Kapitel 3

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Ich stehe wie versteinert vor der Tür. Ich will eigentlich klingeln, aber mein Arm ist wie paralysiert. Von drinnen höre ich stimmen und klapperndes Geschirr. Der Geruch nach Essen verbreitet sich im Flur. Alles wirkt einladend, aber ich fühle mich trotzdem fehl am Platz, als würde ich nicht hier her passen. So wie immer halt. Gerade will ich klingeln, da geht die Tür auf und Julian grinst mich an. Er trägt bequeme Klamotten und hat verstrubbelte Haare. An jedem würde das Auftreten gammlig wirken, aber ihn macht dieser Look sympathisch, irgendwie nahbar. „Juliette, schön, dass du da bist! Komm doch rein.“ Sagt er und öffnet die Tür ein Stückchen mehr, sodass ich hineinschlüpfen kann. „Hi,“ begrüße ich ihn und erwidere etwas überfordert seine Umarmung. „Hast du gut hergefunden?“ fragt er und lacht als er mein Gesicht sieht. Eine Mischung aus Unsicherheit und Verwirrung. „Ich mach bloß Spaß.“ Sagt er und boxt mich leicht gegen die Schulter. Ich bringe immerhin ein halbwegs glaubwürdiges Lachen zu Stande. Ich bin so nervös, dass ich meinen Puls in meinem Kopf spüre. Julian geht hinter in die Küche, um nach dem Essen zu schauen. Ich beobachte ihn. Seinen leichten federnden Gang und die breiten Schultern. Ja ich kann verstehen, warum Karol sich in ihn verliebt hat. Er ist witzig, charmant und sieht gut aus. Er kommt wieder und ich zieh schnell meine Schuhe und Jacke aus, um beschäftigt zu wirken. Er nimmt meine Jacke und zeigt mir, wo ich meine Schuhe hinstellen kann. „Meine bessere Hälfte ist noch im Badezimmer, du weißt ja wie Frauen sind.“ Schmunzelt er und macht eine affektierte Bewegung als würde er sich die Wimpern tuschen. Diesmal lache ich und es fühlt sich verdammt gut an. „Oh ja das kenn ich zu gut. Aber erzähl wie geht es dir? Hast du dich gut erholt nach gestern Nacht?“ frage ich und sein Grinsen wird breiter. „Ja hab es überlebt. Karol war echt stinkig, dass ich dich zu so später Stunde belästigt hab. Ich hoffe es war nicht all zu schlimm?“ fragt er und schaut wie ein junger Hund, den man gerade bei etwas ertappt hat. „Nein alles gut. Ich konnte eh nicht schlafen.“ Antworte ich und hoffe, dass er nicht fragt warum. Ich meine was hätte ich auch antworten sollen? Man erzählt nicht unbedingt gleich am ersten Tag von dem Verlust der Ehefrau. „Möchtest du was trinken?“ fragt er. „Ja ein Wasser wäre gut.“ Antworte ich ihm und schenke ihm ein dankbares Lächeln, als er mir etwas einschenkt. Während Julian in der Küche ist, schaue ich mich in der Wohnung um. Sie ist kleiner als mein,  aber dafür doppelt so liebevoll und gemütlich. Jeder außenstehende, der die Wohnung sehen würde, würde erkennen wie viel Liebe in diesem Heim herrscht. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Jetzt bloß nicht heulen, ermahne ich mich und werde Gott sei Dank abgelenkt als eine Tür aufgeht. „Juliette. Schön, dass du da bist.“ Karol kommt aus dem Bad. Sie sieht hübsch aus mit ihrem schlichten Make-up. Auch sie umarmt mich herzlich. Ich fühle mich wie ein kleines, unbeholfenes Kind, als ich die Umarmung erwidere. Gott, wenn die beiden wüssten wie viel Überwindung mich das ganze hier kostet. Julian kommt mit einem Topf aus der Küche und lächelt stolz. „So Mädels dann bitte ich euch Platz zu nehmen und sich für einen wahrhaftigen Gaumenschmauß zu wappnen.“ Sagt er und hebt den Deckel hoch. Der Duft von Wildgulasch erfüllt den Raum. Ich habe keinen Hunger, aber trotzdem setze ich mich neben Karol. „Das riecht fabelhaft.“ sage ich und er greift sich gespielt gerührt an die Brust. Julian nimmt meinen Teller und lädt mir Essen auf. Zu dem Gulasch gibt es Nudeln. Bei dem Gedanken daran zu essen verkrampft sich alles in mir. Ich schwitze und hoffe, dass es keiner merkt. „Guten.“ Sagen die beiden und fangen an zu essen. Ich tue es ihnen gleich. Die ersten bissen gehen eigentlich ganz gut aber die darauffolgenden sorgen dafür, dass ich mich fühle als müsste ich mich gleich übergeben. Meine Hand verkrampft sich um die Gabel und der Teller verschwimmt vor meinen Augen. „Juliette? Ist alles okay?“ höre ich Karol wie durch einen Schleier fragen. „Ja ich muss nur kurz ins Bad.“ Ich höre mich an wie ein Roboter. „Klar, einfach den Flur entlang und dann links.