17. Kapitel

152 23 6
                                    

In meinem ganzen Leben hat man mir beigebracht, keine Fragen zu stellen. Meine Nase in die Luft zu recken und so zu tun, als stünde ich über allem anderen. Doch nun drängten sich die Fragen an die Oberfläche.

"Was... ist das?", fragte ich und versuchte, nicht entsetzt zu klingen.

Ich starrte auf das Knäuel an Lumpen, die Mick ineinander vernäht hatte. Stolz präsentierte er es, neben ihm stand Laurent, der mehrere Fingerhüte an seinen Händen trug. Waren wohl wieder beste Freunde, die Zwei.

"Das ist ein Anzug. Für Vincent."

"Wieso sollte... Vincent so etwas benötigen? Tickt ihr noch ganz richtig? Bald ist die Hinrichtung! Ihr könnt doch eure Zeit nicht mit Nähen vertrödeln!"

"Ich hätte erwartet, dass du als Lady Nähen befürwortest."

Ich massierte mir die Schläfen, während Mick ein Kommentar auf seine Tafel kritzelte.

Das gehört alles zu unserem Plan. Ist der Kürbis gefüllt?

"Was? Ja, klar", antwortete ich zerstreut. Nach dem deprimierenden Gespräch mit Laurent war ich auf Mick Anweisungen hin mit mehreren Flaschen Tomatensaft nachhause zurückgekehrt und hatte einen ausgehöhlten Kürbis damit gefüllt. Wofür das gut war, war mir schleierhaft.

Ich ließ mich auf einen Hocker an der Küchentheke nieder und beobachtete, wie Mick den Anzug auf einer halbherzig gemachten Mannequin positionierte.

Laurent streckte eine Hand aus. "Den Kürbis, bitte."

Es schien, als wüsste er über den Plan Bescheid, und hielt es vermutlich nicht für nötig, mich einzuweihen. Obwohl ich doch das Ganze überhaupt finanzierte! Mistkerl.
Ich zog den schweren Kürbis aus meiner Tasche und gab ihn ihm. Er war so groß wie ein menschlicher Kopf und ebenso geformt, was Mick mit einem wohlwollenden Blick quittierte.

Exzellent verriet seine Tafel.

Dann zückte er einen Hammer und zerschlug den Kürbis.



Also, er zerschlug ihn nicht direkt. Vielmehr zerschlug er nur die obere Mitte, so, dass kein Saft herauslief, sondern eine dünne Schicht den Tomatensaft zurückhielt. Und dann setzte er den Kürbis auf die Mannequin. Ich starrte das groteske, menschenähnliche Phantom an, das wir an diesem Tag erschaffen hatten. Und so langsam dämmerte mir, wie Mick Vincent befreien wollte.

"Das käuft uns niemand ab!", stellte ich fest und selbst Laurent wirkte verunsichert.

"Das Ding kann ja nicht mal laufen."

Mick schüttelte den Kopf, zog ein kleines Gitter aus zurechtgebogenem Draht aus einer Kommode und steckte es in die Lumpen. Dann zog er den "Anzug" von der Mannequin, warf ihn sich über und setzte den Kürbis dorthin, wo eigentlich sein Kopf sein sollte, aber da der Anzug viel zu groß war, war Micks Kopf dort, wo eigentlich der Brustkorb des Anzugträgers war.
Laurent und ich beäugen Mick. Ein Kürbismann. Verstanden.

Skeptisch warf mir Laurent einen Blick zu, zog den Zylinder von seinem Kopf und setzte ihn dem Kürbis auf. Immer noch nicht besser.

Aus einer Falte des Anzugs streckte Mick uns seine Kreidetafel entgegen.

Ich werde ihn natürlich noch verändern räumte er ein.
Auweia, wie lange dauerte das denn noch? So viel Zeit hatten wir nun auch nicht. Laurent sprach meinen Gedanken aus: "Mick, wann kann es denn losgehen?"

Er schlüpfte wieder aus dem Anzug, sein Gesicht war hochrot und kratzte sich am Kopf. Bevor er eine Antwort schreiben konnte, ging die Luke hinter mir auf und Nevermore kam krächzend ins Zimmer geflattert. Sie setzte sich auf Laurents Schulter und knabbert liebevoll an seinem Ohr. Die waren also jetzt auch noch beste Freunde.

Theoretisch könnte es heute Nacht losgehen. Wie viel Uhr haben wir?

Laurent zog eine silberne Taschenuhr aus seiner Manteltasche und öffnete mit einem Druck seines Daumens den Deckel.

"Siebzehn."

Ich runzelte die Stirn. Die Uhr kam mir bekannt vor... fast, als hätte ich sie jahrelang in der Tasche eines anderen gesehen.

"Du Dieb!", kreischte ich plötzlich und machte einen Schritt nach vorne. Ich riss Laurent die Uhr aus der Hand und wollte sie in meiner Tasche verschwinden lassen, doch er hielt mich auf.

"Hey!", rief er entrüstet. "Die ist ehrlich gestohlen!"

"Von meinem Bruder!"

"Wa... was?"

Ich hielt die Taschenuhr hoch. "Wo hast du sie gefunden?!" Sie war unverkennbar, ich täuschte mich nicht! Das Familienwappen der Familie Sinclaire war auf dem Rücken der Uhr, zusammen mit dem Leitspruch: Hic rhodos, hic salta.

"Die habe ich gefunden!"

"Wo?", kreischte ich schrill und umklammerte die Uhr wie einen Schatz.

"Bei Godwin!"

"Was?"

"Ja, sie lag bei ihr!"

Godwin? Lady Godwin? Wieso besaß sie die Uhr meines verstorbenen Bruders?
Ich beruhigte mich, strich mir eine Strähne zurück und fuhr mit den Händen fahrig über den Uhrendeckel.

"Tut mir leid", sagte ich und spielte ein wenig an dem Ring der Uhrenkette.

"Es ist nur... sie ist ein Familienerbstück. Nach dem Unfall meines Vaters erhielt mein älterer Bruder, Graham, sie. Er trug sie stets an seiner Jacke, doch... am Tag der Beerdigung verschwand sie aus dem offenem Sarg. Ich habe sie nie wieder gesehen... bis heute. Sag, wo genau war sie?"

"Sie lag in einer kleinen, offenen Vitrine auf dem Schreibtisch. Als Godwin mit dir sprach, habe ich sie entdeckt... es, es tut mir leid, der Drang sie zu stehlen war zu groß!"

"Ist in Ordnung", flüsterte ich und öffnete die Uhr. Das Uhrwerk ging immer noch, nach all diesen Jahren. Entweder hatte jemand sie aufgedreht oder sie... tickte immer noch. Tickte seit dem Tag der Beerdigung.

Meine Gedanken rasten. Wieso hatte Godwin die Uhr gestohlen? Sie war nicht allzu wertvoll, außerdem war das Stehlen keinesfalls ihre Spezialität. Ich verfluchte mich leise, dass ich von dem Diebstahl nichts mitbekommen hatte und erst später erfahren hatte, dass aus dem Sarg etwas entnommen wurde. Oder hatte Godwin...

Nein. Die Idee war zu abwegig. Zutrauen würde ich es ihr durchaus, aber... wieso sollte sie Graham getötet haben? Außerdem war er auf dem Schlachtfeld gestorben, eine Kugel direkt ins Herz. Allerdings... ich schluckte. Konnte man sich nicht auch eine Kugel in den Gassen Londons einfangen? Was, wenn Godwin tatsächlich etwas mit seinem Tod zu tun hatte?
Ich merkte, dass mein Herz raste. Adrenalin schoss durch meinen Körper und ich keuchte leicht.

"Constanze? Alles in Ordnung?"

Ich sah zu ihm auf. "Nein", flüsterte ich.


*unheilvolle Melodie setzt ein*

Das war das wie vielte, 18. Kapitel? Es zeichnet sich in der Ferne ein Ende ab... keine Sorge, nicht in naher Zukunft! Außerdem sind die Kapitel gar nicht fertig -.-
Das ist immer sowas, manchmal bin ich wirklich motiviert, schmeiß den Computer an und tippe einen Roman und anderen Tagen bin...ich......wirklich.....langsam.




Laurent der MeisterdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt