Kapitel 40

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Kader wusste nicht ob sie das ernst meinte oder ob es ein Witz war, doch nachdem einige Minuten des Schweigens vergangen waren, wurde ihm bewusst, dass es definitiv kein Witz war. Hatte er eigentlich auch nicht erwartet, immerhin war das nicht Lives Stile. Dennoch fragte er ungläubig: ,,Ist das dein Ernst?" Weiteres Schweigen. ,,Es gibt tausend Gründe warum du und nicht sie!" er verfluchte die Dunkelheit, weil er Live so nicht sehen konnte, doch sie sagte noch immer nichts, war in ihre eigenen Gedanken vertieft und Kader traute sich nicht zu fragen was sie geträumt hatte, warum Sonja plötzlich so ernst gewesen war. Was sie erlebt haben musste um solch gruslige Schreie von sich zu geben, dass jedem das Blut in den Adern gefror der es hören würde. Warum sie ihn sowas fragte, obwohl es doch offensichtlich war, wieso er lieber bei ihr, als bei irgendeinem anderen Mädchen war. Kader fühlte sich auf einmal unwohl hier zu sein. Als würde er sie bedrängen, obwohl sie doch gesagt hatte er solle hier sein. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen her zu kommen, dabei fühlte er sich Live näher, als jemals zu vor. Selbst als er sie in der Bibliothek hatte küssen wollen, hatte er sich nicht so verbunden mit ihr gefühlt wie in diesem Moment. Dem Moment, in welcher sie so verletzlich war, dass Kader wieder auf jedes Wort, welches er sagte achten musste. ,,Ich versteh dich nicht Kader." Erneut musste er auflachen, weil es so eindeutig war, dass sie es nicht tat. Wie sollte Live ihn auch verstehen, wenn er sich inzwischen nicht einmal mehr selbst verstand. ,,Was verstehst du nicht?" Auch wenn er es versuchte lag die Belustigung noch immer in seiner Stimme. Er fühlte sich seltsam befreit so mit ihr zu reden. Dieses Mal war es Lives Decke, welche raschelte, dann hörte er etwas tapsen und im nächsten Moment hockte Live plötzlich direkt neben ihm. ,,Ich versteh nicht, warum du hier bist."

Was tat sie hier eigentlich? Sie war müde, nur daran konnte es liegen und doch zog es sie immer wieder zu ihm hin. Als wären sie zwei Magneten, die immer in dieselbe Richtung gezogen wurden und dann doch immer wieder von einander abdriften, wenn sie sich zu nahe kamen. Live war all die Jahre vernünftig gewesen, doch innerhalb einer Woche lag ihrer Welt wieder in Trümmern, wieso sollte sie dieses Mal also nicht machen, was sie eigentlich tief im Herzen so unbedingt wollte? Warum sollte sie nicht springen? ,,Ich bin hier, weil ..." Kader stockte und in Live zog sich alles zusammen. Was genau hatte sie eigentlich hören wollen? Warum wollte sie Kader so unbedingt verstehen, wenn sie sich selbst doch nicht verstand? Wahrscheinlich war er insgeheim nur hergekommen, weil er seine eigenen Gedanken loswerden wollte. Er konnte wohl kaum wirklich wegen ihr hier sein. Als würde er wirklich Interesse an ihr haben. Live wusste, dass es schlecht war ihm dies anzuhängen, wo er ihr doch immer wieder zeigte, dass er sie kennenlernen wollte. Aber in ihrem Innern wollte sie einfach nur nicht der Wahrheit ins Gesicht sehen. Der Wahrheit, dass sie nicht wollte, dass Kader wieder ging. Nicht nachdem alles gut zwischen ihnen zu sein schien. Nicht nachdem er nun einmal hier gewesen war. ,,Schon gut. Ich versteh schon!" Live wollte sich wieder abwenden und zurück ins Bett gehen, doch Kader hielt sie am Arm zurück. Sofort breitete sich von der Stelle, an welcher er sie berührte eine kribbelnde Wärme aus. Irgendwie hatte Kader genau so reagiert, wie sie es sich insgeheim gewünscht hatte, aber das würde sie ihm natürlich nicht sagen. Sollte er nur versuchen Live zu beeindrucken, das kam ihr gerade recht und immerhin war er derjenige, welcher mehr Zeit mit ihr verbringen wollte. Also könnten sie auch dieses Spiel spielen, selbst wenn es bedeutete sich daran zu verbrennen. ,,Nein. Ich ... ich weiß nicht warum ich hier bin. Meine Mom war da und hat mich so wütend gemacht. Sie hat mir das einzige genommen, warum ich nicht komplett abgerutscht bin. Und dann hat sie mich rausgeschmissen. Ich gebe zu, dass was ich alles gesagt habe war vielleicht zu krass, aber ... ich meine sie ist meine Mutter, sollte sie mich da nicht eigentlich unterstützen?" Live wagte nicht zu sprechen. Kader wirkte auf einmal so verletzlich auf sie, dass Live erschauderte. Er tat immer so cool, dabei hatte Live doch schon einmal unter seine Fassade blicken können. Also wand sie sich still wieder zu ihm und versuchte ihn mit Blicken dazu zu bringen, weiterzusprechen, auch wenn er sie nicht sehen konnte. ,,Sie hat ..." Kader rang um Luft und plötzlich keuchte er auf.

