Kapitel 18

188 10 0
                                    

Am nächsten Morgen schaute ich seit Ewigkeiten wieder einmal auf mein Handy, und erst jetzt sah ich die unzähligen verpassten Anrufe und Nachrichten meiner Eltern. Ich fühlte mich sofort schuldig. Ist doch klar, dass man sich Sorgen macht, wenn die Tochter bis spät abends verschwunden bleibt, ohne Bescheid zu sagen und dann nicht einmal erreichbar ist. Ich hatte mir das tatsächlich selbst zuzuschreiben. Ich würde mich bei Gelegenheit sofort entschuldigen, wieder mal. Das Frühstück, um das ich leider sowieso nicht herumkommen würde, schien ein guter Zeitpunkt dafür zu sein. Wieso baute ich eigentlich so viel Mist? Ich war doch gar nicht so. Wir hatten bis vor Kurzem nie solche Probleme gehabt.

Glücklicherweise bemerkte ich schnell, dass meine Eltern lange nicht so schlecht drauf waren, wie am Vorabend. Letzteres führte auch dazu, dass die Entschuldigung recht kurz ausfiel und keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zog. Das war mir nur recht. Ich, noch immer etwas peinlich berührt, versuchte ein Gespräch zu beginnen. „Und, was habt ihr gestern so gemacht?", begann ich deshalb. „Wir haben auf dich gewartet und gehofft, dass nichts passiert ist", bekam ich als Antwort. Ein verschlucktes ‚Oh' war daraufhin nur von meiner Seite zu hören. Es war nicht der Satz, der mich in meinem Sessel zusammensinken ließ. Nein, es war Lias Blick. Ich tat es nämlich schon wieder. Ich konnte es am Blick meiner Schwester sehen. Mit meinen Aktionen zog ich alle Sorge und Aufmerksamkeit auf mich und sie wurde übersehen. Aber so schnell wie die Unsicherheit gekommen war, war sie auch schonwieder weg. Wer war ich eigentlich, dass ich mich von einer Achtjährigen beeinflussen ließ? Zum ersten Mal, seitdem der Streit begonnen hatte, fühlte ich mich nicht elend. Sicher, es war egoistisch und blind von mir gewesen, als sich alle nur auf mich konzentriert hatten, weil ich so ein Drama abgezogen hatte, aber erstens hatte ich nie darum gebeten, dass sie sich um mich Sorgen machten und zweites hatte ich mich bereits entschuldigt. Mehrmals. Ich setzte mich wieder kerzengerade hin und hielt dem Blick meiner Schwester stand. Die Spannung zwischen uns war unerträglich, aber ab jetzt würde nicht mehr ich diejenige sein, die an sich zweifelte.

Wieder in meinem Zimmer sah ich, dass Damian mir geschrieben hatte. „Heute zum See?", las ich. „Sorry, geht nicht. Hab Hausarrest...", schrieb ich zurück und warf mein Handy aufs Bett. Mich selbst warf ich gleich dazu. Was sollte ich jetzt bloß den ganzen Tag machen? Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich etwas zu tun hatte oder mit Damian etwas unternahm und jetzt fehlte mir jedes Ziel. Ganz kurz, nur für den Bruchteil einer Sekunde, zuckte der Gedanke durch meinen Kopf, einfach abzuhauen und mit Damian zum See zu fahren, aber den verwarf ich schnell wieder. Ich wollte die Situation nicht noch provozieren. So lag ich also mal in meinem Bett, mal auf dem Boden oder stand am Fenster und verfluchte mich dafür, dass ich nicht einfach Bescheid gesagt hatte wo ich gewesen war. Dann müsste ich jetzt nicht diesen wunderschönen Sommertag verschwenden. Irgendwann am Nachmittag, nachdem ich aus Langeweile sogar im Haus aufgeräumt hatte, saß ich wieder untätig am Boden herum. Ich war so beschäftigt mit nichts-tun, dass ich nicht einmal sofort bemerkte, dass etwas gegen mein Fenster knallte. Akis Bellen brachte mich dann aber doch dazu aufzustehen und nachzusehen was sie so aufregte. Was ich dann sah, brachte mich an diesem Tag tatsächlich zum Lachen. Unten stand Damian und warf kleine Steinchen gegen die Scheibe meines Fensters. Als er mich nun sah, wirkte er erfreut und winkte mit einer Tafel Schokolade zu mir hoch. Boa, richtig kitschig. Aber irgendwie süß. Ich bedeutete ihm, dass ich nach unten kommen würde, denn Hausarrest schloss ja leider auch Besuch aus. Insbesondere Damian-Besuch, denn mit ihm war ich schließlich verschwunden gewesen. Die nächste Frage war jetzt nur, wie ich unter einem guten Vorwand nach draußen kam, was sich allerdings recht einfach gestaltete. Aki brauchte ihren Spaziergang, ob ich nun Hausarrest hatte oder nicht. Dagegen konnten nicht einmal meine Eltern etwas einwenden.

So ging ich also mit meiner Hündin nach draußen. In 20 Minuten musste ich zwar schon wieder zurück sein, was einen richtigen Spaziergang ziemlich unmöglich machte, aber das war in meinem Fall ja egal. Ich würde ja nur hinters Haus gehen, wo Damian auf mich wartete. „Das hättest du doch nicht tun müssen", sagte ich gleich als Begrüßung. Er war schließlich den ganzen Weg hierhergefahren um an meinem Fenster mit Schokolade zu warten. „Ich weiß", gab er zurück. „Ich wollte aber. Ich kann dich das doch nicht alleine ausbaden lassen. Vor allem, weil ich mit schuld daran war, dass du so spät zuhause warst." Bei diesem letzten Satz rieb er sich peinlich berührt den Hinterkopf und ich musste grinsen, umarmte ihn stürmisch und sagte: „Danke". Er wusste ja gar nicht wie sehr er mir mit dieser Aktion den Tag gerettet hatte. Leider sah ich ihn die restlichen paar Tage meiner Hausarrest-Woche nicht mehr, was dazu führte, dass ich Tag um Tag zuhause die Zeit todschlug. Nicht einmal Liv schrieb zurück, seit nun schon zwei Tagen. Das einzig Gute war, dass ich jeden Tag dazu kam, zu Paddy zu gehen. Unseren gemeinsamen Weg zur alten Eiche schloss mein Hausarrest zwar aus, aber immerhin konnte ich ihr Gesellschaft leisten.

Zwei Herzen, eine SeeleWhere stories live. Discover now