20. Kapitel

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Der Saal, den wir betraten, war recht lang, dafür allerdings ebenfalls schmal. Anstatt Öllampen brannten Fackeln and den kahlen Wänden und warfen unsere Schatten an den Stein. Weiter vor uns standen die Wachleute in Uniformen eisern vor einer großen Tür, in der Hand jeweils eine sperrartige Lanze.
Ich drehte mich nicht zu Constanze und Mick um, stattdessen salutierte ich als ein Mann mit vielen Orden an der Brust auf mich zukam. Er war um den Bauch herum breiter und sein kleiner Kopf saß wie eine Traube auf seinem Rumpf. Sein Haar war spärlich, lächerlich sorgfältig nach hinten gekämmt und seine Stiefel auf Hochglanz poliert. Er runzelte die Stirn.

"Fortshyre? Sind Sie das?", fragte er und beugte sich vor. Der Mann kniff die Augen zusammen und war im Inbegriff, sein Monokel zu ziehen, doch ich tat das rechtzeitig das einzige, das wir einfiel.

"Ja, Sir, das bin ich, Sir."

Der "Sir" sah mich an, dann begann sein Schnurrbart zu zucken, er warf sich nach hinten und lachte.

"Nun junger Finchley, was eine Degradierung ausmachen kann! Gestern noch waren Sie in schmucker Uniform, und heute werden Sie die Gefangenen überwachen!"

Der Mann lachte weiter und ich runzelte die Stirn. Finchley? Wie Finn? Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?

"Nun denn. Wen haben Sie denn da? Frisch vom Gericht, mhm?"

Er ging an mir vorbei und betrachtete Constanze und Mick eingehend. Besonders Constanze fand er interessant zu finden.

"Warum trägst du eine Hose, Mädchen? Oder bist du gar kein Mädchen?"

Er lachte wieder los und hielt sich den Bauch, als hätte er soeben einen unfassbar guten Witz gemacht.

"Und du? Wofür wirst du eingelocht?"

Mick blieb stumm.

"Hast du mich nicht verstanden, Junge?"

Weiterhin keine Antwort.

"Bist du taub? Oder einfach nur doof?"

Ich drehte mich langsam zu ihm um. Wut kochte in meinen Fingerspitzen und ich wollte dem aufgeblasenen Idioten gerne eine reinhauen.

"Er ist stumm, Sir."

Das letzte Wort betonte ich so abfällig wie es ging, der Mann schnaubte und wankte wieder in meine Richtung.

"Nun gut. Dann übergibt sie mir. Und wieso tragen sie eigentlich Seile an den Händen? Warum keine Handschellen?"

Er hob eine Braue.

"Es gab keine mehr", sagte ich und beeilte mich ein "Sir" hinzuzufügen.

Der Mann schnalzte missbilligend mit der Zunge, zog zwei Handschellen aus seinem Gürtel und ehe ich mich versah hatte er das kühle Eisen um die Handgelenke meiner Freunde geschnallt.

Dann begann er die Fesseln zu lösen. Er wollte also die Gefangenen selbst einliefern. Verdammt.

"Sir, ich würde Sie gerne zu den Zellen begleiten", bot ich mich an.

"Nein nein, Fortshyre. Meine Knochen mögen alt sein, aber wenn ich dir eines garantieren kann, dann dass ich diese zwei missratenen Sprösslinge unter Kontrolle halten kann!"

Ich sah nach Constanze. Ihr Gesicht war kalkweiß und sie starrte geradeaus ins Nichts. Es schien, als würde sie im Kopf einen langen Text herunterbeten und ihr Unterkiefer verkrampfte sich. Sie war also auch auf die Idee gekommen, dass ihr damaliger "Komplize" ein verdeckter Ermittler gewesen war. Und sie ausnahmslos die ganze Zeit angelogen hatte.

Mick hingegen suchte auch meinen Blick. Dann nickte er unmerklich.

"In Ordnung", piepste ich.

Constanzes Kopf herum und sie fixierte mich. In ihren Augen glühte eine unbändige Wut und ich wich zurück. Dann klärte sich ihr Blick wieder und sie richtete ihn erneut in die Ferne.

"Abtreten."



