Kapitel 35

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Mittwoch Morgen.

Eigentlich ein guter Tag, wenn man bedenkt, dass ich nur noch einen Tag aushalten muss, bis meine Eltern wieder weg sind. Louis hat mir gestern erzählt, dass der „hohe Besuch" dafür gesorgt hat, dass Mama und Papa uns wieder für ein paar Tage oder Wochen verlassen werden. Man sollte meinen ich wäre traurig darüber zumindest meine Mutter nicht mehr zu sehen, wenn sie jetzt wieder fährt. Ich kann aber genau das Gegenteil behaupten. Keine Ahnung, ob ich es vorher einfach nur nicht gemerkt habe, aber Mama ist nicht mehr die, die sie mal war. Welche Mutter lässt denn ihr Kind nicht nach Hause kommen?

„Lia?" höre ich plötzlich jemanden rufen und richte meine Aufmerksamkeit jetzt wieder auf meine Umgebung. Bis eben war ich noch alleine hier draußen auf der Bank, weil Louis heute irgendwie früher in der Schule sein musste. Deswegen bin ich wohl etwas abgedriftet.

„Ja?" frage ich verwirrt und gucke ich die Person an, die jetzt vor mir steht. Collin?

„In welcher Welt warst du denn?" lacht er jetzt und lässt sich direkt neben mich auf die Bank fallen. Ich muss auch schmunzeln, alleine schon wegen der Selbstverständlichkeit mit der er neben mir Platz nimmt. Ich hab irgendwie gedanklich den Zeitpunkt verpasst, an dem wir uns so richtig angefreundet haben. Es ist manchmal echt noch ein bisschen merkwürdig für mich, wenn er nicht mehr der fremde Freund von Jonah ist, sondern Collin.

„Ich war gedanklich noch in meinem Bett." antworte ich jetzt auch lachend und muss mich nichtmal groß dabei anstrengen ihm diese Lüge aufzutischen. Das wäre nämlich wahrscheinlich das nächste gewesen, über das ich nachgedacht hätte.

„Oh ja, da wäre ich auch gerne." antwortet er darauf direkt und sofort wandert mein Blick zu ihm. Lachend hebe ich eine Augenbraue hoch und gucke ihn skeptisch an.

„Bei mir im Bett?" frage ich dann grinsend und jetzt fällt auch ihm auf, wie sich das angehört hat. Sofort erwidert er mein Grinsen verschmitzt und zieht auch eine Augenbraue in die Höhe.

„Vielleicht." antwortet er und schon fängt er an zu lachen. „Nein keine Angst. Natürlich in meinem."

„Oh bitte! Niemand würde ablehnen in meinem Bett zu schlafen." gebe ich jetzt überzeugt von mir. Mein Bett ist göttlich.

„Oh ja natürlich, wie konnte ich es nur wagen dein Bett zu beleidigen."

Schon fangen wir Beide an zu lachen. Ich hätte wirklich niemals gedacht, dass ich hier mal so mit ihm sitzen würde. Ich hätte nie gedacht, dass wir uns überhaupt mal so gut verstehen würden. Jonah, Henry und Collin schienen allesamt unerreichbar zu sein. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich diese ersten Eindrücke ändern können, wenn man Personen näher kennenlernt.

„Guten Morgen." wirft jetzt jemand neben uns in unser Lachen ein und ich gucke sofort rechts neben mich. Henry und Jonah stehen direkt neben uns und scheinen teils auch ein bisschen verwirrt zu sein, über unsere gute Laune am frühen Morgen.

Ich kann nicht anders als Jonah kurz zu mustern, er trägt einen dünnen, dunkelgrauen Kapuzenpulli und ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab irgendwie ein Faible für diese Pullis. Es sieht echt irgendwie niedlich, aber gleichzeitig auch cool aus, wenn er sie trägt. Sofort schüttele ich meine Gedanken los, als mir auffällt wie bequem es ist in diese Arme eingeschlossen zu sein. Von Ihnen gehalten zu werden.

Ich merke selber das ich mittlerweile von meinem eigentlichen Ziel, ihm einfach nur zu helfen und für ihn da zu sein, ein wenig abgewichen bin. Ehrlich gesagt denke ich jetzt an so viel mehr, als nur dieses Lächeln, wenn ich ihn angucke. Dieser Junge hat Probleme und ich möchte ihm immer noch dabei helfen, diese zu lösen, aber gleichzeitig möchte ich auch so viel mehr. Ich möchte viele Abende und Tage so verbringen, wie mit ihm am Strand zu sitzen und in seinen Armen zu liegen. Es ist trotzdem aber einfach unverständlich für mich was das hier mit uns darstellen soll. Ich weiß selbst nicht mal was es meiner Meinung nach darstellen soll.

Ganz kurz bin ich verwundert als ich merke, dass Henry, Jonah und Collin mittlerweile schon mitten in einem Gespräch sind. Wann haben sie denn bitte angefangen sich zu unterhalten?

Als ich aber merke, dass ich mich in dem Gespräch sowieso ziemlich schlecht integrieren kann, höre ich auch gar nicht weiter zu. Stattdessen fällt mir jetzt aber ein, dass ich vergessen habe meine Englisch-Hausaufgaben zu machen. Leicht frustriert fange ich also an in meinem Rucksack nach einem Block und meinem Heft zu suchen.

„Kannst mal bitte jemand kurz halten?" frage ich und halte ohne aufzuschauen meinen Block in die Höhe, da alle meine Stifte auf einmal verschollen zu sein scheinen.

Schon wird er mir aus der Hand genommen und nach ein paar Sekunden der weiteren Suche hab ich nun auch meinen Stift gefunden, den ich triumphierend angucke. Geht doch.

Sofort gucke ich mich nach meinem Block um, den Jonah in der Hand hält?
Er ist vor seinen Freunden nett zu mir?

Ich verkneife es mir verwirrt den Kopf zu schütteln und greife stattdessen einfach danach.

„Danke." sage ich noch, bevor ich mich dann auch den Hausaufgaben widme. Zumindest versuche ich es. Aus irgendeinem Grund schwirren aber tausende verschiedene Gedanken in meinem Kopf herum und ich kann meine Konzentration einfach nicht auf die Ureinwohner Amerikas richten. Es ist mir einfach nicht möglich.

Trotzdem habe ich es aber nach einer Weile und sogar noch vor dem Beginn der ersten Stunde geschafft etwas halbwegs vernünftiges aufs Papier zu bringen. Es ist vielleicht nicht hundertprozentig richtig, aber immerhin hab ich etwas aufgeschrieben, richtig?

Pünktlich mit dem Läuten der Glocke sind meine Sachen also wieder eingeräumt und ich erhebe mich mit den anderen drei langsam von der Bank.

„Wo hast du Unterricht Lia?" fragt mich jetzt Henry und nach kurzem Überlegen nenne ich ihm den Raum zu dem ich jetzt muss.

„Cool. Ich komme mit, hab auch da ungefähr Unterricht." antwortet er mir direkt motiviert und ich muss leicht lachen. So motiviert wird man mich niemals hier in der Schule sehen.

„Wir müssen in die andere Richtung." wirft jetzt Collin ein und zaghaft wandert mein Blick von ihm zu Jonah. Er erwidert meinen Blick, was ein sofortiges Ziehen in meinem Oberkörper bewirkt. Er macht mich so fertig.

Nachdem wir uns noch mit ein paar kurzen Worten voneinander verabschiedet haben trennen sich dann aber unsere Wege und mir bleibt glücklicherweise keine Möglichkeit mehr über dieses Gefühl nachzudenken, da Henry mich schon in ein Gespräch verwickelt hat.

His smileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt