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Das Rauschen in meinen Ohren ließ die Schreie meiner Mutter leiser erscheinen. Der Polizist der sie festhielt redete auf sie ein, sagte ihr sie müsse sich beruhigen. Doch sie wurde nicht ruhiger, sie wurde nicht leiser. Sie hörte nicht auf zu schreien, bis das Auto wieder verschwand. In dem Auto saß mein Vater. Die Arme auf den Rücken gedreht hatten sie ihn aus dem Haus gezerrt, er hatte die Beamten beschimpft und schrie er wolle einen Anwalt. Meine Mutter fing in dem Moment an zu schreien, in dem die Handschellen klickten. "Betrug." hatten die Polizisten gesagt. "Steuerhinterziehung." dieses Wort schwirrte in meinem Kopf umher, während ich später neben meiner Mutter auf einem der schwarzen Plastikstühle, im Vorraum der Polizeiwache saß. Mein Vater war ein Betrüger. Der einzige Grund, warum wir uns plötzlich einen Sommerurlaub hatten leisten können. Und ein neues Auto, nachdem unser altes nach und nach in sich zusammen fiel. Der Grund war nicht etwa sein neuer Beruf gewesen, von dem er uns erzählt hat. 

Das war auch zu schön um wahr zu sein. Für ein paar Monate hatte ich gedacht, es würde jetzt alles besser werden. Ich hatte gedacht, meine Eltern würden sich weniger streiten, wir würden alle glücklicher werden, nun da mein Vater einen neuen und besseren Job hatte. Nein, mein Vater war ein Betrüger. Oscar Anderson war ein Betrüger. Meinen eigenen Vater in Handschellen zu sehen, war wie einen Superhelden in Ketten zu sehen. Wenn sich deine Brust mit dunkler Enttäuschung füllt und du lieber weg siehst, als das Geschehen mit anzusehen. Dann weißt du, dein Leben wird nie wieder so sein wie zuvor. 

Das Urteil viel schnell. Meine Mutter weinte, als der hölzerne Hammer des Richters aufschlug und der Mann in der schwarzen Robe zehn Jahre Freiheitsstrafe für meinen Vater verkündete. In zehn Jahren bin ich 26, dachte ich mir nur. Mein Vater wird alles verpassen. Meinen Abschluss, mein erstes Auto, meinen Auszug, mein Studium, ja vielleicht sogar meine Hochzeit. 

Doch ich war zu enttäuscht,um traurig zu sein. Fühlte mich zu belogen, zu hintergangen, um auch nur eine Träne zu verlieren. Monate lang hatte er uns vorgespielt, alles würde besser werden. Jetzt versank alles in seinem Meer aus Lügen. Meine Mutter weinte Tage lang in ihrem Zimmer. Eine Woche lang war ihre Tür immer abgeschlossen, wenn ich aus der Schule kam. Als sie das erste mal wieder aus ihrem Zimmer kam und vor mir stand, sah ich in ihr fahles, müdes Gesicht. "Wir schaffen es auch ohne ihn." sagte sie und verließ das Haus.

Nicht einen Anruf, nicht einen Besuch und nicht einen Brief bekam mein Vater von meiner Mutter. Bis jetzt war ich auch nicht da. Ich traue mich nicht. Ich will ihm nicht in die Augen sehen. Seine Anrufe habe ich beantwortet, doch viel gesprochen habe ich nicht mit ihm. Jedes mal, wenn er mach Mama fragte, sagte ich sie sei nicht da. Mein Vater hat mich enttäuscht, doch ich bin immer noch seine Tochter.

Es sind 7 Monate vergangen seitdem er weg ist. 30 Wochen, seitdem ich mein Vertrauen in ihn verloren habe. 213 Tage, seitdem sein Stuhl am Tisch leer ist.  5.113 Stunden, wurde die linke Seite von Mamas Bett nicht mehr angerührt. Nichts ist mehr wie es einmal war. Meine Mutter hat ein halbes Jahr lang jeden Tag gearbeitet und kaum mit mir gesprochen. Ich versuchte es. Doch sie sagte immer sie habe keine Zeit. Vor etwa einem Monat fing sie an seltener zur Arbeit zu gehen. Ich hörte sie öfter weinen in ihrem Zimmer. Dann hörte das weinen auf und sie war still. Sie sagte nichts, sie hörte nichts. Sie lag in ihrem Bett für zwei Wochen.

Dann ging sie zur Abreit und ich dachte es würde ihr besser gehen. Doch wie ich später durch eine Email auf ihrem Computer erfuhr, war sie nur zur Arbeit gegangen um zu kündigen. Dann lag sie wieder. Ich sah sie nur, wenn sie auf die Toilette ging. Und manchmal tat sie es auch nicht. Ich stellte ihr Essen neben ihr Bett. Manchmal war der Teller leer, wenn ich aus der Schule kam, doch meistens war er unberührt.

Ich bat sie, sich Hilfe zu holen. Sie sagte nichts. Ich holte Hilfe. Sie lehnte ab. Egal was ich tat, sie hörte mich nicht.

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