10. Chad: Hilfe

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Selbst, als ich mitten in der Nacht im Bett lag und mir die Ereignisse des letzten Tages durch den Kopf gehen ließ, konnte ich noch nicht glauben, dass das alles Realität war. Es fühlte ich so unglaublich falsch an und die Gewissheit zu haben, dass es niemals geplant gewesen war, dass ich ein Vampir wurde, machte es auch nicht besser.

Ich wollte nach wie vor wissen, wer mich umgebracht hatte. Sein Gesicht tauchte immer wieder vor meinem inneren Auge auf, diese stechenden blauen Augen, das fiese Grinsen, das Genießen meines Schmerzes in seinem Blick. Durch diesen Mann hatte ich alles verloren. Und jetzt sollte ich einfach die Augen zumachen und friedlich vor mich hinschlummern? Das konnte ich nicht. Ich konnte einfach keine Ruhe finden. Zwar half es, dass wir die Hilfe bekommen hatten, die Luzifer sich für uns erhofft hatte, doch dennoch fühlte ich mich einfach verloren. Ich vermisste Anni und wollte mir gar nicht vorstellen, wie schlecht es ihr gehen musste. Wenn ich mir nur vorstelle, sie sei gestorben... ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt den Willen hätte, weiterzumachen.

Während ich nachdachte, erinnerte ich mich immer wieder an Luzifer. Er wirkte, als er habe er die Situation im Griff, da war er aber auch der einzige. Unsere neuen Bekannten schienen zum Großteil geschockt und verwirrt zu sein, doch ich fühlte mich einfach nur verloren.

Bevor ich begreifen konnte, was ich da überhaupt tat, war ich bereits aufgestanden und befand mich auf dem Weg in das Zimmer, das Luzifer zugeteilt worden war. Ich gab mir Mühe, leise zu sein, da ich sogar den Atem und Herzschläge der anderen Anwesenden hörte und sie nicht durch meine Schritte aufwecken wollte. Deshalb öffnete ich die Tür auch ohne zu klopfen und schlich auf das Bett zu.

Etwas regte sich. „Chester?"

„Du bist wach", stellte ich überrascht fest und stand unschlüssig vor dem Bett herum.

„Ich habe nicht so ein hohes Schlafbedürfnis wie ihr Menschen", erklärte er, klang nach wie vor verwirrt. „Ich will dich nicht verscheuchen, aber ich verstehe nicht ganz, was du hier machst..."

„Weiß auch nicht" Ich zuckte mit den Schultern, obwohl ich mir sicher war, dass er es nicht sehen konnte. „Ich hab' nachgedacht und mir ist irgendwie aufgefallen, dass ich ohne dich und deine Hilfe total verloren wäre... Ich schätze, ich wollte mich bedanken..."

Wieder bewegte er sich, diesmal, um das Licht anzuschalten, das eine Lichterkette erstrahlen ließ, die um das Bett herum befestigt war.

„Willst du dich setzen?" Luzifer schwang die Beine aus dem Bett und klopfte neben sich auf die Bettkante.

Ich setzte mich zu ihm.

Für einen Moment musterte er mich einfach nur. Es war mir etwas unangenehm, weil ich seinen Blick einfach nicht zu deuten wusste, doch es schien zumindest nichts Negatives zu sein, sonst hätte er mich nicht gebeten, mich zu ihm zu setzen.

„Du musst dich nicht bei mir bedanken", sagte er schließlich und legte seine Hand auf mein Knie. Ich sah dorthin und hatte das Gefühl, ein warmes Feuer würde sich von da aus in meinem gesamten Körper ausbreiten.

„Dann wollte ich dich um einen Gefallen bitten..." Ich schluckte und schob seine Hand weg, obwohl ich wusste, dass diese Abweisung wohl nicht hilfreich sein würde.

Luzifer atmete tief durch, als das geschah und sah zu Boden. „Was denn?"

Dieser Mann verwirrte mich so. Es schien, als sei er enttäuscht, doch dennoch wollte er mir weiterhin helfen. Wieso tat er das?

„Ich darf ja keinen Kontakt mehr zu Anni haben, aber ich muss einfach wissen, wie es ihr geht... Kannst du morgen bitte mal nach ihr sehen?" Nervös biss ich auf meine Unterlippe und beobachtete Luzifer.

Er zuckte kurz zusammen bei der Erwähnung des Namens meiner Freundin und spannte dann die Arme leicht an. „Wenn du das möchtest", presste er schließlich hervor.

Die Stimmung war irgendwie seltsam zwischen uns. Es fühlte sich so an, als tat ich ihm unglaublich weh, doch ich verstand nicht wieso. Was machte ich falsch?

Wir waren in der Zukunft befreundet, hatte ich bereits herausgefunden. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich Luzifer am Herzen lag, daher wollte ich ebenso für ihn da sein wie er für mich. Vielleicht nannte man ihn den Teufel, doch jedes Mal, wenn ich ihn ansah, erkannte ich nur Gutes in ihm. Er war mit Sicherheit nicht perfekt, aber das machte ihn doch irgendwie menschlich oder?

„Was ist denn los?", hakte ich unsicher nach. „Du wirkst so traurig"

Für einen Moment schloss er die Augen und ließ den Kopf sinken, als sei er unglaublich erschöpft und ich würde das mit jeder Sekunde meiner Anwesenheit drastisch verschlimmern.

„Ich habe durch deinen Tod alles verloren, was mir etwas bedeutet hat, Chester. Wie soll ich denn nicht traurig sein?" Er sah mich wieder an, so leidend, dass es mich beinahe erschlug.

Mein Tod hatte solche Auswirkungen gehabt, dass die ganze verdammte Welt untergegangen war. Mir hätte klar sein müssen, dass Luzifer dabei einen Verlust zu beklagen haben musste, sonst läge ihm wahrscheinlich auch nicht so viel daran, alles wieder in Ordnung zu bringen.

„Was meinst du genau?", wollte ich wissen. Am schlimmsten für ihn war denke ich nicht mal der Verlust an sich, sondern, dass er ihn alleine mit sich herumtragen musste. Das sagte er mir, indem er hauchte: „Ich darf nicht darüber sprechen"

Ein schlechtes Gewissen beschrieb nicht mal annähernd, was da in mir herrschte, denn ich konnte und wollte nicht akzeptieren, dass Luzifer mir so unglaublich geholfen hatte, doch ich rein gar nichts für ihn tun konnte. Deshalb war diesmal ich derjenige, der seine Hand auf sein Knie legte und ihn dabei eindringlich ansah. „Vielleicht bist du der einzige, der bestimmte Sachen weiß und wissen darf, und ich habe keine Ahnung von unserer zukünftigen Freundschaft, aber ich will, dass du weißt, dass du nicht allein bist, okay? Wir sind jetzt ein Team."

Luzifer wirkte etwas überrascht aufgrund meiner Worte. Er sah auf meine Hand, schluckte, nahm sie und legte sie in meinen Schoß zurück. „Du solltest schlafen gehen, Chester", hauchte er dabei kraftlos.

„Wenn ich irgendwas für dich tun kann..."

„Das kannst du nicht!" Diesmal wurde er forscher, doch sofort, als ich zusammenzuckte und er meinen überraschten Blick sah, seufzte er reumütig. „Tut mir leid, ich... Lass mich bitte einfach alleine."

Er wollte nicht reden, er wollte keine Gesellschaft und ich hatte alles gesagt, was ich zu sagen hatte, daher ging ich, doch nicht ohne seinen sehnsüchtigen Blick zu bemerken, kurz bevor ich die Tür hinter mir wieder schloss.

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