Als ich wieder im Innenhof war, ließ ich mich an der geschlossenen Tür hinuntersinken und legte den Kopf in meine Hände. Was hatte ich gerade getan? Was hätte ich tun sollen?
Schon kurz darauf brannten mir Tränen in den Augen und rollten heiß meine Wange hinab. Es hatte zu schneien begonnen und weiße Flocken setzten sich auf meiner Uniform ab. Dann hörte ich ein leises Stöhnen von der Ecke, ich stand auf und folgte den Geräuschen. In der Ecke, alleine gelassen im Schatten, regte sich der vorher ohnmächtige Wachposten. Bevor er irgendetwas machen konnte, hatte ich ihn an den Haaren gepackt, umgedreht und drückte das kalte Eisen meiner Taschenuhr an seinen Hals. Er wagte es noch nicht einmal, sich zu vergewissern ob das wirklich ein Messer an seinem Hals war und hob sogleich seine Arme.

"Hör mir jetzt ganz genau zu und dir wird nichts passieren", zischte ich. Auch wenn er nicht zuhören würde, würde ihm nichts passieren. Ich würde niemals einen Wachmann oder Polizisten ernsthaft verletzen oder gar töten. Diese Männer stellten ihr Leben in den Dienst der Sicherheit des Landes und riskierten es täglich für uns. Daher verdienten sie auch meinen allerhöchsten Respekt, schade nur, dass wir auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes standen.

"Ich muss hoch zu den Gefägniszellen. Und ich muss einen Weg finden, dort ungesehen hineinzukommen. Weißt du wie das klappt?"

"Mhm mhm. Ja", wimmerte der Mann. "Solange niemand die Zellen öffnet kann da eigentlich jeder ungehindert hoch!"

"Gut, dann sag mir wie. Und wehe du schlägst Alarm."

"Wenn man den Innenhof umrundet, ist auf der westlichen Seite des Towers ein kleiner, schmaler Turm. Die Tür ist abgeschlossen, aber morsch und man kriegt sie ganz leicht auf, ich schwör's. Dann... muss... muss man nur die Treppe hoch und von dort aus kommt man in den Gefängnistrakt. Es... es gibt vier, die neueren Gefangenen sind ganz oben."

"Kann ich mich darauf verlassen, dass du die Wahrheit sagst?"

"Jaja, das könnt Ihr! Ich... ich habe eine Frau und Kinder zuhause, ohne mich werden sie verhungern. Bitte..."

"Gut."

Ich nahm die Taschenuhr zurück und er stand langsam auf, die Hände immer noch oben.

"Schlagt mich."

"Was?", fragte ich irritiert.

"Wenn Ihr Gefangene befreit, werden die den Schuldigen suchen. Und wenn ich wach bin, verdächtigen mich auch noch..."

"Ich... ich würde Ihnen ungern wehtuhen."

Stille. Dann senkte der Mann langsam die Arme.

"Wer seid Ihr?", fragte er ohne sich umzudrehen.

Ich runzelte misstrauisch die Stirn, doch bevor seine Faust in meinem Gesicht landete schlug ich ihm heftig mit der Taschenuhr gegen die Schläfe. Er klappte zusammen und blieb in dem dünnen Schnee auf dem Boden liegen. Ein Rinnsal Blut tropfte auf das Weiß und färbte den Schnee scharlachrot. Ich erstarrte, kniete mich schnell hinab und fühlte seinen Puls.
Erst fand ich ihn nicht, aber dann vibrierte er gleichmäßig unter meinen Fingern.

Voller Erleichterung seufzte ich, ließ den armen Mann erneut alleine und machte mich auf den Weg.



Eventuell werden ein paar von euch sagen: Momentchen mal, in dem Film da und da und in dem Buch da und da sieht der Tower ganz anders aus!
Das liegt daran, dass der Tower of London in dieser Geschichte meiner Fantasie entsprungen ist, also wie ich ihn mir vorstelle ^^

Das mag wohl etwas seltsam klingen, da dieses Buch ja nicht fiktiv sein soll und an Tatsachen angelehnt, aber da es sowieso nie einen Dieb namens Laurent Morton (hüstel, kann ich nicht versprechen, hüstel) gab, konzentriere ich mich eher auf die Geschichte ;)

Irgendwelche konstruktive Kritik? xD
Es nähert sich dem Ende, und dieses soll schließlich auch gelungen sein ;)

Ansonsten einen schönen Dienstag noch!
~Eure Nicky

Laurent der MeisterdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt