46. In Marcus' Gemächern

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„Hey, aufwachen, Hermana! Wir sind da!"
Ich schlug die Augen auf und sah, dass Jorge an meinem Bein rüttelte. Verschlafen nickte ich und gähnte, dann fuhr ich mir durch die Haare und zog meinen Zopf ein wenig fester. Es ging also los.
„Wenn wir das erledigt haben, möchte ich mich endlich irgendwo waschen können", stellte ich fest, als ich auf Newts Seite ausstieg.
„Das bekommen wir alles hin. Aber jetzt müssen wir erst einmal in Marcus' Quartier kommen. Brenda, bleibt beim Wagen, bis Vince kommt. Ich will euch später nicht suchen müssen, klar?", wandte Jorge sich an das Mädchen.
Sie nickte. „Wir bleiben hier, keine Sorge. Beeilt euch."
Die beiden umarmten sich kurz und fest, dann drehte sie sich zu mir und umarmte auch mich.
„Pass auf die beiden Dummköpfe auf", lachte sie, aber ich hörte die Sorge in ihrer Stimme.
Ich nickte.
Jetzt wandte ich mich zu Newt und nahm seine Hände in meine.
„Hör zu, wir sehen uns in ein paar Stunden, okay? Wir beeilen uns. Und ihr passt auf euch auf."
Er nickte, sah aber immer noch nicht überzeugt aus.
„Lass dich nicht erwischen."
Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich, dann schlang er seine Arme um mich und drückte mich an sich. Ich atmete seinen Geruch tief ein, löste mich dann von ihm und umarmte auch Fry Pan.
„Mach's gut, Pan. Bis später. Keine Sorge, wir sind bald zurück", fügte ich hinzu, als er mich unglücklich ansah.
„Ein Gewehr lassen wir euch hier. Den Rest nehmen wir mit. Schieß im Zweifelsfall", sagte Jorge zu Brenda, als er sich ein Gewehr umhängte und mir eine Pistole reichte.
Ich steckte sie mir hinten in die Hose und sah zu, wie Thomas es mir gleichtat. Wir waren soweit.
„Wartet, nehmt wenigstens etwas Wasser mit!", hielt Fry Pan uns auf.
„Noch ganz der Alte", sagte ich und grinste ihn an, als ich die Flasche, die er mir hinhielt, entgegen nahm.
Jetzt machten wir uns auf den Weg auf die hell erleuchtete Stadt zu, die wir vor nicht einmal 48 Stunden erst hinter uns gelassen hatten. Was seitdem alles passiert war, war unglaublich.
„Okay, setzt euch eure Kapuzen auf und versucht möglichst im Schatten zu bleiben. Es ist ein Stück bis zu Marcus."
Ich stellte fest, dass wir auf einer Seite der Stadt waren, die ich noch nicht gesehen hatte. Neugierig sah ich mich um und erkannte, dass auch hier die meisten Leute auf den Straßen zu leben schienen, denn überall lagen leere Schlafsäcke auf dem Boden herum. Ein paar Hunde streunten umher, aber abgesehen von ihnen begegneten wir kaum jemandem. Erst als wir dem Zentrum näher kamen, wurden die Gassen belebter und wir mussten mehr darauf achten, den Schatten der Häuser, der uns vor den vielen elektrischen und durch Feuer erzeugten Lichtern schützte, nicht zu verlassen.
„Wir sind gleich da. Versuchen wir, unbemerkt nach oben zu kommen, indem wir den Hintereingang benutzen. Kommt, hier entlang."
Stumm folgten wir Jorge in eine dunkle Seitengasse.
Er blieb vor einem Gebäude stehen, das vom Aussehen durchaus Marcus' Quartier hätte sein können, schien kurz zu überlegen und nickte dann mit gerunzelter Stirn.
„Durch das Fenster kommen wir rein. Schafft ihr es, zu klettern?"
Ich sah ihn mit großen Augen an. Meinte er das ernst? Sollten wir wirklich an der Regenrinne hochklettern? Die hatte doch sicherlich seit Jahren niemand mehr festgeschraubt.
„Jorge, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist...", warf Thomas ein.
„Einen anderen Weg gibt es nicht rein."
„Na gut... Versuchen wir es."
Misstrauisch rüttelte ich an der Regenrinne und sah zu dem Fenster hoch, das ungefähr drei Meter über uns war.
„Warum hat dieses Haus im Erdgeschoss keine Fenster nach hinten raus?", fragte ich.
„Ich würde sagen, wir haben einfach Pech, Hermana."
„Hoffen wir, dass das nur für das Fenster gilt. Ich habe wirklich keine Lust, dass wir gefangen genommen werden", stellte Thomas fest.
„Also schön. Ich gehe zuerst."
Mit diesen Worten rüttelte ich noch ein letztes Mal an der Regenrinne und zog mich dann an ihr hoch.
