54. Dale: Mord

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Das konnte unmöglich wahr sein. Ich hatte einen Alptraum, einen blöden, ziemlich realistischen Alptraum.

Kurz überlegte ich, ob ich auf überrascht und ahnungslos machen sollte, jedoch wurde mir schnell klar, dass ich meinem Dad nichts vormachen konnte.

Nachdem ich verwirrt und mit höllischen Kopfschmerzen in meinem Bett wach geworden war und eigentlich hatte Frühstück machen wollen, hatten mich zwei Wachen, die vor meiner Tür gewartet hatten, in das Arbeitszimmer meiner Eltern gebracht. Meine Mum hatte mich bloß leidend angesehen, während mein Vater verlangt hatte, dass ich ihm folgte. Jetzt stand ich im Keller mit einigen Wachen und meinen Freunden, während mein Bruder festgebunden an den Handgelenken von der Decke hing.

Ich dachte mir bereits, was das hier sollte. Der Kodex. Jedoch weigerte ich mich, es zu glauben, bis jemand ausgesprochen hatte, dass man von mir verlangte, meinen Bruder umzubringen.

„Es war dumm von euch zu denken, dass wir das nicht mitbekommen" Dad stellte sich so, dass er Chad und mich ansehen konnte.

Ich tauschte einen Blick mit meinem Bruder aus, erkannte, dass er versuchte, mich wortlos zu beruhigen, jedoch half es nicht wirklich.

„Erspar dir die Moralpredigt", unterbrach Chad Dad deshalb.

Das hatte er bisher noch nie getan. Er hatte in seiner Anwesenheit immer kaum gesprochen, vom Widersprechen musste ich gar nicht erst anfangen. Chad war immer gehorsam gewesen und hatte alles getan, was er konnte, um den Ansprüchen unserer Eltern gerecht zu werden, jedoch hatte ich die Messlatte allein durch mein Jägerblut ziemlich hochgelegt. So hoch, dass sie für Chad schon immer unerreichbar gewesen war. Er hatte einfach nur versucht, es auszuhalten, bis er 18 gewesen war und ausziehen konnte. Unsere Eltern hatten sich dann nicht weiter für ihn interessiert. Sie sahen seinen Auszug als Problemlösung und ihn als das Problem. Damals war er noch menschlich gewesen. Jetzt sahen sie ihn als Monster.

„Was willst du?" Chad sah Dad kalt an. Er war nicht bereit, um sein Leben zu flehen oder unserem Vater auch nur das kleinste Bisschen Respekt zu zollen. Den hatte er nicht verdient.

„Du bist mutig geworden, Chester" Vater grinste leicht dabei. „Aber dafür ist es jetzt ein bisschen spät" Er holte einen Holzdolch übergossen mit Silber hervor und hielt in mir hin. „Das ist deine Chance, mir deine Loyalität zu beweisen" Er nickte zu Chad und sah mich dann auffordernd an.

Ich folgte meinem Vater mit dem Blick und schüttelte sofort den Kopf, ohne eine Sekunde nachzudenken. „Du weißt, dass ich das nicht tun kann..."

Meine Eltern waren schon immer sehr streng zu mir gewesen, misstrauisch. Nicht nur, weil sie Angst gehabt hatten, Chad "verweichlichte" mich, sondern auch, weil sie wussten, dass ich alles für ihn tun würde. Er hatte mich kein einziges Mal gebeten, mein Leben als Jäger aufzugeben, doch hätte er es getan... Ich hätte keine Sekunde gezögert. Natürlich wollte ich meine Familie nicht enttäuschen, aber wenn andere zu verletzen der einzige Weg war, sie von mir zu überzeugen, dann führte mich meine Abwägung des Sachverhalts nun mal dazu, dass die meisten meiner Familienmitglieder einfach nur kranke Psychopathen waren. Ich wollte nicht zu ihnen gehören, wenn das hieß, ich musste so sein wie sie.

„Es ist okay, Dale" Chad lächelte mich aufmunternd an, er bemerkte meinen inneren Konflikt, wollte für mich da sein, selbst jetzt noch, als er mich dazu ermutigte, ihn umzubringen.

„Nein", widersprach ich, weiterhin den Kopf schüttelnd. Doch leider war es nicht so einfach.

„Das dachte ich mir irgendwie" Mein Vater schnalzte mit der Zunge. „Also ich sage dir jetzt, welche Möglichkeiten du hast, Dale. Entweder du bringst Chester um, kurz und schmerzlos für alle oder wir lassen ihn ausbluten und lassen Connor auf deine kleinen Freunde los"

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