Kapitel 29

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Es waren noch nicht viele Leute anwesend, die meisten würden wahrscheinlich etwas später kommen. Das fand ich aber gar nicht schlecht, denn so konnte man sich noch größtenteils frei bewegen. Nachher würde das wahrscheinlich nicht mehr so einfach sein, denn selbst die große Reithalle, die für das Fest mit Platten ausgelegt worden war, hatte irgendwo ein Ende. Noch dazu bereitete sich im hinteren Teil der Halle gerade die Band vor, die mit ihrem Equipment und der provisorisch abgetrennten Tanzfläche ebenfalls Platz beanspruchte.

Es dauerte nicht lange, bis sich die Halle füllte. Immer mehr Leute trafen ein, einige mit dem Auto, andere waren mit ihren Pferden hergekommen, die sie nun draußen an einem vorbereiteten Platz anbanden. Als Kind waren für mich die Pferde immer das Interessanteste an diesem Ball gewesen. Ich hatte den Großteil des Abends draußen bei ihnen verbracht, oder die anderen Pferde im Stall besucht. Dass ich mich hier mitten im Getümmel aufhielt, war für mich eine Premiere, aber es gefiel mir sehr gut.

Irgendwann lief mir auch Vivian über den Weg, wie immer dicht gefolgt von Lia. Meine Schwester trug ein hübsches hellgelbes Kleid, mit einer Schleife am Rücken, dass ich an diesem Tag zum ersten Mal sah. Dadurch wurde mir einmal mehr bewusst, wie wenig wir uns in letzter Zeit doch zu sagen hatten. Aber heute würde sich das ändern. Ich wollte sie abfangen, verlor sie aber in der Menge. Vivian, warf mir über die Schulter einen schadenfrohen Blick zu, der jedoch nur solange anhielt, bis sie Damian neben mir sah. Dann ignorierte sie mich ganz schnell wieder. Irgendwie gab mir das ein angenehmes Gefühl der Genugtuung. Ich beschloss, dass ich mit Lia auch nachher noch reden konnte. Sie würden sich wahrscheinlich für die kleine Reitvorführung später fertigmachen. Wenn ich aber nach draußen sah, war ich mir nicht sicher, ob diese überhaupt stattfinden würde, da es geplant war, sie draußen am Reitplatz abzuhalten. Der Wind wurde stürmischer, was man unter anderem auch an den Frisuren, der neu hinzukommenden Gäste erkennen konnte.

Damian und ich suchten uns einen netten Tisch, und dann ging er los, um uns etwas zu trinken zu holen. In der Zwischenzeit gingen einige Mädchen aus meiner Klasse vorbei, die sonst nicht viel mit mir sprachen, die mir aber jetzt verstohlene Blicke zuwarfen.

Damian kam mit unseren Getränken zurück und setzte sich neben mich. Mein Blick blieb an ihm hängen. Er sah aber auch verdammt gut aus mit seinem naturweißen Hemd und der Dunkelbraunen Jeans. So gut, dass ich beinahe nicht bemerkte, als er mir sein Glas mit Cola zum Anstoßen hinhielt. Wir redeten und lachten und irgendwann sah ich meine Eltern an uns vorbeigehen, die aber glücklicherweise wirklich vorbeigingen, ohne stehen zu bleiben, oder sich gar zu uns zu setzen. Dafür war ich ihnen sehr dankbar, denn diesen Moment, diesen Abend, wollte ich ganz und gar für mich alleine haben.

Wir besprachen noch einmal alle Geschehnisse der letzten Zeit, bis wir beide der Meinung waren, es reichte mit dem Thema. Schließlich war es jetzt vorbei und alles war dabei, wieder seine Ordnung zu finden.

Die Band begann zu spielen und die Lichter wurden gedimmt. Die Atmosphäre veränderte sich plötzlich und ich war richtig glücklich hier zu sein.

››Darf ich bitten?‹‹ Damian forderte mich doch tatsächlich zum Tanz auf. Ich ergriff seine Hand und verbeugte mich.

››Es wäre mir eine Ehre.‹‹ Dann lachten wir und gingen nach vorne zur Tanzfläche.

››Du solltest wissen, dass ich keinen Plan habe, wie man tanzt‹‹, warnte ich ihn vor. Nicht, dass er sich nachher noch beschwerte, weil ihm seine Zehen vom Drauftreten schmerzten. Ich hatte außerdem gehofft, dass eine Antwort von seiner Seite kam wie Keine Sorge, ich auch nicht, aber als wir zwischen den anderen tanzenden Paaren standen, legte er mir gekonnt eine Hand an die Taille, nahm die andere in seine und hielt mich mit einem verstohlenen Blick fest. Natürlich konnte er tanzen, wie hatte ich das nur jemals bezweifeln können. Ich lächelte resigniert und folgte seinen Schritten. Der Song war recht flott und anfangs stolperte ich mehr als ich tanzte, aber ziemlich bald hatte ich begriffen, und es war nicht einmal so schwer. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, wie Damian führte.

››Nicht nach unten sehen‹‹, wies er mich an und legte kurz eine Hand an mein Kinn, damit ich ihn ansah. Und das tat ich. Ich sah in diese wundervollen Augen und sie sahen mich ebenfalls an. Nur mich.

Plötzlich war das Lied auch schon zu Ende und die Band schaltete einen Gang runter. Als nächstes kam ein langsamer Song, und ich wollte Damian schon loslassen, weil ich dachte, wir würden bestimmt wieder an unseren Platz gehen. Doch er hielt mich fest und wir begannen uns im Takt der Musik zu bewegen. Ich sah nicht mehr nach unten auf meine Füße. Das hätte ich nicht einmal gekonnt, wenn ich gewollt hätte, denn Damians Blick hielt mich gefangen. Ich hörte nicht mehr den Lärm der Leute oder den Wind, der draußen an den Bäumen zerrte. Es war, als gäbe es nur uns beide und die Musik. Wir standen uns so nahe wie noch nie, doch ich bewegte mich noch ein Stück näher zu ihm und eine Welle an unbeschreiblichen Gefühlen rollte über mich hinweg. Das hier war kein rosa Glitzerstaub. Es war mehr wie eine warme Umarmung, die mich rundum einschloss, ein Abenteuer, bei dem man nie wusste, was als nächstes passiert, ein Flug über den Wolken und ein freier Fall zugleich.

Er drehte mich und umfasste mich mit beiden Armen und ich konnte seinen Atem an meinem Ohr spüren. Ein Teil von mir wollte einfach weglaufen vor lauter Aufregung, aber nur ein klitzekleiner, denn der Rest von mir hätte am liebsten ewig so weitergetanzt. Aber da machte mir die Band einen Strich durch die Rechnung, denn die schönsten und aufregendsten drei Minuten meines bisherigen Lebens waren vorüber und ein flotter Country-Song verjagte alle verliebten Pärchen von der Tanzfläche. Einen Moment lang sahen wir uns unschlüssig an, doch ich würde jetzt sicher nicht von hier verschwinden. Als hätten wir dieselbe Idee gehabt, liefen wir zu einer Gruppe von Leuten, die einen Line Dance zum Besten gaben und versuchten, Schritt zu halten, was uns natürlich kläglich misslang. Aber wir hatten Spaß und zwar so viel davon, dass ich nicht merkte, wie die Zeit verstrich, wie erschöpft ich von dem ganzen Getanze war oder, dass ich langsam echt Durst bekam. Genau das brachte uns schließlich dazu, die Tanzfläche zu verlassen, um uns etwas zu trinken zu holen.

Als wir an der Theke die Getränke überreicht bekamen, bemerkte ich, wie unter den Helfern Aufregung ausbrach. Aus Wortfetzen konnte ich mir zusammenreimen, dass wohl irgendetwas vom starken Wind kaputt gegangen war. Kurz darauf hörte ich auch schon irgendetwas aufs Dach krachen. Der Sturm war wohl noch heftiger, als ich gedacht hatte, und ich drängte mich vorbei an einigen Leuten in Richtung Ausgang, um zu sehen, was vor sich ging. Tatsächlich sah ich, wie der Ast eines Baumes, der neben der Reithalle stand, abgebrochen war, und nun auf dem Dach lag. Einige kleinere Gegenstände wurden vom Wind über die Wiesen gefegt und die Pferde, die noch draußen angebunden waren, begannen, unruhig zu werden. Einige Männer waren bereits dabei, die Tiere loszubinden und in den Stall zu führen. Meine Eltern waren nirgends in Sicht, deshalb beschloss ich, Paddy und Kali in Sicherheit zu bringen. Der Wind zerrte an meinen Haaren und dem Kleid, als ich ins Freie trat.

››Warte, ich helfe dir!‹‹, rief Damian hinter mir und kam, um mir Kali abzunehmen. Beide Pferde begannen bereits aufgeregt zu tänzeln, das konnte ich ihnen auch nicht verübeln. Ich hätte auch keine Lust bei diesem Wetter hier draußen stehen zu müssen. Paddy zog am Strick und es war nicht ganz einfach, sie dazu zu bewegen, mir zu folgen, aber schließlich schritt sie mit mir zum Stall. Mein Herz pochte noch immer leicht verängstigt in solchen brenzligen Situationen, aber dafür war jetzt keine Zeit.

Drinnen herrschte ebenfalls Aufregung. Die Reitschüler waren damit beschäftigt, ihre Pferde wieder abzusatteln, da aus der Vorführung ja jetzt nichts mehr werden würde. Gleichzeitig versuchten die Leute, ihre Pferde von draußen irgendwo unterzubringen. Einige waren am Gang zwischen den Boxen angebunden und ich sah ein, dass es keinen Zweck mehr hatte, sich dort mit zwei Pferden hindurchzuzwängen, also wollten wir Paddy und Kali in der Nähe des Eingangstores anbinden, da dieses nachher sowieso abgeriegelt werden würde.

Plötzlich jedoch wurden weiter hinten im Stall Geräusche laut. Zuerst lautes Stimmengewirr und dann Laute eines Pferdes, das immer näherkam. Instinktiv sprang ich zur Seite, als ein Falbe an mir vorbei nach draußen donnerte, auf dem Rücken – Lia!

››Das war Lia!‹‹, rief ich entsetzt. ››Lia! Bleib stehen!‹‹, schrie ich meiner Schwester nach, aber sie drehte sich nicht einmal um, sondern preschte ungehalten vom Stallgelände und verschwand hinter einem Hügel. Hinter mir im Stall sah ich lauter überrumpelte Gesichter und es dauerte eine Weile, bis die Leute anfingen, die Lage zu begreifen. Aber bis es soweit war, hatte ich mich auf das Pferd neben mir – Paddy – geschwungen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das so plötzlich ohne Sattel und ohne Hilfe geschafft hatte.

››Was hast du vor?‹‹, fragte Damian noch, aber alles, was er zur Antwort bekam war: ››Sag' meinen Eltern Bescheid!‹‹ Und dann trieb ich Paddy zum Galopp an und jagte meiner kleinen Schwester hinterher. 

Zwei Herzen, eine SeeleWhere stories live. Discover now