Kapitel 18

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Immer schneller und schneller trat Live in die Pedale, wollte nur so schnell wie es ging weg von Kader. Doch irgendwann war sie am Krankenhaus angekommen. Extra für Kader und seine Nachhilfe hatte sie ihre Schichten etwas geändert und ging nun dienstags und donnerstags deswegen kürzer. Wobei Alfred ihr wie immer ans Herz gelegt hatte nicht so lange auf Arbeit zu sein und auch endlich einmal freie Tage zu ihrem Wochenplan dazu zu nehmen. Doch wie immer hatte sie ihn ignoriert und gesagt sie brauche das nun mal. Live wollte nicht mehr nachdenken. Sie wollte einfach nur für diesen kurzen Moment sich mal wieder wie sie selber fühlen. Sie mochte und hasste zugleich das Gefühl, welches Kader in ihr hervorrief. Als wäre sie das wichtigste auf der Welt für ihn. Doch gleichzeitig wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf, dass er auch nur seine Spiele mit ihr spielte. Als hätte der coole Kader White es nötig sich mit einer wie Live abzugeben. Keiner würde es auf längere Zeit mit Live ertragen, dass hatte sie schon so früh lernen müssen und da bildete Kader bestimmt keine Ausnahme. Irgendwann verscheuchte sie eben alle. Für Live zählte nur leben, der Rest war ihr egal. Was war schon eine Familie, wenn man von ihr unterdrückt wurde? Wozu brauchte sie Erfolg, wenn dieser sie nur dazu zwang, immer viel zu leisten.

Nun stand sie wieder bei den Kindern, für welche sie natürlich noch vor ihrer Schicht tütenweise Süßes geholt hatte in dem kleinen Shop aus dem Erdgeschoss. Jetzt verhielten sich die Kleinen auch wieder als hätte es die Tage ihrer Abwesenheit nie gegeben, doch Live wusste etwas hatte sich verändert. Sie hatte sich verändert, indem sie sich Alexa gegenüber gestellt hatte. Diese hatte sie am Montag tatsächlich in Frieden gelassen und nicht ein einziges dummes Kommentar war von ihr über Live gefallen. Vielleicht lernte sie ja auch dazu? Schmunzelnd tat Live diesen Gedanken ab. Als würde Alexa sich je ändern können!

,,Live!" ein leises Flüstern riss Live aus ihren Gedanken und verwundert richtete sie ihren Blick auf einen dunkelhäutigen Jungen mit kurzen schwarzen Haaren und haselnussbraunen Augen, welcher aufgeregt an ihrer Jacke zog. ,,Was denn Ben?" Doch der Junge zeigte nur auf eine blonde Schönheit welche durch die Kinderstation stolzierte und dabei mehr einem Model als einem Besucher ähnelte. Sie benahm sich, als wäre dieser Flur ihr Laufsteg und schien alles um sich herum auszublenden. Live war das Mädchen allerdings nicht unbekannt und automatisch verspannte sie sich. Es war Holly, Live hätte nicht gedacht das Mädchen je wieder zu sehen, hatte geglaubt sie wäre nur einmal kurz hier gewesen. Doch sie lief nun direkt auf Live zu und grinste sie freundlich an. Wahrscheinlich lag ein Geschwisterkind von ihr hier auf Station.

,,Ich hätte nicht gedacht dich noch einmal zu sehen!" sie schien Live aus der Seele zu sprechen, doch irgendetwas sagte Live, dass sie nichts mit ihr zu tun haben wollten. Vielleicht ihre eigene Schutzfunktion, Erfahrungen? Wieso reagierte sie dann nicht auch bei Kader? ,,Nun das hatte ich eigentlich auch gehofft!" entgegnete Live müde und versuchte nicht zu neidisch auf die schönen Gesichtszüge der anderen zu sein. Glockenhell erklang ihr Lachen und sie tat so als müsste sie sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischen. ,,Ach du amüsierst mich! Wie war noch gleich dein Name, den hast mir gar nicht verraten bei unserer ersten Begegnung? Aber du hattest ja auch viel zu tun. Ich wusste gar nicht, dass man hier auch arbeiten kann, vielleicht bewerbe ich mich auch!" ein entwaffnendes Lächeln strahlte Live an und bei Jungs hätte dieses vermutlich auch gewirkt, doch nicht bei Live. ,,Tja, ich wüsste nicht was dich das angeht und nun muss ich weiter arbeiten!" damit schnappte sie sich Ben an der Hand und zog ihn einfach gegen den Willen des kleinen Jungen mit sich. Die Blicke der eigentlich Fremden in ihrem Rücken. Auf den letzten Teil ihres Satzes wollte sie lieber nicht eingehen. Live brauchte hier nicht irgendeine Schickimickitante, die so tat als wäre sie die beste in allem was sie tat.

,,Nun Live Kamson, du wirst mich bald noch kennenlernen und dann wirst du nicht mehr ständig vor mir davon rennen!" genervt, dass das Mädchen so anstrengend war verließ Holly das Krankenhaus und steuerte auf den schwarzen BMW zu in welchen sie sich genervt fallen ließ. ,,Hat sie mit dir geredet?" die Fremde sprach leise zu ihr. ,,Naja, gesprächig kann man sie wohl nicht gerade nennen! Ich habe eher das Gefühl, sie weiß etwas von diesen Plänen!" lachend und zunehmend frustriert rutschte Holly im Sitz hin und her. ,,Nachdem was ihre Eltern mit ihr getan haben vermutet sie wahrscheinlich hinter allem eine böse Verschwörung!" wieder sprach die andere leise und richtete langsam ihren Blick auf Holly, welcher hinter einer Sonnenbrille verborgen blieb. ,,Ich weiß ja wieso ich den Mist hier mit mache, aber was bringt dich dazu Girly?" nun wendete sich auch Holly der Unbekannten zu. ,,Sagen wir einfach ich habe noch eine Rechnung mit Live offen und die wird sie zahlen. Bis all ihre Schuld abgerechnet ist!" verbittert verzog sie ihren Mund und Holly spürte kurz Mitleid mit den beiden Mädchen. Live weil sie eigentlich ganz O.k. schien und mit der Fremden weil sie so verbittert und kaputt innerlich war, dass sie sich fragte ob wirklich nur Live an ihrem Leid schuld war. Doch Holly sagte nichts. Immerhin war sie nur dazu beauftragt Befehle zu befolgen und nicht um Fragen zu stellen. Also stieg sie aus dem Wagen und fuhr mit ihrem eigenen nach Hause.

Live verließ das Krankenhaus als es schon stockfinster war. Seufzend schloss sie die Augen und gönnte sich einen Moment Ruhe, bevor sie mit ihrem Rad nach Hause fuhr. Nachdem Holly da gewesen war, hatte es Live viel Mühe gekostet sich wieder auf die Kinder zu konzentrieren. Kurz verweilte ihr Blick noch hoch oben bei den funkelnden Sternen und dann betrat sie das kleine Haus, wo ihre Adoptiveltern schon auf sie warteten. Die Schreie und Träume der Nacht wurden nicht erwähnt und alles verlief wie immer, doch Live wusste, dass sie Sonja erlaubt hatte bei ihr zu bleiben war ein Fehler gewesen. Sie würde die beiden nur verletzten und das wollte sie ihnen eigentlich nicht antun, doch Live war nun einmal so und das würde sie auch nicht aus ihrem Kopf bekommen. Auf Kurz oder lang stieß sie jeden von sich. Und egal wie sehr Live sich wünschte jemanden bei sich zu haben der sie beschützte und behütete, sie konnte diese Nähe einfach nicht zulassen. Sie durfte nicht. Dafür war einfach viel zu viel schon in ihrem Leben geschehen. Sie war kaputt, nicht reparierbar und wusste, eines Tages würde auch diese liebevolle Familie in welche sie hineingekommen war, nicht mehr haben wollen.

Nach dem Essen musste Live unbedingt noch einmal raus und eine kleine Runde drehen. Alles schwirrte in ihrem Kopf und sie versuchte diesen inneren Konflikt zu beenden. Nur die Straße hinunter, hatte sie sich vorgenommen, doch plötzlich war Live schon viel weiter gelaufen, völlig in Gedanken als plötzlich ein klimperndes Geräusch aus einer der Häusergassen erklang. Erschrocken drehte Live sich zu der Richtung und hatte sofort das Gefühl in der Gasse Menschen laufen zu sehen oder ... vielleicht war das auch keine Illusion? Zitternd machte Live einige Schritte rückwärts und erneut erklang das blecherne Klimpern. Nun klang es wie eine Dose welche hin und her geschoben wurde und gerade als Live glaubte gleich würden Monster aus den Schatten kommen und sich auf sie stürzen da blitzten grüne Augen in der schwarzen Lache um sie herum auf und schienen sie genau zu mustern. Moment, grüne Augen? Erleichtert stieß Live ihre angehaltene Luft aus und musste sogar ein wenig grinsen als ein kleines, rundliches braun gestreiftes Kätzchen auftauchte und vor sich eine Dose hin und her schob. ,,Was machst du denn hier kleine? Nicht dass du dich verletzt!" sanft um sie nicht zu verscheuchen ging Live in die Hocke und sprach beruhigend auf sie ein. Die Katze hatte kein Halsband und Live war auch nicht bekannt, dass in der Nachbarschafft eine Katze fehlte. ,,Bist du etwas ein Streuner?" Mauzend rannte sie auf Live zu und schmiegte sich an ihre Hand, während ihre großen Augen sie von unten her anfunkelten. Sanft strich Live dem Kätzchen durch das samtene Fell. Auf irgendeine Art und Weise fühlten sich die beiden verbunden miteinander.

Lieb mich nur einmalWhere stories live. Discover now