Kapitel 1

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1,5 Jahre später

Die Umzugswägen rollen wie Monster an, bereit alles zu verschlingen. Um das alte Haus herum wuseln Umzugshelfer in blauen Trikots. Fleißig tragen sie Kisten und Möbel durch die Gegend, als würden sie nichts weiter wiegen. Und mitten in dem Trubel stehe ich. Verloren. Hilflos. Alleine. Niemand schenkt mir Beachtung, dabei bin ich die Hauptperson des Ganzen und dazu noch die, die den Check am Ende des Tages ausfüllt. Aber was sollten sie auch schon sagen? Die Menschen um mich herum haben aufgehört mit mir zu reden,weil sie nichts Falsches sagen wollen. Vielleicht aber auch, weil sie nicht damit umgehen können, wenn jemand einen Verlust betrauert. Ein paar verstohlene Blicke und gemurmelte Kondolenzen, aber ich habe gemerkt, dass sie überall lieber wären, als bei der trauernden Witwe. Ich schüttele die Gedanken ab, wie lästige Insekten und drehe mich um, um unsere kleine, aber feine Wohnung von außen zu betrachten. Ich sehe es vor meinem inneren Auge, wie ich mit Sophia hier eingezogen bin. Wie glücklich und aufgeregt wir beide waren, wie sie sich mit dem Umzugstypen angelegt hat, weil er sich weigern wollte uns noch beim Hochtragen zu helfen und letztendlich wie wir eng aneinander gekuschelt in unserem neuen Bett eingeschlafen sind. Mein Herz sticht schmerzhaft. Ein Arbeiter reißt mich aus meinen Gedanken. Er versucht anscheinend leise mit seinem Kollegen zu flüstern, doch versagt kläglich dabei. „Also ich finde es absoluten Schwachsinn, die ganzen Möbel mit nach Hamburg zu nehmen. Ich mein es ist so viel Zeit und Aufwand,dass es billiger wäre einfach neue zu kaufen." Die Antwort des anderen bekomme ich schon gar nicht mehr mit. Mein Blick verschwimmt. Natürlich verstehen sie es nicht. Natürlich wäre es einfacher neue Möbel zu kaufen. Aber für mich sind es eben nicht nur Möbel. Es sind stumme Zeugen unserer gemeinsamen Liebe. Wie sie mich am Küchentisch mit Frühstück überrascht hat. Wie wir eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa lagen und Horrorfilme geschaut haben, bei denen ich immer 1000 Tode gestorben bin und trotzdem nie Angst hatte, da ich wusste, dass sie bei mir ist. Wie Sophia stundenlang vor dem Kleiderschrank stand und verschiedene Outfits durchprobiert hat. Ihr lachen hallt noch immer in meinem Kopf. Es geht mir nicht um die Möbel, sondern um die Erinnerungen, die wie Leim daran haften. Ein schrecklicher Lärm reißt mich aus meinen Gedanken. Es klingt wie klirrendes Geschirr. Schnell laufe ich um den Wagen herum, wo ein junger Arbeiter mit hoch rotem Kopf steht. Zu seinen Füßen liegt ein Karton mit Tassen. „Ich- äh- Der Karton ist abgerutscht." Versucht er zu erklären, verstummt jedoch als er meinen Blick sieht. Im mitten des Scherbenhaufens liegt Sophies Lieblingstasse. Es ist eine weiße Tasse auf der steht: „Ohne dich ist alles doof". Ich habe sie ihr vor drei Jahren geschenkt und seitdem hat sie nur noch daraus getrunken. Jetzt nicht weinen, ermahne ich mich selbst, aber die Tränen laufen bereits wie kleine Sturzbäche über meine Wangen. „Ich werde natürlich alles ersetzen." Meint der junge Mann, aber dadurch macht er alles schlimmer. „Das geht aber nicht,"sage ich und versuche meine Stimme unter Kontrolle zu halten. „Diese Tasse hat meiner Frau gehört." Ich bin so leise geworden, dass man mich fast nicht mehr versteht. Ich nehme eine Scherbe vorsichtig in die Hand und schneide mich prompt daran. Kann dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden? Das Blut läuft in einem kleinen Rinnsal über meine Hand, aber ich spüre keinen Schmerz oder ähnliches. Ich fühle einfach nichts. „Sowas passiert, mach dir keinen Kopf." Sage ich, obwohl ich seinen Kopf am liebsten gegen den Umzugswagen schlagen würde. Aber das würde meine Sophia nicht zurückbringen und die Tasse nicht mehr zusammensetzen, also lasse ich es einfach und wende mich ab. Wie ein Roboter klebe ich ein Pflaster auf die Wunde und wünschte mir, dass es auch