Familie hält zusammen

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Er wusste es also. Er wusste, dass ich irgendwann kein Mensch mehr sein würde, falls ich das jemals wirklich war. Ich rollte mich auf den Rücken und starrte an die Decke, weil ich ihn nicht ansehen konnte. Wieso war er überhaupt noch hier, wenn er es doch wusste? Vielleicht wollte er nicht unhöflich sein, und blieb deswegen.

»Du kannst ruhig gehen, wenn du möchtest. Ich kann es verstehen« bot ich es ihm schliesslich an. So musste er sich nicht seltsam fühlen, wenn er einfach gehen würde. Aber was er antwortete, überraschte mich etwas.

»Wieso sollte ich gehen wollen?« Dabei klang er weder herablassend, noch sarkastisch. Er meinte die Frage wirklich ernst. Wollte er etwa, dass ich es auch noch aussprach? Also antwortete ich ihm leise, und beschämt. »Weil ich nur Probleme mit mir bringe und es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich alle um mich herum verletzte.«

Als ich es endlich ausgesprochen hatte, fühlte ich mich seltsam leicht. Als hätte ich zum ersten Mal einen richtigen Atemzug machen können. Doch kurz darauf zog sich meine Brust wieder zusammen während ich auf seine Reaktion wartete.

»Lissa. Sieh mich an.« Seine Stimme war fest und so bestimmt, dass ich mich langsam aufsetzte und ihm zuwandte. Mit einem unergründlichen Blick sah er mich eine Weile lang einfach nur an und ich rechnete damit, dass er sich jeden Moment abwenden würde, oder mir vorhielt, dass ich es den anderen sagen müsse, damit auch sie die Chance hätten, sich vor mir zu schützen. Das Schweigen zog sich in die Länge und ich senkte den Blick. Wieso quälte er mich so? Konnte er mir nicht einfach sagen, wie enttäuscht er von mir ist und, dass ich mich von seinen Freunden fernhalten sollte und dann gehen? Wieso...

Meine wirbelnden Gedanken wurden von einer zarten Berührung an meinen Wangen unterbrochen. Erschrocken sah ich Bill wieder an und zuckte erst etwas vor der Berührung zurück. Er hatte seine Hände ausgestreckt und sie nun sanft aber bestimmt an meine Wangen gelegt. Ich konnte nicht anders, als ihn aus grossen Augen anzustarren.

»Lissa. Es ist mir egal, was du bist, woher du kommst und wem du es wann erzählst. Das einzige, was für mich zählt, bist du, Lissa. Das süsse, kleine und etwas verlorene Mädchen, dass ich kennengelernt habe. Dann kannst du dich eben in einen Fuchs verwandeln. Na und? Sieh dir Tonks an, sie kann sich in alles mögliche verwandeln. Und ich weiss, dass du dich irgendwann nicht mehr zurückverwandeln kannst, aber das ändert nichts daran, wer du tief in deinem Inneren bist. Du wirst immer Lissa bleiben, egal ob als Mensch, Fuchs oder was auch immer. Darum werde ich dich bestimmt nicht verlassen. Und weisst du was? Für mich gehörst du schon längst zu meiner Familie. Und Familie hält zusammen, egal was kommt.« Während er das sagte, spürte ich die Tränen heiss in mir aufsteigen und als er fertig war, schluchzte ich auf und fiel ihm um den Hals. Ich spürte, wie er mich in eine feste Umarmung zog und ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals und weinte. Endlich konnte ich wirklich atmen. Einen Atemzug nach dem anderen. Er wusste es und blieb trotzdem an meiner Seite. Er versuchte auch nicht, mich auszustellen und als Kuriosität zu brandmarken.

Nein, er blieb bei mir, weil Familie zusammenhielt.

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Nach einem unkontrollierten Heulkrampf von meiner Seite aus, ging Bill irgendwann Severus und Remus suchen. So, wie es sich anhörte, hatten die beiden sich grosse Sorgen um mich gemacht und ich teilte dieses Gefühl. Ich konnte mir nicht erklären, woher die Vision gekommen war. Ich wusste nur, dass es nie mehr soweit kommen durfte. Wenn das erneut passieren würde, dann währe es sehr wahrscheinlich, dass es nicht so gut enden würde wie diesmal.

Remus war der erste, der eintraf. Er zog mich wortlos in eine feste Umarmung, hielt mich danach eine Armeslänge von sich weg und grinste verschlagen. »Mit Fuchsohren hast du mir besser gefallen« Das entlockte mir tatsächlich ein kleines Lachen und Remus lächelte zurück. Dann betrachtete er meine vom Weinen geschwollenen Augen, kramte in seinem Umhang und reichte mir eine Tafel Schokolade mit den Worten: »Iss. Das hilft.«

Dann kam Severus herein und wir wandten uns ihm zu. Bill war direkt hinter ihm, doch er hielt respektvollen Abstand, damit Severus mich zuerst in Augenschein nehmen konnte. Sogar Remus trat einige Schritte von mir weg, wie um uns Raum zu lassen.