Der Schmerz war wieder da und Kader glaubte nicht, dass sein Herz jemals so weh getan hatte. Nicht einmal als sein Vater verschwunden war und auch nicht, als seine Mutter von heut auf morgen nicht mehr die gleiche war. Allein die Worte auszusprechen taten weh. ,,Sie hat Inka gefeuert. Unsere Hausfrau. Weil sie denkt Inke wäre schuld, dass ich bin wie ich bin. Es ist meine Schuld, dass Inka gehen muss." Er hatte nicht vor Live weinen wollen, doch nun war es zu spät und bevor er die Tränen zurückhalten konnte kullerten sie nur so aus seinen Augen heraus. ,,Ich bin Schuld." Seine Worte waren nur noch ein flüstern und dann schlangen sich plötzlich zwei zarte Arme um ihn und Kader wurde sanft an einen Körper gezogen. Lives Atem prallte an seine Haut und auch wenn ihre Arme sich versteiften, hielt sie ihn doch fest. Dabei sollte doch eigentlich Kader sie festhalten. Er wollte doch für sie da sein. Aber jetzt gerade in diesem Moment konnte er es nicht. Nicht nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, die ihm langsam das Herz zerfraßen. Er war an alledem Schuld. Kader hatte zuerst Live verletzt und nun auch Inka. Nur dass die Hausfrau weniger gut dabei wegkam. ,,Kader, es ist nicht deine Schuld! Du wolltest nicht, dass Inka sowas zustößt. Du kannst nichts dafür." Leise und mit Bedacht murmelte sie die Worte in sein Ohr und ein Schauer breitete sich über Kaders Körper aus. Er wollte ihr so gern glauben, aber Fakt war nun einmal, dass Inka nur entlassen wurde, weil er sich so lange schlecht verhalten hatte. Weil er nicht darauf gehört hatte, wie dringlich sie ihn zu verändern versucht hatte. Vielleicht hätte er dann gewusst, womit seine Mutter der Frau gedroht hatte. Wenn er nur richtig hingesehen hätte, die Anzeichen richtig gedeutet hätte, vielleicht hätte Kader all dies verhindern können. Doch nun war es zu spät und Inka würde die Leidtragende sein, nicht er oder Jon. Sondern die Frau, welche immer da gewesen war, welche die beiden unterstützt und umsorgt hatte, als ihre eigene Mutter es nicht hatte tun können. Er hatte ein Leben zerstört.

Lange Zeit sagte niemand etwas und langsam machte es Live auch immer weniger aus ihm so nah zu sein, ihn bei sich zu haben. Sie hätte nicht gedacht, dass er es überhaupt zuließ, dass Live ihn hielt, schließlich verstellte Kader sich immer viel zu sehr, um den coolen zu mimen. Nach einigen Minuten hatte er sich wieder so weit beruhigt, dass er sich vorsichtig von ihr löste und Live nun mit dem Gesicht direkt gegenüber saß. Sie brauchte kein Licht um es zu sehen, sie konnte ihn mit jeder Faser ihres Körpers spüren. ,,Genau deshalb wärst es immer du und nicht so jemand wie Alexa." ,,Wegen was?" zitternd hauchte Live die Worte. Wollte sie es wirklich so unbedingt wissen? Sie wollte ihn einfach nur verstehen, denn bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht auch nur mehr als ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Die meisten davon waren auch noch eher böse als gut gemeint gewesen. Sie war ihm so nah, dass Live Kaders Wärme an ihrem gesamten Körper spüren könnte und für einen kurzen Moment dachte sie wieder daran wie es wäre ihn zu küssen. Aber Kader sprach schon weiter: ,,Weil du da bist, Live. Du hörst zu und kämpfst! Wenn nicht für dich, dann für andere. Du bist eine Kämpferin." Sie wollte ihm glauben, sie wollte es so unbedingt. Doch aus ihrer Kehle kam nur ein kaltes Lachen und die Wärme welche eben noch zwischen ihnen gewesen war verflüchtigte sich augenblicklich. Live rückte etwas weiter von ihm weg um nicht wieder von seiner Wärme und seinem Geruch eingelullt zu werden. Sie war so kurz davor gewesen sich in ihm zu verlieren, doch nun war Live wieder völlig bei verstand und hielt die Zügel über ihren Körper wieder so straff gespannt, wie sie diese immer hielt. ,,Ich bin kein Kämpfer, Kader. Bei der erst besten Gelegenheit renne ich weg. In meinem Leben gibt es nichts, um dass es sich zu kämpfen lohnt!" damit erhob sie sich und ging zurück zu ihrem Bett.

,,Wenn du meinst, dass es nichts gäbe wofür es sich zu kämpfen lohnt, warum bietest du Alexa dann immer wieder die Stirn? Warum hast du nicht die Schule gewechselt? Du glaubst vielleicht du wärst kaputt Live Kamson, aber ich sehe in dir nur eine Kämpferin! Du rennst nicht weg weil du Angst hast Live, du rennst weg, weil du nicht weißt wo dein Weg lang führt." Kaders Stimme war nicht mehr das leise Flüstern von eben, genauso wie Live nicht mehr das ruhige Mädchen war, dass sie einst gewesen ist. ,,Weißt du Kader, ich bin nicht zerbrochen an dem was sie zu mir sagten. Ich bin es an dem Gefühl welches sie mir gaben! Als wäre ich ein Freak, der letzte Abschaum, der es nicht wert ist, beachtet zu werden. Sie haben mich mit Füßen getreten und ich habe es geschehen lassen. Ich habe nichts getan um dem etwas entgegenzusetzten und habe mich verkrochen wie ein ausgesetzter Hund. Also nein Kader, ich bin keine Kämpferin." Erneut erklang ein Rascheln und das Knarzen des Bettes verriet ihm, dass Live sich wieder hingelegt hatte. Sie wollte nicht mehr mit ihm reden. Vielleicht war es gut so, denn sie waren beide noch nicht bereit darüber zu sprechen, was zwischen ihnen war und dennoch konnte Kader die letzten Worte, ehe er sich ebenfalls wieder hinlegte nicht zurückhalten. ,,Ich bin hier, weil es mich immer wieder zu dir zieht Live und egal wie sehr du mich auch versuchst von dir zu stoßen. Ich werde nicht aufgeben. Weil ich denke, dass du es wert bist!"

Lieb mich nur einmalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt