Kapitel 13

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Die Sonne war bereits lange über den Wipfeln der Bäume aufgegangen, als sie an eine Kreuzung gelangten. Bereits einige Stunden lang war die Gruppe unterwegs und sie hatten sich erneut größtenteils ein Schweigen gehüllt. Es wirkte, als würde jeder Einzelne von ihnen seinen Gedanken nachhängen. James' Sinne blieb allerdings ständig geschärft.

Als Grace die Weggabelung vor ihnen bemerkte, erhob sie die Stimme: "Wisst ihr wo wir lang müssen?"James konnte spüren, wie sich Yennefers Blick auf ihn legte, als würde sie sichergehen wollen, dass auch er sich an den Weg erinnerte. Seine eigene Erinnerung in Bezug auf den Weg hatte nicht nachgelassen und er zweifelte nicht daran, dass es für sie möglich war den falschen Weg zu wählen. Immerhin hatte sie durchklingen lassen, dass sie einen Weg gefunden hat den Zielort auf keinen Fall vergessen zu können. Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie genau sie das angestellt haben sollte. Allerdings hatte er sie bereits einmal unterschätzt.

„Natürlich", erwiderte Yennefer selbstbewusst und lenkte ihr Pferd ohne zu überlegen nach rechts. James war kurz einen Blick zu Grace, welche ihre Bewegung allerdings sofort kopierte. Er wusste selbst, dass Yennefer richtig lag und sagte deshalb nichts dazu. In dieser Situation hatte er nichts dagegen, wenn sie die Kontrolle übernahm. So konnte er sich weiter auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren. Nach Monstern Ausschau zu halten. Bisher war der Wald allerdings wie ausgestorben, was auf den ersten Blick vielleicht ein gutes Zeichen sein mochte, doch in James rief diese Tatsache eher Misstrauen hervor. Möglicherweise lag es aber auch einfach daran, dass er nicht daran gewöhnt war einen Wald zu durchqueren, ohne auf der Suche nach Monstern zu sein. Vielleicht machte er sich grundlos Sorgen.

Diese Hoffnung wurde allerdings erschüttert, als ihm ein metallener Geruch in die Nase stieg. Zwar war er nur schwach zu vernehmen, doch mit jedem Meter, den die Gruppe zurücklegte, wurde er markanter. Er war der, ihm nur allzu gut bekannte, Geruch von Blut, das langsam in der Morgensonne zu trocknen begann. Automatisch verkrampfte sich sein Griff um die Zügel und er richtete seinen Blick geradeaus. In diesem Moment war er dankbar für seine magisch verbesserten Sinne. Blut bedeutete nämlich niemals etwas Gutes. Allerdings dachte er darüber nach noch zu warten bis er die Ursache entdecken konnte. Immerhin konnte es sich noch immer um ein einfaches Reh handeln, das sich verletzt hatte oder auf ein Raubtier gestoßen war und nun blutend am Wegrand lag.

„Wartet mal!", durchbrach er dann aber doch die Stille, als er vor ihnen auf dem Weg etwas entdeckte, das aus der Entfernung nur wie ein zerbrochener Karren aussah. Allerdings kam der verdächtige Geruch aus genau der Richtung und er verspürte ein ungutes Ziehen in seiner Magengrube. Vielleicht war es gar nichts, doch er fühlte sich wohler dabei sicherzugehen.
„Was ist los?", Yennefer wandte sich ihm zu. Ihre Stirn hatte sie leicht in Falten gelegt. Sie selbst war nicht in der Lage das Blut zu riechen.
„Ich rieche etwas", erklärte er seinen Begleiterinnen deshalb und nickte in Richtung des Karrens: "Von dort."
Er zog leicht an den Zügeln seines Pferdes, sodass sich dessen Tempo leicht drosselte und es in einen langsamen Schritt verfiel. Einige Sekunden lang musterte Yennefer ihn mit leicht kritischem Blick, bevor sie es ihm gleichtat und auch Grace ein Handzeichen gab.

Vor dem Karren angekommen, brachte er sein Reittier schlussendlich komplett zum Stehen und schwang sich von dessen Rücken. Kurz riskierte er nochmal einen Blick in Yennefers Richtung, die ihre Aufmerksamkeit nun ebenfalls auf das zerstörte Objekt vor ihm gerichtet hatte. Ihr Gesichtsausdruck war teils misstrauisch und, teils neugierig.

Aus der Nähe erkannte er nun, dass der Karren halb umgestürzt war und anstelle von vier nur noch drei Räder hatte. Die Einzelteile des Letzten konnte er aus dem Augenwinkel zwischen den Bäumen entdecken. So wie es aussah, wäre es möglich, dass die Kutsche in einen Unfall oder ähnliches geraten sein könnte. Doch was könnte die Ursache dafür gewesen sein und wo waren die Menschen, die das Transportmittel genutzt hatten? Und was war mit dem Tier geschehen, welches die Kutsche gezogen hatte?

Er machte einige Schritte um das Gefährt herum und was er dort erblickte, beantwortete seine Frage nach dem Reittier augenblicklich. Allerdings beruhigte der Anblick ihn keineswegs, sondern verstärkte sein ungutes Gefühl nur weiter. Auf dem Boden lag, völlig in sich zusammen gesunken, ein Pferd, bei dem es sich einmal um einen Schimmel gehandelt haben musste. Das tiefrote Blut, welches unter dem Tier bereits eine Lache gebildet hatte, begann in dem Fall bereits zu trocknen und färbte es dunkel. Die Ursache dafür waren zwei Schnitte auf jeder Seite, die sich vom Bauch bis zum Rücken erstreckten. Der Hals war unnormal verdreht und die Augen geöffnet, doch in ihnen fehlte jedes Anzeichen von Leben.

Jeder einzige Muskel in seinem Körper spannte sich wie von selbst an und sein Herz begann fest gegen seinen Brustkorb zu pochen, wie ein Vogel, der den Gitterstäben seines Käfigs zu entfliehen versuchte. Das bestätigte sein schlechtes Gefühl. Die Ruhe war einfach zu trügerisch gewesen.

James löste seinen Blick von dem Pferd und ging dann zu dem hinteren Teil der Kutsche. Dort lagen einige Bretter des zerstörten Gefährts auf der Ladefläche, doch er meinte darunter etwas erkennen zu können. Mit den Händen zog er die Planken zur Seite, dabei darauf bedacht, dass sich keiner der Splitter in seine Haut bohrten. Nach einigen Sekunden eröffnete sich ihm so ein guter Blick auf das, was sich darunter befand. Ihnen zeigte sich ein zerquetschter, blutüberströmter Mann, dessen menschlicher Körper fast genauso schlimm zugerichtet war, wie der seines tierischen Begleiters.

Als er die Leiche freigeräumt hatte, stellte er sich augenblicklich davor, in der Hoffnung das angerichtete Massaker mit seinem Körper verbergen zu können. Immerhin hatte sie Grace bei sich, die noch immer ein Kind war und so etwas nicht unbedingt sehen musste. Er selbst war viel zu früh an den brutalen Tod herangeführt worden und wünschte sich manchmal, dass es jemanden gegeben hätte, der ihn davor geschützt hätte.

Yennefer schien das Gleiche gedacht zu haben, da ihre Stimme im selben Moment hinter ihm erklang: "Grace, schau bitte weg."
„Aber -", wollte Grace ansetzen, doch Yennefer unterbrach sie sofort: "Kein aber. Darüber diskutiere ich nicht." 
In diesem Moment war er Yennefer dankbar für ihre Reaktion. Zumindest in dieser Sache schienen sie sich einig zu sein. Etwas wovon er vermutete, dass es eher eine Seltenheit bleiben würde.

Dadurch war es ihm möglich sich wieder der Leiche zuzuwenden. Tun konnte er weder für den Mann noch für das Pferd. Beide waren Tod und das vermutlich schon seit einem halben Tag. Trotzdem hielt er es für besser die Leiche wieder zu verdecken.
„Wer hat das angerichtet?", wendete sich Yennefer nun an ihn. In ihrer Stimme war Neugierde zu erkennen, doch er meinte darin auch zu erkennen, dass diese Situation in ihr genauso ein ungutes Gefühl in ihr hervorrief, wie in ihm.

Auf ihre Frage hin fuhr James wieder zu ihnen herum. Er hatte so einen Anblick bereits einmal in seinem Leben gesehen und hatte es nicht darauf abgesehen ihn ein zweites Mal zu sehen. Nun war es dafür aber zu spät und konnte nur hoffen, dass das Monster, welches der Urheber war, schon längst wieder verschwunden war.
„Nicht wer, sondern was", erklärte er.
„Das war ein -", gerade wollte er zu einer Erklärung ansetzen, da vernahm er ein Rauschen über ihnen in der Luft und unterbrach sich selbst. Seine linke Hand legte sich instinktiv um den Griff seines Schwertes, während er mit den Augen den Himmel absuchte.
„Nimm Grace mit in den Wald", befahl er Yennefer, während er sein Schwert zog: "Sofort!"

Kingdom of DespairWhere stories live. Discover now