Der Einzug

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Kostas

"Du weißt es ist das Beste für dich."
"Mhm."
 "Und wir werden uns ja auch schon bald wiedersehen."
Ich verdrehte nur meine Augen. Ein schlechtes Gewissen braucht meine Mutter jetzt auch nicht mehr haben.
"Du wirst sehen, es wird dir gut tun."
Ich drehte mich zur Seite um aus dem Fenster zu schauen, schloss meine Kopfhörer an und drehte die Musik so laut, dass ich meine Mutter nicht mehr verstehen konnte. Ein Erziehungscamp. So ein Bullshit. Als ob das irgendwas ändern würde. Es ist nicht meine Schuld, dass unsere Familie für den Arsch ist. Aber meine Mutter stellt es so dar, als wäre ich für alles was passiert ist Schuld.
Weil ich ja nie Zuhause bin. Weil ich keine Aufmerksamkeit für meine Familie habe. Sobald ich aus diesem dummen Camp wieder raus bin, braucht sie nicht denken, dass ich zuhause bleibe. Ich werde definitiv wegziehen. Wohin? Keine Ahnung. Vielleicht zu nem Kumpel. Ich werde schon was finden. Hauptsache weg von meiner Mutter. Ich drehte mich unauffällig zu ihr. Sie redete immer noch, würdigte mich aber keines Blickes. Ich ließ sie einfach reden und beobachtete die Landschaft. Wo auch immer ich war, es war das größte Kaff der Welt. Hier war nichts außer Land und ein paar Bäume. Hier und da mal eine Fabrik, aber das wars auch. Was ist, wenn meine Mom mich nur aussetzen will und dann einfach wieder nach Hause fährt? Eigentlich war der Gedanke gar nicht so schlecht. Hier lebt es sich bestimmt besser als zu Hause. Nach der langen Fahrt kam nun endlich etwas ganz anderes als Bäume und Land. Etwas so spannendes und unerwartetes, dass ich mich auf dem Sitz halten konnte.
Ein Schild.
Ein kackbraunes, rostiges Schild mit der Aufschrift: Erziehungscamp Berlin.
Für ein schöneres Schild hat das Geld wohl nicht mehr gereicht. 
Ich nahm eine Kopfhörer wieder raus und hoffte innerlich, dass meine Mutter endlich aufgehört hatte zu reden. "...und du kannst mich bestimmt auch anrufen, wenn irgendwas sein soll. Ich weiß, dass eine Regel ist, dass du deine Eltern nicht anrufen sollst, aber-"
"Mom.", unterbrach ich sie. "Schon verstanden. Du hast ein schlechtes Gewissen, dass du mich in dieses bescheuerte Camp schickst, aber jetzt kannst du es auch nicht mehr ändern. Also hör auf dein schlechtes Gewissen irgendwie beruhigen zu wollen."
Nun entstand eine bedrückende Stille, welche ich bereits von zuhause kannte. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Mutter diskutierte kam irgendwann dieses Schweigen. Doch das störte mich nicht. Ich mochte das Schweigen. Es war angenehmer als mit meiner Mutter zu reden. 
"Schau, wir sind gleich da.", sagte sie schnell. Ich wusste, dass sie diese Stille hasste und deswegen passte es ihr ganz gut, dass sich vor uns langsam das Camp zeigte. Es war ein großes, langgezogenes Haus. Vor diesem Haus stand ein Mann mittleren Alters. Meine Mutter hielt vor dem Haus an und schaute mich das erste Mal nach der ganzen Autofahrt an. Sie erzwang sich ein Lächeln. "Na dann, ich wünsche dir ganz viel Spaß." 
Ich lachte nur ironisch. "Na klar."
"Lass dich nicht ärgern und benimm dich, ja?" 
Ich antwortete ihr darauf nicht, verzog nicht mal eine Miene. Ich stieg einfach aus dem Auto und holte mein Gepäck aus dem Kofferraum. "Ja Dad. Danke für gar nichts." 
Ich drehte mich zu der Stimme um und sah einen kleineren blonden Jungen, welcher auch gerade sein Gepäck aus dem Kofferraum holte. Er hat wohl genau so ein gutes Verhältnis zu seinem Dad wie ich zu meiner Mom. "Kostas."
Meine Mom ließ das Fenster der Beifahrertür runter. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ohne mich umzudrehen wartete ich ab, was sie mir noch zu sagen hatte. "Ich hab dich lieb."
Ja klar. Und deswegen schickte sie mich hier hin. Ohne etwas zu sagen oder mich noch einmal zu ihr umzudrehen entfernte ich mich vom Auto. "Hey, ihr beiden.", begrüßte uns der Mann, welcher schon die ganze Zeit wie ein Creep vor dem Haus stand und uns beobachtete.
"Geht gerne schon mal den Weg hier entlang. Rechts kommt dann gleich eine große Glastür in welcher mehrere Stühle und Bänke aufgestellt sind. Lasst euer Gepäck draußen stehen und setzt euch rein. Wir begrüßen euch dann gleich zusammen, wenn alle da sind."
Wir entfernten uns langsam von dem Mann und liefen, wie er gesagt hatte, den Weg entlang.
"Und dann singen wir gleich noch Lieder, tanzen unsere Namen und machen ein Lagerfeuer.", murmelte der Blonde Junge, was mich zum Lachen brachte.
"Wenn die das bringen, bin ich hier schneller weg, als die Idioten gucken können."
Nun lachte auch der Junge. "Ich komm mit. Mir scheiß egal wohin." 
Draußen stand eine Frau, welche uns sagte, dass sie auf unsere Koffer aufpasst und wir uns rein setzen sollten. Ein paar Jungen waren bereits da. Sie alle sahen nicht wirklich motiviert aus. Eine Handvoll davon sahen sogar nervös oder ängstlich aus. Das war ja klar. Zuhause einen auf dicke Hose machen und sich hier einscheißen. Ich setzte mich auf einen der freien Stühle und schaute nach draußen, durch die großen Fenster, gleich neben der Glastür. Dort standen mehrere Holzhäuser. Vermutlich schliefen wir dort drin. Insgesamt zählte ich zehn Häuser und fragte mich wie viele Leute in diesen Häusern wohnen konnten. 

Mik

"Bezahlt haben meine Eltern, oder?", fragte ich den Taxifahrer.
"Genau, das haben sie bereits gemacht."
"Gut, dann vielen Dank und ich wünsche Ihnen noch einen ruhigen Tag."
"Dankeschön. Ihnen auch."
Ich lachte innerlich. Wenn er wüsste. Ruhig würde dieser Aufenthalt ganz bestimmt nicht werden. Schließlich war das hier kein Urlaub in welchen meine Eltern mich schickten. Ich hatte gerade mein Gepäck aus dem Kofferraum geholt, als jemand meinen Namen rief. Verwirrt drehte ich mich um und suchte nach der Stimme.
"Mik, du alter Stricher! Ich kanns nicht glauben."
Ich fing an zu Lachen. "Christian. Du wieder hier?"
"Du ja anscheinend auch."
Ich schlug lachend bei ihm ein. Christian ist einer meiner besten Kumpels in diesem Camp. Er ist, genau wie ich, jetzt schon zum vierten Mal hier.
"Was soll ich sagen, hab mich nicht geändert. Und meine Eltern haben wohl immer noch die Hoffnung, dass ich mich ändere.", lachte Christian.
"Tja und meine Eltern wollen nur ihre Ruhe und mich über die Sommerferien wieder abschieben."
"Christian, Mik.", begrüßte Ralf uns. "Ich hatte gehofft euch nicht wieder zu sehen."
"Ach kommen Sie Ralf. Ist doch immer wieder schön uns zu sehen. So wird Ihnen nicht langweilig.", scherzte Christian und schlug ihm brüderlich gegen die Schulter.
"Und solange ich nicht ausgezogen bin, werden sie mich noch jedes Jahr wiedersehen.", meinte ich schulterzuckend. 
"Na dann geht rein. Ihr kennt den Weg ja."

Together we're strongWhere stories live. Discover now