Doch Severus blieb einfach ein paar Schritte vor mir stehen und schwieg.

Als sich das Schweigen ausdehnte, sagte ich das erste, was mir in den Sinn kam: »Da bin ich wieder.« Es klag kläglich und dumm, und ich wünschte, dass ich es nicht gesagt hätte. Doch es schien ihn aus einem tranceartigen Zustand zu reissen, denn sein Blick wurde fokussierter und er hielt mir seine Hand hin. Automatisch ergriff ich sie, obwohl ich nicht genau wusste, was er damit bezwecken wollte. Seine Haut war kühl, aber nicht kalt, wie ich erwartet hatte.

Dann ruckte es einmal an meinem Arm und im nächsten Moment fand ich mich in seinen Armen wieder. So nahe bei ihm wurde mir einmal mehr bewusst, wie viel grösser er war als ich. Ich reichte ihm knapp bis zur Schulter und er konnte sein Gesicht in meinem Scheitelhaar vergraben.

»Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich war ruhelos, bis Bill mich holen kam. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können« nuschelte er undeutlich in meine Haare, aber ich verstand ihn trotzdem. Und das war beinahe das schlimmste an meinem Zusammenbruch. Den sonst so kühlen und unnahbaren Severus so aufgelöst zu erleben. »Jetzt geht es mir ja wieder gut. Es ist alles in Ordnung, du musst dir keine Sorgen mehr machen«

Einen Moment hielt er mich noch, dann löste er sich schnell von mir und brachte wieder Abstand zwischen uns. »Trinken, der ist zur Stärkung« wies er mich an, während er mir ein kleines, verkorktes Fläschchen in die Hand drückte und sich zum Gehen wandte. An der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte in meine Richtung: »Okklumentik Unterricht. Morgen Abend bei mir.« Dann ging er und ich war trotzdem glücklich. Mehr Gefühlsbekundung konnte man von ihm nicht erwarten, aber es war mehr als genug für mich.

Als er gegangen war, entkorkte ich das Fläschchen und stürzte den Trank hinunter. Dann wandte ich mich Remus zu und fragte: »Was genau ist Okklumentik?«

»Damit schützt du deinen Geist vor äusserem Eindringen. Ich denke, er will dir das beibringen, damit die Wahrscheinlichkeit auf einen erneuten...Zwischenfall wie diesen, verringert wird« erklärte er mir und ich nickte verstehend. Ich wusste zwar nicht genau, wie man das jemandem beibringen konnte, aber vielleicht gab es ja einen Zauberspruch dafür. Auf jeden Fall freute ich mich darauf, wieder etwas Neues zu lernen.

Bill hatte während meinem Gespräch mit Remus noch kurz mit Madame Pomfrey gesprochen und kam dann mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen auf mich zu: »Dein Alibi für heute, und auch für die nächsten Absenzen von dir, steht. Ab jetzt hast du eine empfindliche Haut, und solltest nicht so oft in die Sonne. Sonst kriegst du schlimmen Ausschlag und dein Kreislauf neigt dazu, einzuknicken. Und du gehts immer mal wieder zu Madame Pomfrey, um dich therapieren zu lassen. Niemand weiss, wie lange solche Therapien dauern, und die einzelnen Sitzungen können in ziemlich unregelmässigen Abständen abgehalten werden. Aufgefallen ist es Madame Pomfrey, als du heute mit einem kleinen Sonnenstich bei ihr warst. Nur für den Fall, dass jemand fragt.«

Überrascht sah ich ihn an, doch dann musste ich unwillkürlich grinsen. »Das heisst, ich kann nun, ohne mir Sorgen zu machen, raus gehen und mich verwandeln und alle denken, dass ich wieder eine Therapiestunde habe?«

Er nickte bestätigend und ich konnte nicht anders, als ihn anzustrahlen. »Das ist grossartig. So muss ich mich nicht mehr mit dem Nachsitzen verdächtig machen. Das wird das Ganze leichter machen. Danke« Doch dieses Danke richtete ich nicht nur an Bill, sondern auch an Madame Pomfrey, immerhin war sie Teil dieses Schmierentheaters. Sie winkte jedoch nur ab. »Wenn ich dir das Leben damit leichter machen kann, habe ich meine Aufgabe als Ärztin voll und ganz erfüllt.«

Ich spürte, wie mir warm ums Herz wurde. Ich hatte Bill mein Geheimnis offenbart und er blieb trotzdem an meiner Seite, Severus tat alles, um mich vor weiteren Unfällen wie diesem zu schützen und Remus war einfach für mich da, und gab mir eine Tafel Schokolade, wenn ich sie brauchte.

Diese drei Menschen waren nun meine Familie. Eine ziemlich schräge, und zusammengewürfelte, aber meine Familie. 

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Da bin ich wieder, wie versprochen nach zwei Wochen ;D tut mir leid, für das eher kurze Kapitel, ich versuche, die Nächsten wieder länger zu halten. Ist gerade einfach alles ein bisschen stressig xD

Lissa - das Fuchsmädchen (Maledictus Fanfiktion)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora