeit ergriffen. Auch der junge Weatherby wurde schläfrig, zwang sich jedoch immer wieder, wach zu bleiben, riss die Augen weit auf, immer dann, kurz bevor er einschlief. Ein schwieriges Unterfangen, doch er wusste um was es ging. Am Ende wurde er jedoch von seiner Menschlichkeit übermannt, schloss die Augen und die Welt um ihn herum wurde dunkel. Aneinander geschmiegt schliefen beide für eine Weile ein. Der Schlaf dauerte nicht sonderlich lange für Robert an. Jemand schüttelte Robert kräftig durch und er riss dementsprechend erschrocken die Augen auf. Sofort wurde im bewusst, dass er eingeschlafen war. Schnell sprang er auf, schaute sich geschwind um und griff nach dem Dolch. Dann bemerkte er lautes und krachendes Lärmen. Er verlor den Halt, als sich seine Beine selbstständig machen wollten.
>>Nicht schon wieder.<<
Erahnte er dann, was hier passierte und musste an das Beben in Davids Haus zurückdenken. Daraufhin ließ er wieder vom Dolch ab. Auch Rebecca hatte die Augen aufgerissen, sah sich völlig perplex um, verstand die Situation nicht.
>>Es ist nur wieder ein Beben.<<
Versuchte Robert Rebecca zu beruhigen. Doch er wusste ganz genau, dass es unüblich für Peoria war und die Beschwichtigung der Situation nur wenig hilfreich sein würde. Rebecca sprang auf, eilte zu Robert hinüber und verstand im ersten Moment nicht was hier los war.
>>Es ist gleich vorbei!<<
Versprach Robert laut. Schreie strömten durch das Krankenhaus, welche nur noch mehr Angst in Robert und Rebecca schürten. Er gewährte ihr in seinen Armen Schutz, während sie mitten in der Empfangshalle standen und die Menschen an ihnen vorbeirannten. Einige Menschen eilten an ihnen in Richtung Ausgang vorbei und andere wiederum rannten in die Gänge und zu den Treppengängen, um nach ihren Bekannten, Freunden und Familie zu sehen, die hier im Krankenhaus bleiben mussten.
>>Robert.<<
Erklang erneut die besorgte und lauter gewordene Stimme von Rebecca. Er nickte etwas.
>>Raus hier Rebecca. <<
Wies er ihr dann in ebenso kräftiger und lauter Stimmlage entgegen, damit sie ihn auch wirklich hören konnte. Es hätte niemanden etwas gebracht, wenn das Beben Becca oder Robert verletzt hätte. Es dauerte um ein Vielfaches länger an als das bei der Kirche. Beide rannten in Richtung Ausgang, noch während die Erde bebte. Robert hielt Becca fest bei der Hand. Sie flüchteten aus dem Gebäude, drangen zu einer Traube aus Menschen vor, die das Krankenhaus nur langsam verlassen konnte. Auch draußen war Hysterie vor Ort. Die Menschen aus Peoria waren solche Beben nicht gewöhnt, kannten Naturkatastrophen nicht und reagierten natürlich mit äußerster Angst davor. Nach etwa einer halben Minute fand das Beben ein Ende und daraufhin passierte etwas, das die Angst der Menschen weiter sprießen ließ. Alle Lichter, von Laternen und Nebengebäuden erloschen einfach so – eines nach dem Anderen. Unruhiges Tuscheln suchte den Eingangsbereich des Gebäudes auf, als dann plötzlich noch das Licht innerhalb des Gebäudes erlosch.
>>Das darf nun nicht wahr sein.<<
Ausnahmslos jedes Licht im Gebäude war erloschen. Nur noch der Mond am Himmel, in Begleitung von unzähligen Sternen, bedeckte das Areal mit einem sanften Lichtschein.


Over The Sunset - RevelationWhere stories live. Discover now