18. Kapitel

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Es war bereits kurz vor Abendbrot, als sich Constanze und ich wieder aus der Wohnung schlichen und einen weiteren Auftrag für Mick ausführten. Es dämmerte bereits und die Straßen lagen leer und verlassen da.

So langsam fragte ich mich, ob Mick selbst in seinem Plan durchblickte. Auf leisen Sohlen huschten wir im Dunkel der Häuser durch die Hauptstraße. Ein Betrunkener kam grölend auf uns zugewankt, in seiner Hand schwenkte er eine halb volle Flasche mit gelbem Inhalt und seine Augen waren blutunterlaufen und fixierten uns fiebrig. Er steuerte geradewegs auf mich zu, ich hob schützend die Arme als plötzlich ein Messer in seiner Hand auftauchte, doch als er meine Schulter packte drehte er eine Pirouette und landete im Dreck der Straße. Kurz darauf war ein ohrenbetäubenes Schnarchen zu hören.
Wir schleppten ihn an den Armen und an den Beinen zu einem Hauseingang, lehnten ihn an die Wand und nahmen ihm das Messer weg.

"Nicht dass er noch jemanden verletzt", sagte Constanze, als sie es einsteckte.

Ich zog einen zerknitterten Zettel aus meiner Hosentasche, strich ihn glatt und versuchte im Dunklen die enge Schrift zu entziffern.

Ich sah mich um.

"Da vorne ist die Straße, von der Mick geredet hat", sagte ich und deutete rechts zu mir.

Wir bogen in die Lane ein und erreichten schon bald das hohe Gebäude, von dem Mick uns erzählt hatte.
Wir sahen an ihm hoch. Die Wände waren ordentlich verputzt, die Ziegel auf dem Dach bröckelten leicht und die Haustür war in einem schönen Grün angestrichen.

Ich sah mich um. Nirgendswo Zeugen. Dann warf ich Constanze einen nervösen Blick zu, woraufhin sie beruhigend lächelte und auf die Haustür zusteuerte. Mit einem Dreh ihres Dietriches war die Tür offen und wir verschwanden im Inneren.

Das Haus gehörte zweifellos einer hart arbeitenden Familie. Keine überdrehten Spitzen, aber sauberes Geschirr, Decken und normale, blanke Tassen und Teller. Überall auf den Kommoden standen Zeichnungen von zwei kleinen Kinder und die Fotografien eines hageren Mannes mit einem freundlichen, doch ernsten Lächeln. Mir waren die Bewohner sofort sympatisch.

"So. Was genau sollen wir uns besorgen?", fragte Constanze leise.

"Du musst nicht leise sprechen. Mick hat gesagt, die Bewohner wären momentan im Urlaub", flüsterte ich.

"Und warum flüsterst du dann auch?", zischte Constanze und begann sich umzuschauen.

Erst öffnete sie die Kommoden, wobei sie ihre Hände in Handschuhen verhüllt hatte, dann machte sie sich über den Sekretär in der Ecke her und schlussendlich tastete sie vorsichtig die Unterseite des Kamins ab, wobei sich ihre weißen Handschuhe kohlrabenschwarz verfärben.

Ich half ihr zu suchen. Dabei wusste ich noch nicht einmal, was wir suchten, doch Mick hatte gemeint, wir würden es erkennen wenn wir es fanden. Falls wir es fanden.

"Sag mal, woher kennst du Vincent eigentlich?", fragte ich, öffnete den Tellerschrank und ließ meinen Blick über das Geschirr gleiten.

"Auf einem Coup, ehrlich gesagt. War nichts großes, ich bin aufgeflogen."

So wie sich anhörte, schien es doch was großes zu sein.

Ich wartete darauf, dass sie weitererzählte und tatsächlich kam sie der stummen Aufforderung nach.

"Es ist jetzt schon gut ein Jahr her, es war Frühling, und ich hatte seit Monaten einen Coup geplant. Damals war allerdings nicht nur Mary mit von der Partie, sondern ein ehemaliger Freund. Finn Fortshyre. An jenem lauen Märzabend schlichen wir uns in eine exklusive Dinnerparty, nur für die reichsten der reichsten. Oh, guck mal da, könnte es das sein?"

Constanze zeigte mir eine Stickerei. Ich betrachtete die abstrakten Muster.

"Nein", sagte ich entschieden.

"Als wir in den Ballsaal kamen, richtete sich jedes Augenpaar auf uns. Mary hatte ein paar Tage zuvor mein Kleid von der Schneiderin abgeholt und es war ein Meisterwerk gewesen. Seide über Seide, gerüscht, mit einer goldenen Borte. Es war wirklich schön. Finn und ich teilten uns auf, und in der Menge begegnete ich Vincent de Montgomery, der mich schon schnell als Betrügerin entlarvte. Doch anstatt mich zu melden, lächelte er nur und gab mir Verbesserungstipps.
Später am Abend dann kamen Finn und ich wieder zusammen und wir brachen in das Arbeitszimmer unseres Ziels ein. Drinnen erwarteten uns jedoch fünf Uniformierte mit Knüppeln. Sie griffen uns sofort, ohne jegliche Fragen, an, doch gingen sie nicht auf Finn los. Erst dachte ich, sie wollen nur mich, doch schnell wurde mir klar dass Finn mich verraten hatte. Ich floh aus dem Arbeitszimmer und rannte auf die Straße, auf welcher ich fast von einer Droschke überfahren worden wäre. Die Kutschentür ging auf, eine Hand zog mich ins Innere, und Vincent brachte mich weit fort vom Geschehen. Während der Fahrt beichtete ich ihm den missglückten Coup und sagte verbittert, dass ich niemals wieder mit jemanden zusammen arbeiten würde. Er meinte daraufhin, dass er schon seit längerem mit jemanden zusammen arbeitete und er das das Beste war, was ihm hätte passieren können. Irgendwann, versprach ich ihm, würde ich ihm aus einer misslichen Lage befreien.
Und das... wars auch schon.
Laurent? Hörst du mir überhaupt zu?"

"Mhm?", fragte ich abwesend und inspizierte die Tüte, das ich soeben in einer Schublade gefunden hatte.

Ich hob es an. "Könnte das sein was Mick wollte?"

"Was... ist das?"

"Ich glaube, das ist... Rabenfutter."

"Oh mein Gott. Mick hat uns einbrechen lassen, um Rabenfutter zu stehlen?"

Ich überlegte lange. Dann sagte ich: "Aber er hätte es auch selbst holen können. Wieso hat er uns geschickt?"

"Eine Falle!", vermutete Constanze alarmiert.

"Ich glaube nicht. Ich glaube er wollte... dass wir Zeit miteinander verbringen."

"Aber wieso sollte er das wollen? Ich meine, wir sind doch nur Geschäftspartner."

"Ich verstehe es auch nicht ganz. Sollen wir ihn zu Rede stellen?"

"Lass mal. Ich glaube er denkt, so ein gemeinsamer Einbruch würde freundschaftliche Bande zwischen uns knüpfen."

Wir sahen uns an und prusteten gleichzeitig los. Lächerlich, allein die Vorstellung.

Laurent der MeisterdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt