XV Einen Abschied für jeden Schuss

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Robert fuhr auf einem mit Schnee bedeckten Parkplatz. Etwa 20 Parkplätze standen hier direkt vor den kleinen Unterkünften zur Verfügung.
>>Was zum...<<
Ben konnte seinen Augen nicht trauen, als er sah was hier los war. Fast alle Parkplätze des Motels waren besetzt. Robert versicherte sich mit einem nochmaligen Blick auf die Leuchtreklame, dass sie sich auch wirklich auf dem Parkplatz eines Motels befanden.
>>Der rustikale Stil wird wohl immer beliebter.<<
Merkte er mit einem Seufzen an und suchte auch weiterhin nach einem Parkplatz.
>>Wohl eher ein Wrack und weniger rustikal.<<
Fügte Gesine hinzu, als sie das baufällige Gemäuer im grellen schein der grünlichen Leuchtreklame musterte. Verdorrte Pflanzen, Laub, abgebröckelter Putz und stellenweise mit einer Kombination aus Klebeband und Müllbeutel reparierte Fenster. Gesine stellte Überlegungen an, ob sie nicht doch im Wagen bleiben sollte.
>>Ich glaube ich werde im Auto bleiben...<<
Doch Rebecca versuchte in wirklich jeder Situation das Gute zu finden.
>>Es muss zumindest ausreichen um sich ein wenig ausruhen zu können.<<
Dann sprach Benjamin das aus, was Robert bereits die ganze Zeit gedacht hatte.
>>Becca hat Recht, wir müssen uns ausruhen. Genießen wir diesen Luxus, denn bis nach Cartersville können wir uns keine weitere Rast mehr leisten. Das bedeutet also kein Bett mehr.<<
>>Brüderchen und ich müssen nun ein Wort miteinander wechseln. Wenn ihr uns kurz entschuldigen würdet.<<
Es war keine Bitte, die Robert da aussprach – viel mehr eine Ankündigung, dass er einen Moment nicht gestört werden wollte. Dann stiegen Benjamin und Robert aus dem Wagen, schlugen die Türen zu und sahen sich über das Dach hinweg einander an.
>>Ein oder zwei Zimmer?<<
Wollte Robert dann wissen. Grübelnd sah Benjamin zu Robert hinüber, zögerte einen Moment, bevor er eine Antwort auf diese für ihn äußerst eigentümliche Frage gab.
>>Es sind drei Frauen mit an Bord. Wir können das nicht einfach eigenmächtig entscheiden. Ich glaube nicht, dass sie mit uns in einem Zimmer schlafen möchten. Das wird zu eng Robert.<<
Der ältere Weatherby nickte verstehend.
>>Weder Asmodai noch irgendein Engelchen werden davor Halt machen, dass Zimmer unserer Damen zu stürmen, wenn es denn sein muss. Das ist dir klar?<<
Nachdem Robert eine Eventualität der Zukunft erläutert hatte, atmete Benjamin laut hörbar Luft durch den Mund aus, welche als warmer Dampf in der Kälte zu sehen war.
>>Ok – lass es uns mit Becca besprechen..<<
Dann öffnete er die Beifahrertür.
>>Rebecca, kannst du rauskommen?<<
Bat Benjamin mit freundlicher und ruhiger Stimme. Jessica ließ es sich nicht nehmen und stieg noch vor Rebecca aus, da sie direkt hinter dem Beifahrersitz saß und der Coupé nur zwei Türen besaß.
Robert verdrehte die Augen. Als Jessica ausgestiegen war und mit ernstbleibender Mimik zu Robert hinüber sah. Er lächelte nur etwas. Nicht etwa provokant – er wollte einfach nur freundlich wirken. Jessica jedoch wandte sich um und sah sich die Gegend ein wenig an. Auch Rebecca hatte den Wagen bereits verlassen. Robert beugte sich hinunter, um Blickkontakt zu seiner Tante herstellen zu können.
>>Jetzt wo die beiden Mädels draußen sind, möchtest du dir auch die Beine ein wenig vertreten?<<
Gesine schüttelte hastig den Kopf.
>>Ich bleib hier, kümmert ihr euch um das Zimmer.<<
Dann wurde Robert leiser und hakte bei ihr nach.
>>Wir wissen nicht wie gefährlich es hier wird. Zwei oder eines?<<
Gesine sah Robert ernst an, antwortete jedoch dann prompt.
>>Eines ist sicherer – aber nur wenn es größer als eine Abstellkammer ist.<<
Robert nickte etwas verstehend.
>>Alles klar, ich mach die Tür zu, damit es da drinnen warm bleibt.<<
Gesine nickte dann nur stumm und lächelte ihrem Neffen anerkennend, freundlich zu. Dann schlossen beide Brüder die Türen des Wagens. Rebecca sprach dann, während sie die Arme vor der Brust verschränkte und somit die im Auto gewonnene Wärme bei sich halten wollte.
>>Jetzt wo du es ansprichst. Es ist wirklich äußerst kalt hier draußen.<<
Der älteste Weatherby schlug gelassen etwas vor.
>>Sollten wir uns nicht gerade deswegen heute nach aneinander kuscheln?<<
Rebecca reagierte nicht wie erwartet auf Roberts Angebot. Nüchtern bewertete die Situation.
>>Ich denk du hast Recht.<<
Sie sah kurz zu Jessica hinüber, die sich einige Meter entfernt hatte und sich auf dem Gelände umsah. Schließlich sprach Becca weiter.
>>Angesichts unserer aktuellen Situation wäre ein Zimmer wohl die bessere Wahl.<<
Becca aber musste ebenfalls an die Gefahr denken, die ihnen wohlmöglich auf den Versen war. Robert übermittelte seinem Bruder dann mit einem kurzen Blick auf Gesine und dem ausgestreckten Daumen, Gesines Antwort. Benjamin nickte kurz und drehte seinen Kopf dann Rebecca zu.
>>Rebecca, kommst du mit? Ich gehe zur Rezeption wegen einem Zimmer.<<
Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Schwester, dann auf Robert, ehe dieser kurz ein kurzes nicken vermittelte.
>>Klar.<<
Antwortete sie daraufhin. Als die beiden dann bereits den Parkplatz verlassen wollten, kam Jessica Rebecca hinterher.
>>Jess.<<
Rief Robert ihr hinterher. Wie angewurzelt blieb sie stehen, sah erwartungsvoll zu Rebecca.
>>Du kannst hier bleiben. Ben und ich fragen nach ob noch etwas frei ist.<<
Dann wandte Jessica sich um, ging zur Beifahrertür, legte bereits Hand an die diese an.
>>Auf ein Wort.<<
Bat Robert mit ruhiger Stimme, während er mit den Ellenbogen auf dem Dach des Autos lehnte. Jessica blickte auf und sah Robert auffordernd an. Die Blicke der beiden kreuzten sich.
>>Mach schnell, mir ist kalt.<<
Robert nickte dann eilig.
>>Ja, in Ordnung. Ich will dich auch gar nicht lange aufhalten.<<
Warum wollte Robert nun mit ihr sprechen? Er war normalerweise ein von sich selbst überzeugter Kerl, der an seiner Meinung festhielt. Wenn er einmal etwas getan hatte, konnte ihn keiner davon überzeugen, dass er es in ferner Zukunft bereuen würde – nun ja, außer Jeffrey. Er belehrte Robert sogar ziemlich oft. Er schimpfte mit ihm, schrie ihn bei Zeiten sogar an. Doch Jeffrey war der einzige Mensch, von dem Robert etwas bereitwillig lernen wollte. Diese Situation hier war jedoch eine völlig andere. Robert wollte während des Road Trips nicht auf Kriegsfuß mit Jessica stehen. Im Grunde genommen mochte er sie sogar ziemlich gern. Nur darum sprang er über seinen eigenen Schatten.
>>Ich wusste nicht das du so von mir denkst.<<
Gab er dann offenkundig zu. Trotz des Geständnisses war Jessica immer noch Stur, zeigte ihm die kalte Schulter.
>>Jetzt weißt du es.<<
Robert schüttelte den Kopf.
>>Nein Jessica – glaub mir bitte. Ich wollte weder dir noch deiner Familie nie etwas Schlechtes.<<
Gesine bekam Stückchenweise etwas von dem sich abspielenden Gespräch mit, versuchte jedoch so viel wie möglich zu überhören. Sie lehnte sich zurück, dachte an ihren Bruder und die Vergangenheit zurück, rief sich Ereignisse aus alten Tagen in Erinnerung, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien. Nie hätte sie gedacht, mit ihren beiden Neffen gezwungener Maßen einen Road Trip machen zu müssen.
>>Ich glaube nicht, dass ich wiederholen muss was du getan hast.<<
Robert senkte den Blick etwas, sah auf das mit Schnee bedeckte Dach des Coupés. Die Nussbraunen Augen lagen ruhig und erwartungsvoll auf Robert. Sie verstand nicht warum er einfach so ihre Familie zerrissen hatte, hasste ihn dafür. Als würde er nach den Worten suchen, die er dem Mädchen entgegen bringen wollte, schaute er erst hin – dann her.
>>Weißt du...<<
Dann hob er den Kopf an, sah zum bewölkten, grauen Himmel.
>>Ich mag deine Schwester wirklich gern. Wir hatten uns erst ein einige Male getroffen, kannten uns noch nicht sonderlich gut – trotzdem mochte ich sie auf Anhieb...<<
Nach diesen Worten senkte er den Kopf wieder ein wenig und sah mit dem überzeugten, grünem Augenpaar direkt in Jessicas Augen.
>>Und das seit Anfang an. Deine Schwester wirkte unsicher, verstört und redete immer weniger.<<
Jessica lauschte den Worten von Robert, wollte sie ihm die einmalige Chance geben, sich erklären zu können. Dann schloss sie den Reißverschluss ihrer Steppjacke. Sie fror. Robert fuhr dann fort, wirkte nun ein wenig ernster. Die junge Frau bekam den plötzlichen Umschwung seiner Mimik mit.
