{1. Kapitel}

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Es war ein schöner Tag im April. Zarte Sonnenstrahlen blitzten durch die Wolken. Der Schnee war mittlerweile zur Gänze verschwunden, und die ersten schönen Blumen kamen zum Vorschien. Ich lief meine übliche Strecke über das Trainingsgelände. Die Luft war immer noch kühl, aber nicht eisig.

Ich lag heute weit unter meiner Bestzeit. Ich hatte eine etwas längere Pause hinter mir, wodurch ich wohl etwas aus der Form geraten war. Was mich mehr als nur ärgerte. Ich war ein sehr ehrgeiziger Mensch, nur so konnte ich die Polizeiakademie mit Auszeichnung absolvieren. Ich war gut in dem was ich tat.

Ich zog mein Tempo an, obwohl meine Lunge bereits bei jedem Atemzug unangenehm stach, da wurde ich von einem Rufen gestört. „Hey Tomlinson!" Ich ignorierte die Person und lief einfach weiter. Doch die Person schien nicht aufzugeben. „Der Captain verlangt nach dir!", wurde mir erneut zugerufen.

Ich blieb schnaufend stehen und rieb mir die Seite. „Warum?" fragte ich außer Atem.

„Keine Ahnung, wollte man mir nicht sagen", bekam ich mit einem Schulterzucken die Antwort.

Ich stützte meine Arme auf meine Knie und atmete mehrmals tief durch, bevor ich mich wieder in Bewegung setzte. Ich ging querfeldein, um das Büro des Captains schnellst möglich zu erreichen. Was er wohl wollte? Meinen letzten Fall hatte ich vor kurzem erst erfolgreich abgeschlossen. Vor nicht ganz einem Jahr wurde ich vom Constable zum Sergeant ernannt und führte bereits die Rangliste der meisten Verhaftungen stolz an. Eine Standpauke konnte es somit nicht sein. Aber auch ein neuer Fall konnte es nicht sein. Dafür würde er mich nicht extra aus meiner wohlverdienten Mittagspause holen.

Kaum hatte ich an die Tür geklopft, ertönte auch schon das „Herein!".

„Toll, dass Sie so schnell kommen konnten, Sergeant" sagte mein Chef, als ich den Raum betrat. Meine Muskeln zogen schmerzhaft, als ich mich in den Stuhl fallen ließ, der dem großen Schreibtisch, hinter dem der Captain saß, gegenüber stand.

Der Captain war ein begnadeter Polizist. Selbst mit geschlossenen Augen würde er immer noch voll ins Schwarze treffen. Er konnte Menschen nur anhand der Wahl ihres Parfums perfekt analysieren. Aber dennoch waren die Jahre auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen. Er war im Laufe der Zeit etwas in die Breite gegangen. Sein Haar war mehr Grau als Braun und auch die eine oder andere Falte gehörte nun zu seinem Erscheinungsbild mit dazu.

„Wie gut sind Sie mit unserem aktuellsten Fall vertraut, Sergeant Tomlinson?" fiel er gleich mit der Tür ins Haus. Er war für seine offene und direkte Art bekannt. Es war eine Eigenschaft, die ich sehr an ihm schätzte. Man wusste immer woran man war.

Der Captain verschränkte seine Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er auf meine Antwort wartete.

„Nun ja, ich habe die Akte gelesen und ich habe auch schon den ein oder anderen Bericht der Presse verfolgt, aber das war auch schon alles, Sir."

Er ballte seine Hand zu einer Faust und hielt sie sich vor die Lippen. Er schien zu überlegen. „Das muss wohl reichen", nuschelte er so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob diese Aussage für mich bestimmt war oder allein ihm galt.

„Dieser Typ treibt Spielchen mit uns. Und offenbar kennen wir die Regeln nicht. Keiner unserer Männer hat etwas. Kein einziger Hinweis. Die erste Meldung haben wir vor zwei Wochen bekommen und seitdem her ist es ruhig." Er machte eine kurze Pause, in der er über alles nochmals nachzudenken schien. „Da kommt etwas auf uns zu und wir sind nicht vorbereitet." Ich sah in das Gesicht des Captains. Zu meinem Job gehörte es mit dazu Mikroexpressionen zu erkennen und richtig zu interpretieren. Diese Expressionen waren flüchtige Regungen unserer Gesichtsmuskeln, die nur einen Bruchteil einer Sekunde andauerten und somit selbst für ein geschultes Auge nur schwer zu erkennen waren. Sie sind nur schwer zu unterdrücken, weshalb sie oftmals die einzige Instanz waren, die unverschleierte Gefühlte wiederspiegelten.

Die Ausdrücke meines Captains beunruhigten mich sehr. Zum ersten Mal wirkte er planlos und verzweifelt. 

Der Captain erhob sich aus seinem Stuhl und begab sich zu dem großen Fenster. Die Hände hatte er in den Hosentaschen. „Ich weiß, Sie sind auf Bandenkriminalität spezialisiert, aber wir kommen so nicht weiter. Wir brauchen jemanden, der Ahnung davon hat. Der weiß was in dem Kopf, eines Typen, der so etwas tut, vorgeht." Er drehte sich um und warf mir in einer flüssigen Bewegung eines der Bilder der Leiche zu. Ich wandte mein Gesicht ab. Ich kannte es bereits. Es war nichts, dass man unbedingt zweimal sehen wollte oder besser gesagt konnte.

„Wir brauchen den Rat von jemand der diese Spielchen versteht", fuhr der Captain fort.

„Und dabei denken Sie ausgerechnet an mich?" Meine Stimme rutschte unbeabsichtigt einige Oktaven höher.

„Nein Sie doch nicht. Seien Sie nicht albern." Der Captain nahm wieder in seinem Stuhl Platz und sah mich an. „Es gibt einen Häftling in der Luminal Strafanstalt... Ich möchte, dass Sie ihn zu dem Fall befragen. Es wird ganz sicher kein Leichtes sein. Er ist unberechenbar. Ich habe noch nie selbst mit ihm gesprochen, geschweige denn davon ihn jemals gesehen, aber ich habe unzählige Berichte über ihn gelesen." Ab dem Wort „Luminal" hörte ich ihm schon nicht mehr zu. Dieses Wort war so unscheinbar. Viele hielten es für einen Mythos, aber in dieser Region wusste man, dass es real war und es löste bei allen dasselbe Gefühl aus. Es war dieser ekelhafte kalte Schauer, der einem erbarmungslos über den Rücken lief.

Schachmatt || LarryWhere stories live. Discover now