“ Sagt sie und fügt ein „soll ich mitkommen, du siehst irgendwie blass aus?“ hinzu was ich aber ablehne. Ich stehe auf und eile ins Badezimmer. Ich schließe die Tür und schaffe es gerade noch rechtzeitig zum Klo, bevor ich mich quälend übergebe. Warum? Wieso kann ich nicht ganz normal Leute kennenlernen? Sowas ist schon öfter passiert seit Sophia gestorben ist. Mein Therapeut meinte, dass könnte vom Stress und der Angst kommen, dass jemand fragen könnte ob ich in einer Beziehung sei oder ähnliches. Ich fühle mich elend. „Juliette?“ höre ich eine zaghafte Stimme auf der anderen Seite der Tür. „Ja ich brauch nur ne Minute.“ antworte ich und hoffe, dass Karol es gut sein lässt. Aber sie macht die Tür auf und kommt näher. Ich würde mich am liebsten verkriechen, sodass sie mich nicht sehen kann. Das Ganze ist mir furchtbar unangenehm. „Hey was ist los? Ist dir schlecht?“ fragt sie und möchte ihre Hand auf meine Schulter legen aber ich schüttele sie ab. Ich bin verschwitzt und ekelhaft und ich will nicht, dass sie mich in dem Zustand anfasst. „Denkst du, du kannst wieder aufstehen?“ fragt sie, nachdem wir minutenlang in völliger Stille verharrt haben. Ich nicke nur und hieve mich hoch. Mir ist immer noch schlecht, aber ich habe nichts mehr im Körper. Als ich zurück ins Wohnzimmer komme, sieht Julian mich besorgt an. „Du siehst echt scheiße aus.“ Bemerkt er und ich kann nicht anders als zu grinsen. „Lass das du Blödmann.“ Weißt Karol ihn zurecht und er hebt beschwichtigend die Hände. „Ja schon gut. Ich habe dir einen Tee gemacht. Wir könnten ja noch zu dritt entspannt einen Film schauen.“ Er schaut uns erwartungsvoll an und ich stimme zu. Schließlich ist der Gedanke daran, allein mit meinem lauten Kopf zu sein,  nicht so reizvoll. Ich danke ihm für den Tee und drücke meine kalten Finger gegen die Warme Tasse. Wir entscheiden uns für Kindsköpfe und obwohl ich alberne Filme hasse, genieße ich es mit den beiden dazusitzen und den Film zu schauen. Wir reden über Julians und Karols Arbeit. Die beiden arbeiten in einem Krankenhaus und erzählen mir die verrücktesten Geschichten von Patienten, und zwar so detailliert, dass ich sie anflehe aufzuhören, woraufhin die beiden einen noch heftigeren Lachanfall bekommen. Ich erzähle ihnen, dass ich morgen meinen ersten Tag an der Grundschule habe und wie nervös ich bin. Die beiden reden mir gut zu. Sie erzählen wie Julian in sie reingerannt ist und dass sie sich sofort verliebt haben. Nach mehreren Dates hat Julian sie dann gefragt, ob sie zusammen sein wollen. Ich höre ihnen zu und ignoriere den wachsenden Kloß in meinem Hals. Bevor sie mich fragen können, wie es bei mir momentan mit Beziehungen aussieht verabschiede ich mich und gebe vor Müde zu sein. Die beiden sind so verständnisvoll, dass ich mich fast schlecht fühle, aber ich kann noch nicht darüber reden. Zurück in der Wohnung, bereue ich es auf einmal. Als wären meine Gedanken ein böser Geist, der darauf wartet über mich herein zu brechen, wenn ich alleine und wehrlos bin. Ich ziehe mich um und putze meine Zähne. Dann stehe ich eine gefühlte Ewigkeit vor meinem Bett und starre es wie ein böses Tier an. Es wirkt kalt und viel zu groß für nur eine Person. Seufzend lege ich mich hin und warte darauf, dass meine Gedanken und Stimmen in meinem Kopf über mich herfallen und mich zerfleischen. Ich habe Angst vor Morgen. Mein erster Tag an einer neuen Schule. Neue Menschen und eine neue Umgebung, eigentlich alles was ich für meinen Neuanfang wollte und trotzdem habe ich Bauchschmerzen, weil ich versuche neu anzufangen und glücklich zu sein, während meine Frau zu früh aus dem Leben gerissen wurde. Irgendwann bin ich so erschöpft vom vielen Nachdenken, dass ich einschlafe und von dunklen Wäldern, Lichtern und toten Bäumen träume. Pünktlich um 6:00 Uhr klingelt mein Wecker. Ich fühle mich zittrig und so nervös, dass ich keinen Bissen herunter bekomme. Als ich angezogen bin habe ich noch eine Stunde, um zur Schule zu kommen. Ich nehme also meinen Schlüssel und betrete das Treppenhaus. Die Wohnungstür fällt hinter mir ins Schloss. Sperrt mich aus meiner sicheren Zone, in der ich zusammenbrechen und weinen konnte, ohne, dass es jemand merkt. Ich war noch nicht bereit. 

Withered RosesWhere stories live. Discover now