So arbeitete ich mich Stück für Stück die Hauswand hoch, die Knie fest um die Rinne geschlossen. Meine Arme schmerzten von der Anstrengung, aber es ging ganz gut und sie gab nicht nach, wie ich befürchtet hatte. Als ich auf Höhe des Fensters war, griff ich nach der Fensterbank, stemmte meine Füße in einen breiten Riss in der Wand, der praktischerweise die perfekte Lage hatte, und lugte in den Raum hinein.
Ich erkannte das Zimmer, in dem Jorge am Vortag noch auf Marcus eingeschlagen hatte. Niemand war zu sehen und ich zog mich an der Fensterbank hoch, um den Raum zu betreten. So leise wir möglich richtete ich mich auf und sah mich um. Hinter mir konnte ich hören, wie Thomas die Regenrinne hochkletterte. Es dauerte nicht lange und ich konnte ihn zu mir hineinziehen. Jorge war direkt hinter ihm und als wir wieder komplett waren, machten wir uns auf die Suche nach dem Grund für unser Kommen – einem Funkgerät.
„Ich bin sicher, dass es hier irgendwo sein muss. Marcus hat von hier aus immer mit dem Rechten Arm kommuniziert und WICKED muss er auch irgendwie kontaktieren können."
„Ein bisschen Licht wäre nicht schlecht", stellte ich fest.
Man konnte nicht wirklich viel erkennen.
„Warte, ich hab eine Taschenlampe dabei", sagte Thomas. „Guck mal in meinem Rucksack nach."
Ich wühlte in der Tasche herum und wurde fündig. Als ich die Taschenlampe anknipste, erfüllte sie den Raum mit hellem Licht. Das war schon besser.
Wir suchten das Wohnzimmer, oder was es war, ab, aber konnten nichts entdecken. Resigniert schüttelte ich mit dem Kopf. Jorge hatte Recht, irgendwo musste Marcus ein Funkgerät haben. Wir durften nicht aufgeben.
„Die Tür! Da ist eine Tür hinter dem Regal!", flüsterte Thomas plötzlich aufgeregt.
„Was...?"
Doch da sah ich sie auch, als ich zu dem Schrank leuchtete, auf den er zeigte. Jemand hatte ihn vor eine Tür geschoben und dabei nicht sehr sorgfältig aufgepasst, dass man diese nicht sehen konnte.
Mit vereinten Kräften schoben wir ihn beiseite und ich betete, dass die Musik unter uns so laut war, dass niemand den Lärm hörte, den er machte, als seine Beine über den Holzfußboden rutschten.
Die Tür war abgeschlossen, aber das hatte Jorge mit wenigen Handgriffen erledigt, denn nur wenige Sekunden später stieß er sie auf und betrat den Raum. Wir folgten ihm und ich hielt noch immer die Taschenlampe fest.
„Riecht ihr das? Was stinkt hier so?", fragte ich und hielt mir eine Hand vor die Nase.
„Das riecht wie..."
Weiter kam Jorge nicht, denn jetzt machte etwas in einer Ecke laute Geräusche. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe dorthin, und hatte im nächsten Moment meine Pistole gezogen. Dort stand ein Käfig mit drei Cranks.
„Was zum Teufel? Was wird hier gespielt?", stieß ich hervor.
„Marcus scheint sich ein paar Haustiere zu halten", stellte Jorge unberührt fest.
„Er stellt sie unten zur Schau. Die Gäste können mit ihnen kämpfen. Ich habe es gesehen, als Brenda und ich hier waren."
Ich sah Thomas schief an.
„Wundert mich, dass du dich überhaupt an etwas erinnerst."
„Das konnte ich nicht vergessen."
„Na, da haben wir das Schätzchen ja!"
Schnell steckte ich meine Waffe wieder hinten in meine Hose und leuchtete in die Richtung, aus der Jorges Stimme gekommen war. Er stand vor einem Schreibtisch und darauf stand es – ein Funkgerät.
„Endlich!", stieß ich erleichtert hervor. „Okay, wie bedient man das Ding?"
Der Mann legte einen Schalter um und drehte an ein paar Knöpfen, so wie Thomas es getan hatte, als wir Vince vor über drei Jahren zum ersten Mal kontaktiert hatten. Das Funkgerät gab rauschende Geräusche von sich, dann surrte es leise.
„Kanal 7, por favor. Jetzt bist du dran, Anna."
Er trat zur Seite und hielt mir das Mikrofon hin.
Mit klopfendem Herzen stellte ich mich vor das Funkgerät und wartete, dass etwas passierte. Aber nichts geschah.
„Wir müssen ein wenig Geduld haben, schätze ich. So spät ist es ja noch nicht", versuchte Thomas mich zu beruhigen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich von einem Fuß auf dem anderen getreten war.
„Hoffen wir nur, dass uns bis dahin niemand erwischt..." Ich dachte an Marcus und stellte mir vor, wie er mit einer SWAT-Einheit von WICKED hier herein platzte.
Hör auf. Keiner weiß, dass wir hier sind.

Through The WICKED Scorch | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt