{73. Kapitel}

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Ich durfte Harry nicht anrufen, das Risiko, nicht nur die Mission, sondern auch ihn zu gefährden war einfach viel zu groß. Es war eine Versuchung der ganz neuen Art. Meine Angst um Harry lastete schwer auf meinen Schultern. Sie verwehrte mir den Schlaf und auch nur einen kleinen Bissen Essen zu mir zu führen wurde undenkbar. Es war ein komisches Gefühl nicht zu wissen, was vor sich ging. Ich hatte lediglich eine abstrakte Vorstellung wo er war und was er tat. Das musste reichen.

Ich lenkte mich ab, indem ich versuchte die Illusion aufrechtzuerhalten, dass dem Lockenkopf nach wie vor die Freiheit genommen war.

Wie Harry es mir aufgetragen hatte, fuhr ich zu dem Gefängnis in welchem er, nach seiner Gerichtsverhandlung, inhaftiert wurde.

Meinen Wagen parkte ich einige Straßen entfernt. Ich stieg aus und lief langsam in Richtung des Gefängnisgeländes. Obwohl ich mich beobachtet fühlte, sah ich mich nicht auch nur ein einziges Mal um. Ich versuchte möglichst präsent zu sein, ohne dabei auffällig zu wirken. Ich betrat das Gebäude und zeigte der Person am Empfang meine Dienstmarke. "Ich bin dienstlich hier", war alles was ich sagte. Die Frau nickte es ab. Ich bewegte mich zu einem der Wartestühle und  nahm platz. Im Sekundentakt sah ich auf die Uhr. Mitarbeiter und andere Besucher warfen mir fragwürdige Blicke zu, als ich selbst nachdem einiges an Zeit verstrichen war, mich nicht vom Platz bewegt hatte. Die meisten Blicke davon entgingen mir ohnehin und die, die mir nicht entgingen, ignorierte ich einfach. Als eine Stunde auf die Minute genau rum war, stand ich auf. Ich öffnete mein Hemd und knöpfte es falsch wieder zu. Ich kniff mir mehrmals in die Wangen, um eine belebte Röte in mein Gesicht zu bringen. Dann verwuschelte ich mein Haar und lief mit leicht schmerzverzerrtem Blick zurück zu meinem Wagen. Ich ließ das Gefängnis hinter mir und fuhr los.

Ich stand unter dem heißen Wasserstrahl meiner Dusche. Dampfschwaden stiegen auf. Meinen Kopf hielt ich gesenkt. Ich ließ das Wasser über meine Haut laufen, wie als wollte ich den heutigen Tag von mir herunterspülen. Der Wasserharn gab ein leises Quietschen von sich, als ich ihn zu drehte. Ich stieg aus der Dusche. Nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen trat ich vor den beschlagenen Spiegel. Unzählige Wassertröpfchen hatten sich an dessen Oberfläche gebildet. Ich sah dabei zu, wie manche von der Schwerkraft angezogen, nach untern glitten.

Aus einem der anderen Zimmer ertönte plötzlich das Klingeln meines Telefons. Ich verließ das Badezimmer und steuerte geradewegs auf das Geräusch zu. Flüchtig warf ich einen Blick auf das leuchtende Display.

Eine Nummer mit +49.

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich mein Handy an mich nahm, um den Anruf entgegen zu nehmen. „Diesmal also Deutschland?"

Auf der anderen Seite der Leitung ertönte Harrys melodisches Lachen. „Ja, wir mussten die Schweiz leider verlassen. Wir sind jetzt in einem kleinen Ort namens Pfullingen in Baden-Württemberg."

„Klingt doch recht...spannend?" Meine Aussage glich mehr einer Frage. Ich hatte keine Ahnung wie es dort war und was Harry zu sehen bekommen würde.

„Es ist schön hier. Die Menschen sind sympathisch", ließ der Lockenkopf mich wissen.

„Das freut mich zu hören. Wie geht's dir?" Ich wuschelte durch mein nasses Haar, während ich auf Harrys Antwort wartete.

„Gut gut, danke und dir?"

Ich zog meine Luft scharf ein. „Und jetzt nochmal, nur dass deine Antwort diesmal ehrlich ist. Wie geht es dir?"

„Ich bin hundemüde. Mein letzter Schlaf ist Ewigkeiten her und selbst der war nicht gut, weil Isabella so laut schnarcht, wie ein wildes Tier." Gegen Ende seinen Satzes schwang ein wütender Unterton in der Klangfarbe seiner Stimme mit. Isabellas entschuldigende Worte im Hintergrund ließen nicht lange auf sich warten. „Es tut mir so leid, ich kann nichts dafür. Ich habe Asthma."

„Ich auch und dennoch schnarche ich nicht", sprach Harry zu Isabella gewandt. Die Worte die er an sie richtete waren neckischer Natur und dennoch spürte man die Fürsorge, die die beiden für einander empfanden.

„Wobei..." klinkte ich mich lachend ins Gespräch ein.

Schlagartig zog ich die Aufmerksamkeit des Lockenkopfs wieder auf mich. „Was?!" fragte er gespielt schockiert. „Fall mir nicht in den Rücken, Louis." Unter seinen Worten war ein Lachen zu hören.

Stille trat ein. Keiner wusste so richtig mit dieser Situation umzugehen. In Gedanken versunken strich ich mit meinem Zeigefinger über die beschlagene Oberfläche des Spiegels. „Und... wie kommt ihr voran?"

Schwer atmete Harry ein. "Noch ahnt Hunter nichts, das ist unser großer Vorteil. Weißt du Louis..." Mein Herzschlag wurde von meiner plötzlich eintretenden Nervosität vorangetrieben. "Mit jedem Anruf riskiere ich deine Sicherheit. Ich wünschte, ich könnte die ganze Nacht zu dir sprechen, aber das kann ich nicht... Ich muss leider wieder auflegen. Ich...ich wollte dir nur sagen, dass es mir gut geht, dass du dir keine Sorgen machen sollst und... dass ich dich liebe."

Ich schloss meine Augen. Ich musste lächeln. "Ich liebe dich auch, Harry."

Mit diesen Worten endete das Gespräch.

Es war der letzte Anruf, den ich von Harry in den vergangen Tagen erhalten hatte. Es herrschte Funkstille.

Meine neue Ablenkung bestand aus dem sortieren des Papierkrams von bereits abgeschlossenen Fällen. Der Tag war bereits beinahe rum, da rückte Liam mit seinem Stuhl näher an meinen. „Und weiß man schon etwas Neues?" flüsterte er.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein. Sein letzter Anruf ist bereits mehrere Tage her."

Liam wollte etwas sagen, aber ich hörte nicht zu. Ich war in Gedanken versunken. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas auf mich zukam.

Und ich schien Recht zu behalten, als die Tür zum Büro des Captains aufflog. Unser Vorgesetzter richtete seinen undefinierbaren Blick direkt auf uns.

Schachmatt || LarryWhere stories live. Discover now