bei einem gebrochenen Herzen so einfach wäre. „Frau Theling?" einer der Mitarbeiter tritt zögerlich heran. „Ja?" frage ich und in meinem Kopf klingt es wie eine fremde Stimme. „Die Wohnung ist jetzt leer, wir würden langsam losfahren, dass wir noch rechtzeitig in Hamburg ankommen. Sie kommen soweit zurecht?" fragt er und sein Blick verrät mir, dass er hofft das ich einfach Ja sage, damit er sich nicht mit mir befassen muss. Also tue ich ihm den Gefallen. „Ja ich komme zurecht, bis später." Sage ich und sein erleichterter Blick bestätigt meine Vermutung. „Okay, bis dann." Sagt er und eilt davon, bevor ich meine Meinung eventuell doch ändere. Ich gehe durch das Treppenhaus. Es hallt und riecht nach altem Gemäuer, aber irgendwie beruhigt mich dieser Geruch. Er erinnert mich an die unzähligen Male, die ich vor der Tür auf Sophia warten musste, weil ich mich ausgesperrt habe und wie sie lachend den Kopf geschüttelt hat, als sie dann von der Arbeit kam. Ich schließe ein letztes Mal die Haustür auf. Die drei Räume sind so leer wie ich mich fühle und die stille ist erdrückend. Meine Schritte werden von Wand zu Wand geworfen, da keine Möbel sie mehr abfangen. Ich erinnre mich daran, wie ich Sophia immer angesprungen habe, wenn sie zur Tür reinkam und umgekehrt. Jetzt aber springt mich niemand an, die Wohnung liegt still schweigend vor mir, fast so als wüsste sie auch nicht was sie sagen oder tun könnte. Verhaltensforscher sagen, man fühlt sich oft so wie seine Wohnung aussieht. Ist es sehr chaotisch, kann das auf viel Stress und Verwirrung zurückzuführen sein. Ist es ordentlich meistens auf Ausgeglichenheit und Frieden. Tja meine Wohnung ist leer und ich finde, dass nichts meine aktuelle Gefühlswelt besser beschreibt. Meine Beine tragen mich wie von allein in unser altes Schlafzimmer. Ich denke daran zurück wie wir im Bett lagen und uns stundenlang geküsst und berührt haben. Oder wie wir die ganze Nacht über Gott und die Welt geredet haben. Wie wir eng aneinander gekuschelt eingeschlafen sind und ich mich einfach geborgen und sicher gefühlt habe. Wie Sophia mir den Antrag hier gemacht hat. In einem Meer von weißen Rosen und Kerzen und wie nervös sie war, als sie um meine Hand angehalten hat. Meine Brust schürt sich zu bei den Gedanken daran. Ich kann kaum noch atmen und muss mich auf den Boden setzen. Tränen laufen erneut über meine Wangen. Sie sind heiß und brennen leicht in den Augen. Wie große runde Regentropfen fallen sie auf den Boden und ich fühle ich mich so, als würde ich von innen in meinen Gedanken und Gefühlen ertrinken. Wie ein Strudel, der mich nach unten auf einen Grund zieht, zu dem niemand mehr vorzudringen vermag. Mein Kopf tut höllisch weh und ich lege mich auf das kalte Parkett. Es ist stockdunkel in dem Raum als ich wieder zu mir komme. Gespenstisch liegt die Wohnung vor mir. Schnell fische ich mein Handy aus meiner Tasche und der kleine Kegel der Taschenlampe erhellt das Zimmer. Es ist 6 Uhr morgens, anscheinend habe ich fast 10 Stunden geschlafen. Mein Gefühl sagt jedoch was anderes. Ich fühle mich so, als wäre jemand mit einem LKW über mich drüber gefahren. Ich verlasse die Wohnung und werfe den Schlüssel bei der Hausverwaltung ein. Später wird sie den Schlüssel finden und erleichtert sein, dass der Trauerkloß weiter gezogen ist und die dunkle Wolke, die seit Sophias Tod über dem Haus hing, mitgenommen hat. Ich setze mich ans Steuer und starte den Motor. Ich zögere jedoch als ich die Einfahrt hinausfahre. Ich blicke erneut hoch zu unserem Fenster und bilde mir ein einen Schatten in der Spiegelung zu sehen, fast so als würde Sophias Geist vorwurfsvoll zu mir hinabblicken und mich dafür verurteilen abzuhauen. Ich kneife die Augen zusammen und sehe erneut hin und der Schatten ist verschwunden. Jetzt werde ich wahrscheinlich auch noch verrückt, denke ich und bevor ich es mir anders überlegen kann lenke ich den Wagen auf die Straße die in eine ungewisse Zukunft führt.


Withered RosesWhere stories live. Discover now