>>Es wurde nicht besser. Sie fing an zu weinen und ich konnte einfach nur zusehen. Weißt du wie schlimm das für mich war? Ich wusste nicht was mit ihr los war und konnte absolut nichts dagegen machen. Es hat an mir genagt.<<
Für Jessica fühlte es sich äußerst eigentümlich an, dass Robert ihr so offene Worte entgegen brachte. Über ein „Hi" kamen die beiden selten hinaus.
>>Irgendwann, als sie mehr Last mit sich herumschleppte, als sie eigentlich konnte, erzählte sie mir was los war.<<
Robert schnappte kurz etwas Luft, hatte immer noch Jessicas volle Aufmerksamkeit.
>>Ich konnte nicht weiter tatenlos zusehen. Sie zerbrach vor meinen Augen Stück für Stück.<<
Er wartete kurz. Doch Jessica erwiderte nichts auf seine Worte hin, gab ihm die Zeit, die er brauchte. Also sprach Robert weiter.
>>Ich will dich nicht anlügen. Vielleicht fühlte ich mich dadurch auch ein wenig besser. Vielleicht war es egoistisch von mir so zu handeln. Was ich getan habe - Ich habe es mir immer und immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Doch ich würde es immer wieder tun Jess. Ich hab Becca einfach zu gern, als dass ich einfach zusehen könnte, wie sie zu Boden geht.<<
Er wurde etwas leiser.
>>Doch du und ich, wir sollten wenigstens auf dieser kleinen Reise miteinander auskommen können. Ich möchte dich nicht dazu zwingen. Wenn es nicht geht, dann geht es nicht – dann ignorieren wir uns einfach.<<
Gerade als Robert seine Erklärung für Jessica beendet hatte, kamen Rebecca und Benjamin zurück. Die Augenpaare von Jessica und Robert landeten erwartungsvoll auf Becca.
>>Und?<<
Robert wollte wissen für was sie sich entschieden hatten und tat so als sei nichts gewesen.
>>Das Ganze ist doch etwas schwieriger als wir anfangs gedacht hatten.<<
Robert schüttelte zögernd, langsam den Kopf.
>>Was meinst du?<<
Prompt kam die Antwort von Becca.
>>Jede Ecke dieses Motels ist voll. Der Eigentümer hat Familie, die weitere Motels betreiben. Dort wäre die Situation anscheinend die allerselbe. Die meisten Leute sind auf der Durchreise in den Süden und bleiben nicht lange.<<
Robert krauste die Stirn in Falten.
>>Also dieselbe Situation wie bei uns. <<
Stellte Robert mit einem genervten Seufzen fest. Jessicas Blick kehrte zu Robert zurück. Sie brauchte immer noch ein wenig Zeit, um die Gefühle verinnerlichen zu können, die Robert ihr gegenüber offenbart hatte. Die Tür der Fahrerseite des Coupés öffnete sich, als Gesine versuchte aus dem Wagen zu steigen. Robert entfernte sich ein paar Schritte von der Tür, zog sie auf. Unbehagen baute sich in Jessica auf, als sie die Worte hörte.
>>Werden die Katastrophen schlimmer?<<
Sie sah die Anwesenden erwartungsvoll an. Doch es traute sich keiner eine Antwort darauf zu geben. Vielleicht weil sie sich selbst vor der Zukunft fürchteten. Oder weil sie nicht wussten, ob ihr Weg von Erfolg gekrönt werden sollte. Doch die aus dem Wagen aussteigende Gesine gab Jessica eine ehrliche Antwort.
>>Das wird es mein Kind und deswegen müssen wir auch nach Cartersville. Es wird weder in Peoria, noch hier sicher sein.<<
Jessica stockte für einen Moment der Atem, als sie hörte was die älteste Weatherby ihr da mitteilte.
>>Gesine!<<
Kam es mahnend aus Robert heraus, der die Zähne aufeinander presste. Ihr ernster Blick fixierte Robert daraufhin. Sie richtete sich auf, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war.
>>Was ist Robert? Wie lange wollt ihr dieses Mädchen noch anlügen?<<
Im Anschluss sah sie auch zu Benjamin und dann zu Rebecca, ehe die vorwurfsvollen Worte aus ihr herauskamen.
>>Wollt ihr es auch weiterhin vor ihr verstecken? Möchtet ihr, dass sie es auf eigene Faust erfährt?<<
Sie fixierte Benjamin.
>>So wie du, als du im Sanatorium festgehalten wurdest?<<
Ihre Stimme wurde lauter und ihr Tonfall ließ Robert, Becca und Benjamin ganz klein werden. Jessica hingegen war entsetzt, als sie hörte, dass Benjamin in einer Psychiatrie Insasse war. Wobei sie bei der Nennung des Sanatoriums auch irritiert war. Dann lenkte sie den Blick auf Robert, sprach in demselben Tonfall.
>>Oder du, nachdem du an Rebeccas Tod Schuld trugst?<<
Jessica glaubte nicht was sie da hörte. Sie sah zu ihrer Schwester – sie musste sich versichern, dass Gesine nur Unsinn erzählte. Nun sah sie zu Rebecca. Ihre Stimme wurde sanfter. Nicht mehr angreifend oder belehrend, eher hinterfragend ruhig.
>>Wie war es für dich als du gestern Roberts Vater mit deinen eigenen Augen gesehen hast?<<
Robert erhob das Wort.
>>Es reicht Gesine.<<
>>Nein. Genug mit den Lügen Robert. Das Mädchen wurde entführt und ist dem Tod nur knapp entkommen. Wenn ihr sie weiter in Unwissenheit lasst, wird sie genau wie ihr, diese schmerzhaften Erfahrungen am eigenen Leib machen müssen.<<
Gesine wollte Jessica die gewonnenen Erfahrung nicht vorenthalten. Sie fand es nicht nur respektlos, sondern auch gefährlich, Jessica gegenüber Stillschweigen zu behalten.
>> Was will Miss Weatherby damit sagen? Erzähl mir endlich die Wahrheit Becca.<<
Gegen Ende des Satzes wurde sie lauter. Daraufhin sprach Gesine erneut, ziemlich ruhig, nahezu beruhigend, wollte nicht, dass die Situation gänzlich aus den Fugen geriet.
>>Wir werden dir alles erklären. Zunächst einmal sollten wir jedoch diese eisige Kälte hinter uns lassen. Habt ihr ein Zimmer bekommen?<<
Gesine sah Ben erwartungsvoll an. Er zögerte einen Augenblick.
>>Nun ja.. Ich hoffe doch.<<
Ungläubig lastete Gesines Blick auf Benjamin.
>>Was willst du damit sagen?<<
Rebecca entschied sich die Situation weiter zu erklären.
>>Wie Ben vorhin schon sagte, die meisten Motels im Umkreis sind ausgebucht – so ist es wohl auch mit diesem hier. Doch am Ende konnten wir doch ein Zimmer bekommen. Es muss renoviert werden, ist baufällig. Aber wir können die Nacht über im Zimmer bleiben. Wir sollten dort alle schlafen können. Das Ganze hat uns auch nur 40 $ gekostet.<<
Gesine schloss kurzzeitig die Augen, war genervt von der aktuellen Situation.
>>Keine Panik, im Kofferraum hab ich noch einige Decken für euch verstaut.<<
Auch Jessica kam wieder zu Wort.
>>In einem Zimmer? Wir alle? Gibt es wenigstens genügend Betten?<<
Sowohl Robert als auch Jessica und Gesine sahen erwartungsvoll zu Ben und Becca.
>>Zwei Betten.<<
Verlautbarte Benjamin dann.
Gesine seufzte hörbar.
>>Lasst uns erst einmal in das Zimmer gehen, ehe ich mir hier draußen noch den Tod hole.<<
Daraufhin ging Robert zum Kofferraum.
>>Keine Angst – zur Not kuschel ich mich mit Ben auf dem Boden zusammen.<<
Robert versuchte den Frauen die aktuelle Lage ein wenig angenehmer zu gestalten. Jessicas Blick landete erleichtert, geradezu dankbar auf Robert. Als dieser das bemerkte, wandte er das Augenpaar auf den ihn ansehenden Benjamin und zwinkerte ihm kurz zu.
>>Na dann packt mal alle mit an.<<
Robert nahm eine Reisetasche in die eine Hand und klemmte sich ein paar zusammengelegte Decken unter den anderen Arm. Die anderen taten es ihm gleich und nahmen das heraus, was nötig war um die Nacht im fragwürdigen Zimmer gut überstehen zu können. Gemeinsam gingen sie den schlampig gepflasterten Weg, den Gebäudekomplex entlang.
>>Sie scheinen nicht übertrieben zu haben. In jedem Zimmer brennt Licht.<<
Erkannte Benjamin beim Vorbeigehen an den Fenstern.
>>Welches ist unser Zimmer?<<
Wollte Jessica in Erfahrung bringen. Becca nahm den Schlüssel zur Hand, an welchem ein kleiner Anhänger aus Eisen, mit einer kaum lesbaren Gravur, angebracht war.
>>Nummer 19.<<
Dann gingen sie noch ein Stück weiter, bis sie das Zimmer fanden. Sie standen vor dem für sie bestimmten Zimmer.
>>Das ist nicht euer ernst?<<
Robert konnte es fast nicht glauben, als er das Zimmer sah. Wie in anderen Zimmern auch, war das Fenster zerschlagen und darüber wurden einige Lagen Folie befestigt, um wenigstens vor dem Wind schützen zu können.
>>Doch, das ist es – zweifelsohne.<<
Erwiderte Rebecca, nachdem sie nochmal die Nummer auf dem Schlüsselanhänger überprüft hatte. Sie ging dann zum Türschloss, steckte den Schlüssel ein und versuchte dann die­ Tür zu öffnen, was äußerst schwerfällig war, denn das Schloss klemmte, ließ sich nicht öffnen.
>>Es geht nicht.<<
Erkannte sie dann und versuchte mit etwas Gewalt das Schloss zu öffnen.
>>Immer langsam.<<
Robert versuchte sie in Zaum zu halten.
>>Vielleicht sitzt der Zylinder nicht richtig. Versuch ihn mal hin und her zu schieben.<<
Dann versuchte die junge Frau nach Roberts Anweisungen zu handeln, wurde jedoch nach kurzer Zeit bereits von Robert belehrt.
>>Du machst den Schlüssel noch kaputt, wenn du das weiter so versuchst.<<
Rebecca ließ dann den Schlüssel stecken, ging ein wenig bei Seite. Sie warf Robert ein gekünsteltes Lächeln zu.
>>Bitte Mr. Weatherby.<<
Robert rollte dann mit den Augen. Er ließ die Reisetasche neben sich liegen und legte selbst Hand am Schlüssel an. Wie er vermutet hatte, ließ sich der Zylinder des Schlosses hin und her bewegen. Er folgte seinem eigenen Vorschlag, drückte den Zylinder mithilfe des Schlüssels ein wenig in die Tür hinein und versuchte zu sperren – ohne Erfolg.
>>Könntest du ein wenig schneller machen? Ich erfrier hier sonst noch.<<
Gesine war ungeduldig, freute sich auf ein warmes Zimmer und ein halbwegs gemütliches Bett. Robert drehte den Schlüssel, soweit es ihm möglich war und zog mit äußerst viel Gefühl am Schlüssel. Im Anschluss konnte er wie erwartet das Schloss aufsperren.
>>Na bitte.<<
Dann öffnete er die Tür, suchte nach einem Lichtschalter und versorgte den Raum somit mit Strom. Auch die anderen folgten Robert. Ein modernder Geruch lag in der Luft. Es war äußerst kalt. Zwei äußerst einfache Betten standen links vom Eingangsbereich. Nie hätten sie alle in diesen Betten schlafen können. Gegenüber vom Eingangsbereich, vor einem intakten Fenster stand ein alter, brauner Sessel. Robert sah sich selbst schon darin schlafen. Er hätte es nie zugegeben, war jedoch bereits geschaffen und wollte nur für einige Stunden schlafen.
In der Ostseite der Wand befanden sich zwei Türen. Benjamin näherte sich den Türen.
>>Der Kerl am Empfang sagte es gäbe ein Badezimmer und einen weiteren kleinen Raum, in dem ein Fernseher und eine Couch stünden.<<
Dann überprüfte Ben was er eben erzählt hatte. Tatsächlich befand sich hinter der einen Tür ein äußerst kleiner Raum, in dem es sogar noch kälter zu sein schien. Eine einfache Stoffcouch, angefertigt aus dem gleichen Material wie der braune Sessel im Vorzimmer, sowie ein ebenso alter Fernseher standen dort.
>>Und hier sollen wir bleiben?<<
Jessica zweifelte stark. Dann sprach auch Gesine.
>>Robert, sieh nach ob die Heizung an ist.<<
Robert zögerte nicht lange und ging sofort zur Heizung, und drehte den Wasserhahn auf. Dann fühlte er das Eisen.
>>Eiskalt.<<
Kam das Resultat ernüchternd aus Robert heraus.
>>Was machen wir jetzt Robert? Es ist eiskalt und gibt nicht genügend Betten für alle.<<
Weatherby seufzte geschaffen. Er war müde. Die Reise hatte Kraft gekostet. Die Müdigkeit war ihm buchstäblich in sein Gesicht geschrieben. Man sah die deutlicher werdenden Augenringe, die er ohnehin mit sich trug.
>>Gesine, du nimmst das eine Bett.<<
Robert deutete auf das erste Bett nach dem Eingang.
Sie sah Robert zweifelnd an.
>>Das hätte ich auch ohne deine Anweisung Junge.<<
Er rollte mit den Augen, war gerade eben genervt von ihrer Art. Eben noch verlangte man von ihm Organisation. Aber Robert gab keine Widerworte, nahm Gesines überflüssigen Einwand stillschweigend hin.
>>Du und Jessica, ihr könnt das andere Bett haben.<<
Erklärte er Robert kurz.
>>Ich werd auf der Couch im Kämmerchen nebenan schlafen und Benjamin...<<
Robert wandte seinen Blick dem Bruder zu. Dieser erwiderte den Blick erwartungsvoll.
>>Du bist kreativ, mach es dir einfach irgendwo gemütlich.<<
Entsetzt und wortkarg sah Benjamin seinen Bruder an.
>>Nun sieh mich nicht so an, hinter dir ist noch ein Sessel.<<
Dann sah Robert zu Jessica hinüber.
>>Und wenn das für euch ein Problem sein sollte, dass einer von uns hier im Zimmer schläft, werden wir den Sessel einfach in das Nebenzimmer schieben.<<
Jessica schüttelte nach einem Moment den Kopf. Der älteste Weatherby nickte dann.
>>Fein, dann haben wir alles notwendige geklärt.<<
Schließlich packte jeder seine Mitbringsel aus, die für den Aufenthalt hier dringlich gebraucht wurden. Rebecca packte einen weiteren Pullover aus und warf ihn Jessica ohne Vorwarnung zu.
>>Damit du in der Nacht nicht frierst.<<
Als Benjamin die Kleidung sah, erklärte er sich selbst.
>>Ich werde mit Robert in das Kämmerchen gehen.<<
Robert hatte gerade eine Decke ausgepackt, warf sie dann mit Wucht auf seinen Bruder.
>>Du bleibst hier. Sie sagten doch es wäre okay. Ich hab keine Lust auf große Umbauten.<<
Ben schluckte kurz, hatte aus seinen Erinnerungen Jessicas nackten Körper vor Augen, fürchtete jemand hätte es ihm ansehen können. Benjamins blaues Augenpaar und das nussbraune von Jessica trafen sich für einen Moment. Lange konnte Ben die in ihm herrschende Scham nicht verbergen, wich ihrem Blick aus und sah auf einen unbestimmten Punkt zu Boden. Rebecca bemerkte die Rasche Flucht und sah Benjamin das Unwohlsein an. Robert sah zunächst Ben, dann Jessica und am Ende Becca an. Er war von den hin- und hergeworfenen Blicken irritiert.
>>Was ist hier los? Hab ich irgendetwas verpasst?<
>>Es ist in Ordnung Ben. Keiner wird sich mehr ausziehen, ohne es dir nicht vorhin gesagt zu haben.<<
Interessiert hob Gesine den Kopf an und unterbrach das Auspacken für einen Moment.
Dann schüttelte sie kurz den Kopf.
>>Ich will gar nicht wissen was in meinem Haus alles passiert ist.<<
>>Nichts.<<
Sprach Benjamin dann als würde er sich gegen Gesines Vermutung verteidigen wollen. Im gleichen Moment sprach auch Jessica, die nicht im falschen Licht vor der ältesten Weatherby erscheinen wollte.
>>Gar nichts.<<
Robert sah Ben prüfend an.
>>Ich weiß zwar nicht genau was passiert ist. Doch wenn du ein Problem hast, kann ich auch hier schlafen?<<
Benjamin schüttelte den Kopf.
>>Ist in Ordnung, ich bleibe.<<
>>Gut.<<
Kam es genervt und endgültig aus Robert heraus.
>>Dann macht euch bettfertig, damit wir nicht zu viel Zeit verlieren.<<
Rebecca und auch die anderen bemerkten die in Robert hausende Anspannung. Jessica konnte das Ganze noch immer nicht ganz nachvollziehen.
>>Seid ihr mir keine Erklärung schuldig?<<
Hakte sie dann erneut nach und rief den anderen Gesines vergangene Ankündigung für einen Erklärungsversuch wieder in Erinnerung.
>>Gesine.<<
Forderte Robert dann schroff.
>>Das war deine brillante Idee.<<
Der junge Mann ging nach diesen Worten stillschweigend zur Tür.
>>Wo willst du jetzt noch hin?<<
Wollte Rebecca wissen.
>>Nur ein wenig raus. Ein wenig Luft schnappen, nicht mehr. Ich stehe gleich vor der Tür.<<
Ohne weitere Erklärungen öffnete er die Tür und schloss sie hinter sich. Er lehnte sich auf die schäbige Brüstung aus Beton, welche durchgehend entlang des Gebäudekomplexes errichtet worden war. In der Ferne, weit oben, versuchte er die Sterne zu erkennen. Doch die massige und graue Wolkendecke bedeckte den gesamten Himmel und ließ keinen winzigen Blick hindurch. Soweit das Auge reichte, konnte Robert keinen einzigen Stern weit und breit erkennen.
>>Ihr verdammten Dinger.<<
Verfluchte Robert die Wesen, denen die Roberts Leben auf den Kopf gestellt hatten. Als er Jessica und Asmodai zusammen sah, rief es ihn in Erinnerung, dass diese Wesen vor nichts Halt machen würden. Für sie gab es keine Grenzen. Wie sehr er sich doch wünschte, weitere Personen aus dieser unglücklichen Geschichte heraushalten zu können. Heimlich schwor er, dass die Verantwortlichen dafür büßen würden. In der Zwischenzeit, wenige Meter von ihm entfernt, sah Jessica Gesine erwartend an.
>>Sagen Sie es mir bitte Ma'am.<<
Der weise, doch nun das erste Mal etwas unsicher wirkende Blick festigte sich in Gesines Gesicht. Sie rang mit sich selbst. Nicht etwa ob sie dem Mädchen die Wahrheit erzählen sollte, sondern viel mehr wie. Nein – sie war sich sicher. Sie musste es ihr so nüchtern wie möglich erzählen. Es würde zu Jessicas eigenen Schutz beitragen können, wenn sie über all die Geschehnisse Bescheid wissen würde.
>>Setz dich.<<
Bat Gesine dann mit ruhiger Stimme und sah dann zu Rebecca.
>>Würdest du bitte nach meinem Nervenbündel von Neffen sehen?<<
Bat Gesine Rebecca höflich und setzte ein mattes Lächeln auf.
Rebecca nickte Gesine zügig entgegen, ging dann zur Tür und blickte sich nochmal um. Ben nickte Gesine zaghaft entgegen und näherte sich ihr danach. Diese begann dann zu erzählen.
Rebecca schloss die Tür hinter sich und sah sich anschließend nach Robert um. Weit und breit war nichts von ihm zu sehen. Sie blieb ruhig, vermutete zunächst nichts Schlimmes – das versuchte sie sich zumindest einzureden.
>>Ich geh nur mal eben vor die Tür.<<
Murrte sie leise Roberts Worte nach und sah sich dann ein wenig auf dem Gelände um. In Wirklichkeit war sie jedoch genauso gebrandmarkt wie Robert, sah sich nach kurzer Zeit bereits hektisch um und vermutete hinter jeder Ecke und in jedem Schatten einen Gefallenen. Sie wollte am liebsten nach Robert schreien, wusste jedoch, dass man sie hören würde und sie für großen Wirbel und Aufregen sorgen würde. Robert war genervt – das wusste sie. Er musste sich zurückziehen. Normalerweise hatte er nicht so viele Menschen um sich herum. Doch sie machte sich nichts vor. Das allein war nicht der Grund. Diese Geschichte drehte sich um Roberts gesamte Familie. Seinen Eltern wurde das Leben genommen und Rebecca wusste, dass er sich vor der Zukunft fürchtete. Er hoffte wieder zu Kraft zu finden. Rebecca wusste wie er dies bewerkstelligen wollte. Sie folgte dem Weg zum Parkplatz. Der Schnee fiel immer noch in äußerst großen Mengen. Zudem ging ein äußerst kalter und starker Wind.
Laute Musik lockte sie in Richtung Parkplatz. Sie war beruhigt als sie Robert im Wagen sitzen sah. Wie bereits erwähnt wurde, waren lange Autofahrten und Musik Roberts Art der Meditation. Er versuchte verzweifelt ein kleines Stück Normalität zurück zu gewinnen. Rebecca näherte sich dem Wagen langsam. Öffnete dann vorsichtig die Tür. Robert schreckte auf, zog zugleich den Dolch aus der Jackentasche. Er konnte nicht wirklich runter kommen. Nicht einmal mit der Musik in seinem Wagen. Immer zu hatte er diesen Dolch bei sich und berührte ihn zu jeder Zeit. Als er Rebecca erkannte, prustete er erleichtert Luft aus dem Mund heraus. Er drehte die Musik leiser, so dass sie kaum noch zu hören war.
>>Kannst du nicht anklopfen?<<
Dann ließ er sich zurück in den Sitz fallen und schloss die Augen.
>>Sorry, ich wusste nicht, dass du alleine sein möchtest.<<
Er öffnete die Augen wieder, drehte seinen Kopf in ihre Richtung, sah in ihr grünblaues Augenpaar und lächelte nur für sie. Ein verblüffend echtes Lächeln – auch wenn es keines war.
>>Hier draußen ist es kalt Robert. Darf ich nun reinkommen oder nicht?<<
Er sprach ihr dann ruhig entgegen.
>>Komm schon rein.<<
Schließlich trat sie ein und schloss die Tür. Robert zündete den Motor.
>>Wo wollen wir hin?<<
Sie befürchtete nicht das Robert alleine mit ihr von hier verschwinden würde – der Typ von Mensch war er nicht, einfach die Familie im Stich zu lassen.
>>Was hast du vor?<<
Ihr Augenmerk lag gelassen und voller Vertrauen auf dem Freund.
>>Wenn wir einfach gehen würden...<<
Sie pausierte kurz, musste diesen Gedankengang erst in Stillschweigen vollenden, bevor sie ihn aussprechen konnte.
>>Sie wären dem allen hilflos ausgeliefert – Jess, Ben und Gesine. Sie würden es...<<
Robert unterbrach sie.
>>Beruhig dich Becca. Hier drinnen ist es eiskalt. Das würde uns gerade noch fehlen, wenn du jetzt auf einmal krank werden würdest.<<
Rebecca hielt inne und Robert hakte nach.
>>Was ist los Becca? Ist was passiert?<<
Sie schüttelte den Kopf.
>>Nein Robert. Deine Tante erzählt Jessica gerade was passiert ist.<<
Stumm sah Robert auf die Frontscheibe des Wagens.
>>Denkst du es ist richtig, sie über alles aufzuklären? Ich meine was ist wenn wir es schaffen würden, ohne dass sie etwas von all dem mitbekommen würde.<<
>>Es ist echt lieb von dir, dass du dich so um sie kümmerst.<< Sie lächelte ihm zu. Doch Robert machte sich große Sorgen und sprach weiter.
>>Nein Rebecca. Sei ehrlich zu dir selbst. Seit das hier passiert ist, mache ich nachts kein Auge mehr zu. Ich liege auf einer Couch oder in einem Sessel und schlafe stets mit halb geschlossenen Augen. Jedes Knirschen von Holz, jeder Regentropfen, der falsch auf Metall aufprallt, führt meine Hand zu diesem Ding.<<
Er klopfte einige Male auf die Jackentasche, in welcher sich der Dolch befand.
>>Rebecca – wenn ich es gekonnt hätte, wären Ben und die anderen nie hier gelandet.<<
Rebeccas Miene wurde ernst.
>>Das weiß ich doch Robert. Und ja, es ist schlimm. Wir wurden alle hier hineingezogen. Doch keinen trifft Schuld daran. Sie ist nur hier weil sie uns nahe stehen. Es ist besser, nein sicherer, wenn sie hier bei dir ist.<<
Robert schwieg, versuchte sich die ausgesprochenen Worte zu verinnerlichen.
>>Ich kann meine Augen nicht überall haben. Dafür sind wir einfach schon zu viele. Es geht einfach nicht Rebecca.<<
Prompt antwortete Rebecca auf Roberts Geständnis.
>>Das verlangt auch gar keiner von dir Robert. Denkst du, du stehst das hier alles alleine durch? Wir sind schließlich auch hier. Keiner verlangt von dir den Helden zu spielen.<<
Robert setzte ein hoffnungslose Lächeln auf. Er alleine wollte aber der tragische Held dieser Geschichte sein. Nicht etwa um Ruhm und Anerkennung zu ernten. Viel mehr wollte er die ganze Last, das ungewollte Erbe von Jeffrey Weatherby, allein auf seinen Schultern tragen.
>>Mein Dad konnte das auch. Er schaffte es weder Mum noch Gesine oder uns Kinder hier miteinbeziehen zu müssen. Auch wenn seine Maßnahmen Gesine gegenüber etwas hart waren – er schaffte es. Keiner von euch sollte hier sein. Nicht mal meine Tante. Ich scheitere bereits hierbei und liege somit weit hinter meinem Vater.<<
Das grünblaue Augenpaar fixierte Robert nachdenkend.
>>Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich das zulassen würde? Als ich Hilfe brauchte, warst du für mich da. Als es mir schlecht ging, warst du da und selbst jetzt machst du dir Sorgen.<<
Nun sprach Robert etwas leiser.
>>Jeder der mir etwas bedeutet ist hier in diesem Motel und du sitzt neben mir. Wir wissen nicht was uns am Ende erwarten wird.<<
Dann pausierte er. Auch Rebecca schwieg für einen Moment, ehe Robert dann das Geständnis aus sich herausbrachte – das jedoch nur flüsternd.
>>Ich hab Angst.<<
Becca drehte sich zu ihm und beugte sich in seine Richtung. Ohne Vorwarnung, führte sie die Arme um Roberts Körper, schmiegte sich mit ihrer rechten Gesichtshälfte an die seine, spürte den kratzenden Dreitagebart.
>>Es wird gut werden.<<
Flüsterte sie ihm ins Ohr. Robert selbst zeigte nur in den seltensten Fällen Nähe zu andere Personen oder ließ so etwas kaum zu. Er war nicht der Typ, der sich an andere Personen schmiegte, oder zeigte, dass er etwas für andere empfand. Seit Robert Rebecca kannte, öffnete sich Robert immer mehr für solche Ereignisse. Sie holte den weichen Kern in ihm zum Vorschein, welchen er bisher so erfolgreich versteckt hatte.
Das erste Mal passierte es als Rebecca von einer Reise zur Ostküste zurückkehrte. Sie war zwei Wochen fort und Robert holte sie am Flughafen in Peoria ab. Die beiden kannten sich zu diesem Zeitpunkt erst drei Monate. Als Rebecca Robert am Flughafen warten sah und sie ihn erkannte, musste sie Lächeln – sie freute sich den jungen Mann wieder sehen zu dürfen. Es war ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Die beiden waren noch zehn Meter entfernt und trotzdem war dieses Lächeln ansteckend für Robert. Sie kam schneller auf ihn zu, umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Im ersten Moment fühlte sich Robert unwohl und wusste nicht wie ihm geschah. Das samtweiche, blonde, gelockte Haar kitzelte an seinem Gesicht und aus dem Unwohlsein wurde Wärme.
>>Hi.<<
Kam es erleichtert, leise aber auch glücklich aus ihr heraus. Danach erst erwiderte er die Umarmung. Zum damaligen Zeitpunkt erkannte Robert etwas, worüber Rebecca sich schon während ihrer Reise im Klaren war. Er sah, dass es mehr als nur eine gute Freundschaft war, die zwischen ihm und Rebecca entstanden war. Es war der Beginn einer äußerst eigentümlichen, aber auch sinnigen Beziehung. Auch jetzt, als die beiden im Auto saßen, wurde Robert daran erinnert, dass Becca für ihn da war. In der Zwischenzeit hatte Gesine angefangen die Erklärung über die aktuelle Situation zu machen. Alles was sie erzählen würde, würde eng mit den Katastrophen verflochten sein. Sie erzählte Jessica von dem Brand im Sand Ridge State Park. Benjamin bestätigte die Geschichte. Es war noch nichts Ungewöhnliches, bis Benjamin von seinem Traum erzählte, in welchem er den maßgeblichen Übeltäter das erste Mal sah. Er erzählte auch von dem Geschehnis im Krankenhaus und nannte den Namen Asmodai das erste Mal. Jessica konnte nicht verstehen was die Träume mit all den Katastrophen gemeinsam hatten.
>>Wenige Zeit nach der Katastrophe lieferte man mich in eine Nervenheilanstalt ein.<<
Erklärte Benjamin, der neben dem Bett stand, auf welchem Jessica sich niedergelassen hatte.
Sie bekam es ein wenig mit der Angst zu tun.
>>In Bartonville.<<
Fügte er der Erklärung schließlich hinzu. Jessica zeigte sich erneut irritiert.
>>Es wird nicht mehr betrieben.<<
Wusste sie ganz genau, da sie eine historische Arbeit über die Missstände in Nervenheilanstalten des letzten Jahrhunderts zusammengetragen hatte.
>>Doch wir glaubten daran. Benjamin fehlte nichts – er war grundlos dort. Und nicht etwa Ärzte oder Menschen kümmerten sich dort um ihn.<<
Erzählte Gesine weiter. Jessica stockte der Atem als sie erklärt bekam was dort vor sich ging.
>>Der vermeintliche Dr. Flauros stellte sich als eine etwas andere Gestalt heraus.<<
Dann präsentierte Gesine zeitgleich mit ihren Worten das Buch, in dem eine Skizzierung und eine Beschreibung über den Dämon Flauros gemacht wurde. Ungläubig wechselte das nussbraune Augenpaar von Gesine zu Benjamin.
>>Das ist ein schlechter Witz?<<
Gesine schüttelte den Kopf.
>>Pater O'Brian wurde lebensgefährlich durch so ein Wesen verletzt. Rebecca und Robert brachten ihn in das Krankenhaus. Es gibt sogar Dokumente uns die belegen, dass Doktor Flauros mein behandelnder Arzt ist.<<
Jessica erhob sich und entfernte sich unsicher einige Schritte von den beiden in Richtung Mauer des Zimmers.
>>Warum erzählt ihr mir solche Geschichten? Ich habe euch nichts getan. Wieso seid ihr so versessen darauf mir Angst zu machen.<<
Sie verstand nicht warum Gesine und Benjamin ihr auf einmal einen so bösartigen Streich spielen wollten.
>>Ich werde bei euch bleiben, in Ordnung. Es tut mir leid, dass ich Robert all das an den Kopf geworfen habe. Ich werde meinen Mund halten, werde nichts mehr sagen und einfach bei euch bleiben, aber hört auf mir solche...<<
Dann wurde sie von Benjamin unterbrochen.
>>Jessica.<<
Sprach er deutlich aus. Sie sah ihn verängstigt an, wusste nicht wie sie weiter reagieren sollte.
>>Wie erklärst du dir deine Entführung von der du nichts mitbekamst? Wie lange hat es gedauert bist du von Peoria nach Vernon kamst. Hattest du schon mal auf die Uhr gesehen? Wir wissen nicht wie er zu so etwas im Stande war, doch es passierte!<<
Weder Gesines Worte, noch Benjamins letztliche Erklärung passten zu Jessicas Weltanschauung. Nichts davon ließ sich mit dem vereinbaren, was sie selbst als Realität kennzeichnete.
>>Nein, das ergibt keinen Sinn. Nichts davon ergibt einen Sinn.<<
Sie wehrte sich gegen die ihr präsentierten Wahrheiten, die ihrer Anschauung nach nichts weiter als ein böser Streich oder sogar krankhafte Fantasien waren.
>>Du wurdest nur aus einem bestimmten Grund entführt.<<
Sie wollte nicht mehr davon hören, es reichte ihr.
>>Hört auf.<<
Bat sie dann mit deutlicher Stimme. Doch Ben führte seine erklärenden Worte weiter aus.
>>Einzig und allein um Robert aus der Defensive zu locken – es ging nie um dich. Nur weil Robert dir nahe steht.<<
Erklärte Benjamin trotz ihrer Zweifel weiter.
>>Er stand mir nie nahe. Nein – das ist eine Lüge.<<
Jessica rief sich die jüngsten Ereignisse wieder in Erinnerung. Pater O'Brian, nein Asmodai hielt sie fest und verletzte sie.
Sie überprüfte die Schulter, die Gesine versorgt hatte und erinnerte sich an die Verletzung.
>>Hier bei uns ist es sicherer.<<
Wollte Gesine ihr mit ruhiger Stimmlage deutlich machen. Zweifelnd landete das braune Augenpaar auf Gesine. Dann sprach Benjamin weiter.
>>Es ist alles real. Keiner von uns glaubte an die Existenz dieser Dinge. Doch sie haben dich ebenfalls ins Visier genommen. Wir können dich nicht einfach alleine lassen, nachdem du einmal als Druckmittel verwendet wurdest. Wir fahren nicht zu einem Onkel oder einer weiteren Tante, um Schutz vor den Katastrophen zu suchen.<<
Jessica konnte nicht glauben, dass sie immer noch weiter machten und das obwohl sie Ben und Gesine mehrere Male darum gebeten hatte aufzuhören. Sie versuchte sich daran zu erinnern was sie ihnen angetan hatte, warum sie auf einmal so von ihnen behandelt wurde. Sie konnte sich keinen logischen Reim daraus machen. Daher breitete sich die Verzweiflung in ihr aus. Eine Ansammlung von Tränen fand sich in Jessicas Augen wider. Schockiert über Benjamins Worte, starrte sie ihn entsetzt an. Vielleicht war es doch der ernst und die beiden waren einfach nur psychisch labil oder sogar schwer gestört.
>>Das bin ich also?<<
Sie schluckte tief. Benjamin stockte der Atem. War er die ganze Sache vielleicht doch ein wenig zu energisch angegangen?
>>Nichts weiter als ein Druckmittel in eurer kranken Fantasie?<<
Während dieser Worte kullerten ein paar Tränen ihre geröteten Wangen hinunter und fielen auf den alten Holzdielenboden. Dann nahm sie eilig die blaue Jacke und ging an Benjamin vorbei.
>>Du kannst nicht einfach gehen, es ist zu gefährlich.<<
Gesines Worte waren weniger eine Bitte – es war eine Tatsache, die Jessica als Aufforderung entgegen gebracht wurde.
Ungläubig sah Jessica zu Gesine hinüber.
>>Nein, hier in der Nähe der Familie Weatherby ist mein Leben in Gefahr. Ihr seid allesamt krank.<<
Die Worte drangen gekränkt, enttäuscht und verzweifelnd aus ihr heraus. Benjamin versuchte Jessica aufzuhalten, legte seine Rechte sanft auf ihre Schulter.
>>Es ist schwierig, aber du...<<
Sie ließ ihn nicht ausreden, stieß mit der freien Hand Benjamins Hand von sich und brachte ihm zornige Worte entgegen.
>>Fass mich nicht an! Keiner von euch fasst mich mehr an.<<
Die Furcht sprach aus ihr heraus. Sie fürchtete sich vor Gesine und Benjamin. Die Worte, die als Erklärung für die aktuelle Situation dienlich sein sollten, stürzten Jessica tief in die Angst hinein. Es war die Furcht vor den Weatherbys und vor dem was sie ihr hätten antun können. Sie fühlte sich wie in einem schlechten Thriller und nicht etwa wie in dem Horror-Film, welcher ihr von Ben und Gesine präsentiert wurde. Für Jessica war es eindeutig klar, dass Benjamin und seine Tante verrückt sein mussten, denn sie schienen selbst an das zu glauben, was sie ihr erklären wollten. Natürlich glaubte sie an eine höhere, göttliche Macht. Doch diese Geschichte klang völlig unglaubwürdig. Sie glaubte nicht länger an einen schlechten Scherz. Noch bevor sie die Tür erreichen konnte, stellte sich Gesine ihr in den Weg. Sie versuchte mit Vernunft zu Jessica zu sprechen.
>>Du magst aufgewühlt sein und all das nicht verstehen, doch du musst uns glauben Liebes.<<
Jessica zögerte etwas, sprach dann aber mit zögernder Stimme.
>>Lassen Sie mich bitte gehen.<<
Gesine schluckte schwerfällig, seufzte danach etwas auf.
>>Wir denken uns das nicht einfach so aus. Denkst du Robert, Benjamin und deine Schwester würden einfach so ihr Leben hinter sich lassen, um einen Ausflug zu machen, der ins Nirgendwo führt?<<
Als Gesine Rebecca erwähnte, setzte Jessica ihr schroffe und laute Worte entgegen.
>>Weil sie verbitterte alte Hexe meine Schwester verrückt gemacht haben! Nur weil sie nicht alleine sein wollen, in ihrem schäbigen alten Haus!<<
Die alte Weatherby überlegte nicht lange. Emotionen überhäuften sie flutartig. Erinnerungen, die mit den Begrifflichkeiten „verbittert" und „Hexe" in Verbindung standen, holten Gesine wieder ein. Ihr zurückgezogenes Leben und das alte Haus ließen tatsächlich den einen oder anderen Bewohner in Vernon diese Begriffe aussprechen. Gesine hörte das regelmäßige Tuscheln der Leute, als sie beim Einkaufen war. Worte, die Kinder aussprachen, als sie sie sahen.
>>Mami, da ist die Hexe.<<
Manchmal erntete sie auch musternde Blicke, hörte wie die Menschen über sie tratschten. >>Arme verbitterte Frau.<< Oder aber zu ihrer anfänglichen Zeit in Vernon, als sie noch den Gottesdienst besuchte. Sie saß alleine auf ihrem Platz, in der kleinen Kapelle. Die Menschen scheuten sie, standen lieber in den hinteren Bereichen, als sich zu ihr zu setzen.
Auch wenn Gesine sich nie über diese Worte und Taten ihrer Gemeinschaft beschwert hatte und trotz all dem für jeden stets ein sanftmütiges Lächeln über hatte, so schufen all diese Ereignisse tiefsitzende, heimliche Wunden. Auch wenn sie es sich selbst nie zugestanden hatte, waren auch heute noch die Narben dieser alten Wunden vorhanden. Menschen nehmen Worte auf, bewusst sowie unterbewusst. Und all diese Worte werden durch ein Individuum subjektiv bewertet. Es braucht keine aktive Teilhabe an diesem Prozess. Der größte Beweis hierfür war Gesines Reaktion auf Jessicas Worte, die die Wunden der Frau wieder bluten ließen. All diese Taten waren gegenwärtig, als sie von Jessica beschimpft wurde. Ohne groß zu überlegen, schellte die ausgebettete Linke auf Jessicas Wange. Jessica und Benjamin erschreckten, waren wortlos über diese ungeahnte Tat.
Für Gesine war es der Beweis, der ihr von einer fremden, jungen Frau erbracht wurde. Jemand der ihr zeigte, dass nicht nur die Menschen in Vernon so von ihr dachten.
>>Gesine!<<
Benjamin griff ein, wurde lauter, konnte nicht verstehen was da gerade passiert war. Er kannte die Geschichte seiner Tante nicht. Weder er noch Jessica konnten das nachempfinden, was Gesine in gerade diesem Augenblick gefühlt hatte. Da Jessica für sich keinen Ausweg mehr erkannte, wandte sie sich von den beiden um und ging in das kleine, vorher betrachtete Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich mit einem Riegel ab. Benjamin konnte sie Schluchzen und Weinen hören. Nicht etwa wegen des Schlages. Die junge Frau war verzweifelt, kam mit dem nicht klar was man ihr mitgeteilt hatte. Ben konnte immer noch nicht glauben was Gesine da getan hatte und trat seiner Tante das erste Mal scharf kritisierend gegenüber.
>>Verdammt – was ist mit dir los? Du kannst sie nicht einfach so schlagen?<<
Warf Benjamin ihr mit ernster Mimik und lauter gewordenen Stimme zu und näherte sich ihr. Gesines Blick lag ausdruckslos auf dem Boden unter ihren Füßen.
>>Es dient nur ihrer eigenen Sicherheit.<<
Rechtfertigte sie sich und war dabei leiser geworden. Benjamin wollte das nicht verstehen, blieb zurückgehalten. Er erkannte sie nicht wieder.
>>Aber nicht auf diese Art und Weise. Sie ist irritiert, glaubt kein Wort von dem was wir ihr erzählt haben. Kannst du es nicht nachvollziehen?<<
Jessica hörte Bens kritisierende Worte mit an, konnte die Welt nicht mehr verstehen.
>>Es ist natürlich, dass sie am liebsten davonlaufen würde.<<
Gesine aber schüttelte den Kopf, brachte ihm dann leise Worte entgegen.
>>Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Damit müssen wir alle klarkommen.<<
Benjamin dachte nicht weiter über diese Worte nach, winkte lediglich ab.
>>Dann lass mich das das nächste Mal übernehmen.<<
Er wandte sich von Gesine ab, ging auf die Tür zu, die zwischen ihm und Jessica stand, klopfte an.
>>Jessica.<<
Sprach er dann mit beibehaltender Zurückhaltung.
>>Sie wollte das nicht Jessica.<<
Er wartete kurz. Keine Antwort von der anderen Seite.
>>Jessica – wir stehen momentan alle unter starker Anspannung. Diese Situation ist für uns alle ungewohnt, darum ist es umso wichtiger, dass wir zusammenhalten. Das mag alles verrückt klingen – doch du musst mir glauben.<<
Versuchte Ben auf versöhnende Art zu kommunizieren. Sein bemühter Versuch blieb jedoch erfolglos. Ben zweifelte stark an der Tat seiner Tante, konnte es nicht gutheißen, was sie getan hatte. All das Geschehene ging wohl nicht unberührt an Gesine vorbei. Auch wenn sie sich immer zu stark und unberührt von all diesen Ereignissen gab, war sie am Ende doch nur ein Mensch, mit all ihren Stärken und Schwächen. Ben war alles andere als glücklich mit der momentanen Situation. Doch er wusste, dass ein Aussetzer die Reise gefährden konnte.
>>Ich werde mich schlafen legen.<<
Verkündete Gesine abschließend. Sie lenkte Benjamins Blick dann auf sich. Gesine beachtete ihn jedoch nicht weiter und ließ sich einfach im Bett, das der Tür am nächsten war nieder und drehte sich mit dem Gesicht zur Tür. Ben sagte nichts weiter darauf. Er machte sich zwar Gedanken darüber, wo sein Bruder und Becca denn schlafen sollten, ließ dies jedoch nicht zur Ansprache kommen. Er hatte zwar selbst mitbekommen dürfen, dass Gesine einen schwachen Moment hatte, wollte weitere derartige Situationen jedoch nicht herausfordern. Robert musste schlafen, um der Gruppe eine reibungslose Reise versichern zu können. Auch Jessica hatte Ruhe verdient.
>Es war zu viel für einen Tag.<
Sprach er leise für sich, nur im Kopf aus und starrte auf die Tür, die zwischen ihm und Jessica stand. Er wollte ihr nicht noch mehr zumuten. Kein Gerede mehr über die Wahrheit, keine Bitte ob sie denn nicht im Bett bei Rebecca schlafen wollte. Benjamin nahm es genauso hin, wie es gekommen war. Sein Blick richtete sich auf den Sessel – seine Schlafmöglichkeit für die heutige Nacht. Gesine tat es inzwischen leid, was sie der jungen Frau angetan hatte. Sie wusste, dass sie überreagiert hatte. Zugleich hinterfragte sie die eigene Entscheidung, fragte sich ob Robert nicht doch Recht hatte. Eine direkte Konfrontation hätte zwar einen Schock ausgelöst, damit wären jedoch auch alle Konflikte umgangen worden. Gleichzeitig musste Gesine an Jeffrey denken und daran, dass er Jessica vielleicht mehr hätte helfen können als sie es mit ihrem verzweifelten Handeln getan hatte. Eine einzelne Träne fiel auf das Kopfkissen. Die Frau in der Blüte ihrer Jahre kam sich gerade in diesem Moment so hilflos vor. Auch Jessica konnte keinen klaren Gedanken finden, lag auf der Couch, kuschelte sich in die warme Decke ein, die Benjamin kurz vor dem Gespräch dort liegen hatte lassen. Nebenher lief der alte Fernseher. Sie vermisste ihre Mutter, ihren Vater und vor allem Rebecca und das Leben, dass die beiden in Peoria gemeinsam geführt hatten. Sie dachte nicht weiter an die Ohrfeige. Sie war lediglich der Auslöser für die Befreiung des emotionalen Chaos. Begleitet von Tränen, schlief sie sehr schnell ein. Ben hingegen musste an Jessica denken. Er hatte Mitgefühl für all das was ihr passierte. Er kannte sie nicht sonderlich lange. Ihr Eintritt in diese Geschichte erfolgte fast auf dieselbe Art, wie bei ihm selbst. Er hingegen konnte sich aus Asmodais tobendem Feuer des Sand Ridge State Parks befreien. Sie selbst konnte Asmodai nichts entgegenzusetzen. Ziellos versuchte er nach einem Sinn für all das zu suchen. An einem unbestimmten Punkt seiner Suche, als er dachte er habe eine Antwort erreicht, schlief er jedoch tief ein. Etwa eine halbe Stunde nachdem Ruhe eingekehrt war, kamen Rebecca und Robert die Tür hinein. Sie hatten noch ein wenig Zeit alleine – gemeinsam im Auto verbracht. Das Licht brannte noch, daher dachten sie, dass noch jemand wach sei. Gerade als sie hereinkamen, öffnete Ben die Augen. Roberts irritierter Blick landete auf dem Bruder.
>>Was ist hier los?<<
Flüsterte Robert, während er auf Ben zuging.
>>Jessica ist ziemlich geschaffen, sie schläft nebenan.<<
Rebecca runzelte die Stirn in Falten.
>>Ich werd zu ihr gehen und dort schlafen.<<
Ben schüttelte den Kopf.
>>Nein, sie hat die Tür verschlossen. Sie hat es nicht unbedingt gut aufgenommen, was wir ihr gesagt haben.<< Gekonnt verheimlichte er die Wahrheit vor den beiden. Robert und Rebecca sahen einander überlegend an.
>>Sie braucht ein wenig Zeit. Bitte Rebecca, Robert. Nehmt das Bett.<<
Der ältere Weatherby versuchte leise zu bleiben, setzte seinem Bruder jedoch ein deutliches >>Aber.<< entgegen, welches von Ben unterbrochen wurde.
>>Hab dich nicht so – das tut ihr doch sonst auch.<<
Benjamin quittierte den Satz, indem er seinen Blick zur Seite richtete und die Augen wieder schloss.
Robert verstand nicht genau was passiert war. Wieder landete sein Blick nachfragend auf Becca. Sie nickte ihm nur etwas zu, machte ihm begreiflich, dass es in Ordnung war.
Also legten sie sich gemeinsam auf das Bett, deckten sich mit der übergebliebenen Decke zu. Robert benutzte den eigenen Unterarm als Kissen und sah zur Decke hinauf. Rebecca hingegen lag mit ihrem Kopf auf Roberts Schulter und nutzte dieses als Kissen.
>>Was für ein Familienausflug.<<
Stellte er eher weniger begeistert fest – bevor endlich Ruhe einkehrte und ein jeder von ihnen schlafen konnte. In Sicherheit waren sie nicht. Doch für den Moment waren sie weit vom Ursprung dieser Geschichte entfernt. Das empfanden sie als größte Sicherheit vor Asmodai. Er konnte in Erfahrung bringen wo Gesine wohnte, weil Rebecca es ihm mitgeteilt hatte. Gerade deswegen mussten sie hier ein wenig vorsichtiger als zuvor sein.
Mitten in der Nacht wurde Benjamin geweckt. Ein dumpfer Schlag war dafür verantwortlich und riss ihn aus dem Schlaf. Er dachte er hätte die Tür in das Schloss fallen hören. Es war nachts oder vielleicht doch früh am Morgen? Mit Gewissheit konnte er es nicht sagen. Draußen war es zumindest ganz und gar dunkel. Nicht einmal der kleinste Lichtschein drang durch die Wolken hindurch. Allem Anschein nach schliefen die anderen noch. Trotzdem tauchte in Benjamin das beklemmende Gefühl auf, er müsse nach Jessica sehen. Er wollte sie auf keinen Fall nochmal nackt sehen. Nein, dazu gab es keinen Grund, dass dieser Fall eintreten würde. Hier war es viel zu kalt als das sie einfach so nackt in diesem Raum geblieben wäre. Ben versuchte dieses in seinem Kopf entstandene Bild wieder von sich zu schütteln. Darum wagte er es einfach, klopfte kurz an die Tür und öffnete sie daraufhin. Die Couch war leer und der Fernseher lief auch jetzt noch. Die Nachrichten liefen und laut Anzeige war es 3:47 Uhr.
>>Eine Passagiermaschine vom Typ einer 747 stürzte vor etwa einer halben Stunde über Phoenix ab. Es ist bisher unklar warum es zu diesen Absturz kam, doch vor wenigen Minuten erreichte uns dieses unglaubliche Bildmaterial eines Augenzeugens.<<
Dann sah man ein Video – schlechte Qualität – der Maschine, die von einem Feuerschweif, der vom Himmel fiel, getroffen wurde. Benjamin war geschockt als er das Video sah. Ein weißglühendes Objekt kollidierte mit dem Flugzeug, riss es wortwörtlich in zwei Hälften auseinander und verursachte somit den Absturz. Er schaltete das Fernsehgerät ab und verließ das Zimmer wieder. Das Schlagwort, das für den Aufbruch der Gruppe verantwortlich war, kam Benjamin sofort wieder ins Gedächtnis und er wollte nicht glauben was er da gerade gesehen hatte. Allein der Gedanke an das Wort „Untergang" ließ einen kalten Schauder über seinen Rücken ziehen. In Zusammenspiel mit dem eben gezeigten Bildmaterial, gab es keine Zweifel mehr. Die Reise musste so schnell wie nur möglich fortgesetzt werden. Doch zunächst musste er sich versichern, dass es Jessica gut ging. Die Badezimmertür war geöffnet und das Licht aus. Dem zu Folge war Jessica nicht hier im Motelzimmer. Schnell ging Benjamin hinüber zum Bett wo Robert und Rebecca lagen und schliefen. Er rüttelte Robert ein wenig. Dieser hatte keinen besonders tiefen Schlaf. Sofort nachdem er die Hand auf sich spürte, riss er die Augen auf und sah Ben an.
>>Was ist?<<
Hakte der fast noch schlafende Robert nach. Benjamin antwortete ebenso leise wie er begonnen hatte.
>>Jessica ist nicht hier.<<
Robert rieb sich die Augen mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand.
>>Wie spät ist es?<<
>>Kurz vor vier. Ich glaub sie ist draußen.<<
Robert seufzte, zog den linken Arm unter Rebeccas Kopf langsam an sich heran.
>>Was ist los?<<
Wollte dann auch die junge Frau wissen.
>>Deine Schwester ist irgendwo da draußen.<<
Rebeccas Aufmerksamkeit war sofort allgegenwärtig. Robert griff unter sein Kissen und zog etwas hervor, das in ein Tuch eingewickelt war. Man erkannte den Griff der Klinge. Zunächst dachte Robert daran, dass Jessica lediglich nach draußen gegangen war, um etwas frische Luft zu schnappen. Doch er war sich auch weiterhin dessen bewusst, dass die Gefahr allgegenwärtig war. Benjamins Befürchtung hingegen war weitaus größer. Robert und Rebecca wussten nicht was sich eben über Phoenix abgespielt hatte. Ebenso wenig wussten sie über Gesines Reaktion Bescheid. Benjamin befürchtete, dass Jessica fortgelaufen war. Rebecca war noch etwas verschlafen, kämmte sich mit der Rechten zunächst das lockige, in das Gesicht gefallene Haar zur Seite und schlüpfte anschließend in ihre Stiefel, die neben dem Bett lagen.
>>Ich werde zur Rezeption gehen und dort nach ihr sehen.<< Auch Robert war bereits in seine Schuhe geschlüpft und gab Benjamin Anweisung, sich anzuziehen.
>>Zieh dir deine Schuhe und deine Jacke an.<<
Benjamin nickte einverstanden. Dann nahm der ältere Weatherby Samaels Waffe aus dem Tuch und verstaute die Klinge in der Innentasche der Jacke. Nachdem Benjamin sich angezogen hatte, verließen die drei das Zimmer. Draußen schien es noch kälter geworden zu sein.
>>Wo soll das noch hingehen mit dieser verdammten Kälte?<<
Robert war nicht gerade erfreut darüber, zu so früher Stunde nach Jessica suchen zu müssen. Sie sahen sich alle ein wenig um, konnten Jessica jedoch nirgendwo sehen.
>>Ich werd schnell zur Rezeption gehen.<<
Teilte Rebecca den anderen mit.
>>Ben, geh mit ihr mit und gib Obacht.<<
Benjamin nickte einverstanden. Robert hatte den Dolch griffbereit bei sich.
>>In Ordnung.<<
Also gingen Becca und Ben den Weg an dem Gebäude entlang. Robert hingegen verließ den Weg, um zum Parkplatz zu gelangen. Es schneite inzwischen nicht mehr. Trotzdem befanden sie sich inmitten einer eisigen und unnatürlichen Kälte, die bereits den samtweichen Schnee gefrieren ließ.
>>Weißt du wo sie hingegangen sein könnte?<<
Fragte Rebecca den jüngeren Weatherby, während die beiden eilig den Weg entlang gingen und Ausschau nach der jungen Law hielten.
>>Nein.<<
Mit dieser Antwort konnte und wollte sich Rebecca nicht zufrieden geben.
>>Wie hat sie reagiert, als ihr es ihr erzählt habt.<<
Ben antwortete nicht. Rebecca drehte den Kopf in seine Richtung und das grünblaue Augenpaar lastete erwartungsvoll auf Benjamin. Er bemerkte den starrenden Blick, selbst wenn er Rebecca in diesem Moment nicht ansah.
>>Alles andere als gut. Sie weinte, wurde laut und schloss sich danach im Zimmer ein.<<
Nach Benjamins Worten hörte man Rebecca deutlich einatmen. Ihre Schritte wurden dafür umso schneller. Sie befürchtete was Benjamin seit Anfang an für sich behalten hatte, dass Jessica alleine davongelaufen war. Robert befand sich bereits auf dem menschenleeren Parkplatz. Sein Blick kreiste auf dem Platz umher, landete in den verwinkelten Passagen, zwischen den Autos.
>>Jessica!<<
Drang der Ruf des Namens laut aus ihm heraus. Dann wartete er – doch es kam keine Antwort.
>>Verdammt Mädchen, wo bist du?<<
Er stellte sich die Frage eher selbst. Dann ging er in Richtung Straße, erhoffte sich das Mädchen dort finden zu können.
Rebecca und Benjamin waren inzwischen an der Rezeption angekommen. Sie war leer. Ein Schild verriet ihnen, dass der Eigentümer erst wieder gegen 4:30 zurückkehren würde.
>>Sie ist nicht hier. Benjamin, wo ist meine Schwester?<<
Rebecca wurde lauter, ungehaltener und hatte Angst, ihrer Schwester hätte irgendetwas zustoßen können. Sofort musste sie an Jeffrey und Elizabeth, das Feuer im Sand Ridge State Park und Asmodai denken. Doch Ben hatte keinen Rat und konnte Becca nicht beruhigen.
>>Versuch es auf ihrem Handy. Vielleicht geht sie dann ran.<<
Kurz darauf zückte Rebecca auch schon das Handy aus der Hosentasche und wählte Jessicas Nummer.
>>Es klingelt.<<
Benjamin verließ daraufhin den Vorraum und ging wieder nach draußen.
>>Komm mit, vielleicht hören wir das Klingeln des Handys irgendwo in der Nähe.<<
Rebecca folgte dem jüngeren Weatherby. Doch auch vor der Rezeption konnten sie das Läuten des Handys nicht hören.
Anders bei Robert. Er hörte das Klingeln deutlich.
Als er sich umwandte, sah er auch schon Jessica hinter sich. Sie standen mitten auf der freien Fläche des Parkplatzes. Zudem war nicht allein. Ein Mann um die 30, vielleicht auch ein wenig älter, stand neben ihr. Er trug einen dunklen Mantel, schwarze Stiefel und schwarze Handschuhe. Sein dunkles Haar war mit Gel nach hinten frisiert. Ein frisch rasiertes Gesicht mit ernstem Blick und einem eisblauen Augenpaar starrte Robert an. Ruhig die Hände hinter dem Rücken verschränkt, betrachtete er Robert.
>>Jessica, alles in Ordnung bei dir?<<
Rief Robert hinüber und ging auf sie zu.
>>Komm keinen Schritt näher Robert.<<
Sprach der Fremde die Warnung mit äußerster Ruhe aus und blieb ungestört stehen.
>>Wer bist du? Lass das Mädchen in Ruhe...<<
Robert konnte seinen Satz nicht vollenden. Der Fremde fiel ihm direkt ins Wort.
>>Du wirst mich sonst töten oder wolltest du etwas anderes sagen?<<
Der Fremde sah Robert erwartungsvoll an. Robert schluckte kurz etwas. Dann sprach Roberts Gegenüber weiter.
>>Ich glaube du wolltest etwas anderes sagen. So etwas wie: Ich werde auch alles tun was du dir wünschst? Oder so etwas in der Art.<<
Robert versuchte sich zurückzuhalten.
>>Was willst du?<<
Ein zufriedenes Lächeln unterstützte das finstere Erscheinungsbild der Gestalt.
>>Habe ich es nicht gesagt? Als nächstes wirst du versuchen mir etwas anzubieten? Vielleicht wirst du mir ein Buch überreichen und mir weismachen wollen, dass es mir helfen wird den Schlüssel zu finden?<<
Stutzig sah Robert den Fremden an, sagte gar nichts. Zweifelsohne war dieses Mann auf irgendeine Weise mit Asmodai verbunden. Der Fremde sprach weiter.
>>Ehe ich erkennen werde, dass es sich um einen gewieften Trick handelt, werdet ihr schon über alle Berge sein und euch in wohliger Sicherheit fühlen. So ist der Plan, mh?<<
Er wusste über die Aktion in Vernon Bescheid. Robert fragte sich ob dieser Kerl derjenige war, der Asmodai kontrollierte. Doch es war eine Tatsache, dass Jessica erneut als Druckmittel herhalten musste.
>>Asmodai hat Gutmütigkeit gezeigt und Gnade vor Recht walten lassen. Du hast dieses Spiel angefangen Robert und0 ich werde nun neue Regeln aufstellen. Ob du willst oder nicht, du wirst nach ihnen spielen.<<
Auch Benjamin und Rebecca waren nun am Ort des Geschehens, konnten Jessica, Robert und auch den Fremden sehen. Auf sicherer Distanz hielten sie an. Jessica sah zu ihrer Schwester hinüber.
>>Es tut mir Leid. Es tut mir alles so leid.<<
Entschuldigte sich Jessica und wandte den Blick von Rebecca auf Robert. Das nussbraune Augenpaar fixierte Robert. Er konnte die unbändige Angst und den damit erreichten Glauben, an die Wahrheit dieser Geschichte erkennen.
>>Die Einsicht und das Bitten um Vergebung sind der erste Schritt zur Läuterung. Buße, Reue und Einsehen werden folgen.<<
Kamm es fast schon leise aus dem Fremden heraus, während er zu Jessica blickte. Robert versuchte sich zurückzuhalten.
>>Lass sie gehen. Bitte...<<
Der Fremde seufzte.
>>Weißt du Robert - Ich habe genau wie du auch ein genaues Ziel vor mir und ich muss es vor so vielen anderen erreichen. Danach werde ich eure jämmerliche Sphäre verlassen. Mir ist bewusst, dass ein jeder von euch weiß wo sich Abaddon befindet. Schließlich seid ihr bereits ziemlich weit weg von Zuhause.<<
>>Lass Jessica gehen und verrate uns wer du bist und was du willst?<<
Sprach Benjamin gefestigt und stand aufrecht und stramm da, während er den Fremden von der Seite ansprach.
>>Forderungen über Forderungen. Aber gut, ich werde nicht so sein. Ob ich sie gehen lasse - Mit großer Sicherheit. Und wer ich bin? Nun, ich denke du erwartest einen Namen? Dann nenn mich Gadreel. Und was ich hier will? Nur Worte aus eurem Mund. Wo ist Abaddon?<<
>>Ich werde es dir sagen, aber lass sie bitte gehen.<<
Versprach Robert nur und es hinterließ den Eindruck, als würde er die Wahrheit sprechen.
>>Nun...<<
Begann der sich eben als Gadreel präsentierte wieder zu sprechen, nahm die Hände aus der Verschränkung und griff mit der Rechten in die Tasche des Mantels. Er holte eine schwarze Pistole hervor.
>>Anders als Asmodai, bin ich mir absolut bewusst darüber, wie ihr Menschen tickt. Es gibt sogar ein Sprichwort, das euch gut beschreibt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht."<<
Schließlich richtete er die Pistole auf Jessicas Kopf.
>>Bitte!<<
Robert streckte die Rechte aus, versuchte Gadreel dazu zu bewegen, die Waffe zu senken.
>>Jessica!<<
Rebecca wollte bereits auf Gadreel losrennen. Benjamin umfasste ihren Arm, hielt sie fest bei sich.
>>Nicht Becca, du machst es nur schlimmer.<<
Kam der Rat nur äußerst leise aus dem jüngeren Weatherby heraus. Das Zittern in Roberts Stimme war deutlich zu hören. Gadreel drehte den Kopf zu Rebecca hinüber.
>>Er hat Recht.<<
Im darauffolgenden Moment hörte man einen lauten Knall, der sich über den gesamten Parkplatz ausbreitete. Gadreel drückte den Abzug und feuerte dadurch eine Kugel ab. Jessicas Füße wurden schwach. Sie hatte nicht länger die Kontrolle über ihre Muskeln. Das Bild, welches ihre Augen ihr präsentierten verschwamm allmählich. Sie erkannte Robert, der sich eilig auf sie zubewegte. Rebecca zitterte am ganzen Körper und war für den nächsten Moment unfähig zu atmen. Auch ihre Muskeln wurden schlaff. Ben musste mit stützender Kraft helfen. Entsetzt lag sein Blick auf Jessica, die reglos auf dem Boden lag. Robert begann mit einem Sprint auf Gadreel. Noch während er lief, zog er den Dolch hervor, überlegte nicht lange. Ein Tumult von Gefühlen wütete in ihm. Gadreels schien sich nicht viel darum zu kümmern, behielt die eiskalte Fassade aufrecht, richtete die Waffe auf Robert und drückte den Abzug zwei Mal ab. Die erste Kugel traf Roberts rechte Schulterseite und drang in das Fleisch ein. Die zweite traf ihn direkt in den Bauch. Blut trat aus der Bauchwunde aus. Rebecca brachte ein bibberndes Schluchzen hervor, ehe sie laut, kräftig und doch voller Verzweiflung schrie, dass man den Schmerz, den sie verspüren musste, der Stimme entnehmen konnte. Benjamins hingegen war wie gelähmt, vor Entsetzen erstarrt da, konnte nicht wirklich begreifen was gerade passierte war. Irritiert hielt Robert die freie Hand an die Wunde des Bauches hin. Trotz der schweren Verletzung, ging Robert weiter auf Gadreel zu.
>>Ihr wisst einfach nicht wann ihr genug habt – mh?<<
Nach diesen Worten feuerte Gadreel erneut die Pistole zwei Mal ab. Beide Schüsse trafen Roberts Brust. Es fiel ihm schwer zu atmen. Den Dolch hatte er trotzdem fest im Griff. Aus den Wunden floss Blut, tränkte die Kleidung in ein dunkles Rot.
Sein schwacher Blick landete auf Becca.
>>Haut ab.<<
Kam es mit schwacher Stimme aus Roberts Mund heraus, bevor er gerade aus nach vorne umkippte und hart auf dem Boden aufprallte. Rebecca schrie laut, weinte und erhoffte wohl sich selbst aus diesem schrecklichen Alptraum wecken zu können. Benjamin sah auf Jessica und den Schnee um Jessica herum, der das Blut aufsaugte, welches aus der tödlichen Wunde stammte. Ben sah zum Bruder hinüber, welcher reglos am Boden lag. Rebecca wehrte sich, wollte sich von Ben losreißen. Sie wollte bei Jessica und Robert sein.
>>Er hast sie...<<
Kam das Resultat leise, ungläubig und unvollständig aus Ben heraus. Becca weinte daraufhin umso mehr, als sie die angefangene Wahrheit aus Bens Mund hörte. Gadreel wandte sich den beiden noch stehenden zu und näherte sich ihnen einige Schritte.
>>Weil sie für alles Weitere unerheblich sind. Genauso wie du Benjamin. Ihr seid Bauern auf diesem erschaffenen Spielbrett. Ja, mehr ist es nicht. Ein Spielbrett.<<
Benjamin wusste nicht von was er da sprach. Doch es war ihm auch egal. Tränen flossen Benjamins Gesicht hinab. Er realisierte wie fürchterlich die derzeitige Situation war. Gadreel richtete die Waffe auf Benjamin und Rebecca.
>>Lass sie gehen, ich werde dir alles sagen.<<
Er zitterte am ganzen Körper, wollte am liebsten auf Gadreel eindreschen. Die Schwelle zum Wahnsinn und die Verabschiedung von der Vernunft waren für Ben äußerst nahe. Becca riss sich los, rannte an Gadreel vorbei und ließ sich neben Jessica auf den Boden fallen.
>>Sie wird mir alles sagen. Bei dir bin ich mir jedoch nicht mehr so sicher. Schließlich hab ich das Mädchen und deinen geliebten Bruder aus dieser Welt gerissen. Es gibt für mich keinen Grund dir vertrauen zu wollen. Deine Worte würden meinen Weg, der mich am Ende zu meiner Erlösung führt, nur verkomplizieren.<<
Dann ein unerwarteter Schrei, der von Robert kam. Er hatte sich aufgebaut und Gadreel genähert, stach mit dem Dolch direkt auf seinen Rücken ein. Gadreel konnte nicht schnell genug reagieren – die Klinge durchdrang das Knochen und Fleisch.
>>Für Jessica...<<
Er war schwach, zu schwach, als dass er die Beschimpfungen hätte aussprechen können, die in seinem Kopf entstanden waren. Mit seinen letzten Kraftreserven führte er den Angriff aus. Anders als es bei Flauros und Asmodai der Fall war, strömte gleißendes Licht zwischen Klinge und gespaltener Haut hervor. Nachdem Robert den Dolch herausgezogen hatte, stach er nochmals zu und durchdrang erneust die Rücken und Brust des Übeltäters. In den Gesichtszügen des Engels war das bloße Entsetzen zu erkennen. Kraftlos sackte Robert auf Gadreel zusammen.
Gadreel schluckte, sah an sich herab, war diesen Anblick nicht gewöhnt. Menschlichkeit in seinen Augen spiegelte sich wieder – Angst. Der Gefallene wusste, dass dieser Dolch sein Ende bedeuten würde.
>>Das ist...<<
Gadreel war zweifelsohne ein Engel – ein Gefallener, wie Robert und die anderen erkennen mussten.
>>Ich...<<
Der Gefallene spürte wie mit dem Austreten des Lichtes immer mehr Kraft von ihm wich. Die Wunde, welche durch die Klinge verursacht wurde, schien bei Gadreel weitaus schlimmer gewesen zu sein, als bei Flauros oder Asmodai. Es schien gerade so, als würden sich Haut, Fleisch und Knochen um die Wunde herum, langsam auflösen.
Ein immer größer werdender Radius, der den Körper in kleinste Partikel auflöste, bildete sich. Begleitet wurde dieser Vorgang von einem hellen, weißen Licht, mit gelblichem Stich. Gadreel richtete die Waffe erneut auf Robert, der völlig wehrlos gegen den Gefallenen lehnte.
>>Bring es zu Ende.<<
Warf Robert die Worte seinem Bruder zu, ließ die Klinge dann fallen. Gadreel drückte ein weiteres Mal ab und stieß Robert dann von sich, welcher nun reglos am Boden lag. Becca löste sich vom leblosen Körper ihrer Schwester, prügelte dann auf Gadreels Rücken ein und weinte währenddessen unaufhörlich. Ben wollte auch schon losrennen, als Gadreel bereits den nächsten Schuss der Waffe abfeuerte. Ein letzter Seufzer, begleitet von einer Träne, floss ihre Wange hinab. Sie brach zusammen, neben Robert, hatte noch so viel Kraft um dem Freund etwas zuflüsterte zu können – Ben konnte es nicht verstehen. Dann griff sie nach Roberts Hand, drückte sie fest, bevor der Griff sich allmählich wieder lockerte.


Over The Sunset - RevelationWhere stories live. Discover now