Kapitel 19

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Das Rufen von Verkäufern, die an den Straßenecken standen und ihre Waren anpriesen, vermischte sich mit dem allgemeinen Geschwätz der Leute und sorgte für eine allgemeine Lärmkulisse. Sie ließ den Blick suchend umherwandern, in der Hoffnung so zwischen den Häusern den Laden zu entdecken, wegen dem sie in die Stadt gekommen war.

Langsam schlenderte sie weiter zwischen den Leuten umher, bis sich ihr Blick auf ein Holzhaus heftete. Es schmiegte sich eng an die umliegenden Geschäfte und wirkte zwischen ihren hohen Fassaden unscheinbar. Über der kleinen Tür hang ein Schild mit der Aufschrift „Gould's Kräuterladen".

Ein kleines, zufriedenes Lächeln erschien auf ihren Lippen und ihre Beine trugen sie wie von selbst in die Richtung, in der sie ihr Ziel erspäht hatte. Überraschenderweise hatte es nicht so lange gedauert, wie sie gedacht hatte, in der verhältnismäßig großen Stadt fündig zu werden. Viel eher war sie davon ausgegangen, dass sie mehr Zeit damit zubringen würde sich zwischen Menschenmassen hindurch zu schieben, Verkäufer zu ignorieren, die sie ansprachen, und dabei zu versuchen nicht bestohlen zu werden. So würde sie sich aber vielleicht wirklich an ihr Versprechen sich zu beeilen, das sie James gegeben hatte, halten und tatsächlich bald zu ihren Reisebegleitern zurückkehren können, um sich wieder auf den Weg zu machen. Dabei wohlgefühlt sie einfach zu verlassen - auch wenn sie nicht davon ausgegangen war, dass sie länger als ein paar Stunden weg sein würde - hatte sie sich nämlich nicht gerade. Immerhin wusste sie, was es mit dem See auf sich hatte und konnte nur hoffen, dass keiner der anderen beiden ebenfalls darauf gekommen war. Ein besserer Ort, um vor anderen Leuten, die ebenfalls in die Stadt wollten, zu verstecken war ihr jedoch nicht eingefallen und da sie es auch nicht vorgezogen hatte erst lange nach einer anderen Stelle zu suchen, hatte sie sich damit abgefunden.

Als sie sich endlich erfolgreich zwischen den Menschen hindurchgeschlängelt hatte, öffnete sie ohne zu zögern die Tür des Kräuterladens und trat ein. Sofort schlug ihr ein beißender Geruch entgegen, der ihr bekannt vorkam, den sie in diesem Moment allerdings nicht genau zu ordnen konnte. Trotzdem weckte er in ihr Erinnerungen an ihre Ausbildung, bei der er ihr vermutlich einmal in jungen Jahren untergekommen war. Schnell versuchte sie diesen Gedanken von sich zu schütteln. Sie war hier, weil sie die nötigen Kräuter für ihre Medizin brauchte und nicht, um an ihre Vergangenheit zurückerinnert zu werden. Ein Thema, über das sie generell weder gerne sprach, noch nachdachte. Stattdessen versuchte sie es so gut es ging zu verdrängen. Und trotzdem hatte sie sich davon auf diesen Pfad führen lassen.

An der Wand gegenüber der Tür war ein langer Tresen zu erkennen, hinter dem normalerweise vermutlich ein Verkäufer vorzufinden sein würde. Diesen konnte sie gerade jedoch nirgends erblickten, hoffte jedoch, dass er sich schnell wieder zeigen würde. Den Laden hatte sie immerhin bereits schnell gefunden und wollte hier nun nicht warten und damit wichtige Zeit verschwenden müssen. Die beiden anderen Wände waren mit Regalen gepflastert, in denen sich die verschiedensten Phiolen, Gerätschaften und Kräuter befanden. Langsam setzte sie sich in Bewegung und ließ ihren Blick dabei über die verschiedenen Fächer wandern, in der Hoffnung so das zu erspähen, wonach sie auf der Suche war.

Nach einigen Schritten blieb sie stehen und streckte ihre Hand nach einem der beiden Kräuter aus, das sie überhaupt hierhergeführt hatte. Sie griff nach genug Blättern, um sie für die Medizin verwenden zu können und suchte dann weiter, bis sie auch ihre zweite Zutat entdeckte. Dabei handelte sie sich um ein gräuliches, körniges Pulver, das stark an ein Gewürz erinnerte. Kurz schätzte sie grob ab, wie viel sie davon brauchen würde, und nahm dann auch davon einen Teil.

„Ihr riecht nach Schicksal, meine Liebe", eine weibliche Stimme zerriss plötzlich die Stille und brachte Yennefer dazu erschrocken herumzufahren. Hinter sich erblickte sie eine Frau, die in einer Ecke in einem Schaukelstuhl saß und die Hände in ihrem Schoß gefaltet hatte. Ihre faltige Haut und das schüttere Haar passten zu ihrer rauchigen Stimme und vervollständigten das Bild der alten Frau, die ihren Blick auf Yennefer gerichtet hatte und sie langsam von Kopf bis Fuß musterte.

Yennefer runzelte ihre Stirn leicht. Entweder war diese Frau vorher noch nie dagewesen oder sie hatte sie nicht bemerkt. Beide Möglichkeiten klangen jedoch nicht plausibel. Immerhin hatte sie sich vorher gründlich in dem Raum umgesehen und dabei keine andere Person entdeckt. Außerdem sah es auch nicht so aus, als hätte sie sich gerade erst dort niedergelassen, was auch Yennefers erste Vermutung ins Wanken brachte.

Sie wollte den Mund öffnen und die Frau bitten ihre Worte noch einmal zu wiederholen, in dem Glauben, dass sie es vielleicht einfach falsch verstanden hatte. Bevor jedoch ein Laut aus ihrer Kehle dringen konnte, fuhr die Alte fort: "Und bald wird es Euch auf einen neuen Pfad führen. Einen Pfad, an dessen Ende möglicherweise die Erfüllung eines Eurer tiefsten Begehren auf Euch wartet. Ihr würdet ans Ende der Welt gehen, um das zu erhalten, was Ihr Euch wünscht, nicht wahr?"

Die Worte klangen in Yennefers Gedanken wieder, während sie ihre Augen leicht verengte. Erneut kam sie jedoch nicht dazu etwas zu sagen, denn der Blick ihres Gegenübers fiel auf die Kräuter in ihren Händen. Ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen und man könnte fast meinen, dass darin etwas Zufriedenes lag.
„Ah, ich sehe schon. Ihr solltet Euch lieber beeilen und ihn retten, damit er Euch helfen kann euer beider Schicksal zu erfüllen", ihren Blick hielt sie einige Sekunden auf Yennefers Hände gerichtete, bevor sie der jungen Magierin wieder ins Gesicht sah. Dann nickte sie in Richtung der Theke hinter Yennefer und wie auf ein Kommando hin, öffnete sich eine Tür hinter dem Tresen und eine junge Frau betrat den Raum.

„Oh, tut mir leid, dass Ihr warten musstet", sie schenkte Yennefer, die dem Nicken mit ihrem Blick gefolgt war, ein entschuldigendes Lächeln: "Ich war kurz verhindert. Jetzt bin ich aber für sie da."
Etwas Gehetztes lag in ihren Bewegungen und es war leicht zu vermuten, dass sie bereits den ganzen Tag den unterschiedlichsten Aufgaben nachgegangen sein musste, die allesamt gleichermaßen ihre Aufmerksamkeit forderten. Mit ihren Händen stützte sie sich auf der Theke ab und sah kurz zwischen der alten Frau und Yennefer hin und her: "Meine Mutter hat doch nicht mit Euch gesprochen, oder? Wenn doch, hört am besten nicht auf sie. Manchmal kommt sie auf sehr ... wunderliche Ideen, die man besser nicht ernst nehmen sollte."

„Schon gut", antwortete Yennefer und ging auf den Tresen zu, um die Sachen, die sie herausgesucht hatte, darauf abzulegen: "Das wäre alles, was ich gerne kaufen würde."
Mit einer Hand langte sie in ihre Manteltasche und öffnete darin bereits ihren Geldbeutel, während die Verkäuferin die Zutaten abwog. Während sie darauf wartete, dass man ihr einen Preis nannte, warf Yennefer kaum merklich noch einmal einen Blick über ihre Schulter.Die ältere Frau hatte sich nicht von der Stelle bewegt und ihre Augen hatte sie noch immer auf Yennefer gerichtet. Als sie ihren Blick bemerkte, lächelte sie erneut und senkte ihren eigenen dann auf ihre Hände.
„Das macht dann fünfzehn Silbertaler", die Stimme der Jüngeren brauchte Yennefer dazu ihre Aufmerksamkeit wieder ihr zuzuwenden. Sie legte die geforderte Zahlung auf der Oberfläche des Tresens ab und nahm im Gegenzug den Beutel entgegen, in dem die Verkäuferin das Gekaufte verstaut hatte.
„Schönen Tag noch", murmelte sie, während sie sich wieder auf die Ausgangstür zubewegte.

Sie warf keiner der anderen Frauen mehr einen Blick zu und trat stattdessen auf die Straße hinaus. Die mysteriösen Worte klangen in ihren Gedanken allerdings wieder. Sie hatte so versessen vom Schicksal gesprochen, doch Yennefer konnte sich keinen Reim darauf machen, was sie meinen könnte. Was für ein neuer Pfad sollte sich ihr bald eröffnen? Momentan war sie noch immer auf der Reise mit der Prinzessin und ging auch nicht davon aus, dass sie ihr Ziel in wenigen Tagen erreichen würden. Welcher andere Weg gemeint sein könnte, konnte sie sich also beim besten Willen nicht vorstellen.

Während sie sich erneut zwischen den Menschen vorbeischob, um zurück auf die Hauptstraße zu gelangen, war sie so sehr in Gedanken vertieft, dass sie nicht die Person bemerkte, die zwischen zwei Häusern verborgen im Schatten stand. Aufmerksam folgte die Gestalt ihr mit dem Blick, bevor sie sich nach einigen Sekunden von der Stelle löste und sich daran machte der dunkelhaarigen Magierin zu folgen.

Kingdom of DespairWhere stories live. Discover now